Buch der Woche
Jennifer Teege/Nikola Sellmair: «Amon»
Mit 38 Jahren erfährt Jennifer Teege durch einen Zufall, wer sie ist. In einer Bibliothek findet sie ein Buch über ihre Mutter und ihren Großvater Amon Göth. Millionen Menschen kennen Göths Geschichte. In Steven Spielbergs Film «Schindlers Liste» ist der brutale KZ-Kommandant der Saufkumpan und Gegenspieler des Judenretters Oskar Schindler. Gemeinsam mit der Journalistin Nikola Sellmair recherchiert sie ihre Familiengeschichte, sucht die Orte der Vergangenheit noch einmal auf, reist nach Israel und nach Polen.
PROLOG
Die Entdeckung
Es ist der Blick der Frau, der mir bekannt vorkommt. Ich stehe in der Hamburger Zentralbücherei und halte ein Buch mit rotem Einband in der Hand, das ich eben aus dem Regal gezogen habe. Vorne ist das Schwarz-Weiß- Porträt einer Frau mittleren Alters aufgedruckt. Ihr Blick ist nachdenklich, er hat etwas Angestrengtes, Freudloses. Ihre Mundwinkel zeigen nach unten. Sie sieht unglücklich aus.
Ich überfliege den Untertitel: «Die Lebensgeschichte von Monika Göth, Tochter des K Z-Kommandanten aus ‹Schindlers Liste›». Monika Göth! Ich kenne diesen Na- men. So heißt meine Mutter. Meine Mutter, die mich einst ins Kinderheim gab und die ich seit vielen Jahren nicht gesehen habe.
Auch ich hieß einmal «Göth», ich wurde geboren mit diesem Namen, schrieb «Jennifer Göth» auf meine ersten Schulhefte – bis mich meine Mutter zur Adoption freigab und ich den Nachnamen meiner Adoptiveltern annahm. Damals war ich sieben Jahre alt.
Was soll der Name meiner Mutter auf diesem Buch? Ich starre auf den Einband. Im Hintergrund, nur als Schatten hinter dem Schwarz-Weiß-Foto der Frau erkennbar, ist ein Mann mit geöffnetem Mund und einem Gewehr in der Hand zu sehen. Das muss der K Z-Kommandant sein.
Hastig schlage ich das Buch auf und beginne zu blät- tern, zuerst langsam, dann immer schneller. Es enthält nicht nur Text, sondern auch viele Fotos. Die Menschen auf den Bildern – habe ich die nicht schon mal gesehen? Eines zeigt eine junge große Frau mit dunklem Haar, sie erinnert mich an meine Mutter. Auf einem anderen sitzt eine ältere Frau im Englischen Garten in München, sie trägt ein geblümtes Sommerkleid. Ich habe nur wenige Bilder von meiner Großmutter, ich kenne jedes genau: Auf einem davon trägt sie genau dieses Kleid. Unter dem Foto im Buch steht «Ruth Irene Göth». So hieß meine Großmutter.
Ist das meine Familie? Sind das Fotos meiner Mutter und meiner Großmutter? Aber nein, das ist absurd: Es kann nicht sein, dass es ein Buch über meine Familie gibt – un d ich weiß nichts davon!
Schnell blättere ich weiter. Ganz hinten, auf der letzten Seite des Buches, finde ich eine Biographie, sie beginnt so: Monika Göth, geboren 1945 in Bad Tölz. Ich kenne diese Daten. Aus meinen Adoptionsunterlagen. Hier stehen sie, schwarz auf weiß. Es ist wirklich meine Mutter. Hier geht es um meine Familie.
Ich klappe das Buch zu. Es ist still. Irgendwo im Lesesaal hustet jemand. Ich will hier raus, schnell, will allein sein mit diesem Buch. Ich umklammere es wie einen wertvollen Schatz, schaffe es die Treppen hinunter und durch die Ausleihe. Das Gesicht der Bibliothekarin, der ich das Buch hinschiebe, nehme ich gar nicht wahr. Ich gehe auf den weiten Platz vor der Bibliothek. Meine Knie geben nach. Ich lege mich auf eine Bank, schließe die Augen. Hinter mir rauscht der Verkehr.
