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Coronapandemie

Managementstrategien im Gesundheitswesen

Coronapandemie - Managementstrategien im Gesundheitswesen
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Die bisher in Deutschland weitgehend beherrschte Covid-19 Pandemie zeigt deutlich, wie wichtig das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems in Krisenzeiten ist. Um für zukünftige Pandemiekrisen gewappnet zu sein, sollten nun die nächsten Schritte eingeleitet werden. Was müssen zukünftige Strukturen leisten?

24.07.2020

Die mit der ersten Covid-19-Infektionswelle in Deutschland verbundenen Pandemieängste haben sich tief in das Bewusstsein der Bevölkerung eingebrannt. Gegenwärtig scheint die Wiederherstellung eines gesundheitlichen Sicherheitsgefühls in der Gesellschaft von ähnlich umfassender und den Lebensalltag durchdringender Bedeutung zu sein. Damit ist auch eine Bedrohung der persönlichen Gesundheit im Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis verbunden. Die Gefährdung des bisher gewohnten Lebensstils, und die existenzielle Angst vor persönlichen Wohlstands-, Freiheits- und Lebensqualität-Verlusten sind in den letzten Monaten ganz in den Vordergrund gerückt.

Der Staat sollte proaktiv für die gesundheitliche Sicherheit seiner Bürger*Innen in der nun beginnenden Epoche permanenter Pandemie-Bedrohungen, analog zum militärischen Sicherheitsbedürfnis, sorgen. Eine leidens- und schadensminimierende Pandemiebekämpfung wird den Erhalt und die Festigung des Vertrauens der Bevölkerung in den Staat fördern. Die staatlichen Institutionen sind verpflichtet, das in sie gesetzte Vertrauen durch effektives Pandemie-Management zu rechtfertigen. 

Vorschläge für Optimierungsansätze

  • Zwang zur internationalen Zusammenarbeit

Der offensichtliche Zwang zur internationalen Zusammenarbeit im Rahmen der globalen Pandemiebekämpfung muss zukünftig dazu führen, dass eine effiziente und inhaltlich abgestimmte supranationale Pandemiepolitik ausgebaut wird (u.a. in den Handlungsfeldern Pandemieprävention/-detektion, Bekämpfungsprotokolle und Pandemiemonitoring, Begleitschäden-Berücksichtigung).

  • Vermeidung von Zielkonflikten

Gesundheitlicher Wohlstand muss sich in einer Balance mit ökonomischer Absicherung befinden. Dabei sollte das gesundheitliche Wohlergehen der Bevölkerung weiterhin als wichtigstes Ziel im Vordergrund stehen, und volkswirtschaftliche Zielsetzungen diesem Ziel dienen. 

Eine klare gesellschaftspolitische Prioritätensetzung wird notwendig zur staatlichen Finanzierung der zukünftig erforderlichen Pandemie-Aufgaben (u.a. Vorhaltung von Versorgungskapazitäten, klinischer Kompetenzaufbau, Ausbildung von Fachkräften). 

  • Entwicklung eines Nationalen Pandemierats 

Es sollte ein Nationaler Pandemierat (NPR) aufgebaut werden, der aus einer multidisziplinären und wissenschaftlich fundierten Perspektive heraus, und unter der Kontrolle des Parlaments, das Pandemiewissen aktuell zusammenführt und rationale Fachempfehlungen an die politischen Entscheider übergibt. Der NPR bereitet alle Pandemiemanagement-Entscheidungen unter Berücksichtigung ethischer Stellungnahmenm des Deutschen Ethikrats vor. Die Auswirkungen der getroffenen Entscheidungen werden wissenschaftlich evaluiert. Das Robert-Koch-Institut (RKI) sollte zukünftig die organisatorische Plattform für den NPR zur Verfügung stellen. Es sollten alle ein bis zwei Jahre regelmäßige Stresstests für die im Pandemiemanagement aktiven Institutionen durchgeführt werden. Dabei sollte auch das aktuelle medizinisch-wissenschaftliche Fachwissen (u.a. aus der Epidemiologie, Virologie, Hygiene, Katastrophenmedizin) bilanziert und Empfehlungen für zukünftigen Forschungsbedarf gegeben werden.

