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Klimadiskussion

"Das Meer nicht als Partner verlieren"

Klimadiskussion - "Das Meer nicht als Partner verlieren"
Mojib Latif © Jan Steffen/Geomar

Der Klimaforscher Mojib Latif spricht im Interview über die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels auf das Meer. Jeder Einzelne sei in der Pflicht, sein Verhalten grundlegend zu ändern – nur so könne die Politik unter Druck gesetzt werden.

22.03.2023

Der Weltklimarat hat so drastisch wie nie zuvor vor den Folgen des Klimawandels gewarnt. In seinem Bericht heißt es, man müsse jetzt handeln, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen, aber Sie rechnen damit, dass selbst das Zwei-Grad-Ziel kaum zu halten sein wird.

Das eine ist, was theoretisch noch möglich ist, das andere, was realistisch ist. Der Weltklimarat stellt fest, dass man die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent verringern muss, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. 40 Prozent! Wie soll das gehen? Wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahrzehnte anschaut, stellt man fest, dass der CO2-Ausstoß seit 1990 weltweit um etwa 60 Prozent gestiegen ist. In Deutschland ist er um knapp 40 Prozent gesunken. Man sieht: Es geht schon, aber, wenn man nach Asien schaut, wo die Emissionen explodiert sind, oder nach Afrika, wo kaum CO2 emittiert wird, dann bin ich mir sicher, dass wir die 1,5-Grad-Marke reißen werden.

In Europa und Nordamerika sinken die Emissionen leicht, aber andernorts gibt es starke Nachholeffekte.

So ist es. In Deutschland liegen die jährlichen Pro-Kopf-Emissionen bei etwa acht Tonnen CO2. In Indien bei knapp zwei. Stellen Sie sich mal vor, dass diese 1,3 Milliarden Menschen so viel CO2 emittieren wie wir – dann können Sie alles vergessen. Darum sind wir Deutsche verpflichtet, etwas zu tun. Wer oder was gibt uns denn das Recht, viermal so viele Treibhausgase auszustoßen wie ein Inder? Wegen der hohen Verweildauer des CO2 in der Atmosphäre spielen ja nicht nur die aktuellen Emissionen eine Rolle, sondern auch die historischen. Wenn wir also fragen, wie das CO2, das wir heute messen, in die Luft gekommen ist, dann sprechen wir über die kumulierten Emissionen. Allein die US-Amerikaner haben etwa ein Viertel des CO2, das wir heute messen, in die Luft geblasen, die Europäer auch noch mal ein knappes Viertel. Die alten Industrienationen haben also auch eine historische Verantwortung.

Darum fordern Sie eine Klimaallianz von Ländern, die vorangehen und "es einfach machen". Wie könnte so etwas aussehen, wenn China und Russland nicht mitziehen?

Es geht ja schon los. Wegen des schrecklichen Krieges versuchen wir und andere Länder, unabhängiger von den fossilen Brennstoffen zu werden. Wie schade und traurig, dass es dafür erst den Krieg gebraucht hat! Und plötzlich sehen wir: Es geht nicht nur ums Klima, nicht nur um die Umwelt, sondern es geht auch um die langfristige Sicherung unseres Wohlstands. Schauen Sie sich diese Schizophrenie unseres Energiesystems doch an: Wir kaufen für viel Geld fossile Energieträger zu, statt viel stärker Sonne und Wind zu nutzen, die es kostenlos gibt. Aber das ist nicht nur eine Frage der Umwelt und der Ökonomie, sondern auch der weltweiten Sicherheit. Die Diskussion um die Energiewende steht auf einmal auf einer viel breiteren Basis. Man muss das Ganze viel weiter denken: Klimaschutz ist auch ein Innovationsmotor und fördert neue Technologien. Wir vergeuden immer noch Energie ohne Ende, vom Autofahren – Stichwort SUV – bis zu Stand-by. Von daher hoffe ich, dass die Welt diese Lektion jetzt gelernt hat, wir in Deutschland auf jeden Fall.

Wie wirkt sich der immer stärker steigende CO2-Gehalt in der Atmosphäre auf die Meere aus?

