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Baden blickt auf 900 Jahre Geschichte

Mehr als Bollenhut und Kuckucksuhr

Harald Siebenmorgen12.10.2012

Es gibt Badische und Unsymbadische“, ist schon seit Jahrzehnten auf Autoaufklebern zu lesen. Baden will eine besondere unter den Regionen Deutschlands sein: „Paradies am Oberrhein“, „Toskana Deutschlands“, der Schwarzwald „Sehnsuchtsort der Deutschen schlechthin“.

2012 feiert Baden die erstmalige Erwähnung des Namens vor 900 Jahren. In einer Urkunde Kaiser Heinrichs IV. wird ein „Markgraf von Baden“ erwähnt, und man weiß, dass dieser neben Gebieten am Neckar (wo Baden später Stuttgart gründete) oberhalb des römischen „Aquae“ (heute Baden-Baden) eine Burg errichtete. Verschiedentlich traten badische Markgrafen – vom 16. bis 18. Jahrhundert in zwei Linien geteilte – in der Geschichte hervor: am Hof der Staufer, während der Reformation, in den Türkenkriegen, in den territorialen Strategien Napoleons. Damals vergrößerte sich Baden zu einem Mittelstaat von Main bis an den Bodensee, auch wenn das Bestreben nach Anschluss Frankfurts und Nürnbergs oder gar der Schweiz scheiterten und statt des Königstitels nur die etwas parvenühafte Großherzogswürde zufiel. Schon aufgeschlossen für die Ideen der Französischen Revolution, war die badische Bevölkerung oft wie 1848/49, 1918 und zuletzt gegen das AKW Wyhl zu revolutionärer Erhebung fähig. Und Baden besaß mit der 2. Landtagskammer im Karlsruher Ständehaus ab 1818 das erste gewählte Parlament und – kurzlebig – 1849 die erste demokratische Republik auf deutschem Boden. In der Bronzeskulptur „Zeitgeist und Staatsschiff“ des Bildhauers Hermann Volz, ein Geschenk ganz Badens an Großherzog Friedrich I. zum 70. Geburtstag 1894, manifestierte sich das Selbstverständnis des Landes als damaliges „Musterländle“: Getragen von der Allegorie des – frei nach Hegel – „Zeitgeistes“, steuert das badische Staatsschiff mit dem Großherzog am Ruder in eine optimistische (liberale) Zukunft.

Wohlfühlseligkeit und rauhe Wirklichkeit

„Schaffe, putze, Spätzle schaben, so machen sie’s in Schwaben. Vögle, saufe, Joint in der Hand, so machen sie’s im Badner Land!“, skandierte man in den 68ern in Freiburg. Aber die erzbadische Libertinage und Wohlfühlseligkeit ist auch schon manchem aufs Gemüt geschlagen. Das wird etwa deutlich, wenn z.B. die Schriftstellerin Theresia Walser letztes Jahr bekannte, dass etwa in Freiburg „die Schönheit immer nur bewundert werden will“ und man hier „noch nicht einmal das Recht habe, „unglücklich zu sein“. Der Philosoph Fritz Mauthner, auf dessen Grabstein in Meersburg übrigens „Vom Menschsein erlöst“ steht, erzählte, wie sich Fremde von ihm angesichts der Bodenseelandschaft verabschiedeten: „Wunderbar, unbeschreiblich hier. Aber wie können Sie es das ganze Jahr hier aushalten?“ Und wenn Annette Pehnt in ihrem schönen Campusroman „Hier kommt Michelle“ 2010 über ihre „Sommerstadt“ Freiburg schreibt, dass dort „Einsamkeit und in ihrem Gefolge all die Lebenskrisen, Zweifel und Sinnfragen nicht so recht zum Zuge“ zu kommen scheinen, bleibt zu erinnern, dass in keiner deutschen Stadt die Suizidquote unter jungen Leuten so hoch ist wie in Freiburg.
Auch der Schwarzwald war nicht immer so idyllisch und deutsch wohlig gewesen. 1781 warnte ein Reiseführer vor einem Besuch im Schwarzwald: „Wer sich unter diese Wilden Deutschlands wagt und ein halbes Jahr, ohne todt geschlagen oder von ihren Hunden zerrissen zu werden, lebe, werde uns eine eben so curieuse Beschreibung liefern können, als Cook von Neuseeland.“ Es war eine raue Wirklichkeit, die sich in den dunklen Tälern, verstreuten Siedlungen und Einödhöfen des Schwarzwaldes bis zum Aufkommen des Tourismus vollzog, die außer der Holz- und Landwirtschaft durch den Erfindungsreichtum der Glasherstellung, der Uhrenmacherei, Schnefler- und Strohflechterhandwerk ein karges und oft brutales Leben mit sich brachte.

