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Rotary Entscheider

Die Welt retten? „Es ist mein Versuch, ja!“

Rotary Entscheider - Die Welt retten? „Es ist mein Versuch, ja!“
Ein Stand am Wiener Schwendermarkt war der Beginn und ist noch immer geliebtes Herzstück des Unternehmens © Hubert Nowak

Die Geschäftsidee von Cornelia Diesenreiter, überschüssige Lebensmittel zu verwerten, hat das Potenzial dazu. Die Wachstumskurve ist jedenfalls beeindruckend.

01.07.2024

Um für den Handel immer alles verfügbar zu haben, werden Lebensmittel systematisch mit gewaltigem Überschuss produziert – und dann weggeworfen. Es wundert Cornelia Diesenreiter selbst, dass vor ihr noch niemand auf die Idee gekommen ist, diese Überschüsse oder auch sonst unverkäufliches Obst und Gemüse aufzufangen und daraus ein Geschäft mit neuen Produkten zu machen. Ihr Unternehmen bietet zugleich das gute Gefühl, gegen die Verschwendung anzukämpfen.

Ist diese Firma Ihr Beitrag, die Welt zu retten?

Es ist auf jeden Fall mein Versuch, ja!

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Cornelia Diesenreiter und ihr Bruder Andreas leiten die Firma gemeinsam, aber mit unterschiedlichen Kompetenzen © Hubert Nowak/Evi Huber

Laut WWF gehen allein in Österreich pro Jahr mehr als 167 Millionen Kilogramm Obst und Gemüse in der Landwirtschaft verloren, werden weggeworfen und nicht verkauft. Wie viel davon können Sie auffangen?

Leider nur einen Bruchteil. Mittlerweile werden uns viel mehr Überschüsse angeboten, als wir tatsächlich verarbeiten können. Die kommen überwiegend aus der Landwirtschaft. Aus privaten Gärten können wir aus logistischen Gründen gar nichts annehmen. Wir haben im Vorjahr circa 600 Tonnen gerettet und zu Produkten wie Marmelade, Chutney oder Sirup verarbeitet. Aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Kann man damit die Welt retten?

Eben nicht, aber es geht um den Gedanken, von der Theorie zum Handeln zu kommen. Von der Feinkost über die große Kooperation mit Hofer unter der Marke „Rettenswert“ setzen wir Schritte mit dem Ziel, Ansprechpartner für Lebensmittelüberschüsse aus der vorgelagerten Wertschöpfungskette zu werden und die passende Lösung für jeden Überschuss zu finden. Das ist natürlich eine Lebensaufgabe.

Da ist Potenzial für eine internationale Größe. Streben Sie das an?

Auf jeden Fall. Wir wollten das schon viel früher erreichen, aber unser Ernährungssystem ist so komplex, dass es noch viel Arbeit ist, diesen Blueprint zu zeichnen und das über Lizenzen oder Franchise auszuweiten.

Das muss also nicht unbedingt unter Ihrer Eigentümerschaft erfolgen?

Ich kann mir alles vorstellen, was dazu beiträgt, dass weniger Lebensmittelabfälle anfallen.

Sie haben 2015 mit 500 Gläschen selbst eingekochter Marmelade begonnen, ein Jahr später waren es schon zehnmal so viel, und 2023 waren es drei Millionen Produkte. Weltweit werden Millionen Tonnen verschwendet. Ist da der Traum, zu einem Weltkonzern zu werden?

Warum nicht? Es geht um die wirtschaftlichste Weise, Lebensmittelüberschüsse in der Wertschöpfungskette zu erhalten. Das heißt nicht, dass alles wir selbst verarbeiten, sondern dass wir vermitteln, wie man Überschüsse für die Industrie, die Gastronomie oder auch für soziale Einrichtungen verfügbar machen kann. Wenn bei einem Bauern 25 Tonnen Kürbisse übrig bleiben, dann weiß das die Gastronomie in Wien natürlich nicht. Es geht also darum, eine Schnittstelle oder eine Art Börse zu schaffen, wo Angebot und Nachfrage zusammenkommen.

Gibt es dafür schon ein konkretes Unternehmenskonzept?

Ja, wir wollten schon 2019 mit der Unverschwendet-Überschussbörse anfangen, da ist uns dann Corona dazwischengekommen, aber jetzt wollen wir das wieder vorantreiben.

In welchen Produktgruppen funktioniert denn die Rettung am ehesten?

Wir haben mit dem traditionellen Handwerk angefangen und Marmelade hergestellt. Das kennt jeder selbst, wenn im Sommer im Garten mehr wächst, als man essen kann. Mittlerweile wagen wir uns auch an industrielle Überschüsse heran. Wir haben zum Beispiel letztes Jahr in einer Kooperation mit Manner aus deren Backüberschüssen einen Gin gebrannt. Das heißt, in der Lebensmittelproduktion fallen von vielen Seiten Ströme an, die aktuell noch als Abfall bewertet werden, weil die Firmen selbst keine Verwendung dafür haben. Darin liegt viel Potenzial, und die Bandbreite ist enorm.

Sie verkaufen Ihre Produkte im eigenen Marktstand und online, aber auch über Supermarktketten wie Billa plus. Es ist wohl für jeden Produzenten, der so wie Sie in einer kleinen Küche begonnen hat, ein großer Schritt, bei einem Konzern wie Hofer gelistet zu sein. Wie kam es zu dieser Kooperation?