Mein Auto steht gleich gegenüber, aber ich kann jetzt nicht fahren. Ein paarmal richte ich mich auf und über- lege, ob ich weiterlesen soll. Mir graut davor. Ich möchte das Buch zu Hause lesen, in Ruhe, von Anfang bis Ende.
Es ist ein warmer Augusttag, aber meine Hände sind eiskalt. Ich wähle die Nummer meines Mannes: «Du musst kommen und mich abholen, ich habe ein Buch gefunden. Über meine Mutter und meine Familie.»
Warum hat meine Mutter mir nie etwas gesagt? Bin ich ihr so wenig wert, immer noch? Wer ist dieser Amon Göth? Was genau hat er gemacht? Warum weiß ich nichts von ihm? Wie war das noch mal mit «Schindlers Liste», mit den Schindler-Juden?
Es ist lange her, seit ich den Film gesehen habe. Ich erinnere mich noch, dass es Mitte der neunziger Jahre war, während meiner Studienzeit in Israel. Alle sprachen über Steven Spielbergs Holocaust-Drama. Ich sah es erst später im israelischen Fernsehen, allein in meinem WG -Zim- mer in der Rehov Engel, der Engel-Straße in Tel Aviv. Ich weiß noch, dass ich den Film berührend fand; gegen Ende dann ein bisschen kitschig, zu sehr Hollywood.
«Schindlers Liste» war für mich nur ein Film, er hatte nichts mit mir zu tun.
Warum hat mir keiner die Wahrheit gesagt? Haben mich alle all die Jahre belogen?
(...)
Das letzte Mal traf ich meine Mutter, da war ich einundzwanzig.
Jetzt, mit achtunddreißig Jahren, finde ich dieses Buch. Warum bloß habe ich es unter Hunderttausenden von Büchern herausgezogen? Gibt es so etwas wie Schicksal?
(...)
Mein Mann Götz findet mich auf der Bank vor der Bibliothek liegend. Er setzt sich neben mich, betrachtet das Buch, blättert es kurz durch. Ich nehme es ihm schnell weg. Ich will nicht, dass er zuerst darin liest. Das Buch ist meins, der Schlüssel zu meiner Familiengeschichte. Der Schlüssel zu meinem Leben, nach dem ich all die Jahre gesucht hatte.
Mein ganzes Leben hatte ich das Gefühl, dass etwas mit mir nicht stimmt: Meine Traurigkeit, die Depressio- nen. Aber ich fand einfach nicht heraus, was so grundlegend falsch war.
Götz nimmt meine Hand, wir gehen zu seinem Wagen. Auf der Fahrt nach Hause spreche ich kaum. Mein Mann nimmt sich den Rest des Tages frei und kümmert sich um unsere beiden Söhne.
Ich lasse mich aufs Bett fallen, lese und lese, bis zur letzten Seite. Es ist schon dunkel, als ich den Band zuklap- pe. Ich setze mich an den Computer und recherchiere die ganze Nacht, lese alles über Amon Göth, was ich finden kann. Es ist, als würde ich in ein Gruselkabinett eintreten.
Ich lese über seine Ghettoräumungen in Polen, seine sadistischen Morde, seine auf Menschen abgerichteten Hunde. Erst jetzt wird mir das Ausmaß der Verbrechen bewusst, die Amon Göth begangen hat. Himmler, Goeb- bels, Göring – diese Figuren sind mir sofort präsent. Was Amon Göth genau getan hat, wusste ich nicht. Nach und nach wird mir klar, dass die Filmfigur in «Schindlers Liste» keine fiktive Figur war, sondern ein reales Vorbild aus Fleisch und Blut hatte. Meinen Großvater. Einen Mann, der reihenweise tötete und dem das auch noch Freude be- reitete. Ich bin die Enkelin eines Massenmörders.
*
Jennifer Teege hat eine warme dunkle Stimme mit Münchner Einschlag, einem leicht rollenden «R». Ihr Gesicht ist klar und ungeschminkt, die eigentlich krausen Haare sind zu langen schwarzen Locken geglättet, die schmalen langen Beine stecken in engen Hosen. Wenn sie einen Raum betritt, drehen sich die Köpfe, die Männer schauen ihr nach. Sie geht sehr gerade, ihr Schritt ist fest und entschieden.
