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Zum Titelthema

Was Religion und Bundeswehr miteinander zu tun haben

Zum Titelthema - Was Religion und Bundeswehr miteinander zu tun haben

Ein Essay zur Gewalt des Christentums. Eine Ergänzung zu Klaus Mertes' Schrift zur Missbrauchsbewältigung sowie zu den Artikeln aus dem Titelthema „Bedingt einsatzbereit" im Rotary Magazin 4/2021

07.04.2021

Dipl. Psych. Dipl. Päd. Werner Dinkelbach, Psychoanalytiker DGPT vom RC Remagen-Sinzig, schrieb:

In diesem Essay beschäftige ich mich mit der dem Christentum auch innewohnenden Zerstörungskraft, die der Verdrängung und Verleugnung anheimfällt. Selbige ist allerdings wesentlich zu betrachten, um die jetzige Aufarbeitung der Missbräuche zu befördern und eine Prophylaxe herbeizuführen. Ein Außerachtlassen dieser dunklen Seite hält unterschwellig die Bereitschaft zu weiteren dunklen Taten aufrecht. Dabei beziehe ich mich auf meine Behandlungserfahrung als Psychoanalytiker, welche ich in zahlreichen Behandlungen von Klerikern jeglicher Couleur und deren Opfern machen konnte. In einem weiteren Schritt spanne ich den Bogen — aus der Religion kommend — zur Kriegsunfähigkeit der Bundeswehr. Die Struktur meiner Betrachtungen ist die Tiefenpsychologie.

Priester opfern Kinder. Vor-abrahamitisch. Väter opfern Söhne, indem sie Kriege erklären. Dies mit Scheinheiligkeit zur "Liebe" verbrämt. Kinderschändung ist Seelenmord und Gottesfrevel. Im Markus-Evangelium lässt Jesus die Kinder — gegen seine Jünger gewandt — zu sich kommen, "denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes". Priester verwandeln das Gottesreich in eine irdische Hölle für Kinder und der Bischofsmantel verhüllt die Täter. Brüder im Nebel, wie Kardinal Meisner seine Akte dazu benannte.

Diese Verwandlung ist rückwärtsgerichtet und verkehrt sich dabei in ihr Gegenteil, nämlich Brot und Wein wird im Kindesmissbrauch wieder zu Blut und Fleisch. Unsere Kirchen (römisch-katholisch und evangelisch) haben daher nicht nur einfach ein strukturelles Problem, wie Herr Mertes dies beschreibt, wesentlich ist, sie haben darüber hinaus grundsätzlich ein theologisch-inhaltliches Problem, welches dem christlichen Kernkomplex des Opfers geschuldet ist. Der Opferbegriff und die Rituale dazu als zentraler Bestandteil der christlichen Theologie "feiert" im Missbrauch seine Leiblichkeit. Der Kreuzestod des Kindes, eine Hommage an die Väterlichkeit, bewirkt, dass die Liebe zur Ursünde wird, indem die Gewalt sich ihrer bemächtigt. Auch wenn das Osterfest verleiblicht zur Darstellung bringt, dass die Liebe nicht stirbt, ist die vorhergegangene Tötung doch fatal. Der lange blutige Weg des Christentums, der auf Golgatha seinen Anfang nahm, nämlich Tod aus Liebe (Viva la Muerte) "feiert" im Missbrauch seine fröhlichen Urstände. Eine neue Hermeneutik von Golgatha ist vonnöten. Es fällt natürlicherweise auch jedem Menschen schwer, einen getöteten und geschundenen Leib als seine Erlösung zu begreifen. Hier offenbart sich das Christentum in seiner schon immer inhärenten Zerstörungskraft, die spätestens mit Konstantin, als das Kreuz zum Schwert kam und damit das Schwert zum Kreuz — zu einer männlichen Gewaltorgie -, mit der Ohnmacht des Weiblichen, als Schande durch die Geschichte waberte, Tod und Verderben über die Menschen brachte.

