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Ruanda — ein Reisebericht

 - Ruanda — ein Reisebericht
Große Freude bei fast 700 Schülern in der neu gebauten Schule © Christiane Sandvoß

Ralf Hardenberg war Teil der Delegation, die zur Eröffnung einer Schule — ein Projekt des Distrikts 1850 — nach Ruanda flog. Hier erzählt er, was er erlebte.

01.03.2023

Die Reise —Peter Klöckner gewidmet und seinem großen Herz:

Der Start — 20. Januar 2023


Du landest früh am Morgen in Brüssel, total aufgeregt und dann passiert es das erste Mal: Schon von Weitem winkt Dir ein fröhlicher Mensch zu, in bunter Kleidung und mit Rotary-Kappe und -T-Shirt. Gerd Beckmann, strahlt, begrüßt Dich stürmisch und dann geht Dir eben das Herz auf. Kommt Luzia noch dazu und es ist um Dich geschehen. Es wird eine Reise, die unsere Herzen weit öffnet – eine Reise in ein kleines afrikanisches Land mit seinen großartigen Landschaften und Naturwundern. Eine Reise zu Menschen, die uns so sehr berühren, mit ihrer Schönheit, ihrem Stolz, ihrer Lebensfreude und ihrer Geschichte, die unserer so nah ist. Eine Reise zu ihren Kindern, eine Reise, die niemanden unberührt lässt. Eine Reise in die Zukunft.

Vor Beginn der Reise
Die Spannung steigt! Vorbereitungstreffen, eine WhatsApp-Gruppe, Buch- und Filmtipps, die richtigen Stecker, Listen für Hilfsmittelspenden für das Krankenhaus, Impfempfehlung durch einen Pneumologen, Notfallmedikation, Malariaprophylaxe oder Standby-Medikation, Moskitonetze und wirksames Mückenspray. Sind Wanderstöcke sinnvoll und was ist die richtige KleiDung? So mancher fährt noch schnell in die große Stadt, zum Outdoorladen und kommt mit tropen- und buschtauglicher Tarnkleidung zurück.

Hohes Reisefieber

Brauchen wir Geld, wie ist die Währung und gelten unsere Kreditkarten, gibt es eigentlich Geldautomaten? Kopie der Ausweise und Tickets werden erstellt und per Email an sich selbst und damit auf die Handys gesendet. By the way: Welche SIM-Karte?

Jeder kennt die Adresse der Deutschen Botschaft in Kigali, die der Hotels, unserer Reiseagentur vor Ort. Listen für das Kofferpacken, Namensschilder, Teilnehmerlisten. Steigendes Reisefieber. Doch: Die Reise ist sicher und durch Jessica Kunkel von der Prime Promotion so gut vorbereitet und begleitet, dass sich niemand ernsthaft sorgen müsste. Doch all das ist gut für das Gefühl des Abenteuers einer Reise nach Ostafrika. Und das alles hilft, dass die Reise ohne Probleme und mit nur kleinen gesundheitlichen Störungen verläuft.

Mit einer Stunde Verspätung starten und landen wir, das Flugzeug fliegt noch weiter nach Entebbe. Die Einreiseformalitäten in Kigali sind – dank guter Vorbereitung – leicht zu bewältigen. Zack Reisepass, zack Name des Hotels, zack 50 Euro für das Visum und schon sitzen alle im Bus. Ein erstes Buffet und ein erstes Briefing im Hotel. Aus der Kälte kommend sitzen wir plötzlich draußen am Pool auf der Terrasse: Afrika! Morgen geht es in den Akagera Nationalpark.

Erinnerung und Tiere

Kolonnenfahrt. Der Protokollant sitzt im letzten Wagen (Nr. 07 später 007) und sorgt sich, ob das eine gute Position ist. Ach säße ich doch nur im ersten Wagen! Die, die sich noch nicht kennen, stellen sich nun vor. Richard ist der Fahrer und Begleiter des ersten Wagens und ein Supertyp. Shitao ist der Fahrer des letzten Wagens und ein Supertyp. Ab geht’s.

