Titelthema
Faszination Fischer-Chöre

Millionen Menscchen sangen mit Gotthilf Fischer. Warum er unsterblich bleibt
Wie kein Zweiter prägte er die Chormusik in Deutschland: Geradezu selbstverständlich hat Gotthilf Fischer das Singen in den Alltag gebracht – ohne Berührungsängste, ohne elitäre Hürden, dafür mit ansteckender Begeisterung. Mit seinen Fischer-Chören hat der "König der Kehlen" nicht nur deutsches Liedgut ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, sondern auch den Traum von Gemeinschaft, Freude und Menschlichkeit auf die Bühne gebracht. Fünf Jahre nach seinem Tod ist klar: Die Faszination lebt weiter.
Schon zu Lebzeiten war Fischer eine Ausnahmeerscheinung: ein Mann, der aus einfachen Anfängen eine Gesangsbewegung formte, die Generationen prägte. 1928 im schwäbischen Plochingen geboren, gründete er mit 17 Jahren nach dem Krieg seinen ersten Chor. Bald dirigierte er Massenchöre mit Hunderten, ja Tausenden von Stimmen. Höhepunkt seiner Laufbahn war der Auftritt der Fischer-Chöre mit über 1500 Sängerinnen und Sängern bei der Fußball-WM 1974. Tourneen führten ihn nach Rom und in die USA zu Präsident Jimmy Carter.
Für ihn war klar: "Wer singt, bleibt gesund. Lieder machen glücklich. Sie sind ein gutes Mittel gegen Depression und Traurigkeit." Dieser Satz war sein Credo – und er hat ihn selbst bis ins hohe Alter getragen. Noch 2019, kurz vor der Pandemie, stand er auf der Bühne beim Europäischen Adventssingen in Stuttgart und dirigierte mit strahlendem Lächeln die Ode an die Freude. Mit ihr und vielen anderen Liedern führte er seine Chöre auch auf internationale Bühnen vor ein Millionenpublikum. Überall verstand man seine Botschaft – weil Musik dort zusammenführt, wo Worte enden.
Und nicht nur live begeisterte er: Auch seine legendären Fernsehshows, die über Jahrzehnte ausgestrahlt wurden, lockten Millionen Zuschauer vor den Bildschirm und machten die Fischer-Chöre zu einem Markenzeichen deutscher Unterhaltungskultur.
Musik, die verbindet
Fischer verstand Musik als Brücke zwischen Menschen. Volkslieder, Choräle, Klassiker – sein Repertoire war bewusst breit. Ihm ging es nicht um künstlerische Exklusivität, sondern um Teilhabe möglichst vieler. "Auch die, die nicht alle Töne treffen, sollen mitsingen", pflegte er zu sagen. Seine Chöre waren offen, niederschwellig, gemeinschaftsstiftend. Gerade darin lag der Erfolg: Die Fischer-Chöre standen für Heimat, Zusammenhalt und geteilte Freude am Singen.
Bis heute wirkt das fort. Sängerinnen wie Tanja Danko-Böhler und InesAmanovic aus Benningen am Neckar führen Fischers Erbe weiter. Er selbst hatte sie zu Solistinnen gemacht – eine besondere Ehre. Für Danko-Böhler ging damit "ein Traum in Erfüllung". Wenn sie und Amanovic heute in Altersheimen auftreten, erleben sie, wie Menschen mit Demenz, die kaum noch sprechen, plötzlich vertraute Lieder wie Im schönsten Wiesengrunde oder Wenn alle Brünnlein fließen mitsingen. Musik öffnet Türen, wo Sprache versagt – ein Vermächtnis, das weit über die Bühne hinausreicht.
