https://rotary.de/gesellschaft/gipfel-grenzen-gemeinschaft-a-25590.html
Reportage

Gipfel, Grenzen & Gemeinschaft

Reportage - Gipfel, Grenzen & GemeinschaftFotostrecke: Gipfel, Grenzen & Gemeinschaft
Elfriede und Paul Mörwald (RC Bischofshofen), Ursula Gassmann-Dibal (RC Schweinfurt-Peterstirn) und Elfgund Abel-Frischenschlager (RC Eferding) an der Spitze der Radgruppe. Für mehr Impressionen bitte auf das Bild klicken! © Florian Quanz

Redakteur Florian Quanz hat es gewagt: In fünf Tagen hat er mit Rotarierinnen und Rotariern beim Giro della Pace die Alpen überquert. Eine Reportage über Herausforderungen, Höhenmeter und Haltung sowie die Überwindung des inneren Schweinehundes.

Florian Quanz01.07.2025

2025, gipfel, grenzen und gemeinschaft, strecke
Streckenverlauf © Komoot

Ich blicke sorgenvoll gen Himmel. Regentropfen fallen auf meinen Fahrradhelm. Auf der Straße vor dem Hotel in Füssen zeugen große Wasserpfützen von lang anhaltendem Regen. Es ist 8 Uhr und in Kürze wird die erste Etappe des Giro della Pace beginnen. Ob ich für die Alpenüberquerung gerüstet bin? Zweifel kommen auf. Ich versuche mich abzulenken. Da hilft die Produktion eines Kurzvideos. Ich werde ein Tagebuch schreiben, welches online auf rotary.de zu lesen sein wird. Dazu möchte ich auch kleine Videos stellen. Die Leserinnen und Leser des Rotary Magazins sollen dabei sein, wenn ich die Alpen überquere, wenn sich eine persönliche Tragödie für den Frieden abspielt, weil ich es nicht schaffe, den Reschenpass zu bezwingen. Meinem Gemütszustand ist die Tragödie gerade näher als die Komödie.

Neben mir vor dem Hotel steht Leo van Bree. Den Niederländer, Mitglied im Rotary Club Nördlingen, lernte ich am Tag zuvor kennen. „Das wird die längste Tour, die ich bislang in meinem Leben gefahren bin“, spricht er in meine Handykamera. Seine Worte beruhigen mich. Was er verschweigt: Er hat schon den Kilimandscharo bestiegen und ist topfit. Ich ahne nicht, dass ich ihn die nächsten Stunden nicht sehen werde. Er wird an der Spitze fahren – ich nicht.

„Wem gehört der große Trolley hier?“, höre ich die Stimme von Gerti Gruber vom RC Gastein. Sie ist eine der Hauptorganisatoren, hat sich um die Hotelbuchungen gekümmert, während etwa Birgit Grupp-Fischer vom RC München-Lehel für die Restaurantbuchungen zuständig war. Ein kongeniales Duo, das ich kennenlernen darf. Mir fällt ein, dass ich vergessen hatte, meinen Trolley in ein Begleitfahrzeug zu laden. Hastig eile ich zu besagtem Trolley. Kaum ist dieser bei Rainer Lipczinsky, er wird unter anderem am Steuer sitzen, verladen, gibt es noch letzte Instruktionen von Gunther Gröss, dem ICC-Vorsitzenden aus Österreich. Er erklärt wichtige Handzeichen, die von Vorausfahrenden während der Tour zu beachten sind. Er wird auf der Tour am Ende der Gruppe fahren und darauf achten, dass niemand verloren geht. Der Giro della Pace ist professionell organisiert.

Der erste Frust

Nun starten 40 rotarische Radfahrerinnen und Radfahrer. Es gilt einen Höhenpass zu bezwingen, um das Ziel des Tages, Ried im Oberinntal, zu erreichen. Obwohl die ersten Kilometer noch im Tal gefahren werden, zieht sich die Gruppe schnell auseinander. Um mich herum bildet sich eine kleine Gruppe von insgesamt sechs Radlern. Das Tempo ist angenehm, wir kommen gut voran. Doch dann der erste große Anstieg. Ich muss abreißen lassen. Die automatische Gangschaltung meines Rades will nicht so, wie ich es will. Frust kommt in mir hoch.