Es geht über die Liste hinaus, das ist eine Hofer-Eigenmarke in Kooperation mit uns. Ein sehr ambitionierter Hofer-Einkäufer wollte mit uns eine Aktion mit einem Unverschwendet-Produkt machen, und da habe ich vorgeschlagen, wir könnten doch gemeinsam die Überschüsse aus der vorgelagerten Wertschöpfungskette auf den Markt und in die Masse bringen. Das hat ein bisschen Überzeugungsarbeit gebraucht. Aber jetzt sind wir sehr glücklich über die Kooperation, die ja wirklich ein großer Hebel ist.

Aber die Produktion liegt in Ihren Händen?

Nein, die liegt bei Produzenten von Hofer. Aber wir sind die Überschusslieferanten, und wir überwachen die Einhaltung der Standards, die wir gemeinsam mit Hofer für die Marke Rettenswert ausgearbeitet haben. Generell ist es so: Wir sind ein Team von 20 Leuten, wir organisieren die Beschaffung der Überschüsse aus der Landwirtschaft, die Produktentwicklung, die Koordination der Produktion, Marketing, Vertrieb, Controlling und so weiter, aber die Produktion und der Online-Shop sind ausgelagert.

Hofer gehört ja zum Konzern Aldi. Gibt es demnach schon Pläne für den Vertrieb in Deutschland?

Unser Wunsch wäre es auf jeden Fall. Aber das Segment der Überschussrettung ist ja noch völlig neu. Wir kennen nichts in Europa, wo ein Supermarkt mit einem Start-up kooperiert. Wir müssen jetzt einmal die Marke in Österreich etablieren. Ein Diskonter ist doch eine ganz andere Herausforderung, als kleinchargige Feinkost zu produzieren. Überhaupt gibt es ja nur wenige Initiativen wie unsere – auch in Deutschland –, die sich länger halten.

Wie hat eigentlich alles begonnen? Sie haben ja zunächst nur einen Verein gegründet.

Das war 2015. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, in Oberösterreich, und schon meine Mutter war sehr naturverbunden, die hat sehr früh als Gartenrebellin Unkraut stehen gelassen, Insektenhotels gebaut und Biomilch gekauft. Das hat mich früh geprägt. Ich habe das Tourismuskolleg besucht und bin dort gelernte Köchin geworden, weil ich unbedingt was mit Lebensmitteln machen wollte. Ich habe schon von meiner Oma gelernt, dass Lebensmittel einen Wert haben und war dann ganz irritiert darüber, dass es Menschen gibt, die völlig entkoppelt von dem leben, was da dahintersteckt.

Was war dann sozusagen das Erweckungserlebnis?

Ich habe in einer großen Kantine gearbeitet und habe tiefgefrorene Schnitzel in die Fritteuse geschmissen und Kartoffelsalat aus einem Kübel geholt. Ich habe mir auch die Spitzengastronomie angeschaut, aber da war ich schon entzaubert vom romantischen Bild der Köchin.

Sie haben Bioressourcenmanagement studiert. Das klingt schon sehr zielgerichtet nach einem Unternehmensplan.

Na ja, ich habe Recht und Wirtschaft in Salzburg studiert und gelernt, wenn es überall nur um Gewinnmaximierung und Effizienzsteigerung geht, braucht es ein Kontrastprogramm zu dieser wirtschaftlichen Ausrichtung. Mit Bioressourcenmanagement wollte ich schauen, wie man zwischen diesen Welten eine Brücke bauen kann. Dann habe ich in England noch nachhaltiges Produktdesign studiert.

So kam also alles zusammen. Aber warum haben Sie als Verein begonnen und nicht gleich als Unternehmen?

Weil ich nie vorhatte, mich selbstständig zu machen. Ich hatte nur eine Vision. Ich habe lange einen Job im Bereich Lebensmittelabfallvermeidung gesucht und nichts gefunden, da habe ich einen Verein gegründet und schnell gemerkt, wie groß das Potenzial ist. Mein Bruder kommt aus der Multimedia-Branche, der hat mich unterstützt mit einer Webseite, und da kam die Idee, es gemeinsam groß zu machen. Das war der Sprung in die Selbstständigkeit, und jetzt leiten wir gemeinsam diese Firma. Wir ergänzen uns in unseren Kompetenzen. Ich bin die Expertin für Nachhaltigkeit, für Rechtliches und Wirtschaftliches, und Andreas ist bei uns der kreative Geist, er kümmert sich um Kommunikation, Marktauftritt und solche Dinge.

Verbindet sich für Sie die Philosophie der Nachhaltigkeit auch mit den ethischen Grundwerten von Rotary?

Ja, in beidem geht es um Zusammenhalt, das ist die Verbindung. Gemeinsam sind wir stark. Das gilt für Rotary und unsere Initiative.

Das Gespräch führte Hubert Nowak.


Zur Person:  

DI Cornelia Diesenreiter, RC Wien-Gloriette, geb. 1987, studierte Wirtschaft und Recht in Salzburg, Bioressourcenmanagement in Wien und nachhaltiges Produktdesign in London. 2015 Gründung eines Vereins gegen Lebensmittelverschwendung, 2016 Gründung und seither Leitung des Unternehmens Unverschwendet gemeinsam mit ihrem Bruder.

unverschwendet.at