Wir sprechen ja über die globale Erwärmung, und die betrifft die Meere natürlich auch. Und diese Erwärmung stresst die Meeresökosysteme. Ein Beispiel aus den tropischen Meeren ist die gefürchtete Korallenbleiche, an der immer mehr Korallen sterben. Die Meere haben über 90 Prozent der durch den Anstieg des CO2 zurückgehaltenen Wärme aufgenommen. Sonst wäre es schon viel wärmer an der Erdoberfläche. Sie nehmen aber nicht nur Wärme auf, sondern auch CO2, derzeit etwa ein Viertel. Was dann passiert, weiß man aus dem Chemieunterricht: Wasser, also H2O, und CO2 wird zu H2CO3, also zu Kohlensäure. Die Meere versauern. Das macht den Meeresökosystemen extrem zu schaffen. Was dann auch noch hinzukommt, ist eine Sauerstoffarmut im Zuge der Erwärmung, weil wärmeres Wasser Gase schlechter lösen kann, also auch Sauerstoff, und sich Meeresströmungen ändern. Die Sauerstoffminimumzonen oder Todeszonen, in denen kaum Sauerstoff vorkommt, vergrößern sich.

Um das Korallensterben zu vermeiden und dem Klimawandel einen Schritt voraus zu sein, arbeiten Forscher weltweit an einer sogenannten "assistierenden Evolution". Darf der Mensch gezielt in den maritimen Lebensraum eingreifen, um ihn zu erhalten?

Na ja, das ist natürlich auch eine ethische Frage. Aber wir greifen ja ohnehin schon ein. Selbst bei einer Erwärmung von 1,5 Grad werden mehr als die Hälfte der Korallen sterben, bei zwei Grad werden praktisch alle Korallen tot sein. Insofern müssen wir uns schon überlegen, was wir dem durch den Klimawandel verursachten Korallensterben entgegensetzen können. Denn die Korallen sind ein Hort der Artenvielfalt, Kinderstube für viele Fische. Der Klimawandel trägt zum Artensterben bei, aber das Artensterben per se ist schon ein riesiges Problem.

Wie wirken sich denn ein sinkender pH-Wert, also ein erhöhter Säuregrad, und steigende Meerestemperaturen auf das Leben am und im Meer aus?

Beides stresst das Leben im Meer. Vergessen Sie aber bitte nicht zwei weitere Faktoren: Erstens den Anstieg der Meeresspiegel, Küstenschutz wird ein immer größeres Thema. Und zweitens das Einleiten von Giftstoffen oder Plastikmüll. Das kann man alles nicht unabhängig voneinander betrachten. Davon ist auch der Tourismus betroffen. Wer möchte sich schon an vermüllten Stränden oder in schleimigem Meerwasser erholen, in das zu viele Phosphate eingeleitet wurden? Das maritime Leben bildet auch einen Grundpfeiler unserer Welternährung. Wenn dieser Grundpfeiler wegen des Klimawandels einerseits und der Überfischung andererseits wegbricht, verlieren Millionen Menschen ihre Existenzgrundlage. Ökosysteme sind fragil und können schnell kippen, manchmal ohne Vorwarnung. Das ist die große Gefahr.

Seit einigen Jahren rücken die Polarregionen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Welche Rolle spielen sie beim Klimawandel im Allgemeinen und bei der Versauerung im Speziellen?

Die Polarregionen sind ganz besonders durch die Versauerung betroffen, weil sich Gase in kaltem Wasser besser lösen, also auch das CO2. Messungen zeigen schon heute, dass der pH-Wert in den Polarregionen am stärksten sinkt. Und dann kommt natürlich noch die Eisschmelze hinzu, die Auswirkungen hat auf Meeresströmungen, was ganze Ökosysteme durcheinanderbringen kann. Alle Ökosysteme im Meer und an Land haben sich über Jahrtausende an die Verhältnisse angepasst. Im Meer transportieren Strömungen nicht nur Wärme, sondern auch Nährstoffe. Wenn dieser Zufluss ausbleibt, verändert sich alles.

Das Meer versauert nicht nur, sondern ist auch die größte Müllhalde der Welt. Erstaunlich ist, dass sich Mikroplastik am stärksten in den Polarregionen konzentriert.

