https://rotary.de/gesellschaft/unnatuerliche-katastrophen-a-22913.html
Brief des Präsidenten

Unnatürliche Katastrophen

Brief des Präsidenten - Unnatürliche Katastrophen
Sanj Srikanthan, CEO, ShelterBox und R. Gordon R. McInally © Shelterbox

Gordon McInally sensibilisiert für den Sprachgebrauch bei Katastrophen.

01.12.2023

Im Dezember werde ich am COP-28-Klimagipfel der Vereinten Nationen in Dubai teilnehmen. Dort werde ich über die Konvergenz zweier globaler Krisen sprechen: Klima und psychische Gesundheit. Die Weltgesundheitsorganisation hat festgestellt, dass der Klimawandel die Risikofaktoren für psychische Gesundheitsprobleme verschärft, zum Beispiel durch die Zerstörung von Wohnräumen und Lebensgrundlagen. Die emotionale Belastung durch eine Katastrophe erschwert es den Menschen auch, sich zu erholen und wieder aufzubauen.

Der Rotary-Partner ShelterBox ist ein internationales Katastrophenhilfswerk, das bereits mehr als 2,5 Millionen Vertriebenen in rund 100 Ländern mit Notunterkünften, wichtigen Haushaltsgegenständen und technischer Unterstützung geholfen hat. In dieser Kolumne möchte ich mit Sanj Srikanthan, dem CEO von ShelterBox, sprechen, der erklärt, dass die Worte, die wir wählen, um Katastrophen zu beschreiben, wichtig sind.

R. Gordon R. McInally
Präsident von Rotary International

Reden und Aktuelles von RI-Präsident R. Gordon R. McInally auf rotary.org/office-president 


Der Begriff „Naturkatastrophe“ wird seit Langem zur Beschreibung von Tropenstürmen, Überschwemmungen, Erdbeben und Vulkanausbrüchen verwendet, aber es ist dringend notwendig, dass wir unsere Sprache ändern. Auch wenn der Begriff harmlos erscheinen mag und wir ihn nicht immer richtig verstanden haben, haben wir durch unsere Arbeit mit den von einer Katastrophe betroffenen Gemeinwesen gelernt, dass er einen gefährlichen Mythos aufrechterhält, der besagt, dass man nichts hätte tun können, um zu verhindern, dass die Menschen so stark betroffen sind. Dieses irreführende und schädliche Narrativ kann dazu führen, dass den Menschen, die Hilfe brauchen, nicht geholfen wird.

Die Sprache, die wir verwenden, ist wichtig. Wenn wir Katastrophen als Naturkatastrophen bezeichnen, verkennen wir das komplexe Zusammenspiel zwischen der Natur und der Rolle des menschlichen Handelns und dessen Auswirkungen in aller Welt.

Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche, extreme Stürme, Dürren und Überschwemmungen sind auf natürliche Prozesse auf der Erde zurückzuführen. Aber es ist die Art und Weise, wie sich diese Ereignisse auf die Menschen oder die Umwelt auswirken, die sie zu einer Katastrophe machen können – Ergebnisse, die von menschlichen Faktoren beeinflusst werden, zum Beispiel wo die Menschen leben, welche Art von Häusern sie haben, politische Instabilität und das Fehlen proaktiver Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Gemeinwesen. Eine Katastrophe ist das Ergebnis von systembedingten Benachteiligungen beim Zugang zu Ressourcen und Macht. Wo wir leben und wie viel Geld wir haben, bestimmt oft unsere Fähigkeit, uns von einer Katastrophe zu erholen. Am stärksten betroffen sind die Menschen, die in Armut leben, die wenig Mittel haben, um sich zu schützen, und wenig Ressourcen, um das nächste Ereignis zu überstehen. Indem wir diese Katastrophen als Naturereignisse darstellen, untergraben wir die Notwendigkeit proaktiver Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Menschen und Gemeinden und verschleiern die zugrunde liegende soziale, wirtschaftliche und politische Instabilität, die dazu führt, dass marginalisierte und benachteiligte Gemeinschaften unverhältnismäßig stark betroffen sind. Unsere Teams sehen aus erster Hand, wie Probleme wie Ungleichheit, Armut, Verstädterung, Abholzung und die Klimakrise ganze Gesellschaften verwundbarer machen können.

Bei ShelterBox sagen wir einfach „Katastrophe“ oder sind spezifischer und beschreiben das extreme Wetter, das Erdbeben, den Tsunami oder den Vulkanausbruch. Ich fordere alle auf, uns dabei zu helfen, diesen Kreislauf zu durchbrechen, indem wir uns zu einer Sprache verpflichten, die genau wiedergibt, warum die Menschen so stark betroffen sind.

Nur so können wir die Ursachen der Verwundbarkeit angehen und auf eine gerechtere und ausgewogene Zukunft für alle hinarbeiten, mit den notwendigen Investitionen, Ressourcen und proaktiven Maßnahmen zum Schutz der betroffenen Gemeinschaften. Katastrophen sind nicht natürlich. Hören wir auf zu sagen, dass sie es sind.

Sanj Srikanthan, CEO, ShelterBox