Rotary Aktuell
„Wir sind unterwegs“
Seit dem 1. Juli ist Jennifer Jones RI-Präsidentin und steht damit als erste Frau in der Geschichte von Rotary International unserer Organisation vor. Ihren Amtsantritt haben wir zum Anlass genommen, die Rolle der Frauen bei Rotary kritisch zu diskutieren, und acht Gäste aus Deutschland und Österreich zum Gespräch gebeten.
Diskussionsrunde:
Moderation: Annie Heger (RC E-Club of D-1850), Sängerin, Autorin, Entertainerin und Moderatorin
Teilnehmerinnen und Teilnehmer:
Nicola Byok (RC Hamburg-Hanse), Diversity-Managerin und -Beraterin
Susanne Dengg, Präsidentin des RC Villach Park, einem reinen Frauenclub im Distrikt 1910/Österreich
Holger Knaack, RC Herzogtum Lauenburg-Mölln, RI-Präsident 2020/21
Marita Körner (RC München-Lehel), Lehrstuhl für Deutsches und Internationales Arbeits- und Sozialrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Hamburg
Georg W. Mehring-Schlegel, Past-Präsident des RC BochumHellweg, einem gemischten Club, der bis vor drei Jahren ein reiner Männerclub war Gudrun Müller-Byok, Gründungspräsidentin des RC Hamburg-Hanse, hat eine empirische Studie zu Frauen bei Rotary aufgelegt
Franziska-Roberta Schneider, Präsidentin des RC Hannover-Leibniz, 33 Jahre alt, ehemalige Rotaracterin, war Assistant Rotary Coordinator und ist Distrikt-Trainerin
Heinz Schwarzl (RC Wolfsberg), Gov. 2013/14 im Distrikt 1910/Österreich, Mitglied in einem reinen Männerclub
Annie Heger: Steigen wir doch gleich mal mit der juristischen Perspektive ein: Ich habe gelesen, reine Männerclubs sind möglicherweise rechtswidrig, stimmt das?
Marita Körner: Es ist so, dass in den USA bereits 1989 der Supreme Court eine spektakuläre Entscheidung gegen RI getroffen hat, weil RI Clubs von der Mitgliedschaft ausgeschlossen hat, die ihrerseits, entgegen den Regularien von RI, Frauen aufgenommen hatten. Diese betroffenen Clubs und Frauen hatten dann geklagt. Und der Supreme Court hat festgestellt, dass dieses Verfahren rechtswidrig ist, weil gegen die Antidiskriminierungsgesetzgebung der USA verstoßen wird. RI hat daraufhin auch seine Regularien geändert. Aber wichtig ist ja nun: Was gilt denn bei uns?
Holger Knaack: In Deutschland ist es relativ eindeutig – wir können die Gemeinnützigkeit verlieren, wenn wir keine Frauen aufnehmen oder diskriminieren.
Marita Körner: Wir haben seit 2006 ein Spezialgesetz für Antidiskriminierung, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, AGG. Darin gibt es einen Paragrafen 18, der vor allen Dingen die Mitgliedschaft in Vereinigungen betrifft. Dort steht, dass Diskriminierung verboten ist, sofern der Verein eine überragende Machtstellung in wirtschaftlichen oder sozialen Bereichen hat und ein grundlegendes Interesse am Erwerb der Mitgliedschaft besteht. Wenn ich als Juristin ein entsprechendes Verfahren zu vertreten hätte, würde ich vor Gericht recht entspannt sein. Es ist schlicht rechtswidrig, Frauen nicht aufzunehmen.
Georg Mehring-Schlegel: Was bedeutet diese Betrachtungsweise denn für reine Frauenclubs?
Marita Körner: Im Artikel 3 des Grundgesetzes heißt es im Absatz 2, der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Und vor diesem Hintergrund können gegebenenfalls sogar reine Frauenclubs zulässig sein. Bei aller Art von Diskriminierung bedeutet die Ungleichbehandlung als solche noch keine Rechtswidrigkeit. Es kommt immer darauf an, ob es für so eine Ungleichbehandlung einen rechtlich anerkannten sachlichen Grund gibt. Bezogen auf unsere reinen Männerclubs, müsste man fragen, gibt es einen sachlichen Grund dafür, Frauen grundsätzlich auszuschließen aus Rotary Clubs?