Ihre Freunde beschreiben Jennifer Teege als selbstbewusste Frau, voller Neugier und Abenteuerlust. Eine Studienfreundin sagt über sie: «Wenn sie von einem spannenden Land hörte, rief sie: Das kenne ich noch nicht, da fahr ich hin! Und sie zog los, nach Ägypten, Laos, Vietnam und Mosambik.»
Doch wenn sie über ihre Familiengeschichte spricht, zittern immer wieder ihre Hände, und sie weint.
Der Fund des Buches mit der Bibliothekssignatur Mcm O G OET#KESS ist der Moment, der Jennifer Teeges Leben zerschneidet, der es teilt in ein Davor und ein Danach: Davor, ohne das Wissen um ihre Herkunft. Danach, mit dem Wissen um die Geschichte ihrer Familie.
Die Geschichte ihres Großvaters kennt die ganze Welt: In Steven Spielbergs Film «Schindlers Liste» ist der grausame KZ-Kommandant Amon Göth Saufkumpan und Gegenspie - ler des gleichaltrigen Oskar Schindler: Judenmörder gegen Judenretter. Eine Filmszene hat sich ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt: Amon Göth, wie er vom Balkon seiner Villa aus Häftlinge erschießt, seine Form von Morgengymnastik.
Amon Göth war als Kommandant des Konzentrationslagers P?aszów in Krakau verantwortlich für den Tod Tausender Menschen. 1946 wurde er in Krakau gehängt, seine Asche in die Weichsel gestreut. Amon Göths Lebensgefährtin Ruth Irene, Jennifer Teeges geliebte Großmutter, leugnete später seine Verbrechen. 1983 brachte sie sich mit Schlaftabletten um.
Jennifer Teeges deutsche Geschichte: der Opa ein Nazi täter, die Oma eine Mitläuferin. Die Mutter aufgewachsen mit dem bleiernen Schweigen der Nachkriegszeit. Das also ist ihre Familie. Das sind ihre Wurzeln, die sie, das Adoptivkind, immer gesucht hat. Und sie, wer ist dann sie?
Jennifer Teege/Nikola Sellmair: «Amon». Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2013. 272 Seiten, 19,95 Euro/e-Book, 16,99 Euro.
Der Auszug stammt von den Seiten 9 bis 16. Copyright © 2013 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Alle Rechte an dieser Ausgabe vorbehalten Copyright ©2013 Jennifer Teege und Nikola Sellmair
Die Entdeckung
Es ist der Blick der Frau, der mir bekannt vorkommt. Ich stehe in der Hamburger Zentralbücherei und halte ein Buch mit rotem Einband in der Hand, das ich eben aus dem Regal gezogen habe. Vorne ist das Schwarz-Weiß- Porträt einer Frau mittleren Alters aufgedruckt. Ihr Blick ist nachdenklich, er hat etwas Angestrengtes, Freudloses. Ihre Mundwinkel zeigen nach unten. Sie sieht unglücklich aus.
Ich überfliege den Untertitel: «Die Lebensgeschichte von Monika Göth, Tochter des K Z-Kommandanten aus ‹Schindlers Liste›». Monika Göth! Ich kenne diesen Na- men. So heißt meine Mutter. Meine Mutter, die mich einst ins Kinderheim gab und die ich seit vielen Jahren nicht gesehen habe.
Auch ich hieß einmal «Göth», ich wurde geboren mit diesem Namen, schrieb «Jennifer Göth» auf meine ersten Schulhefte – bis mich meine Mutter zur Adoption freigab und ich den Nachnamen meiner Adoptiveltern annahm. Damals war ich sieben Jahre alt.
Was soll der Name meiner Mutter auf diesem Buch? Ich starre auf den Einband. Im Hintergrund, nur als Schatten hinter dem Schwarz-Weiß-Foto der Frau erkennbar, ist ein Mann mit geöffnetem Mund und einem Gewehr in der Hand zu sehen. Das muss der K Z-Kommandant sein.
