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Interview mit CDU-Chef Armin Laschet

„Wir müssen klimaneutral werden und Industrieland bleiben“

Interview mit CDU-Chef Armin Laschet - „Wir müssen klimaneutral werden und Industrieland bleiben“

Armin Laschet hat eine klare politische Agenda: Er will als nächster Kanzler der Bundesrepublik Deutschland mit den Lehren aus der Corona-Pandemie ein Modernisierungsjahrzehnt starten. Was der CDU-Chef und Unions-Kanzlerkandidat darunter versteht, wie er dem Klimawandel entgegentreten will und ob es mit ihm eine Rente mit 68 geben wird, erklärt er im Gespräch mit dem Rotary Magazin

01.07.2021

Werden Sie der nächste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland?

Ich will Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden und werde die nächsten 100 Tage darum werben, dass eine Mehrheit für CDU und CSU zustande kommt.

Von Ihnen stammt der Satz: „Es beginnt mit dem Ende der Amtszeit von Angela Merkel eine neue Zeit“. Braucht Deutschland einen echten Wandel, oder wie meinen Sie das?

Wenn ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin nach 16 Jahren im Amt aufhört, dann ist eines klar: Es beginnt schon mit einer neuen Person im Amt eine neue Zeit und aller Voraussicht nach auch in der Koalition, die gemeinsam die Bundesregierung stellt. Das wäre schon unter normalen Umständen so gewesen, aber die Pandemie hat zusätzlich alles, an das wir über Jahrzehnte gewöhnt waren, auf den Kopf gestellt. Wir stehen nach der Pandemie vor großen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und finanziellen Herausforderungen. Das vor uns liegende Jahrzehnt wird davon geprägt sein, wie wir dem Klimawandel entgegentreten und politisch die Umsetzung von Klimaneutralität meistern. Mein Ziel ist es, dass wir mit den Lehren aus der Pandemie ein Modernisierungsjahrzehnt starten. Gleichzeitig muss es uns gelingen, dass wir klimaneutral werden und Industrieland bleiben. Die zweite Komponente wird von den Mitbewerbern gerne missachtet, ist aber wichtig für den sozialen Zusammenhalt in Deutschland.

Wie wollen Sie ein klimaneutrales Industrieland schaffen?

Mein erklärtes Ziel: Auch in einem klimaneutralen Industrieland gibt es weiter eine Automobil-, Stahl-, und Chemieindustrie. Die Industrie muss sich umstellen. Wir brauchen auch neue Formen der Energieversorgung. Wir steigen jetzt aus der Braunkohle aus, Ende 2022 endet die Kernenergie. Es ist ambitioniert, dann aus regenerativen Energien so viel Strom zu erzeugen, wie ihn die Industrie und Verbraucher benötigen. Das wird in der Industrie nur mit der Umstellung auf CO2-freie Rohstoffe funktionieren. Ich habe zusammen mit der Stahl- und Chemieindustrie in Nordrhein-Westfalen Modelle entwickelt, wie Wasserstofftechnologie die Kohle bei der Produktion von Stahl ersetzen kann. Wir brauchen technologische Weiterentwicklungen, auch bei den Speichertechnologien. Wenn diese Frage gelöst ist, haben wir die Chance, den regenerativen Strom zu speichern und dann zu nutzen, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht.

Brauchen wir aber nicht Atomstrom, um die ambitionierte Energiewende überhaupt schaffen zu können?

Wenn die Grünen uns vorwerfen, dass wir die Klimaproblematik zu spät ernst genommen haben, verweise ich darauf, dass der politische Kampf der Umweltbewegung jahrelang gegen die Kernenergie ging. Aus Klimaschutzgesichtspunkten war dies die falsche Reihenfolge. Man hätte erst aus der Kohle aussteigen müssen und dann aus der Kernenergie. Nun hat Deutschland den Ausstieg aus beidem beschlossen. Eine Rückkehr zur Kernenergie halte ich weder gesellschaftlich noch wirtschaftlich für denkbar. Es wird auch niemand mehr ein neues Kernkraftwerk in Deutschland bauen. Insofern ist es eine theoretische Frage. Wir müssen die Energiewende ohne diese beiden Energieformen schaffen.