Annie Heger: Wie viele Rotarierinnen haben wir denn derzeit überhaupt? Frau Müller-Byok, hier sind Sie die Fachfrau, Sie forschen seit 2018 zum Thema Rotary und Frauen.
Gudrun Müller-Byok: Ja, ich habe eine empirische Studie aufgelegt, die sich über ganz Deutschland erstreckt hat. Mich hat interessiert, warum im Jahr 2018 – da habe ich mit der Untersuchung angefangen – der Frauenanteil bei nur 11 Prozent lag. Heute sind wir auf ganz Deutschland bezogen immer noch erst bei 15 Prozent Frauen. Wenn Rotary eines Tages wirklich einmal das Spiegelbild der Gesellschaft sein will, dann haben wir noch einen langen, langen Weg zu gehen. Und das muss alles sehr viel schneller gehen. Denn sonst brauchen wir ungefähr noch 40 Jahre, bis die Frauen mit den Herren auf gleichem Level sind.
Heinz Schwarzl: Ich komme aus einem Club, der 1955 gegründet wurde und bisher keine Frauen aufgenommen hat. Das Wichtigste für uns ist, Spaß und Freude zu haben. Wir fühlen uns wohl, möchten einfach Freundschaft leben und nicht aufgrund eines Grundgesetzes oder juristischer Vorschriften gezwungen werden, Frauen aufzunehmen. Das heißt allerdings nicht, dass in unseren Statuten steht, keine Frauen aufnehmen zu wollen. Wir leben auf dem Land, haben ein Einzugsgebiet von 30.000 bis 40.000 Einwohnern, und die Frauen, die wirklich Hervorragendes leisten, gibt es bei uns auch. Aber die haben sich woanders zusammengetan.
Annie Heger: Haben Sie denn die Befürchtung, dass die Freude am guten Werk und am Zusammenkommen weniger werden würde, wenn Frauen Ihrem Club beitreten?
Heinz Schwarzl: Nein, überhaupt nicht. Ich habe die Ehre gehabt, 2013/14 Governor gewesen zu sein. Und ich habe auch die Ehre gehabt, den RC Villach Park zu besuchen. Dort habe ich gefragt: Warum nehmt ihr keine Männer auf? Da wurde mir gesagt, wir haben bis jetzt noch keinen entsprechenden Kandidaten gefunden. Villach hat ein kleines Einzugsgebiet. Und ähnlich ist es bei uns. Wir haben keine entsprechende Kandidatin gefunden.
Annie Heger: Es ist aber auch nicht so, dass Sie aktiv nach Frauen suchen, richtig?
Heinz Schwarzl: Wir suchen nicht aktiv. Aber wir suchen generell nicht aktiv nach Mitgliedern, obwohl wir uns freuen würden, entsprechende Kandidatinnen zu finden.
Annie Heger: Nach dem Anfang Ihrer Wortmeldung habe ich damit jetzt nicht gerechnet. Ich kann total verstehen, dass man sich nichts vorschreiben lassen möchte, aber es muss ja Gesetze geben, um Ungerechtigkeiten zu verhindern. Sehen Sie denn Vorteile in reinen Männerclubs und reinen Frauenclubs?
Heinz Schwarzl: Wir schließen Frauen nicht von vornherein aus. Aber wogegen ich mich wehre, ist, dass jemand daherkommt und versucht, mit juristischen Argumenten Frauen in unseren Club zu bringen.
Holger Knaack: So ein bisschen bin ich schon erschüttert, Freund Schwarzl. Es ist nicht nur das Recht. Es sind auch unsere Grundwerte und unsere Core-Values. Das ist nun mal keine Wunschliste. Wir kommen hoffentlich noch dazu, dass Diversity sich nicht nur auf Männer oder Frauen bezieht. Das Bild, was heute viel interessanter und wichtiger geworden ist, ist viel weitreichender. Ich sage mal, da kommt noch einiges auf Sie zu, wenn Sie sich denn an die Werte halten, die wir uns bei Rotary selbst auferlegt haben. Übrigens schon als Ihr Club gegründet worden ist. Das ist also nichts Neues. Vielleicht noch als letzten Punkt: Ich habe als RI-Direktor oder als RI-Präsident nie einen Club besucht, der keine Frauen hat.
