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Forum

Ein Kapitel für sich

Forum - Ein Kapitel für sich
Einen Eindruck von dem, was das Humboldt-Forum bald zeigen könnte, vermittelt derzeit die Ausstellung „Unvergleichlich“ im Berliner Bode-Museum. Herausragende Kunstwerke Afrikas aus dem Ethnologischen Museum in Dahlem werden hier der europäischen Skulpturensammlung gegenübergestellt © Staatliche Museen zu Berlin/David von Becker

Außen preußische Fassaden, innen ein Ort der Weltkultur. Mit diesem Ansatz wurde einst der Wiederaufbau des Berliner Schlosses als Humboldt Forum beschlossen. Doch bis heute fehlt ein schlüssiges Konzept für das Projekt.

Erhard Schüttpelz01.02.2019

Den Kern der Sammlungen des neuen Hauses bilden die Bestände des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst in Dahlem. Wie gesagt: Es fehlt ein schlüssiges Konzept dafür. Und seitdem die französische Kunsthistorikerin Bénedicte Savoy zusammen mit dem senegalesischen Ökonomen Felwine Sarr in einem Report für Präsident Macron die Rückgabe einstiger Kolonialkunst nach Afrika forderte, stellen sich gänzlich neue Fragen.

Das Humboldt Forum befindet sich schon seit Jahren in einer immer wieder aufs Neue bestätigten Pechserie. Ein hoch gehängtes Vorhaben mit vielen frühen Ankündigungen und späteren Kündigungen, eine Serie von durchwachsenen Pilotprojekten, und niemals eine enthusiastische Rezension, stattdessen immer neue Sorgen. Man könnte glauben, in der deutschen Hauptstadt sei keine Ausstellung und keine gelungene Veranstaltung zur Weltkultur möglich. Zumindest könnte man sie nicht institutionalisieren, selbst wenn man wollte. Und der Grund wäre schnell gefunden, wenn man aus London oder Paris nach Berlin blickt: Die Deutschen und ihre Kulturpolitiker wissen ihren historischen Ort in der Welt nicht zu bestimmen. Sie können mit der Vielfalt der Kulturen zu wenig anfangen, weil sie sich selbst nicht durch eine multiperspektivische Welt repräsentiert fühlen; weil es keine Verflechtung gibt, die das Eigene mit den fremden Schätzen in Beziehung setzt – wie es im British Museum der Fall ist, obwohl dort nichts Britisches zu sehen ist, oder am Quai Branly, in der ästhetischen Betrachtung der außereuropäischen Welt.

Mangaaka (Kongo, Yombe, 19. Jh, Holz, Eisen, Porzellan, Farbpigmente) vor europäischen Altarbildern © Staatliche Museen zu Berlin/David von Becker

Ein Projekt ohne Ziel
Diese Diagnose hat jedoch einen Haken. Während das Humboldt Forum vor sich hinstolpert, ist alles das, was man sich an weltkulturellen Ausstellungen, Aktionen und Diskussionen in Berlin vorstellt, gleich neben dem Kanzleramt in Serie möglich und Wirklichkeit – nämlich im Haus der Kulturen der Welt (HKW). Es kann also nicht die Hauptstadt und das Gewicht der Aufgabe sein, die das Humboldt Forum so sehr in Mitleidenschaft ziehen; es kann auch nicht ein geheimer Fluch sein, der das Projekt zum Scheitern verurteilt. Zehn Jahre sind ins Land gegangen; und wenn sie verschenkt waren, gibt es keinen Grund mehr, nicht von einem Missmanagement zu sprechen, das dort anzusiedeln ist, wo die Fäden zusammenliefen, oder wo sie zusammenlaufen hätten sollen.

