Editorial
Die Kraft des Singens

Deutschland singt wieder! Trotz oder wegen aller Krisen?
Deutschland singt wieder! Das ist ein starker und bemerkenswerter Befund in Zeiten politischer Unruhe, wirtschaftlicher Stagnation und sicherheitspolitischer Herausforderungen. Jahrzehntelang war es immer stiller geworden im Land, das gemeinsame Lied ist aus Schulen, Vereinen und Familien nahezu verschwunden. Der Musikpsychologe Eckart Altenmüller erklärt das Verstummen so:
"Singen offenbart unsere Emotionen und ist eng mit unserem Persönlichkeitskern verbunden. Damit ist Singen auch etwas sehr Intimes, das wir ungern öffentlich zeigen wollen." Doch jetzt ist das Singen zurück, und Chöre in Deutschland und Österreich verzeichnen wieder steigende Mitgliederzahlen. Gleichzeitig treffen sich immer mehr Menschen zu informellen Formaten wie Rudelsingen und Singalongs.
In der Geschichte des Singens, die so alt ist wie die Menschheit selbst, hatte das
gemeinsame Lied auch immer wieder eine politische Dimension. Singen als eine Form der nationalen Selbstbehauptung ist bis heute Teil der walisischen Identität, aber nicht nur dieser. "Die Proteste der baltischen Länder gegen die zerfallende Sowjetunion gingen als die ‚Singende Revolution‘ in die Geschichte ein, und die friedliche Menschenkette, die im August 1989 von Tallinn über Riga bis nach Vilnius reichte, war das wohl größte Gesangsfest in der Geschichte", schreibt unser Herausgeber Johann Michael Möller in seinem Beitrag "Singen für die Freiheit" ab Seite 40.
Was dem Fußball ohne Fangesänge fehlt, mussten Millionen Fans während der
Coronapandemie erfahren. Welch identitätsstiftende Kraft von dem gemeinsamen Lied im Stadion ausgeht, beschreibt Gunnar Leue, Autor des Buches You’ll
Never Sing Alone.
Vielleicht ist die Rückkehr des Singens in einer sprachlos gewordenen Gesellschaft
ja genau das: eine Sehnsucht nach Nähe, nach Gemeinschaft und nach dem ehrlichen Ausdruck unserer inneren Welt. Nicht nur zur Adventszeit, aber gerade jetzt. Unsere Titelgeschichte lesen Sie ab Seite 32.
Ein Vierteljahrhundert ist vergangen, seit Roswitha Zink zusammen mit drei Freundinnen das Kinderhospiz Lichtblickhof bei Wien gegründet hat. Ihre Vision: schwer traumatisierten und unheilbar kranken Kindern mithilfe von Tieren einige schöne und unbeschwerte Momente am Ende ihres viel zu kurzen Lebens zu ermöglichen. Das Tierparadies mit 18 Pferden, zehn Schafen, acht Kaninchen, fünf Hunden und zwei Katzen wird seit einigen Jahren von österreichischen Rotary Clubs unterstützt. Unser Reporter Claus Bruckmann hat den Lichtblickhof besucht
und war tief berührt vom rotarischen Engagement und vor allem vom Schicksal der Kinder. Seine Reportage lesen Sie ab Seite 14.
Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht
Björn Lange
Chefredakteur