Eigentlich war es anders geplant. Ich wollte mit einem Rennrad am „Friedensradler“, wie es auf Deutsch heißt, teilnehmen. Dafür hatte ich mir von einer Freundin eines geliehen. Bei der zweiten Ausfahrt stürzte ich jedoch schwer. Das Rad Totalschaden, ich in der Notaufnahme. Auch wenn nichts gebrochen war, die nachfolgenden Wochen war ans Radfahren nicht zu denken. So entschied ich mich kurzfristig für ein E-Bike, welches mir mein Clubfreund Konstantin Nikulin lieh. Ich schiebe es nun langsam den steilen Anstieg hinauf. Den inneren Frieden zu bewahren, fällt mir gerade schwer – und das auf der Friedensradler-Tour. Oben angekommen, blicke ich in alle Himmelsrichtungen. Wo ist meine Gruppe? Weg! Einen einzelnen Radler entdecke ich. Gehört der zu unserer Gruppe, frage ich mich. Wenig später erhalte ich die Antwort, die nicht befriedigt. Ich hole mein Handy heraus und blicke auf die NavigationsApp Komoot, in der die Etappe eingespeichert ist. Nun bin ich auf mich allein gestellt.

Ich finde den richtigen Weg weiter in Richtung Ried und mache eine Erfahrung, die sich durch die gesamte Woche ziehen wird: Es dauert nie lange und man trifft wieder einen rotarischen Radler. Meist Personen, die man viel weiter vorne oder hinten vermutet hätte. Es scheint, als fahre niemand den direkten Weg. Dabei haben viele einen entscheidenden Vorteil: Sie haben am Lenker kleine Navigationsgeräte und dort die Route eingespeichert. Ich habe nicht mal eine Handyhalterung.

2025, gipfel, grenzen und gemeinschaft,
Am Reschensee: (v. l.) Organisatorin Birgit Grupp-Fischer (RC München-Lehel), Thomas Jaklitsch (RC VoitsbergKöflach), Andreas Jaklitsch (RC Graz) und Florian Quanz (Redakteur) © Florian Quanz

Im Tal angekommen, finde ich wieder Anschluss und erreiche den Gasthof zur Mittagspause. Leo van Bree sitzt bereits am Tisch und lächelt zufrieden. Ich bin gedanklich noch mit meiner Gangschaltung beschäftigt, die ich später auf manuell umstelle. Damit komme ich dann viel besser zurecht. Nach der Mittagspause steht die dritte Etappe an. Ein Radtag ist in mehrere Etappen unterteilt. Eine ungewöhnliche Eigenheit des Giro della Pace. Ich schließe mich den Rennradlern Thomas und Andreas Jaklitsch sowie Elisabeth Ostwald an. In deren Windschatten fliege ich förmlich Ried entgegen. So langsam beginnt der Giro mir Spaß zu bereiten.

Am zweiten Tag wartet die größte Herausforderung auf mich: der Reschenpass. Von Österreich geht es auf 108 Kilometern über die Schweiz nach Italien. Dabei sind 1460 Höhenmeter zu bewältigen. Allein wenn ich diese Daten schon in der App lese, wird mir mulmig. Als Wahlhamburger musste ich vorab im Fitnessstudio Höhenmeter fahren und habe keinerlei alpine Vorerfahrung vorzuweisen. Den ersten Fehler begehe ich schon vor der Abfahrt, aber dazu später mehr.

Ich erreiche problemlos den Anstieg zum Reschenpass. Da ich noch ein Gruppenfoto mache und die Abfahrt anderer Athleten filme, verliere ich den Anschluss. Mal wieder. Da kommt Ralf König aus Schweinfurt mit seinem Rennrad um die Ecke. Gemeinsam wagen wir den Aufstieg. Mit meinem E-Bike bin ich zwar im Vorteil, dennoch ist es auch für mich anstrengend. Serpentine für Serpentine quäle ich mich hoch. Die Frage, warum ich das hier überhaupt mache, drehe ich gedanklich ins Positive. Die Serpentinen taufe ich die Serpentinen des Friedens. Ich denke an das großartige Projekt, für das Geld gesammelt wird. Jedes Jahr darf ein anderer gastgebender Club um Projekt-Unterstützung bitten. Dieses Mal ist es der Rotary Club Meran, der Geld für eine katholische Missionsstation in Äthiopien sammelt. Mir wird bewusst, wie motivierend der Gedanke sein kann, für ein Hilfsprojekt in die Pedale zu treten. In vier Jahren sind schon 120.000 Euro beim Friedensradler des ICC Deutschland-Österreich-Italien zusammengekommen. Beeindruckend! Ich erreiche überglücklich die Passhöhe. Alles, was folgt, der Reschensee und die Fahrt durch den Vinschgau, hätte für die Strapazen entschädigt. Doch der Nachmittag wird überschattet vom schweren Sturz einer rotarischen Freundin. Als ich die Unfallstelle erreiche, liegt sie bereits auf der Krankenwagentrage. Vorbildlich kümmern sich unsere Radgruppe und die Sanitäter um sie. Am letzten Abend der Tour am Gardasee wird sie wieder in unserer Mitte sitzen und lachen.