  • Installation eines Pandemie-Frühwarnsystems

Der staatliche Gesundheitsschutz der Bevölkerung sollte, mithilfe von Investitionen in ein neues supranationales Frühwarnsystem für übertragbare Erkrankungen, und eine kontinuierliche Prüfung der gesundheitlichen Bedrohungslage, angestrebt werden. Auch ist eine Definition der systemrelevanten Faktoren der Pandemiebekämpfung (z.B. ausgebildetes und verfügbares Fachpersonal) und eine Festlegung der hierfür notwendigen und dauerhaft vorzuhaltenden Infrastruktur (insbesondere Technologie, Bauten, Ausstattung) notwendig.

  • Gesundheitsinformationen und Hysterieprävention

Primär nationale wissenschaftliche Datenquellen müssen die Generierung aktueller Kennzahlen zur Pandemieentwicklung ermöglichen. Erfolgreiches Pandemiemanagement ist sowohl als gesundheitliche als auch psychische Herausforderung zu sehen. Um zu vermeiden, dass beispielsweise Falschnachrichten unheilvolle Wirkungen entfalten, sollte eine kontinuierliche und systematische Medien- und kommunikationswissenschaftliche Analyse vorgenommen werden. Ziel sollte es sein, den realitätsverfremdenden Auswirkungen solcher Falschinformationen entgegenzutreten.

  •  Pandemien-Versorgung als neuer Teilbereich des Gesundheitssektors

Das Pandemiemanagement sollte, neben den bereits bestehenden Schwerpunkten Prävention, Akutversorgung und Rehabilitation zu einem neuen eigenständigen Teilbereich des Gesundheitssektors und der bestehenden gesundheitsrechtlichen bzw. sozialrechtlichen Gesamtstruktur werden. Als neuer zusätzlicher Leistungsbereich innerhalb des Gesundheitswesens wird das Pandemiemanagement flächendeckend, übersektoral und kompetenzbündelnd organisiert. Die sozialrechtliche Umsetzung der Vergütung für die pandemiebezogene Patientenversorgung sollte umfassend im Sozialgesetzbuch SGB V verankert werden, und würde damit Bestandteil des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die Vermeidung von Unter- bzw. Überversorgung sollte durch die Kriterien und Vorgaben eines Nationalen Pandemieplans unter Federführung des NPR
angestrebt werden. Krankenhäuser sollten zukünftig in der Lage sein, zwei Patientenströme gleichzeitig zu versorgen: Nicht-pandemiebedingt erkrankte Patient*Innen und Pandemie-assoziierte Erkrankungsfälle. Dieser neue Versorgungsalltag wird voraussichtlich den Klinikbetrieb positiv beeinflussen. Die bauliche und personelle Infrastruktur ist hierfür anzupassen.

Ausblick
Um ein leistungsfähiges Pandemiemanagement innerhalb unseres freiheitlich-demokratischen und öffentlich finanzierten Gesundheitssystems aufzubauen, sind fachliche und versorgungsethische Zielsetzungen zu berücksichtigen.

Die aktuelle Bereitschaft, das Gesundheitswesen und die Gesellschaft pandemiefester aufzustellen, sollte genutzt werden. Entscheidend wird im Ergebnis sein, was über die aktuelle Planung hinaus schlagkräftig und zeitnah in neuen Krisensituationen zum Wohl der Bevölkerung praktisch realisiert werden wird. 

Der fachliche und gesellschaftliche Diskurs in der Post-Covid-19 Epoche bietet die Chance für notwendige Veränderungen, die körperliche und psychische Leiden, posttraumatische Störungen und vor allem Todesfälle auf ein mögliches Minimum reduzieren können.

Klaus Mann
Em. Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel, Universitätsklinikum Essen 

Thomas Kapitza
Institut für biomedizinische Ethik und Geschichte der Medizin, Medizinische Fakultät Universität Zürich; Sachverständigenbüro Kapitza, Germering