Ende Juni haben Sie Ihr Wahlprogramm vorgestellt. Ein zentraler Punkt ist die Digitalisierung. Was haben Sie konkret vor?

Wir haben während der Pandemie erlebt, wie alles, was in den Schulen jahrelang nicht voran ging, nun einen Schub bekommen hat. Der digitale Distanzunterricht ist so weit vorangekommen, wie es ohne Pandemie wohl nicht möglich gewesen wäre. Wir sind auf dem richtigen Weg, aber haben noch viel zu tun. Die öffentliche Verwaltung ist noch nicht genug auf die Digitalisierung eingestellt. Wir haben in Nordrhein-Westfalen dazu ein Digitalisierungsministerium gegründet, wo alle Kompetenzen zu dieser Thematik gebündelt werden. Das brauchen wir auf Bundesebene auch. Wir haben zurzeit eine Bundesregierung, in der zeitgleich mehrere Minister sich mit dem Thema beschäftigen – der Verkehrsminister, der Wirtschaftsminister, die Forschungsministerin, der Innenminister und dann gibt es noch eine Staatsministerin im Kanzleramt. Hier brauchen wir mehr Konzentration und eine wirkliche Fokussierung, um in den nächsten Jahren das nachzuholen, was wir bislang versäumt haben.

Bedeutet: Sie wollen ein eigenständiges Digitalisierungsministerium schaffen?

Ja. Wir brauchen dort jemanden an der Spitze, der gebündelt Dynamik in die gesamte Bundesregierung hineinbringt. Das ist nicht so einfach, wenn sich mehrere Minister abstimmen müssen. Deswegen ist für das Modernisierungsjahrzehnt dieses Ministerium ein wichtiger Baustein.

Heißt das nicht auch, dass die Regierung Merkel und allen voran Wirtschaftsminister Peter Altmeier wichtige Fortschritte in der Digitalisierung verschlafen haben?

Nein. Angela Merkel regiert seit 16 Jahren. 2005, als sie Kanzlerin wurde, gab es nicht mal ein iPhone. Da hat es unendlich viele dynamische Entwicklungsschritte gegeben. Aber, das müssen wir zugeben, die Pandemie hat gezeigt, dass wir als gesamtes Land nicht gut genug aufgestellt sind. Das betrifft Bund, Länder und Kommunen. Wenn Gesundheitsämter zu Beginn der Pandemie noch mit dem Fax gearbeitet haben und Daten nicht elektronisch erfasst wurden, zeigt sich rückblickend, wie viel wir in dieser Zeit  gelernt haben. Die Schulen sind gleichermaßen nicht gut vorbereitet gewesen. Aber das ist keine parteipolitische Frage. In elf Bundesländern regieren die Grünen mit, in vielen die SPD. Die gesamte Gesellschaft hat das Thema nicht so vorangebracht, wie es sein müsste. Da haben wir nun die Chance, einen echten Schwerpunkt zu setzen.

Sprechen wir mal über derzeitige Wahlkampf-Themen. Rente mit 68 – Ja oder Nein?

Nein. Wir haben die Rente mit 67 beschlossen. Das war ein großer gesellschaftlicher Kompromiss unter Federführung des damaligen SPD-Arbeits- und Sozialministers Franz Müntefering. Es war ein Konsens der ersten Großen Koalition. Die ersten Jahrgänge, die davon betroffen sind, gehen jetzt Stück für Stück in den Ruhestand. Wir brauchen in der Rentenpolitik Verlässlichkeit. Wir können nicht jedes Jahr neue Zahlen nennen. Wir werden uns konzeptionell mit der Rentenpolitik bis ins Jahr 2030 und weiter in einer neuen Regierung beschäftigen müssen. Wichtig ist, dass die Beiträge stabil bleiben, die Renten sicher sind – trotz einer immer älter werdenden Gesellschaft mit immer höherer Lebenserwartung. Die Rente mit 67 war eine Antwort darauf. Jetzt über die Rente mit 68 zu diskutieren hilft nicht weiter. 