Hastig schlage ich das Buch auf und beginne zu blät- tern, zuerst langsam, dann immer schneller. Es enthält nicht nur Text, sondern auch viele Fotos. Die Menschen auf den Bildern – habe ich die nicht schon mal gesehen? Eines zeigt eine junge große Frau mit dunklem Haar, sie erinnert mich an meine Mutter. Auf einem anderen sitzt eine ältere Frau im Englischen Garten in München, sie trägt ein geblümtes Sommerkleid. Ich habe nur wenige Bilder von meiner Großmutter, ich kenne jedes genau: Auf einem davon trägt sie genau dieses Kleid. Unter dem Foto im Buch steht «Ruth Irene Göth». So hieß meine Großmutter.
Ist das meine Familie? Sind das Fotos meiner Mutter und meiner Großmutter? Aber nein, das ist absurd: Es kann nicht sein, dass es ein Buch über meine Familie gibt – un d ich weiß nichts davon!
Schnell blättere ich weiter. Ganz hinten, auf der letzten Seite des Buches, finde ich eine Biographie, sie beginnt so: Monika Göth, geboren 1945 in Bad Tölz. Ich kenne diese Daten. Aus meinen Adoptionsunterlagen. Hier stehen sie, schwarz auf weiß. Es ist wirklich meine Mutter. Hier geht es um meine Familie.
Ich klappe das Buch zu. Es ist still. Irgendwo im Lesesaal hustet jemand. Ich will hier raus, schnell, will allein sein mit diesem Buch. Ich umklammere es wie einen wertvollen Schatz, schaffe es die Treppen hinunter und durch die Ausleihe. Das Gesicht der Bibliothekarin, der ich das Buch hinschiebe, nehme ich gar nicht wahr. Ich gehe auf den weiten Platz vor der Bibliothek. Meine Knie geben nach. Ich lege mich auf eine Bank, schließe die Augen. Hinter mir rauscht der Verkehr.
Mein Auto steht gleich gegenüber, aber ich kann jetzt nicht fahren. Ein paarmal richte ich mich auf und über- lege, ob ich weiterlesen soll. Mir graut davor. Ich möchte das Buch zu Hause lesen, in Ruhe, von Anfang bis Ende.
Es ist ein warmer Augusttag, aber meine Hände sind eiskalt. Ich wähle die Nummer meines Mannes: «Du musst kommen und mich abholen, ich habe ein Buch gefunden. Über meine Mutter und meine Familie.»
Warum hat meine Mutter mir nie etwas gesagt? Bin ich ihr so wenig wert, immer noch? Wer ist dieser Amon Göth? Was genau hat er gemacht? Warum weiß ich nichts von ihm? Wie war das noch mal mit «Schindlers Liste», mit den Schindler-Juden?
Es ist lange her, seit ich den Film gesehen habe. Ich erinnere mich noch, dass es Mitte der neunziger Jahre war, während meiner Studienzeit in Israel. Alle sprachen über Steven Spielbergs Holocaust-Drama. Ich sah es erst später im israelischen Fernsehen, allein in meinem WG -Zim- mer in der Rehov Engel, der Engel-Straße in Tel Aviv. Ich weiß noch, dass ich den Film berührend fand; gegen Ende dann ein bisschen kitschig, zu sehr Hollywood.
«Schindlers Liste» war für mich nur ein Film, er hatte nichts mit mir zu tun.
Warum hat mir keiner die Wahrheit gesagt? Haben mich alle all die Jahre belogen?
(...)
Das letzte Mal traf ich meine Mutter, da war ich einundzwanzig.
Jetzt, mit achtunddreißig Jahren, finde ich dieses Buch. Warum bloß habe ich es unter Hunderttausenden von Büchern herausgezogen? Gibt es so etwas wie Schicksal?
(...)
Mein Mann Götz findet mich auf der Bank vor der Bibliothek liegend. Er setzt sich neben mich, betrachtet das Buch, blättert es kurz durch. Ich nehme es ihm schnell weg. Ich will nicht, dass er zuerst darin liest. Das Buch ist meins, der Schlüssel zu meiner Familiengeschichte. Der Schlüssel zu meinem Leben, nach dem ich all die Jahre gesucht hatte.
Mein ganzes Leben hatte ich das Gefühl, dass etwas mit mir nicht stimmt: Meine Traurigkeit, die Depressio- nen. Aber ich fand einfach nicht heraus, was so grundlegend falsch war.
