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Ausstellung

Expressionistische Utopien

Ausstellung - Expressionistische UtopienFotostrecke: Expressionistische Utopien
Zur Ansicht der Galerie bitte auf das Foto klicken. © Sönke Wurr/Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein

Der deutsch-böhmische Künstler Wenzel Hablik gilt als einer der wichtigsten Vertreter der expressionistischen Architektur. Nun zeigt der Martin-Gropius-Bau in Berlin sein Werk.

Katrin Maibaum01.12.2017

Utopische Architekturentwürfe, expressionistisches Interieur, fantastische Farbwelten – all dies ist nur ein Teil des Werkes von Wenzel Hablik (1881–1934), der sich als Universalkünstler dem Gesamtkunstwerk verschrieb. Beeinflusst durch seine Studienzeit an der Wiener Kunstgewerbeschule und der Kunstakademie in Prag, lässt sich seine Entwicklung vom Jugendstil über den Expressionismus und die farbbegeisterten frühen 1920er Jahre bis hin zur Neuen Sachlichkeit nachvollziehen. Seine Werke zeichnen sich durch eine bis heute zeitgemäße Formensprache aus.
Hablik gilt als ein wichtiger Vertreter der deutschen expressionistischen Architektur- und Gestaltungsavantgarde. Scheinen die Wege der Kunst der Moderne weitgehend erforscht, so bietet sein Werk immer noch Überraschendes. Ihm widmet der Martin-Gropius-Bau in enger Zusammenarbeit mit dem Wenzel-Hablik-Museum in Itzehoe die erste umfassende monografische Ausstellung in Berlin. Im Fokus stehen Habliks Architekturvisionen und eine Rekonstruktion seines 1923 farbig gestalteten Meisterwerks eines Raumkonzepts. Sie werden durch Malerei und Design ergänzt. Erst in dieser Kombination kann der Grundgedanke des Gesamtkunstwerkes, wie Hablik ihn verfolgte, nachvollziehbar werden.

Kristall- und Naturaliensammler
1881 im böhmischen Brüx, dem heutigen Most in Tschechien, geboren, erlernt Hablik während der Schulzeit das Tischlerhandwerk in der väterlichen Werkstatt. In dieser Zeit bildet sich allerdings nicht nur sein grundlegendes Verständnis für handwerkliche Arbeiten aus, er legt bereits den Grundstein für eine Kristall- und Naturaliensammlung, die sein künstlerisches Schaffen zeitlebens begleitet. Ab 1902, mit Beginn seines Studiums der Malerei an der Wiener Kunstgewerbeschule, zeichnet er Gruppen von Kristallen, die sich in seiner Fantasie zu Märchenschlössern auf steilen Berghängen ausformen. Diese „Kristallbauten“, wie er sie nennt, gehören zu den frühesten bekannten Entwürfen kristalliner Architektur in der europäischen Kunstgeschichte. Sie markieren den Anfang von Habliks späteren utopischen Architekturentwürfen.
Ab 1907 kann sich Hablik im schleswig-holsteinischen Itzehoe nördlich von Hamburg mit Unterstützung von Mäzenen intensiv seinem künstlerischen Schaffen widmen. Die Natur bleibt auch hier die bedeutendste Inspirationsquelle für sein Schaffen. Beeindruckt von der Urgewalt des Meeres und der Elemente, setzt er diese Themen in den unterschiedlichsten Techniken um. Landschaften seiner böhmischen Heimat mit ihrer Gebirgswelt sowie die Küsten- und Heidelandschaften Norddeutschlands werden immer wieder Gegenstand seiner Malerei. Imposante Ansichten des Meeres entstehen. Daneben gehören Porträts und Stillleben zu seinem Œuvre. Der Idee folgend, dass künstlerische Qualität für die Ausgestaltung aller Lebensbereiche Geltung habe, entwirft Hablik zudem extravagante Raumentwürfe für zahlreiche öffentliche und private Interieurs in Norddeutschland.
Mit Berlin ist Hablik in besonderem Maße verbunden: Hier beteiligt er sich 1908 und 1909 an Ausstellungen der Berliner Secession und präsentiert 1912 in der Galerie „Der Sturm“ von Herwarth Walden seinen ersten druckgrafischen Zyklus „Schaffende Kräfte“ neben Werken von Picasso, Kandinsky, Kokoschka und Gauguin. 1919 nimmt er auf Einladung von Walter Gropius an der „Ausstellung für unbekannte Architekten“ des Arbeitsrates für Kunst teil und wird kurz darauf dessen Mitglied. Auch dem Deutschen Werkbund tritt er bei. Als Teil der Briefgemeinschaft „Gläserne Kette“ steht Hablik mit Walter Gropius, Bruno Taut sowie weiteren Architekten und Malern im regen Austausch über utopische Architekturideen.