Nicola Byok: Ich bin ebenfalls Juristin, arbeite aber schon sehr lange als Diversity-Managerin und -Beraterin für Unternehmen. Und wir wissen alle, dass das viel mehr ist als nur eine Frage der Geschlechter. Ich fände es ein Armutszeugnis, wenn ein Club juristisch gezwungen werden müsste, Frauen aufzunehmen. Das sollte eine menschliche Selbstverständlichkeit sein.
Georg Mehring-Schlegel: Ich finde unsere Diskussion viel zu juristisch. So werden wir nicht die Herzen der Rotarier erobern. Mein RC Bochum-Hellweg ist schon 44 Jahre alt. Wir sind 78 Freundinnen und Freunde und waren bis vor Kurzem ein reiner Herrenclub. Ich persönlich fand das auch ganz toll. Irgendwann hat ein kleiner Teil des Clubs versucht, das Thema Frauen in den Club hineinzudrücken. Das ist nicht gut gelungen, weil die juristischen Argumente die Herzen der Rotarier nicht erfassten. Wir haben dann eine intensive Diskussion geführt und abgestimmt. Die Mehrheit war dann dafür, Frauen aufzunehmen.
Annie Heger: Würden Sie denn jetzt sagen, Sie sind geläutert? Oder kommt zwischendurch jetzt noch mal so ein „Früher war alles besser“ durch?
Georg Mehring-Schlegel: Nein, im Gegenteil. Während meiner Präsidentschaft 2021/22 haben wir am meisten Frauen aufgenommen. Mittlerweile sind es bald sieben. Ich denke, knapp zehn Prozent sind ein guter Anfang für unseren Club. Wir werden das weiter ausbauen. Ich bin mittlerweile ein begeisterter Anhänger von gemischten Clubs.
Annie Heger: Franziska, Sie kannten Rotary ja auch schon als Rotaract-Mitglied. Sind Sie aktiv auf Rotarier zugegangen und haben gesagt, Sie würden jetzt gerne mal in einen Rotary Club übersiedeln?
Franziska-Roberta Schneider: Mein Weg zu Rotaract lief über einen sehr konservativen Rotarier, wie er auf der letzten Seite des Rotary Magazins bei Bröckedde auftauchen könnte. Das war mein Onkel. Der hatte auch einige Vorbehalte gegenüber der Aufnahme von Frauen, aber mich dann doch ermutigt, mal bei Rotaract vorbeizugehen. Und tatsächlich habe ich mich dort nie unwillkommen gefühlt – weder als Rotaracterin noch als junge Frau. Auch bei Meetings von Rotary Clubs war ich immer gerne gesehen.
Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass verschiedene Clubs mich auf dem Schirm hatten. Glücklicherweise hat mich dann genau der Club angesprochen, den auch ich im Auge hatte. Ich kann aus meiner Erfahrung nur sagen, ich habe nie eine Ablehnung erfahren, gehöre aber mit Anfang 30 auch zu einer anderen Generation. In meinem Studienjahrgang für Zahnmedizin waren 90 Prozent Frauen. Ich kenne das gar nicht anders. Bei Rotaract sind momentan ebenfalls mehr Frauen als Männer. Und ich habe tatsächlich auch sehr viele weibliche Vorbilder bei Rotary. Ich sehe mich auch gar nicht als Rotary-Punk, will gar nichts revolutionieren oder verändern. Ich glaube, typisch für meine Generation ist, mit der Frage nach Frauen bei Rotary kaum noch in Berührung zu kommen. Was mich in meinem Club eher umtreibt, ist Diversität in anderen Bereichen.
Annie Heger: Ist denn das Thema Frauen bei Rotary nur ein Zwischenschritt? Sollten wir uns nicht besser gleich über radikale Diversität bei Rotary unterhalten?
Nicola Byok: Am besten ja, denn Deutschland hinkt hinterher, was Diversität angeht. Wo ist denn die Initiative „Queer Rotary“, wo sind denn die Rollstuhlfahrer, gibt’s blinde Menschen bei Rotary und so weiter? In der Tat ist die Geschlechterfrage nur ein Schrittmacher. Wenn wir die guten Talente gewinnen wollen für Rotary, müssen wir einfach konstatieren, dass wir gut beraten sind, wenn wir den Trichter ganz, ganz groß machen. So bunt wie möglich Einlass geben.