Es bleibt der Eindruck, einer sich ständig verschiebenden Improvisation beizuwohnen, bestehend aus politischem Druck, einem Unglücksfall von Gebäude und einer mehrmals umdeklarierten Auftragsarbeit. Es hat wenig Sinn, diese Elemente noch einmal en detail durchzugehen, und für das Gebäude fällt es am leichtesten. Es war ein historischer Fehler und Rache-Akt, den Palast der Republik abzureißen, denn das Gebäude war ein hervorragendes Ausstellungsgebäude, auch für die ethnologischen Sammlungen. Stattdessen: der Sieg der Nostalgie und das falsche Schloss. Ein Symbol der historischen Dummheit, das man lieber rasch in ein Kaufhaus umwandeln sollte, bevor es zu spät ist. In einem preußischen Disney-Schloss mit rekonstruierten Spiegel-Sälen zu stehen und mithilfe unersetzlicher Ethnographica von vergangenen Welten zu träumen: das passt nicht zusammen.

Jetzt könnte man sagen: Alles halb so schlimm, denn sobald das Humboldt Forum da ist, wird der wahnsinnige Druck nachlassen, der das Projekt von Anfang an begleitete, und dann tritt Ruhe ein. Wenn man ein fähiges Kuratorenteam einbindet und machen lässt, warum sollte daraus nicht die Dynamik und Vielfalt von Weltrepräsentationen entstehen, die am HKW ohne weiteres machbar ist? Schließlich ist das Humboldt Forum als genau das gedacht: als ein Forum und nicht als ein Museum.

Allerdings ist im Laufe des letzten Jahres klargeworden, dass die Grundsatzdebatte kein Ende nehmen wird, und dass sie sich ab jetzt vor allem auf einen Tatbestand konzentrieren wird: den Kolonialismus der ethnologischen Sammlungen und die Fragen ihrer möglichen Restitution. Und in dieser Konstellation hat sich die entscheidende inhaltliche Schwäche des Humboldt Forums gezeigt: Die zuständige Wissenschaft, nämlich die Ethnologie, ist in der Leitung des Humboldt Forums nicht mehr vorhanden. Sie dient zwar in der breiten Medienöffentlichkeit jede Woche aufs Neue als Sündenbock und Buhmann der Diskussion um die ethnographischen Sammlungen, aber es gibt keine Position im Humboldt Forum mehr, von der sie sich mit Autorität wehren könnte. Es gibt zwar einen vehementen Verteidiger der deutschen Ethnologie im Humboldt Forum, aber das ist Horst Bredekamp, und er ist Kunsthistoriker und hat durch seine unüberlegte Relativierung der kolonialen Provenienz bereits einigen Schaden angerichtet. Die breite Öffentlichkeit, befeuert von Historikern, tut so, als gebe es die Wissenschaft der ethnologischen Sammlungen im Humboldt Forum nicht mehr, und als könne sie sich gegen die vielen Vorwürfe und den einen großen Vorwurf, sie sei vor allem eine Kolonialwissenschaft gewesen, nicht mehr wehren.

Wortmeldung der Ungehörten
In dieser schwierigen Lage war es eine gute Idee, fünf altgediente Ethnologen zu einem ausgiebigen Fachgespräch zu bitten, darunter die erfolgreichste Macherin komparatistischer Ausstellungen, Gisela Völger, den nicht minder erfolgreichen Ausstellungsmacher Gereon Sievernich, und die beiden Urgesteine eines ethnologischen Blicks, dem nichts Menschliches fremd ist, Fritz Kramer und Karl-Heinz Kohl. Mit viel Geduld und einem unaufhörlichen Feuerwerk aus Anekdoten, Aphorismen und paradoxen Anmerkungen gehen die Herrschaften und ihr weiblicher Gast nach und nach die Bedingungen des Humboldt Forums durch: die Ausgangsidee, die Geburtsfehler, die Raubkunst-Fragen, den Vergleich mit anderen Museen und Museumskonzeptionen, die Fragen von Kunst und Handwerk, Kunst und Religion, die Einbindung der Herkunftsgesellschaften und die Rollen der Ethnologen und das Verhältnis von Museumsethnologie und Universitätsethnologie. Eine kurze, aber vollständige Enzyklopädie. Schließlich endet das Buch mit einem klugen Ratschlag: den Campus in Dahlem als Forschungscampus für die ethnologisch-historische Forschung auszubauen, und das Humboldt Forum nur als eine glänzende Schauseite zu verstehen, deren wissenschaftliche Bedeutung nebensächlich ist. Der Ton der Diskussion ist unaufgeregt, geduldig und bedächtig: Man kennt sich schon lange und weiß die anderen zu schätzen; man kennt ihre Stärken und sogar einige ihrer Schwächen. Der Diskussionsband bietet „en miniature“ eine wohltuende Alternative zur Ratlosigkeit und zum Schlingerkurs, mit dem das von Kulturstaatsministerin Monika Grütters bestellte „Triumvirat“ der Gründungsintendanz auf die neueren Kontroversen um das Humboldt Forum reagiert hat.