Technische Komponente

Wenzel Hablik bei der Arbeit
im Atelier, um 1931, Foto: Delf
Gravert, Wenzel-Hablik-Stiftung,
Itzehoe

Wie viele seiner expressionistischen Zeitgenossen verehrt Hablik die Natur als höchste schöpferische Kraft und sieht im Kristall das bedeutendste Symbol der Naturschöpfung. Die Kristallarchitektur ist für sie eine Gesellschaftsutopie auf dem Weg in eine bessere Lebenswelt. Von Schriftstellern wie H. G. Wells, Paul Scheerbart, Kurd Laßwitz und Jules Verne inspiriert, erhalten Habliks Architekturentwürfe zunehmend eine technische Komponente. Es gilt, mit moderner Technik die Realität zu überwinden und die Gesellschaft zu verändern. Verbunden damit soll auch die Reise ins Weltall möglich erscheinen – ein Thema, dem Hablik sich in großformatigen Ölbildern zuwendet. Die Beschäftigung damit beeinflusst auch seine Formensprache bei der Gestaltung von kunsthandwerklichen Arbeiten. Aus Messing und Silberblech gefaltete sternförmige oder prismatische Dosen erinnern an utopische Bauten: Sie werden zu Kleinarchitekturen oder Himmelskörpern.
Hablik leistet als Gesamtkünstler in fast allen Bereichen der Angewandten Kunst – vom Entwurf von Webmustern, Möbeln und Tapeten, Schmuckdesign, Lampenentwürfen, Metallarbeiten bis hin zum Besteckdesign – einen grundlegenden Beitrag zur Moderne.


Geometrie der Raumgestaltung
Die größte Gestaltungsfreiheit kann der Künstler schließlich in seinem eigenen Wohn- und Atelierhaus entfalten. 1923 verwandelt er die Wand- und Deckenfläche des saalartigen Esszimmers in eine geometrisch ausgemalte Raumschale. Alle Bereiche werden zu einer einzigen Malfläche verbunden, auf der mit seidenmatter Ölfarbe streng dem rechten Winkel folgend eine bunte Farbkomposition entsteht. Einander überkreuzende Farbbänder durchziehen den kompletten Raum. Selbst die Fensterrahmen und ein Türblatt werden farbig gefasst, um ein möglichst geschlossenes „Raumbild“ zu erzielen.

Plastik „Großer Falke“,
1923, foto: Delf Gravert,
Wenzel-Hablik-Stiftung,
Itzehoe

Seit 1933 unter Tapeten verborgen, wurde Habliks wichtigste raumbezogene Arbeit in dem in Privatbesitz befindlichen Haus 80 Jahre später freigelegt und ist in großer Vollständigkeit und sehr gutem Zustand erhalten geblieben. In Berlin wird sie durch eine Rekonstruktion erstmals einem größeren Publikum zugänglich gemacht.
Auf knapp 1000 Quadratmetern Ausstellungsfläche wird in elf Räumen die Entwicklung und die Vielfältigkeit des hablikschen Werkes dargelegt – beginnend mit den ersten Kristallbauten aus Studienzeiten bis hin zur reichen Schaffensphase seit seiner Ansiedelung in Norddeutschland. Gezeigt werden unter anderem knapp 50 Ölgemälde, 90 Zeichnungen, 60 Druckgrafiken sowie rund 40 Designobjekte, zahlreiche schriftliche Dokumente und Fotografien. Neben Porträts, Landschafts- und Meeresdarstellungen liegt in mehreren aufeinanderfolgenden Räumen das Hauptaugenmerk auf Habliks utopischem Architekturkonzept, dessen Entstehung sich über 20 Jahre erstreckt. Anschließend vermitteln Entwürfe sowie historische Aufnahmen einen Eindruck der von Hablik gestalteten Innenräume. Vervollständigt wird der Überblick zu Habliks Gesamtkunstwerk durch eine Auswahl an kunsthandwerklichen Arbeiten wie Möbeln, Metallobjekten und Stoffen. Den Abschluss bilden zwei der großformatigsten Ölgemälde von Wenzel Hablik, die erstmals zusammen präsentiert werden: „Das Große Meerbild“ mit vier Metern Breite und Habliks großer „Sternhimmel“.
Hauptleihgeberin ist die Wenzel-Hablik-Stiftung, die das gleichnamige Museum in Itzehoe betreibt und über die umfangreichste Sammlung an Werken Habliks verfügt. Die Dauerausstellung des Museums gibt einen Einblick in die Schaffensbereiche Wenzel Habliks. Sonderausstellungen zu Kunst, Architektur und Design ergänzen das Programm. Ausgehend von Habliks Werk, verfolgt die Stiftung das Ziel, Kunst und Kultur anschaulich und anspruchsvoll zu vermitteln und somit einen wichtigen Akzent in der norddeutschen Kulturlandschaft zu setzen.


Im Museum

Sonderausstellung im Martin- Gropius-Bau in Berlin. Wenzel Hablik – Expressionistische Utopien. Malerei, Zeichnung, Architektur bis 14. Januar 2018

Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Tel: 030 / 254860

Katrin Maibaum
Katrin Maibaum ist seit 2009 Direktorin des Wenzel-Hablik-Museums im schleswig-holsteinischen Itzehoe und Kuratorin der Hablik-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau, Berlin. wenzel-hablik.de