https://rotary.de/bildung/eine-lobby-fuer-die-hauptschueler-a-10471.html
RC Achim

Eine Lobby für die Hauptschüler!

RC Achim - Eine Lobby für die Hauptschüler!
Schulschiff Deutschland: Hauptschüler erhalten hier Unterstützung und den letzten Schliff in Sachen Bewerbung. © RC Achim (alle Fotos)

Hauptschüler und -schülerinnen haben einen schweren Stand in unserer Gesellschaft. Viele Ausbildungsbetriebe haben Vorbehalte, sie für ihre freien Ausbildungsplätze einzusetzen.

20.03.2017

Die Firmen formulieren ihre Ausschreibungen so, dass Hauptschüler sich gar nicht erst bewerben müssen. Und: in den Hauptschulen herrscht ein hoher Anteil von Schülern und Schülerinnen mit Migrationshintergrund. Sollten dies Gründe sein, sich nicht um diese jungen Menschen zu kümmern, soll man zuschauen, wie sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden?

Der Achimer Rotary Club sagt: Nein - gebt den Schülern eine Chance, eine Lobby, ein Netzwerk. Denn eines der Grundprinzipien von Rotary lautet, keine Menschen auszugrenzen. Diesen Grundsatz lebt der Achimer Club seit nunmehr zehn Jahren, indem er die zehnten Klassen der Liesel-Anspacher-Schule in Achim (eine Hauptschule) auf eine ganz besondere Weise fördert und fordert.

Einmal aufs Schiff in Sachen Ausbildung

In jeweils zwei Durchgängen werden pro Jahr zwischen 50 und 70 von ihnen für drei Tage auf die "Schulschiff Deutschland" in Bremen-Vegesack eingeladen. Dort sitzen buchstäblich alle im selben Boot und werden sowohl von den Trainern des RC Achim als auch von weiteren ehrenamtlichen Helfern und den Lehrkräften intensiv betreut.

Darüber hinaus sind ausreichender Schlaf, kein Alkohol und eine feste Aufgabenverteilung beim gemeinsamen Leben an Bord die Regeln, um diese Tage gemeinsam zu gestalten.

Hauptschüler, Bewerbung, Beruf, Ausbildung, RC Achim, Achim
"Was macht ich eigentlich besonders, wie sieht meine Marke ICH aus?" - Eine Frage, die es zu klären galt.

Die Trainer bereiten die Schüler und Schülerinnen darauf vor, wie ein echtes Bewerbungsgespräch abläuft. Im Anschluss daran absolviert jede und jeder mindestens zwei Bewerbungsgespräche mit anschließendem Kritikgespräch. Dabei wird die Situation eines solchen Gespräches realistisch simuliert und anschließend positive Kritik angebracht, denn für viele der jungen Leute ist es keine alltägliche Erfahrung, gelobt zu werden. Erst nach der Besprechung der positiven Eindrücke wird auf das Verbesserungspotential hingewiesen, um gemeinsam herauszuarbeiten, was den Bewerber einzigartig macht -  die Marke ICH.

Firmen stellen sich vor

Parallel dazu stellen sich Unternehmen aus der Region vor, die Ausbildungsplätze zu vergeben haben. Das sind Handwerksbetriebe, Handelsfirmen, Arztpraxen bis hin zu Großunternehmen wie Airbus. Es werden die beruflichen Anforderungen und Möglichkeiten aufgezeigt und Tipps zum Bewerbungsverfahren gegeben. Nicht selten werden Praktikumsplätze direkt an Bord vereinbart.

Als gemeinsamer Nenner an Bord gilt für alle Beteiligten der gegenseitige Respekt. Es gilt, Augenhöhe zu bewahren, wenngleich dies für manchen Schüler, manche Schülerin eine neue, ungewohnte Position ist. Mit Respekt wird dem Nachwuchs seitens der Trainer und der Firmenvertreter begegnet, unter den Schülern müssen unpassende Verhaltensweisen vermieden und das Zuhören bei Themen, die nicht alle interessieren, geübt werden.

Bereits zuvor wurde in der Schule gemeinsam mit den Lehrkräften ein persönliches Profil erstellt. In diesem Profil werden die individuellen Interessen und Stärken herausgearbeitet und die Frage beantwortet: Wieso gerade ich, weshalb sollte ein Ausbildungsbetrieb Interesse an meiner Person haben?

Jeder ist etwas Besonderes

Es wird deutlich gemacht, dass jeder Schüler und jede Schülerin etwas Besonderes ist. Soziale und fachliche Kompetenzen sind in aller Regel da, sie müssen nur geweckt und mit Selbstvertrauen dargestellt werden.  Ergänzt werden die Profile durch professionelle Bewerbungsfotos, die den Schülern und Schülerinnen zur Verfügung gestellt werden.

Alle Profile und Fotos werden anschließend in einer Broschüre „Eine(r) von uns!“ zusammengefasst. Diese Broschüre wird an fast 900 Betriebe im Umkreis versendet, die Ausbildungsplätze anbieten. Im Laufe der Jahre wurde eine Quote von fast 50 Prozent erreicht, was den Beginn einer Ausbildung angeht. Diese Zahl ist um ein Vielfaches höher als im niedersächsischen und bundesweiten Durchschnitt.

Rotarische Aktion für die Finanzierung

Die Gesamtkosten des Projekts liegen zwischen  10.000 und  15.000 Euro pro Jahr und werden zur Hälfte durch die Bundesagentur für Arbeit gedeckt. Die andere Hälfte, zusätzlich zu den vielen ehrenamtlichen Stunden, deckt der Rotary Club Achim. Dies wäre nicht möglich ohne den Reinerlös der Rotary Stadttombola Achim, bei der Jahr für Jahr 40.000 Lose für verschiedene gute Zwecke in Achim und Umgebung verkauft werden.

Hauptschüler, Bewerbung, Beruf, Ausbildung, RC Achim, Achim, D1850
Betreut werden die Hauptschüler auch nach dem Tagen auf dem Schiff.

Auch nach den Tagen auf dem Schiff werden die Schüler betreut, sei es bei weiteren Trainingseinheiten zu Bewerbungsgesprächen oder als Hilfestellung bei Bewerbungen. Auch die Vermittlung von Ausbildungs- und Praktikumsplätzen nimmt der Rotary Club Achim im Einzelfall wahr.

Und die Rotarier stellen nach nunmehr zehn Jahren fest, dass sich der Aufwand mehr als lohnt. Die meisten jungen Menschen gehen aufrecht von Bord, selbstbewusster und auch ein bisschen stolz. Neben den messbaren Erfolgen zählt insbesondere die Tatsache, dass die Schüler und Schülereinnen begreifen, dass sie nicht alleine dastehen, dass sie ein Netzwerk aufbauen und nutzen können sowie erfahren, dass auch sie eine Lobby haben.

Rotary Club Achim