Sobald man die Tageszeitungen mit ihren aufgeregten und von blutigen Amateuren betriebenen und beschriebenen Restitutionsdebatten dagegen hält, ergibt sich dennoch ein frappierender Effekt. Geht es um dieselbe historische Lage? Oder überhaupt um dieselbe Welt? Das Buch mit seinen bedächtigen Gesprächen hat etwas von der traumwandlerischen Sicherheit, die nur für die Vergangenheit möglich ist, wenn man die Zukunft ausblendet. Der Gesprächston erinnert an die Literaturgattung der „Geistergespräche“ oder „Gespräche aus Elysium“: Was wäre, wenn die Ethnologie noch einmal das Sagen hätte, wenn sie nicht enteignet worden wäre oder wenn ihr die wissenschaftliche und die politische Enteignung auch in Zukunft erspart bliebe? Die Tatsache der Enteignung wird klaglos festgehalten und erzeugt keine Wut, aber auch keine Resignation. Das Rückzugsmanöver nach Dahlem erscheint wie der Versuch zu retten was noch zu retten ist, eine logistische und fast schon militärische Operation. Der Ratschlag ist klug und er ist kompetent, aber wird er helfen?

Debatten ohne fachliche Kenntnis
Mir scheint jedoch in diesen brillanten Gesprächen ein ganzes Kapitel zu fehlen: Es fehlt eine Analyse der Gründe, warum die Ethnologie im Laufe der Entwicklung des Humboldt Forums ausgebootet worden ist, und – wichtiger noch – warum sich niemand in der Medienöffentlichkeit dafür engagiert, sie in ihre angestammten Zuständigkeiten wieder einzusetzen. Doch ohne eine solche Analyse kann die Schadensbegrenzung nicht gelingen, nicht einmal der Rückzug nach Dahlem.

Die aktuelle Popularisierung der Restitutionsforderungen ist vielleicht nur das Symptom einer tiefgreifenden Wandlung unserer Gesellschaften, was sich auch daran zeigt, dass diese Forderungen vor allem von Journalisten und Amateuren enthusiastisch begrüßt und betrieben werden. Die Restitutionsforderungen fragen gar nicht nach der Geschichte der Ethnologie oder des Kolonialismus, sondern spielen diese nur als Mythologie durch, als „mythische Charta“ der Gegenwart. Bénédicte Savoy spielt in Berlin vor ihren propagandistischen Vorträgen die populäre Szene aus der Comicverfilmung „Black Panther“, in der ein Superheld eine afrikanische Skulptur aus ihrer babylonischen Gefangenschaft erlöst. Diese Szene erweckt allem Anschein nach den Ehrgeiz, sie in der Wirklichkeit nachzuspielen. An der Brown University demonstrierte vor kurzem eine Gruppe von Studierenden unter Führung eines Dozenten vor der Vitrine einer Benin-Bronze für deren „Rückgabe“.

Die Restitutionsforderungen entwickeln sich daher immer weniger im Rahmen einer wissenschaftlichen – oder wissenschaftshistorischen – Auseinandersetzung, sondern als eine Art Plebiszit, das mithilfe der nicht-ethnologischen Wissenschaften an den ethnologischen Sammlungen vollstreckt wird. Wie erklärt sich dieses Plebiszit?