Mein Held des Tages

2025, gipfel, grenzen und gemeinschaft,
Ursula GassmannDibal (RC SchweinfurtPeterstirn) und Thomas Jaklitsch (RC VoitsbergKöflach) radeln vorweg © Florian Quanz

Wie anstrengend die Tour für mich ist, macht sich am nächsten Tag bemerkbar. Und mein Fehler vom Vortag. Ich hatte vergessen, Sonnencreme zu benutzen. Meine Unterarme: feuerrot. Auf dem Weg von Meran nach Trento bin ich erst Teil einer Rennradgruppe. Anfangs halte ich gut mit. Dann jedoch muss ich abreißen lassen. Peter Kontriner vom RC Bischofshofen merkt, dass ich Probleme habe, und wird der Held meines Tages. Er fährt vor mich und gibt mir Windschatten. Nun zieht er mich bis zum ersten Treffpunkt. Niemand wird im Stich gelassen.

Und so geht es weiter: Ich tauche immer mehr in eine harmonische Radgemeinschaft ein, genieße hervorragendes Essen zu Mittag und am Abend, lerne die beeindruckende italienische Gastfreundschaft der Clubs kennen und genieße die kleinen Überraschungen, die der Giro della Pace bereithält.

So zum Beispiel das ungeplante Treffen vieler Radler auf der Etappe nach Verona. Der niederländische Governor Michael Kors, der vorausgefahren war, hatte sich eine halbe Stunde vor Verona entschlossen, in einem Café haltzumachen. Andreas Jaklitsch und ich – wir waren zu zweit unterwegs – setzen uns wenig später dazu. Immer mehr Radler schließen sich uns an, und wir genießen ein kühles Getränk bei bestem Wetter. Ist mehr Dolce Vita möglich?

Im Hotel in Verona stelle ich dann mein Rad in eine Tiefgarage. Was für mich jedoch fehlt, ist eine Steckdose. Da sich der Akku meines Leihrades nur schwer herausnehmen lässt, lade ich es immer dort, wo es die Nacht untergestellt ist. Der Hotelangestellte erklärt, es gebe hier keinen Strom. Mit ins Zimmer nehmen darf ich das Rad auch nicht. Erst dank der deutlichen Intervention von Andreas Jaklitsch ist es mir gestattet, es über Nacht in der Lobby zu laden. Kaum bin ich samt Rad in der Lobby angekommen, stelle ich jedoch fest, dass ich im falschen Hotel bin. Wir sind auf zwei aufgeteilt. Ich erkläre dies schnell Andreas und seinem Bruder Thomas und stehle mich möglichst unauffällig davon.

Am letzten Abend mit Blick auf den Gardasee kommt Wehmut in mir auf. Ich habe Gipfel erklommen, körperliche Grenzen ausgetestet und inspirierende Persönlichkeiten mit Haltung kennengelernt, die in Freundschaft für den Frieden miteinander verbunden sind. Von Füssen bis an den Gardasee – ich habe eine wunderschöne wie friedliche Landschaft durchquert. Leider ist es nicht überall so. Deswegen ist das rotarische Engagement für den Frieden so wichtig. Deswegen braucht es den Giro della Pace. Auch in der fünften Auflage im Jahr 2026!

FÜR MEHR BILDER BITTE HIER KLICKEN!


Mehr über die Entstehung des Giro della Pace und das in diesem Jahr geförderte Projekt sowie einen kleinen Doku-Film gibt es auf rotary.de/a25479

Das Radtagebuch von Florian Quanz samt kleinen Videos finden Sie unter: rotary.de/a25403

Der nächste Friedensradler (Giro della Pace) findet vom 4. bis 8. Mai 2026 statt.