Es konzentriert sich schon woanders, vor allem in den großen Meereswirbeln der Subtropen. Aber man findet es mittlerweile überall, auch in der Arktis und in den tiefsten Stellen des Arktischen Ozeans. Im Nordpazifik gibt es beispielsweise den Great Pacific Garbage Patch, einen riesigen Strudel von kleinen Plastikmüllpartikeln. Die sind so klein, dass man sie auf Satellitenbildern nicht erkennt.

Ich habe gerade eine Studie gelesen, nach der Forscher auf Spitzbergen in einem Kilogramm Sediment 13.000 Teilchen Mikroplastik gefunden haben. Wie kommt das alles in diese abgelegene Region?

Hauptsächlich über die Meeresströmungen, die Arktis steht in Verbindung mit dem Weltozean. Aber natürlich zeigt Ihr Beispiel, was für eine hohe Verweildauer Plastik hat. Die längste haben übrigens Angelschnüre und Geisternetze von Fischtrawlern, die bleiben bis zu 500 Jahre im Meer. Wenn sich Plastikmüll zu Mikroplastik zersetzt hat, ist es für das menschliche Auge nicht mehr erkennbar, aber es ist ja immer noch da und wird Teil der Nahrungskette. Es ist eine Illusion zu glauben, dass man das jemals wieder rausbekommt. Es lässt sich auch nicht rausfiltern, ohne Kleinstlebewesen zu zerstören. Hier gilt wie beim CO2, dass wir Plastik erst gar nicht produzieren sollten. Das ist die billigste und sinnvollste Art und Weise, das Problem zu lösen.

Ein Ende der Plastikflut ist nicht in Sicht. Voraussichtlich wird sich die Plastikproduktion bis 2045 von derzeit 80 auf 160 Millionen Tonnen verdoppeln.

In den allermeisten Lebewesen sind heute schon Spuren von Mikroplastik nachweisbar. Je mehr sich davon im Meer befindet, desto mehr nehmen wir über die Nahrungskette auf. Außerdem müssen wir darauf schauen, wie die Weltmeere CO2 aus der Atmosphäre entfernen, nämlich auf zwei Arten. Es gibt die chemische Pumpe, das heißt, das CO2 löst sich und wird in die Tiefe verfrachtet. Und zweites gibt es die biologische Pumpe. Das CO2 wird zur Fotosynthese genutzt oder in Schalen eingebaut, und wenn diese Organismen sterben, sinken sie zum Grund, wo das CO2 gebunden bleibt. Aber die Effizienz dieser Mechanismen nimmt ab, wenn die Meeresökosysteme leiden. Darum ist Meeresschutz insgesamt so, so wichtig, damit wir das Meer nicht als Partner verlieren.

Was müsste passieren, um den Klimawandel wirklich einzugrenzen?

Theoretisch ist das ganz einfach. Wir müssen den weltweiten Ausstoß von Treibhausgasen schnellstens senken und bis zur Mitte des Jahrhunderts auf Null kommen. Das ist eine gigantische Herausforderung. Wir müssen uns von den fossilen Brennstoffen verabschieden. Es ist nicht unmöglich, denn wir haben kein Energieproblem auf dieser Erde, Sonne oder Wind sind im Überfluss vorhanden. Wir müssen den politischen Willen aufbringen, eine globale Energiewende hinzubringen. Das erfordert eine internationale Kooperation, nicht nur beim Klima, aber diese ist leider nicht in Sicht. Außerdem erfordert das eine Verhaltensänderung von uns allen. Wenn die Bürger nicht mitziehen und ihr Verhalten nicht grundlegend zu ändern bereit sind, können sie auch die Politik nicht in die Pflicht nehmen. Das sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben, da kann sich niemand wegducken.

Das Gespräch führte Björn Lange.


Zur Person:

Professor Mojib Latif gehört weltweit zu den bekanntesten und einflussreichsten Klimaforschern. Er lehrt an der Universität Kiel und forscht am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Latif ist Präsident der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome.

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Buchtipp:

Mojib Latif
Countdown: Unsere Zeit läuft ab – was wir der Klimakatastrophe noch entgegensetzen können

Verlag Herder 2022, 224 Seiten, 22 Euro