Baden und der Schwarzwald: Das sind auch Assoziationen unvermeidlicher Klischees wie Bollenhut, Kuckucksuhr, Kirschtorte und Schinken. Der rote Bollenhut, der historisch nur in vier (im 18. Jahrhundert zunächst württembergischen) Gemeinden des Kinzigtales von unverheirateten Frauen getragen wurde, gilt heute als „Markenzeichen“ des Schwarzwaldes, ja ganz Baden-Württembergs; die Schwarzwälder Kuckucksuhr ist bis heute z.B. in arabischen Ländern verbreitet und ein beliebtes amerikanisches und japanisches Souvenir.
Der Künstler Stefan Strumbel (geb. 1979) hat Weltkarriere gemacht durch seine kritisch-sarkastische, aber liebevolle Interpretation dieser touristischen Imageträger. Strumbel rückt sie in neue Zusammenhänge, z.B. mit einer Kirchenausstattung, Bollenhüten in Darstellungen militanter Aufmärsche oder Memento-Mori-Szenarien. Strumbel thematisiert einen kritischen Heimatbegriff, bei der die Liebe zur Heimat gerade in der Dekonstruktion der Klischees, in der Ironie gegenüber der „Zersetzungsangst“ des Liebvertrauten (Peter Sloterdijk) zum Ausdruck kommt. Spektakulär hat Strumbel auf diese Weise 18 Meter hoch den Mittelrisalit des Karlsruher Schlosses, den Ort der Landesausstellung 900 Jahre Baden, gestaltet.

Suche nach dem „Badischen“

Hinter der Landesausstellung steht die oft gestellte Frage, was denn das spezifisch Badische, quasi das Badische am Badischen sei. Zweifellos ist der Südwesten eine von Klima und Vegetation ausgezeichnete Region, besitzt mit Schwarzwald, Bodensee, Markgräfler Land, Heidelberg oder Baden-Baden Orte und Regionen, in denen andere Urlaub machen. Kunst und Kultur von der Ottonenzeit über die Gotik in Freiburg und Konstanz, die Barockschlösser, die weltweit dichteste Zahl von Planstadtgründungen (Freiburg, Freudenstadt, Mannheim, Rastatt, Karlsruhe, Neubreisach), bis zum Jugendstil und der Moderne kommen hinzu. Es werden Antworten gegeben wie die „Badische Lebensart“, der Freiheitsdrang, die Liberalität, die transnationale Verbundenheit mit dem Elsass und der Schweiz.

Gerade die Verbundenheit mit dem Nachbarn Frankreich hat Baden bis heute geprägt – in Kriegen und Katastrophen, aber auch einer exemplarischen Freundschaft, die die Grenze längst überwunden hat. Das hat Baden – im Herzen des Kontinents – besonders empfänglich für den Europa-Gedanken gemacht. Wie weit dies schon in Baden verbreitet war, demonstrierte eine Abstimmung im Jahre 1950. Die „Europa-Union“ von Eugen Kogon wählte drei deutsche Städte aus zu einer Volksbefragung „Sind Sie für die Beseitigung der politischen und wirtschaftlichen Grenzen innerhalb Europas und für den Zusammenschluss aller europäischen Völker zu einem europäischen Bundesstaat?“. In Breisach stimmten (bei einer Wahlbeteiligung von 87,5 Prozent) 95,6 Prozent mit „Ja“. Im Jahre 1890 erschien in Freiburg eine pseudonyme Schrift mit dem Titel „Freiburg im Frühling 1980. Auszug aus einer Reisebeschreibung am Ende des 20. Jahrhunderts“. Sie schildert – neben den Zeichen des technischen Fortschritts wie Hochbahn, Fluggerät oder Straßenrolltreppe – die Existenz des „Königreichs Elsbaden“, mit der Hauptstadt Straßburg, der Zweitresidenz Freiburg und dem badischen Großherzog als König. Geografisch, historisch und kulturell stehen sich beide Regionen sehr nahe, „zwei Seiten eines aufgeschlagenen Buches“, wie der große pazifistische Schriftsteller René Schickele (1883–1940) schrieb.

Baden steht jedenfalls für die Weltoffenheit, die Hermann Hesse, dessen Aufenthalt auf der Höri im Bodensee 1904–11 in der Ausstellung angesprochen wird, 1919 so schön in seinem „Allemannischen Bekenntnis zum Ausdruck gebracht hat: „Das alemannische Land hat vielerlei Täler, Ecken und Winkel. Aber jedes alemannische Tal, auch das engste, hat seine Öffnung nach der Welt.“

Harald Siebenmorgen

Prof. Dr. Harald Siebenmorgen (RC Karlsruhe-Schloß) ist ein deutscher Kunsthistoriker. Von 1992 bis zur Pensionierung 2014 war er Direktor des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe.

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