Die Grünen wollen Inlandsflüge verbieten. Können fünf- oder sechsstündige Bahnfahrten von Köln nach Berlin wirklich eine Alternative sein?

Nein, natürlich nicht. Flüge sind Teil des europäischen Emissionshandel. Das bedeutet, wenn sie da weniger CO2 verbrauchen, können sie an anderer Stelle mehr verbrauchen. Es hat somit noch nicht einmal eine Wirkung. Die Perspektive ist ja richtig: Am besten fährt man klimaneutral mit schnellen Verkehrsmitteln. Nur dazu muss man die Voraussetzungen schaffen. Und dazu gehören schnelle Bahnverbindungen. Von Köln nach Frankfurt gab es früher innerdeutsche Flüge. Da fliegt heute niemand mehr, weil sie in 52 Minuten mit dem Zug vom Kölner Hauptbahnhof aus am Frankfurter Flughafen sind. Das ist die Antwort auf CO2-Einsparung. Aber den Schluss daraus zu ziehen, du kommst jetzt eben langsamer von A nach B – das ist keine Antwort. Die Mobilität der Menschen wird auch in der Zukunft wichtig sein. Blicken wir mal nach Frankreich. Da ist der TGV mit Schnellstrecken quer über das Land so gut ausgebaut, dass dort niemand mehr fliegen muss. Den Zustand müssen wir auch in Deutschland erreichen. Dazu müssen aber bei uns Strecken auch schneller geplant werden. Wenn Sie heute eine Strecke planen, dauert das mit all den Stufen, Prozessen und Einsprüchen 20 Jahre. Wenn die Grünen da mitmachen würden, die Verfahren zu beschleunigen, dann können wir wirklich  gemeinsam etwas bewegen. Nur zu fordern innerdeutsche Flüge abzuschaffen, ist nicht sehr innovativ. Es ist auch keine Lösung, Flüge zu verteuern. Diejenigen, die es sich leisten können, werden weiterfliegen. Aber die Familie, die einmal im Jahr nach Mallorca fliegt, trifft es dann hart, wenn es pro Person plötzlich 70 oder 80 Euro mehr kostet. Internationale Flugbewegungen nur noch für Menschen möglich zu machen, die es sich leisten können, ist keine Lösung. Wir müssen die Gesellschaft zusammenhalten.

Wie verfolgen Sie die gegenwärtige Performance der Grünen? So ganz wasserdicht war der Lebenslauf von Frau Baerbock ja wohl nicht, und so ganz uneingeschränkt solidarisch ist das Verhältnis zwischen ihr und Robert Habeck ja wohl auch nicht mehr.

Ich sehe insgesamt, dass unsere Zustimmungswerte steigen. Die Menschen werden sich im Laufe des Jahres fragen, wem traue ich das Kanzleramt zu? Ist es wichtig, dafür Regierungserfahrung zu haben? Stimmt die Konzeption oder sind es nur Überschriften? Wie handelt die Person, wenn es konkret wird? Die internen Streitereien der Grünen möchte ich aber nicht bewerten.

Ich weiß, welche Erfolge Sie in Nordrhein-Westfalen vorzuweisen haben und welches Ansehen Sie dort genießen. Im Rest von Deutschland ist das wenig bekannt. Sie haben da offenbar ein Imageproblem. Was ist Ihre Strategie, die Menschen jenseits von NRW von sich zu überzeugen?

