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Was kaufen wir wirklich, wenn wir ein Buch kaufen?

Lesen - Was kaufen wir wirklich, wenn wir ein Buch kaufen?
Fünftklässler des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums Kleve in der Hintzen-Buchhandlung im Mai 2025 © privat

Ein Loblied auf Buchhandlungen im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse vom 15. bis 19. Oktober 2025.

Frank Mehring02.10.2025

Das Leben mit digitalen Buchhandlungen ist möglich, doch in gewisser Weise sinnlos – um ein Bonmot von Loriot in die Gegenwart zu übertragen. Im digitalen Zeitalter stehen traditionsreiche Buchhandlungen unter massivem Druck – seit Amazon die Branche aggressiv umgekrempelt hat, kämpfen viele um ihre Existenz. Doch es geht dabei nicht nur ums Geschäft, sondern um unsere Kultur. Denn Buchhandlungen sind Orte, an denen junge Leser ihre ersten Entdeckungen machen, Familien gemeinsam stöbern, Menschen Sinn statt Dinge suchen. Nicht die berühmten Pilgerstätten wie Shakespeare & Company in Paris oder City Lights in San Francisco stehen hier im Mittelpunkt, sondern die eher unscheinbaren Läden um die Ecke – Räume, in denen Geschichten atmen, wo Bücher von Hand zu Hand wandern und der Buchhändler noch die Namen der Besucher kennt.

"Gute Buchhandlungen haben etwas Besonderes an sich, deren Verlust zum Verlust einer bestimmten Art des Seins in der Welt führen würde", schreibt der in Chicago ansässige Buchhändler Jeff Deutsch. Er stellt damit die entscheidende Frage: Was kaufen wir wirklich, wenn wir ein Buch kaufen?

Mehr als ein Geschäft

Als Leser, Autor und Vater halte ich es für wichtig, dass meine Kinder nicht nur digitale Welten erkunden, sondern auch Räume erleben, in denen faszinierende Geschichten geschrieben, gelesen und empfohlen werden von Menschen, die in derselben Welt, derselben Stadt, demselben Ort verwurzelt sind, zu dem sie eine besondere, idealerweise eine liebevolle Beziehung haben. Aber wie?

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Gründer Hubert Hintzen © privat

Vielleicht indem wir Eltern erkennen, dass wir nicht nur für das Buch bezahlen, das wir mit nach Hause nehmen, sondern für das gesamte Erlebnis in der Buchhandlung, die Gespräche, die Entdeckungen, die Inspiration und das kulturelle Leben der Stadt. Ich möchte behaupten, dass Buchhandlungen wie Bäume in einem Stadtzentrum einen wesentlichen und nachhaltigen Beitrag zur Lebensqualität leisten – etwas, das man nicht herunterladen kann. Ein solcher Ort ist für mich die Buchhandlung Hintzen in meinem neuen Heimatort Kleve.

Jenseits von Filmkulissen

Die Buchhandlung wurde 1925 von Hubert und Paula Hintzen gegründet und hat fast ein Jahrhundert des Wandels überstanden. Heute gilt sie als "literarisches Wohnzimmer" von Kleve und mit ihrem antiquarischen Keller als Lokalgedächtnis – ein Ort, an dem Geschichte, Bücher und Menschen lebendig werden. Um wirklich zu verstehen, was wir kaufen, wenn wir ein Buch kaufen, müssen wir auch begreifen, was uns dabei verkauft wird. Und an dieser Stelle ist Hollywood – der wohl einflussreichste Geschichtenerzähler unserer Zeit – ein denkbar schlechter Ratgeber.

Hollywood hat Buchhandlungen selten als das gezeigt, was sie sind: lebendige, atmende Unternehmen. Stattdessen dienen sie oft als romantische Kulissen für Geschichten über Liebe und Selbstfindung. Filme wie You’ve Got Mail oder Notting Hill präsentieren charmante Buchhändler mit unendlich viel Zeit, und Läden, die auf wundersame Weise von Mieterhöhungen, Amazon oder Excel-Tabellen verschont bleiben. Diese Buchhandlungen sind keine realen Orte – sie sind moderne Märchen auf Zelluloid. Der Mythos, dass sich ein solcher Laden allein aus Leidenschaft und Laune heraus betreiben lässt, hält sich hartnäckig. Ich halte ihn für gefährlich.

Buchhandlungen wie die von Hintzen sind keine Filmkulissen. Sie sind lebendige Archive, kulturelle Werkzeuge und ökonomische Überlebenskünstler. Wer hier ein Buch kauft, investiert in weit mehr als nur eine Geschichte – er unterstützt den Rhythmus, die Wurzeln und den Widerstand eines literarischen öffentlichen Lebens.