Ein Star im Netz
Bemerkenswert ist, dass Gotthilf Fischer posthum eine zweite Karriere erlebt – in der digitalen Welt. Seine Aufnahmen von Beethovens Freude schöner Götterfunken haben über 23 Millionen Streams und Downloads erzielt. Plattformen wie Youtube oder Spotify machen ihn einem neuen Publikum zugänglich. Dass gerade die Europahymne so erfolgreich ist, überrascht nicht: Sie verkörpert Fischers Botschaft von Gemeinschaft und Frieden.
Erinnerung, Humor und letzter Wunsch
Zum 95. Geburtstag am 11. Februar 2023 erschien eine Sonderedition unter dem Titel Ein Leben für die Musik. Hans Derer, Chef der Winnender Plattenfirma 7us, verwaltet die Rechte an rund 500 Titeln. Fischer war dabei nicht nur ein Dirigent, er war ein Menschenfreund mit Humor. Er konnte das größte Massenpublikum leiten – und zugleich mit einem Augenzwinkern das Eis brechen.
Vor seinem Tod sagte er einmal, sein Wunsch sei es, dass alle seine Chöre bei seiner Beerdigung singen. Doch er fügte lachend hinzu, der Friedhof in Beutelsbach – wo er heute im Gemeinschaftsgrab mit seiner Frau ruht – sei dafür zu klein.
Seit Fischers Tod gibt es die Fischer-Chöre in klassischer Form nicht mehr. Sein Netzwerk aus Laienchören war eng mit seiner Person verbunden – er war Herz, Motor und Gesicht zugleich. Damit stellt sich die Frage: Wie lässt sich dieses Erbe lebendig halten?
Ein eigenes Museum wäre eine Möglichkeit. Bisher ist nichts aus der Idee seiner früheren Managerin Esther Müller geworden, aber sie gibt nicht auf. Erinnerungsorte existieren dennoch: Im Hotel Dollenberg im Schwarzwald, wo Fischer oft logierte, gibt es ein "Fischer-Zimmer" voller Fotos und Andenken. Und im Netz ist er ohnehin präsenter denn je. Wer "Gotthilf" googelt, landet sofort bei ihm – ein digitaler Nachhall, der fast wie ein modernes Denkmal wirkt.
Zeitlose Botschaft
Die anhaltende Faszination erklärt sich nicht allein durch Nostalgie. Es ist die Einfachheit und Direktheit seiner Botschaft, die zeitlos wirkt: Musik macht glücklich. Wer singt, lebt gesünder. Lieder schaffen Verbindung über Generationen hinweg. In einer Welt, die oft von Individualismus geprägt ist, wecken die Fischer-Chöre Erinnerungen an Gemeinschaft – und stiften diese zugleich neu.
Fischers Wirken zeigt auch, dass Volkslieder und klassische Melodien nichts Verstaubtes sein müssen. Sie können berühren, bewegen und auch heute noch Millionen erreichen. Gerade im Zeitalter globaler Popkultur heben sie sich ab: als Teil der kulturellen Wurzeln Deutschlands, als Träger von Identität und Geschichte.
Gotthilf Fischer selbst brachte es auf den Punkt: "Glücklich bin ich, wenn ich durch das Singen in der Gemeinschaft die Menschen glücklich machen kann." Dieses Vermächtnis wirkt fort – in den Herzen seiner Sängerinnen und Sänger, in den Millionen Klicks im Netz und in der Kraft seiner Lieder, die Menschen wieder zueinanderführen.
So bleibt Fischer nicht nur Teil der Vergangenheit, sondern auch der Gegenwart. Er ist längst mehr als ein Chorleiter: ein Symbol für die Kraft des gemeinsamen Singens. Und vielleicht erklärt genau das, warum seine Musik auch fünf Jahre nach seinem Tod funktioniert – weil sie von einer Sehnsucht erzählt, die zeitlos ist: nach Freude, Gemeinschaft und einem Lied, das Menschen verbindet.
Gotthilf Fischer ist ein Botschafter der Freude, der Gemeinschaft und des Miteinanders – Werte, die auch Rotary prägen und in seiner Musik weiterklingen.
Copyright: Phil Hagebölling