Annie Heger: Gucken wir doch mal zu Susanne Dengg nach Österreich. Der Distrikt 1910 nimmt im Ranking der deutschsprachigen Distrikte Platz 2 ein, was den Frauenanteil angeht. Sie sind Mitglied eines reinen Frauenclubs mit 36 Mitgliedern, wie ist denn der entstanden?
Susanne Dengg: Unser Club wurde vor 22 Jahren von einem Past-Governor aus einem reinen Männerclub gegründet. Er war der Meinung, es sei Zeit für Frauen bei Rotary, aber sein eigener Club wollte partout keine Frauen aufnehmen. So gründete er den RC Villach Park. Wir haben seitdem bei uns immer wieder diskutiert, ob wir Männer aufnehmen wollen. Es wäre prinzipiell auch die Bereitschaft da, aber wir sind wirklich ein kleiner Ort und wollen uns nicht gegenseitig die Kandidaten wegnehmen. Wir fühlen uns sehr wohl so. Wir arbeiten auch mit dem Männerclub zusammen, da gibt es regen Austausch.
Annie Heger: Da kam nie der Wunsch auf, sich einfach mal zusammenzutun?
Susanne Dengg: Nein. Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Schon allein vom Alter divergiert es stark. Die Damen, die damals unseren Club gestartet haben, waren sehr jung. Und der Männerclub war schon etwas weiter fortgeschritten. Es hat auch immer gemeinsame Projekte gegeben. Aber wir waren auch immer froh, wenn wir wieder auseinandergegangen sind. Ein reiner Männerclub und ein reiner Frauenclub haben eine andere Dynamik, Energie und Zusammenarbeit.
Annie Heger: Tatsächlich gibt es einen Unterschied zwischen Heinz Schwarzls reinem Herrenclub und Susanne Denggs reinem Frauenclub, denn der entstand nur, weil die Frauen woanders nicht erwünscht waren. Herr Knaack, gibt es auf RI-Ebene eine gezielte Förderung von Frauen? Wird mit RI-Präsidentin Jennifer Jones der Fokus auf das Thema gesetzt?
Holger Knaack: Der Fokus liegt im Moment, und das begann in meinem Jahr, definitiv auf Diversity, Equity und Inklusion (DEI). Das ist jetzt der allgemeine Fokus, ohne jetzt besonders auf Frauen in Rotary abzustellen. Ich habe auch mit Jennifer Jones lange über dieses Thema diskutiert. Sie legt ganz besonderen Wert darauf, dass sie keine Quotenfrau ist. Sie möchte die erste Präsidentin sein, die gewählt worden ist, weil sie zu dem Zeitpunkt die beste Kandidatin war. Aber der Fokus liegt ganz klar bei DEI. Da warten ganz andere Herausforderungen auf uns. Ich denke, es hat sich gezeigt, dass eine Gesellschaft, die offen ist, erfolgreicher ist als andere. Und das wird auch bei den Clubs so sein.
Nicola Byok: Herr Knaack, Sie sagten, Jennifer Jones sei es wichtig zu sagen, sie sei keine Quotenfrau. Quote heißt ja aber nicht automatisch schlecht, sondern Quote bedeutet nur, dass der Vorsprung, den normalerweise Männer haben, verschwindet. Also, dass man gleiche Voraussetzungen schafft. Quote sagt nichts über fehlende Qualität aus. Im Gegenteil: Eine Frauenquote führt dazu, dass besonders gut qualifizierte Frauen ermutigt werden, sich zu bewerben und einzubringen, dazu gibt es ganz aktuelle Forschung. Im Übrigen: Wir haben seit Jahrtausenden eine Männerquote, man nennt sie nur nicht so.
Annie Heger: Für einige sind die Schritte nicht schnell genug, und sie sind vielleicht nicht groß genug. Aber wir können uns darauf einigen: Rotary ist unterwegs. Rotary ganz ohne Frauen ist vielleicht möglich, aber sinnlos, um Loriot zu zitieren. Ich denke, Rotary ist das beste Beispiel dafür, dass es sich wirklich lohnt, auf das Gemeinsame zu schauen und nicht auf das Trennende. Und ich glaube, dann können wir als Rotary International, als Rotary Deutschland und Österreich eine Menge bewegen und den Herausforderungen dieser Zeit begegnen. Wie sagt man so schön auf Plattdeutsch: Geiht blot mitnanner!
Frauke Eichenauer und Insa Fölster