Die Menschen in ganz Deutschland werden schon genau schauen, welche Erfahrung ich mitbringe, welche Ideen ich habe und mit welchem Team ich antrete. Sie wissen, dass Friedrich Merz Teil meines Teams ist. Was soll der Kurs Deutschlands nach Angela Merkel sein? Das wird die entscheidende Frage der Bundestagswahl sein. Da kann man die Erfolge aus Nordrhein-Westfalen mit ins Feld führen, aber man wird selten für die Erfolge in der Vergangenheit gewählt, sondern meistens aufgrund der Erwartungen, was in den kommenden Jahren folgen wird. Welche Ideen für die Zukunft gibt es? Einige habe ich Ihnen ja bereits skizziert. Wir haben in Europa bedingt durch die Pandemie wieder nationalstaatliche Reflexe erlebt. Da wurden wieder Grenzen geschlossen, um ein Virus aufzuhalten. Das haben wir in bei uns nicht gemacht. Die Grenzen zu Belgien und den Niederlanden waren die ganze Zeit offen. Wir haben stattdessen über die Grenzen hinweg miteinander kooperiert. So löst man Probleme. All diese Fragen werden im Wahlkampf diskutiert werden und ich bin überzeugt, dass ich viele Menschen überzeugen kann.

Welche große Lehre haben Sie persönlich aus der Coronapandemie gezogen?

Wir  haben Notfallpläne für Pandemien nicht ernst genug genommen. Es gibt Berichte, was in einer Pandemie passiert und geschehen muss, eine Bundestagsdrucksache aus dem Jahr 2012, die hat man einfach abgelegt, weil man nie für möglich gehalten hat, dass eine solche weltweite Pandemie unser gesamtes soziales, persönliches und wirtschaftliches Leben auf den Kopf stellen kann. Das darf nicht wieder vorkommen. Es kann sein, dass weitere Pandemien, Coronaviren, sich weltweit verbreiten. Wir haben erlebt, was weltweite Vernetzung bedeutet. Irgendwo in Wuhan geschieht etwas und dann dauert es nicht lange, ehe jeder Ort der Welt davon berührt ist. Das ist eine Lehre aus der Pandemie. Wir brauchen globale Lösungen für solche Herausforderungen. Deutschland hat sich abhängig gemacht von einer fremden Macht, um wenige Cent zu sparen. Das Maskendrama vor einem Jahr, dass die billigste Stoffmaske für Ärzte in Operationssälen nicht vorhanden war und wir dann zu völlig überteuerten Preisen Masken eingekauft haben, so etwas darf auch nicht wieder geschehen. Hier muss die Europäische Union autark sein.

Gibt es auch einen positiven Aspekt?

Die Lehre, dass ein kleines Start-up aus Mainz, Biontech, quasi einen Wirkstoff für die ganze Welt entwickelt, könnte uns ermutigen, nochmal da anzusetzen, wo wir einmal waren. Deutschland war mal die Apotheke der Welt. Deshalb müssen wir in Forschung investieren und daraus entwickelte medizinische Produkte in die industrielle Produktion überführen. Da haben wir in Deutschland die besten Möglichkeiten. Wir müssen die Genehmigungsverfahren beschleunigen und die Investitionsmittel erhöhen. Das ist dann eine Lehre mit positivem Aspekt.

Wir wollen zu Ihrer Partei überleiten und hätten dazu zunächst gern eine Einschätzung von Ihnen: Ist Deutschland ein Einwanderungsland?

Ja, inzwischen auch de iure, immer schon de facto. 

Nun gibt es in Ihrer Partei Stimmen, die genau dies kritisch sehen. So zum Beispiel die Werte-Union mit ihrem neuen Vorsitzenden Max Otte. Sie haben gesagt, dass diese Gruppierung keinen Einfluss auf den Kurs der Partei habe. Liegt das Problem aber nicht vielmehr darin begründet, dass die Werte-Union eine erstaunlich hohe Medienpräsenz hat und solche Themen deswegen immer wieder hochkochen?

