Bonn
Aktuell: Rotary und der Nationalsozialismus
Mit der Beschäftigung mit ihrer Rolle während der NS-Zeit taten sich auch die Rotarier in Deutschland und Österreich jahrzehntelang schwer. Dank einer Forschungsgruppe, die sich mit Blick auf die Convention 2019 in Hamburg bildete, wird nun auch dieses unrühmliche Kapitel kontinuierlich beleuchtet.
Hermann Schäfer, Rotarier in Bonn, hat in seinem Buch "Die Rotary Clubs im Nationalsozialismus. Die ausgeschlossenen und diskriminierten Mitglieder"[1] über 300 Biografien deutscher und österreichischer Rotarier verfasst und in einer umfassenden Einleitung das Verhalten der Clubs von den 1930er Jahren bis in die Gegenwart untersucht. Bei einer Präsentation seiner jüngst nach wenigen Monaten bereits in 2. Auflage erschienenenPublikation im mit fast 300 Personen voll besetzten Bonner Haus der Geschichte sprach Schäfer von "dreierlei Schuld", die die Rotary Clubs auf sich geladen haben.
Deutschland und Österreich hatten im Zeitraum 1932/33 bis 1937/38 in einem gemeinsamen Distrikt insgesamt rund 1.500 bis 1.700 Mitglieder (davon 1.100 bis 1.300 in Deutschland). Rotary wurde von den Nationalsozialisten schon vor 1933 angefeindet als internationale, aus Amerika und angeblich vor allem jüdisch gesteuerte Organisation.
Nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 gab es eine erhebliche Fluktuation von 600-700 Mitgliedern, viele traten aus, nicht wenige, vor allem ab März 1933, traten in die NSADP ein, viele Mitglieder wurden ausgeschlossen. Wer aus politischen Gründen Berufsverbot erhielt, so Oberbürgermeister wie Konrad Adenauer und viele andere, verlor seine Berufsklassifikation und musste die Clubs verlassen. Ihren jüdischen Mitgliedern legten die meisten Clubs den Austritt nahe oder schlossen sie aus, wenn sie nicht freiwillig austraten, spätestens nach den Nürnberger Gesetzen 1935.
Wie die meisten Organisationen passte auch Rotary sich an und bot dem Regime Unterstützung durch Nutzung seiner internationalen Kontakte. Die Governors suchten in Übereinstimmung mit Rotary International die Anerkennung des Regimes, die Gefahren der Diktatur wurden völlig unterschätzt, die Aufrechterhaltung der Clubs und der Ausbau der rotarischen Bewegung war wichtiger als der Schutz jüdischer und aus unterschiedlichsten, meist politischen Gründen vom Regime verfolgter Mitglieder. Es wurden Gemeinsamkeiten der Ziele zwischen Rotary und der NS-Ideologie konstruiert. Die Anbiederung an das NS-Regime nennt Schäfer die "erste Schuld".
Die Tolerierung von Rotary endete nach den Olympischen Spielen 1936. Im September 1937 beschloss Rotary seine Auflösung in Deutschland zu Mitte Oktober; Angebote weiterer Selbstanpassung scheiterten. Mit dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich am 18. März 1938 endete Rotary auch dort.
Nach den Staatsgründungen wurden seit 1949 in Deutschland und seit 1953 in Österreich die Clubs wieder gegründet. Allerdings brauchte Rotary lange, bis es sich intensiver mit seiner Geschichte während der NS-Zeit auseinandersetzte. Über Jahrzehnte, oft bis Ende des 20. Jahrhunderts lautete das dominante Narrativ, die jüdischen Mitglieder seien freiwillig ausgetreten, man habe den "Arierparagaphen" nicht eingeführt und leugnete, dass dieser tatsächlich praktiziert wurde.
Ansätze zur Auseinandersetzung mit der rotarischen Geschichte vor allem in den 1960er Jahren konnten sich nicht durchsetzen oder blieben apologetisch – dies war die "zweite Schuld", die Hermann Schäfer identifizierte.
Es sei "fast symptomatisch", dass das repräsentative Foto der Distriktkonferenz 1935 in Wiesbaden, wo die Rotarier unter der Hakenkreuzfahne tagten (siehe Foto und Buchcover), spätestens 1955 gefälscht wurde (statt Hakenkreuz das Rotarysymbol auf der Fahne) und sogar bis 2017 journalistisch verwendet wurde, obwohl inzwischen einzelne Clubs eine quellenkritische Auseinandersetzung mit dem Thema begonnen hatten. Da es "Gegenwind" gegen die Arbeit der Forschungsgruppe gab, müsse man sich fragen, ob dies eine Art "dritter Schuld" sei. Sein Anliegen und das der Forschungsgruppe: Das Thema selbst aufzuarbeiten, bevor andere Rotary den Spiegel vorhalten.
Die Datenbank der selbstorganisierten und selbstfinanzierten historischen Kommission www.memorial-rotary.de enthält inzwischen die Mitgliederdaten aller Rotarier von 1927 bis in die 1960er Jahre, über 300 Biografien deutscher und österreichischer Rotarier, umfangreiche, vor allem schwer erreichbare, "graue" Literatur und steht der allgemeinen Forschung zur Verfügung.
Zusammen mit der jüngsten, umfassenden Publikation von Hermann Schäfer zum Thema bietet diese Datenbank eine gute Grundlage für die in den kommenden Jahren ab 2027 anstehenden zahlreichen hundertjährigen Jubiläen der Clubgründungen und die aus diesem Anlass zu erhoffenden und erwartenden Festschriften und Publikationen. Schäfer: "Nur mit einer offenen, aktiven Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit tragen die Clubs zu Transparenz und positiver Öffentlichkeitsarbeit von Rotary bei. Wenn dies nicht beherzigt wird, so müssen wir tatsächlich von 'dritter Schuld' sprechen."
- Hermann Schäfer, Die Rotary Clubs im Nationalsozialismus. Die ausgeschlossenen und diskriminierten Mitglieder. Ein Gedenkbuch, Wallstein-Verlag, Göttingen, 1. Aufl. 2024, 2. Aufl. 2025 (ca. 900 S.)
Für Rotarier bei Sammelbestellung über die Clubs (eine Rechnung, Lieferung an eine Adresse) bietet der Wallstein Verlag das Buch für 30 Euro (statt 44 im Buchhandel) an.
Monika Hörig ist seit 2006 Rotarierin, zunächst beim RC Bonn-Rheinbach, dem sie 2011/12 als Präsidentin vorstand. 2016 gründete sie den englischsprachigen RC Bonn-International, dessen erste Präsidentin sie war. Die studierte Althistorikerin und Archäologin war bis 2021 Pressesprecherin der Stadt Bonn. Ab 2024 ist sie Distrikberichterstatterin im Distrikt 1810.
Weitere Artikel der Autorin
12/2025
Hausaufgabenhilfe in Neu-Tannenbusch
11/2025
In Kürze
10/2025
Ästetik der Heilung
10/2025
Ein Rad im Maisfeld
11/2025
Die Mutreiferei: Ein Kindermuseum für morgen
9/2025
Ein Ort der Ruhe
9/2025
Ästhetik der Heilung
Vom Wert internationaler Begegnungen
9/2025
Neues Distriktteam für Rotaract
9/2025
Rotary goes Clubbing
Mehr zur Autorin