Götz nimmt meine Hand, wir gehen zu seinem Wagen. Auf der Fahrt nach Hause spreche ich kaum. Mein Mann nimmt sich den Rest des Tages frei und kümmert sich um unsere beiden Söhne.
Ich lasse mich aufs Bett fallen, lese und lese, bis zur letzten Seite. Es ist schon dunkel, als ich den Band zuklap- pe. Ich setze mich an den Computer und recherchiere die ganze Nacht, lese alles über Amon Göth, was ich finden kann. Es ist, als würde ich in ein Gruselkabinett eintreten.
Ich lese über seine Ghettoräumungen in Polen, seine sadistischen Morde, seine auf Menschen abgerichteten Hunde. Erst jetzt wird mir das Ausmaß der Verbrechen bewusst, die Amon Göth begangen hat. Himmler, Goeb- bels, Göring – diese Figuren sind mir sofort präsent. Was Amon Göth genau getan hat, wusste ich nicht. Nach und nach wird mir klar, dass die Filmfigur in «Schindlers Liste» keine fiktive Figur war, sondern ein reales Vorbild aus Fleisch und Blut hatte. Meinen Großvater. Einen Mann, der reihenweise tötete und dem das auch noch Freude be- reitete. Ich bin die Enkelin eines Massenmörders.
*
Jennifer Teege hat eine warme dunkle Stimme mit Münchner Einschlag, einem leicht rollenden «R». Ihr Gesicht ist klar und ungeschminkt, die eigentlich krausen Haare sind zu langen schwarzen Locken geglättet, die schmalen langen Beine stecken in engen Hosen. Wenn sie einen Raum betritt, drehen sich die Köpfe, die Männer schauen ihr nach. Sie geht sehr gerade, ihr Schritt ist fest und entschieden.
Ihre Freunde beschreiben Jennifer Teege als selbstbewusste Frau, voller Neugier und Abenteuerlust. Eine Studienfreundin sagt über sie: «Wenn sie von einem spannenden Land hörte, rief sie: Das kenne ich noch nicht, da fahr ich hin! Und sie zog los, nach Ägypten, Laos, Vietnam und Mosambik.»
Doch wenn sie über ihre Familiengeschichte spricht, zittern immer wieder ihre Hände, und sie weint.
Der Fund des Buches mit der Bibliothekssignatur Mcm O G OET#KESS ist der Moment, der Jennifer Teeges Leben zerschneidet, der es teilt in ein Davor und ein Danach: Davor, ohne das Wissen um ihre Herkunft. Danach, mit dem Wissen um die Geschichte ihrer Familie.
Die Geschichte ihres Großvaters kennt die ganze Welt: In Steven Spielbergs Film «Schindlers Liste» ist der grausame KZ-Kommandant Amon Göth Saufkumpan und Gegenspie - ler des gleichaltrigen Oskar Schindler: Judenmörder gegen Judenretter. Eine Filmszene hat sich ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt: Amon Göth, wie er vom Balkon seiner Villa aus Häftlinge erschießt, seine Form von Morgengymnastik.
Amon Göth war als Kommandant des Konzentrationslagers P?aszów in Krakau verantwortlich für den Tod Tausender Menschen. 1946 wurde er in Krakau gehängt, seine Asche in die Weichsel gestreut. Amon Göths Lebensgefährtin Ruth Irene, Jennifer Teeges geliebte Großmutter, leugnete später seine Verbrechen. 1983 brachte sie sich mit Schlaftabletten um.
Jennifer Teeges deutsche Geschichte: der Opa ein Nazi täter, die Oma eine Mitläuferin. Die Mutter aufgewachsen mit dem bleiernen Schweigen der Nachkriegszeit. Das also ist ihre Familie. Das sind ihre Wurzeln, die sie, das Adoptivkind, immer gesucht hat. Und sie, wer ist dann sie?
Jennifer Teege/Nikola Sellmair: «Amon». Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2013. 272 Seiten, 19,95 Euro/e-Book, 16,99 Euro.
Der Auszug stammt von den Seiten 9 bis 16. Copyright © 2013 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Alle Rechte an dieser Ausgabe vorbehalten Copyright ©2013 Jennifer Teege und Nikola Sellmair