Diese Entwicklung lässt sich nicht aus der Geschichte der Ethnologie verstehen, und darum ist es aller Voraussicht nach vergeblich, aus der Geschichte der Ethnologie ein Gegengift – ein Serum – destillieren zu wollen. Um den Sturm der Restitutionsforderungen zu verstehen, aber auch um die zukünftigen Handlungsmöglichkeiten der Ethnologie zu ermessen, muss man fünf langfristige Entwicklungen betrachten, die erst zusammen den perfekten Sturm ergeben haben und noch tiefgreifendere Schäden anrichten können:

Erstens. Der Kolonialismus wurde von internationalen Organisationen als Kriegszustand definiert, und damit wurden die kolonialen Gegenstände insgesamt zur virtuellen Kriegsbeute erklärt, die egal durch welche Transaktionen unrechtmäßig erworben wurden.

Zweitens. Die angelsächsische Rechtsentwicklung hat Identität und Eigentumsrechte in eine immer stärkere Wechselwirkung gebracht, d.h. Identität beweist sich durch Eigentumsrechte, und Eigentumsrechte begründen Identität. Die Definitionen von „Immaterial Property“ und „Cultural Heritage“, materielle Sammlungen und territoriale Zuständigkeiten für Kulturgüter bewegen sich in dieser wechselseitigen Hochschaukelung von Eigentumsrechten und Identitätsrechten.

Drittens. Globalisierung bedeutet, dass weltweit wirksame Standardisierungen eine immer größere Rolle spielen; es liegt daher nahe, globalisierte rechtliche Forderungen, wie etwa die „Restitution“, durch bürokratische und juristische Standardisierungen zu lösen, statt wie bisher durch informelle Arrangements zwischen marginalen Gemeinschaften von Experten und Aktivisten.

Viertens. Die Ex-Siedlerkolonien haben nach der Rückführung menschlicher Gebeine angefangen, einen Schuldkomplex auszuagieren, der deutliche Paralllelen zur deutschen Geschichte der Shoah aufweist. Und da die Ex-Siedlerkolonien keine Landrechte zurückgeben wollen, liegt die Kompensation durch Rechte nahe, die für alle anderen als Verbote wirksam werden, m.a.W. die Verleihung exklusiver Privilegien eines „immaterial property“, das den „Ureinwohnern“ auch ganz materiell in Gestalt der Museumsgegenstände ausgehändigt werden kann.

Fünftens und zuletzt. Statt einer wissenschaftlichen Expertise der Ethnologen, der Historiker oder der Einheimischen dominiert in der populären Charakterisierung des Kolonialismus eine Perspektive der Post-Colonial Theory, die sich als mentale und praktische Überlegenheit gegenüber der Vergangenheit versteht, statt die vielgestaltige Komplizenschaft der Gegenwart mit aktuellen und vergangenen kolonialen Beziehungen zu analysieren.

Alle diese Elemente haben sich im Restitutions-Report von Sarr und Savoy für den französischen Präsidenten Macron zu einem perfekten Sturm verbunden. Sollte dieser Bericht als Handlungsermächtigung dienen, in Frankreich, aber auch in Deutschland, dann wird seine Verwirklichung zum Super-GAU nicht nur der Museumsgeschichte. Und wenn die Ethnologie eine Chance haben soll, die Hoheit über ihre Sammlungen zu behalten und sich erfolgreich gegen ihre Enteignung zu wehren, muss sie weit über ihre eigene Geschichte hinausgreifen und eine Ethnologie der Gegenwartsgesellschaft betreiben, in deren Mitte sie eine immer problematischere Stellung innehat. 

Prof. Dr. Erhard Schüttpelz


Buchtipp
Das Humboldt Forum und die Ethnologie Ein Gespräch zwischen Karl-Heinz Kohl, Fritz Kramer, Johann Michael Möller, Gereon Sievernich, Gisela Völger 170 Seiten, kula Verlag, Fachverlag für Ethnologie und Kulturwissenschaften Frankfurt am Main 2019 17 Euro, kulaverlag.de


©  edition braus berlin 2017

Tipp
Die Ausstellung „Unvergleichlich. Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ läuft bis Juni 2019 auf der Museumsinsel. afrikaimbodemuseum. smb.museum

Erhard Schüttpelz
Prof. Dr. Erhard Schüttpelz ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Siegen. 2005 erschien "Die Moderne im Spiegel des Primitiven. Weltliteratur und Ethnologie 1870-1960". www.uni-siegen.de