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Tichys Denkanstoss

Slalom im Supermarkt der Spaßverderber

Tichys Denkanstoss - Slalom im Supermarkt der Spaßverderber
Roland Tichy © Illustration: Jessine Hein / Illustratoren

Sind wir mündige Verbraucher, die verantwortungsbewusst einkaufen? Oder brauchen wir „Anstupser“ und Regulierungen, um die Welt zu verbessern?

01.06.2017

Was darf der Staat, wenn wir mit dem Einkaufswagen unterwegs sind? Die vermeintlich simple Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Wenn wir mündige, zumindest verständige Verbraucher sind, dann wissen wir selber am allerbesten, was gut für uns ist, was wir riskieren können, auch was wir uns leisten wollen. Aber sind wir so bewusst? Die Wahrnehmung verschiebt sich. Der mündige Verbrau­cher ist das Leitbild der EU-Kommission – es hat den unverständi­gen, betreuungsbedürftigen Konsumenten als Leitbild ersetzt. Theoretisch. Praktisch verschieben sich die Grenzen wieder zum Staat, der am besten weiß, was gut für uns ist und uns mit Regeln schützt, sanft oder grob in die richtige Richtung lenkt. Das hat tiefgreifende Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben.

Regeln für die Wirtschaft
Die erste Branche, die das zu spüren bekommen hat, war die Tabak­in­dustrie. Ihre Produkte sind heute weitgehend aus dem öffentlichen Leben verbannt; Raucher treffen sich in zugigen Ecken, um ihrer gefährlichen Sucht zu frönen; Zigarettenschachteln sind mit ab­schreckenden Bildchen versehen. Mittlerweile kann man eine rote Liste der regulierungsgefährdeten Branchen aufstellen: Zucker und Alkohol sind der neue Tabak, generell die Lebensmittelindustrie, die nach tatsächlich oder vermeintlich gefährlichen Inhaltsstoffen und Produktionsbedingenen durchleuchtet wird; die Landwirtschaft erhält neue Regeln. Die Plastiktüte wird abgeschafft. Gen-Technik ist längst gebannt. Schrittweise erfasst die gesellschaftliche Ablehnung auch Wissenschaft und Pharmazie: Was nicht gut für den Magen sein kann, taugt auch nicht als Medikament. Alles klar. Banken gelten als Hochrisikounternehmen; immer neue Regelungen bewahren die Verbraucher davor, ihr Geld so anzulegen, wie sie es für richtig erachten, staatliche Fonds sollen die Vorsorge an sich ziehen. Die Kernindustrie ist tot, Kohlekraftwerke sollen das Rauchen aufgeben; die Energierie­sen früherer Jahre – Rückgrat der industriellen Infrastruktur – wankende Riesen auf Entzugskur. 

Mit der Autoindustrie trifft es derzeit die Branche mit den meisten Arbeitsplätzen: Ein Verbot des Verbrennungsmotors ab 2030 wird  propagiert, der Diesel wurde erst gefördert und soll jetzt schritt­weise aus dem Verkehr gezogen werden. Ist das noch Verbraucherschutz? Kritiker wie der Berliner Medienwissenschaftler Norbert Bolz sehen die eigentlichen Ursachen in der Ökologiebewegung, die die anti-aufklärerische Konsumkritik erfunden hat und die mo­der­ne Industriegesellschaft rund um Energie, Mobilität und Konsum grundsätzlich in Frage stelle. Im Kanzleramt wurde eine Abteilung gegründet, die Bürger „anstupsen“ soll, um politisch gewolltes Verhalten zu erzeugen. Dieser libertäre Paternalismus ist in Wahrheit eine Politik der verbo­tenen Lüste: Alles was Spaß macht, wird verboten – selbstverständlich zum Wohle der Verbraucher, die selbst nicht darüber entscheiden können. Ist es schon so schlimm? Oder wird notwendige Vorsorge diskreditiert? Und folgen die Bürger den Verboten wirklich? Die Fahrt mit dem Einkaufswagen wird zum Slalom um Verbote und Diskussionen. Tugendwächter waren nie beliebt. Aber wer hat Recht: die Tugendwächter oder die Raucher?