Ich kann den Medien ja nicht vorschreiben, über was oder wen sie berichten oder wen sie für wichtig erachten. In der CDU hält niemand die Werte-Union für wichtig.

Glauben Sie nicht, dass irgendwann der Punkt erreicht ist, wo ein CDU-Vorsitzender ein Machtwort sprechen muss, um genau das mal klarzustellen?

Warum soll ich da ein Machtwort sprechen? Sie ist ja nicht mal eine Vereinigung der CDU. Der frühere Vorsitzende der Werte-Union ist nicht mal als Beisitzer in seinen CDU-Kreisvorstand gewählt worden. Die Vereinigung existiert innerhalb des CDU-Gefüges doch gar nicht. Solange die Gruppierung nicht mit der AfD kooperiert oder Parteigrundsätze missachtet, sehe ich keinen Grund, dass ich mich mit der Werte-Union beschäftige.

Freuen Sie sich darauf, künftig sehr wahrscheinlich mit dem früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen gemeinsam in Berlin Politik zu machen?

Er kandidiert für den Bundestag in Suhl und nun warten wir mal ab, wie dort das Ergebnis aussieht. Es gibt 299 Wahlkreise, die wir als Union besetzen, und einer davon ist seiner.

Vor Kurzem hatten Sie Grund zur Freude. Die CDU hat mit Abstand die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt gewonnen. Was verrät uns das Wahlergebnis?

Als erstes verrät es uns, dass, wenn man einen klaren Kurs der Abgrenzung zu Rechtsradikalen fährt, die CDU gewinnt und die Rechtsradikalen kleiner werden. Wenn man denen nach dem Mund redet, werden sie größer. In Nordrhein-Westfalen liegt die AfD bei sieben Prozent. Auch hier zahlt sich die klare Grenzziehung aus. Bleiben wir bei dieser Strategie, werden sie im Bundestag kleiner und vielleicht wieder aus den Parlamenten verschwinden. Außerdem ist Reiner Haseloff ein Ministerpräsident, der nicht in Überschriften redet und nur Sprüche macht, sondern der im Braunkohlerevier den Ausstieg konkret gestaltet, neue Perspektiven für die Menschen schafft und pragmatische Lösungen findet, der gewinnt an Zustimmung. Es wird uns helfen, auch auf Bundesebene weiter so zu agieren. Wir bieten keine gestylten Programme, sondern praktische Lösungskompetenz für die Sorgen, die die Menschen im Land haben.

Sie selbst gelten als authentisch, ehrlich, glaubwürdig und sympathisch, aber eben nicht als besonders durchsetzungsstark. Dann haben Sie sich gegen Markus Söder durchgesetzt. Sind Sie bereit, in Zukunft als Kanzler mit Leuten wie Wladimir Putin zu verhandeln?

Ihrer These stimmt ja nur begrenzt. 

Wieso?

Ich war jahrelang im Europäischen Parlament. Ich habe außenpolitisch gewirkt und gearbeitet. Und man wird ja nicht Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, ohne sich durchzusetzen. Sie kriegen doch keinen Kohleausstieg hin, ohne sich durchzusetzen. Sie kriegen doch keine neue Innenpolitik, wie wir sie betreiben hin, ohne sich durchzusetzen.

Herr Laschet, nicht jedes Image-Etikett, was man angeheftet bekommt, hat tatsächlich seine Berechtigung. Dennoch heftet es an einem.

Die internationalen Gesprächspartner werden sich nicht wegen irgendeines Images auf Verhandlungen einlassen, sondern aufgrund des tatsächlichen Auftretens und Anlasses.

Wie bewerten Sie mit Blick auf Nord Stream 2 und den Fall Nawalny das aktuelle Verhältnis zu Russland?