Für mich gibt es in diesen Räumen mehr zu entdecken als in jedem Klassenzimmer oder jeder Universitätsbibliothek. Sie sind geradezu magische Orte, an denen Geschichten darauf warten, in den Köpfen der Leser zum Leben zu erwachen. Die Buchhandlung wird so zu einem Musikinstrument unserer Zivilisation. Und am diesjährigen Weltbuchtag wurde Hintzen zu einem Leuchtturm der Freude für mehr als 500 Schulkinder, von denen viele zum ersten Mal eine Buchhandlung betraten.

Bücher, Käse und Kinder

Im Mittelpunkt dieser Feierlichkeiten stand ein liebevoll illustriertes Kinderbuch über eine halb vergessene lokale Heldin: Maria Reymer aus dem nahe gelegenen Rindern. In der Geschichte reist die 21-jährige Maria im Spätsommer des Jahres 1824 entlang des Rheins, um Verwandte auf einer niederländischen Käserei zu besuchen, verliebt sich in den ältesten Sohn und entdeckt in einem sagenumwobenen gelben Buch das Geheimnis der niederländischen Käseherstellung. Nach einer gefährlichen Rückreise mit Boot und Kutsche hilft sie, die Käseindustrie am Niederrhein anzukurbeln, indem sie das Geheimrezept weitergibt. 1825 hat der Käse aus Kleve einen neuen, wohlklingenden Namen – Maria Reymer Jade Gold.

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Hintzen Buchhandlung im Jahr 2025 mit Dekoration zu Maria Reymer - Die Käsespionin. © Privat

Die Buchhändlerin Sigrun Hintzen kontextualisierte die 200 Jahre alte Geschichte, der Autor las daraus höchstpersönlich vor, und Original-Aquarelle mit eindrucksvollen Silhouetten der deutsch-niederländischen Illustratorin Joke Ruijs schmückten die Wände. Am Ende sangen die Kinder zum Klang einer fröhlichen Ukulele das Maria-Reymer-Käselied – und dann kam der eigentliche Zauber: Sie probierten den einst vergessenen Reymer Jade-Gold-Gouda.

Einige Kinder rochen am Käse. Andere prüften, ob auch das Buch nach Käse roch. Ich wartete darauf, dass ein misstrauischer Leser fragte, ob die Seiten essbar seien. Ich hätte es ihnen nicht verübelt – die Geschichte war köstlich. "Wirklich cool!", schrieb eine Lehrerin des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums in Kleve im Schulblog und fügte hinzu: "Am Ende beantwortete die Buchhändlerin noch ganz viele Fragen, wir durften uns in der wunderschönen Kinderabteilung der Buchhandlung umsehen und bekamen jeder eine Ausgabe des Buches Cool wie Bolle geschenkt. "

An solchen Tagen erleben Kinder Buchhandlungen nicht als kommerzielle Geschäfte, sondern als Archive des Staunens – als Orte, an denen Geschichten aus ihrer eigenen Heimat über Generationen hinweg weitergegeben werden. Das Buch wird zum Schlüssel, um seine Stadt, seine Region und ihre Lebensqualität zu lieben. Topophilie – die zärtiche Liebe zu Orten – liegt in der Luft.

Mir wurde klar, dass eine Buchhandlung kein Ort ist, an dem wir Dinge kaufen, sondern an dem wir nach etwas suchen. Nach Ideen. Nach Verbindungen. Nach neuen Möglichkeiten für ein – im Sinne des Soziologen Axel Honneth – gelingendes Leben.

Ein Buch hat seinen Preis.
Aber die Zeit, die man in einer guten Buchhandlung verbringt? Unbezahlbar.

Wenn wir Buchhandlungen am Leben halten wollen, müssen wir ein neues Modell der Unterstützung entwickeln – eines, das über den Preis eines Buches hinausblickt und in die oft stille, aber immer tragende Kraft der Buchhandlungen investiert. Für die Zukunft unserer geistigen Gesundheit, der Lebensqualität unserer Städte und unserer Kinder sind sie kein Luxus. Sie sind eine nachhaltige Notwendigkeit in jeder gerechten Stadt.

Lasst uns also jetzt zu einem Loblied auf Buchhandlungen ansetzen.
Nicht wegen ihres Ruhmes, sondern wegen ihrer Rolle.
Nicht wegen ihrer Vergangenheit, sondern wegen unserer Zukunft.

Ill. 3

Ill. 1: Hintzen Buchhandlung in den 1930ern mit Firmengründer Hubert Hintzen. © Hintzen

 

Ill. 2: Hintzen Buchhandlung im Jahr 2025 mit Dekoration zu Maria Reymer - Die Käsespionin. © Privat

 

Ill. 3: Fünftklässler des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums Kleve in der Hintzen-Buchhandlung im Mai 2025. © Privat