Golgatha als Geburtsstätte der Sohnesreligion aus einem mörderischen Zustand heraus. Auf Golgatha begegnen sich Jesus und Gott (Vater) in der absoluten Subjekthaftigkeit. Von ihm zu ihm, von Sohn zum Vater, von vollbracht bis Verlassensein, wie die Evangelien berichten. Titanenhaft. Die daraus resultierende Blutspur der Sohnesreligion gegen die Vaterreligion zeigt sich bis heute noch in den gängigen Antisemitismen. Die Rache der Söhne durch die angebliche Tötung durch den Vater (Juden) endete dann in den Vernichtungslagern. Golgatha ist Dunkelheit. Das Licht Jesu Christi strahlt vor Golgatha. Und erst die letzten Päpste haben in Yad Vashem der Vaterreligion die Hand zur Versöhnung gereicht.

Zur Anschaulichkeit — und damit komme ich zwangsläufig zur Kriegsunfähigkeit der Bundeswehr — empfehle ich den Film "Stalingrad " von Joseph Vilsmeier. Bezeichnend in diesem Film ist die Predigtszene des Wehrmachtspastors gegen den jüdisch-bolschewistischen Untermenschen. Die Kamera schwenkt auf das Koppelschloss eines Soldaten. Der Adler der Vernichtung wird gerahmt mit einem "Gott mit uns". Im Grunde genommen ist damit ALLES gesagt. Auch hier hat Golgatha das Unheil gebracht. Die Juden haben unseren Heiland getötet, vernahm ich noch als Jugendlicher. Die Sohnestötung wird durch den Holocaust als Vatermord umgekehrt. Am Kreuze stirbt der Sohn im Auftrag des Vaters. In Auschwitz stirbt der Vater durch den Sohn. Auch hier ist die Blutspur des Christentums unverkennbar.

Fast alle SS-Männer kamen aus christlichen Haushalten! Die Konfessionszugehörigkeit war überwiegend evangelisch, was auf eine Luther-Identifikation hinweist. Dieser hatte bekanntlich in seinen Schmähungen über die Juden die Zerstörung des Vatervolkes vorweggenommen. Dabei ist es wesentlich, darauf hinzuweisen, dass Hitler und Goebbels zum Beispiel aus der katholischen Erziehung kamen.

Gottes Gebot, einen heiligen Krieg zu führen, ist verfassungsverboten! Alle Kriege hatten bisher immer Gottes Segen. Da Gott in Auschwitz, Stalingrad und Dresden damit schmählich gescheitert ist, entfällt eine wesentliche Triebgrundlage und Legitimation. Gott sei Dank hat sich die Ethik auf Verteidigung umgestellt und wurde damit überhaupt zur Ethik.

Die darin enthaltene, mit viel Golgatha-Blut bezahlte, deutsche Erfahrung mündet in der Bundeswehr in eine Verweigerung des Schießens. Deshalb fehlt es auch an Kriegsmaterial. Von dem vergangenen Unsinn zeugen noch die Kriegerdenkmäler, wo die Pieta Vorbild ist und zur Mater Dolorosa wird. (siehe dazu "Kriegerdenkmal. Kirche Maria Himmelfahrt. Landsberg")

© privat/historisch

Für die Ambivalenz des Christentums zeugt die Darstellung des Augustinus mit dem Teufel, der diesem die Bibel hinhält, wie auf dem Gemälde von Michael Pacher, um 1450, Pinakothek München. Die Geburt des Gotteswortes aus dem Teuflischen. Bis auf das Christentum hat keine der großen Weltreligionen ihren Ursprung in Tod und Blut.

Fazit:
Den mörderischen Vater-Sohn-Konflikt, der in Golgatha begann, fand ich in den Seelen der Klerikertäter. Bemerkenswert dabei ist die passive, leidende Mutter, die in Ohnmacht verharrt, wie auf Golgatha. Diese mörderischen Impulse sind in der Bundeswehr delegitimiert und werden — falls vorhanden — durch die gleichberechtigte Anwesenheit des Weiblichen neutralisiert. Dies fand ich in den Seelen der Soldaten und Soldatinnen.

Werner Dinkelbach
RC Remagen-Sinzig