Das Verhältnis zu Russland kann man nicht nur an diesen zwei Beispielen festmachen. Das Verhältnis ist angespannt, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim ist nicht akzeptabel und das hat das Verhältnis zu allen europäischen Partnern sehr belastet. Hinzu kommt Russlands Rolle in der Ostukraine. Dann gibt es einige Mordfälle in EU-Staaten und die versuchte Ermordung von Alexej Nawalny. Das alles sind belastende Themen. Nord Stream 2 ist da eine andere Frage. Wir haben seit der Zeit der Sowjetunion, seit 50 Jahren, eine Energieversorgung aus Russland. Deutschland fördert wenig Gas, also brauchen wir es aus anderen Ländern. Das hat mit Russland auch zu Zeiten des Kalten Krieges funktioniert. In diese Kategorie von Wirtschaftsprojekt gehört auch Nord Stream 2.

Hier zeigt sich aber, in welchem Balanceakt Sie sich dann befinden, sollten Sie Kanzler werden. Russland ist einerseits ein wichtiger Wirtschaftspartner und auf der anderen Seite regiert von einem Präsidenten, der das Völkerrecht missachtet und die Opposition unterdrückt.

In diesem Konflikt steht jeder Kanzler seit 1949. Konrad Adenauer hat verhandelt, um Kriegsgefangene aus der Sowjetunion herauszubekommen. Damals standen sich Ost und West sehr feindlich gegenüber. Willy Brandt hat eine neue Ostpolitik gestartet zwei Jahre nach der brutalen Niederschlagung des Prager Frühlings. Nachdem in Prag die Panzer vorfuhren, hat Brandt nicht gesagt, mit denen rede ich nicht mehr. Seine Ostpolitik hat zu Veränderungen beigetragen. Jeder Kanzler musste mit Systemen und Staatschefs auf der Welt verhandeln, die nicht unser Wertebild teilen. Da gibt es ja nicht nur Russland. Wir müssen Außenpolitik machen mit China, der arabischen Welt und mit der Türkei. Wenn wir unsere Außenpolitik nur auf die Staaten beschränken, die unser Gesellschaftsmodell exakt teilen, sind wir schnell nur noch bei der Benelux-Kooperation und wenigen anderen Ländern. Außenpolitik ist das Kunststück, mit Staaten, die ein anderes Menschenrechts- und Gesellschaftsbild haben, Lösungen zu finden, die im beiderseitigen Interesse liegen.

Der Dialog mit Russland und China darf also nicht abreißen?

Dialog muss immer sein. US-Präsident Joe Biden hat sich gerade erst mit Wladimir Putin getroffen. Wir reden über den Klimaschutz als größte globale Aufgabe, aber wollen nicht mehr mit Russland und China reden? Die gehören zu den größten Emittenten auf der Welt. Ohne sie wird es keinen Klimaschutz geben. Wir brauchen Wissenschafts- und Wirtschaftskooperationen. Trotzdem muss man bei Menschenrechtsverletzungen eine klare Position beziehen.
 

Sie sprechen Menschenrechtsverletzungen an. Da denkt man sofort an die Unterdrückung der Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang. Was wird Ihre Botschaft als Kanzler an die deutschen Unternehmen sein, die in der chinesischen Provinz Xinjiang produzieren?

Das ist eine schwierige Frage. Deutschlands wirtschaftliche Stärke ist auch von Chinas Kooperation abhängig. Dennoch muss man Menschenrechtsfragen ansprechen. Wir brauchen gemeinsame internationale Anstrengungen, um einen Beitrag für Veränderungen zu leisten.

Aber müssen deutsche Unternehmen gerade in dieser Provinz produzieren?

Die Unternehmen müssen prüfen, ob in ihren Lieferketten Menschenrechtsverletzungen auftreten. Dem dürfen sie nicht Vorschub leisten. Mit dem Lieferkettengesetz wird dies nun auch eine gesetzliche Verpflichtung.  Grundsätzlich  gilt: Meine China-Politik wird in der Kontinuität der jetzigen China-Politik fortgeführt.

Ihre Partei pflegt das transatlantische Verhältnis zu den USA ganz besonders. Wird Deutschland unter einem Kanzler Armin Laschet in der Außenpolitik mehr Verantwortung übernehmen, wie es die USA auch unter Präsident Joe Biden fordern?

Deutschland muss mehr Verantwortung übernehmen. Das betrifft zum einen die finanziellen Ressourcen innerhalb der Nato. Wir haben noch immer nicht das Zwei-Prozent-Ziel erreicht. Das geht aber auch nicht von einem Jahr aufs andere. Aber wenn man Mitglied in einem Bündnis ist, muss man auch seinen Anteil leisten. Deutschland übernimmt aber bereits heute sehr viel Verantwortung, und die Frage, wo wir künftig noch stärker engagiert sein können, hängt von den Gegebenheiten ab. Die Bundeswehr ist bis heute in Afghanistan, da beginnt gerade in Absprache mit den Partnern der Rückzug. Wir sind in Mali präsent und tragen dazu bei, Staaten südlich der Sahara zu stabilisieren, und bekämpfen fundamentalistischen Terrorismus. Wir brauchen mehr europäische Außenpolitik. Wir brauchen eine engere Abstimmung mit Frankreich.

Eine persönliche Frage: In der Politik ist Vertrauen von besonderer Bedeutung. Gerade, wenn man mit anderen Menschen ein Land regiert oder in einer Partei Zukunftskonzepte für Deutschland entwickelt. Wer war und ist für Sie dabei ein wichtiger Ratgeber?

Da gibt es nicht eine Person. Das sind Freunde innerhalb der Politik, außerhalb der Politik, Freunde, die früher in der Politik waren, jetzt nicht mehr engagiert sind und einen anderen Blick von außen haben. Aber ich möchte da nicht eine Person hervorheben.

Gibt es niemanden, dem Sie jetzt mal hier an dieser Stelle Ihren Dank ausdrücken wollen?

Einer, der für mich sehr wichtig war, war der frühere Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Peter Hintze, der leider viel zu früh verstorben ist. Er hat mich bei vielen kritischen politischen Entscheidungen beraten und begleitet.


Wie oft telefonieren Sie in der Woche mit Angela Merkel?

Oft. In der neuen Rolle als CDU-Vorsitzender und Kanzlerkandidat ist es wichtig, sich eng mit der Regierung abzustimmen. Insofern hat die Intensität zugenommen.


Was bedeutet für Sie Rotary?

Ich bin spät dazugekommen vor wenigen Jahren. Mein Club in Aachen, einer der ältesten in Deutschland, hat beim Wiederaufbau des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg durch viele Persönlichkeiten eine sehr wichtige Rolle gespielt. Ich denke da an Kurt Pfeiffer, den Mitinitiator des Internationalen Karlspreises, Peter Ludwig, ein großer Kunstmäzen, und viele weitere, die über die Stadt hinaus viel bewegt haben. Irgendwann kam man auf mich zu und hat gesagt, eigentlich gehörst du auch dazu. Damals war ich schon in der Politik, weshalb seit Anbeginn meiner Mitgliedschaft die Präsenzpflicht ein Problem darstellt. Aber ich bin froh, Teil dieser Gemeinschaft zu sein. Der Rotary Club Aachen, der früher vielleicht mal ein Honoratiorenclub war, ist heute einer mit vielen jungen, dynamischen Mitgliedern. Sehr viele stammen von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule. Ich erfahre und lerne aus den Begegnungen sehr viel jenseits meiner politischen Tätigkeit über neue Technologien und Entwicklungen. Innovative Wissenschaftler berichten, woran sie gerade arbeiten. Das macht für mich, verbunden mit der Freundschaft, die man im Club pflegt, den Reiz aus.

 

Das Gespräch führten Björn Lange und Florian Quanz