Doch zunächst in das Genocide Memorial in Gisozi, drei Kilometer vom Stadtzentrum von Kigali entfernt. Es ist ein Ort der Erinnerung, ein Ort des Lernens, damit sich diese schrecklichen Ereignisse (Völkermord von 1994) nicht wiederholen. Die Gedenkstätte arbeitet eng mit der internationalen Shoa-Gedenkstätte in Jerusalem Yad Vashem zusammen. — Unsere Geschichte und die Geschichte des Völkermordes in Ruanda sind so ähnlich! Eine Bevölkerungsgruppe wird als minderwertig und bösartig diskriminiert, es werden strenge Gesetze erlassen, über Zeitungen und Radio schlimme Nachrichten verbereitet, Propaganda, Politiker schüren mit wüsten Reden Hass... Dann ein Ereignis, ein Brand, ein Hubschrauberabschuss und dann bricht es los: 1994. Mehr als 1.000.000 Menschen werden innerhalb von drei Monaten auf schrecklichste Weise massakriert. Unvorstellbare Grausamkeiten, ein Blutrausch erfasst das Land. Keine Familie bleibt unberührt. Erst der militärische Sieg des heutigen Präsidenten beendet den Wahn. Täter können mit Hilfe ausländischer Organisationen ins Ausland fliehen, so wie viele Nazis über die Rattenlinie mit Hilfe des Vatikans nach Südamerika.

Abfahrt. So schnell kannst Du das gar nicht fassen. Auf der langen Autofahrt in den Nordosten an die Grenze zu Tansania, in den Akagera Nationalpark, zunächst nur Schweigen. Und: Jetzt verstehst Du langsam, warum es gleich beim ersten Zusammentreffen hieß, dass wir Sitzfleisch benötigen, denn lange Autofahrten sind eine der Charakteristika dieser Reise. Auf Asphalt zunächst, dann über Schlaglochpisten, ruckelig, auf und ab und in alle Richtungen spürst Du sie in jener Muskulatur, auf der Du sitzt, die African Massage. Besonders auf den mittleren Plätzen, hinten. Denn das sind Hilfssitze. Doch zeigt sich schon hier das freundliche Miteinander in der Gruppe. Es wird rotiert und so "darf" jeder einmal in die Mitte.

Endlich zeigt sich das Tor zum Nationalpark. Die Akagera Lodge wartet. Doch haben wir noch Zeit für eine erste kurze Safari. Gerd Beckmann war schon mehrfach hier und ist außerdem ein Löwen-Fan. Doch niemals sah er einen. Die Pisten sind staubig und hüllen uns, insbesondere das letzte Auto, in rötlichen Staub. Plötzlich halten die sieben Wagen und als der Staub sich legt: "...dort, links oben, dort auf der kleinen Anhöhe im hohen Gras, siehst Du die Löwin..." Die Giraffen rechts sind plötzlich Nebensache.

Mit diesem wunderbaren Gefühl geht's in das Hotel. Dort verschlägt es Dir den Atem: eine Terrasse, ein geschwungener Pool, die untergehende afrikanische Sonne und dann ein weiter Blick über den Lake Ihema und die fantastische Hügellandschaft, von der Du weißt, dass sie allein den Tieren gehört. Von hier bis in die Serengeti.

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Beobachtungen am Wegesrand

Nächster Tag: Early Breakfast und Aufbruch in den Nationalpark. Zunächst Besuch des Informationszentrums. Nach dem Genozid war der Park leer, auch die Wildtiere wurden Opfer des Blutrausches. Der Park verlor zwei Drittel seiner Fläche, weil Weideland für Viehzüchter gebraucht wurde. Doch dann wurden sie wieder etabliert: Giraffen, Antilopen, Flusspferde, Seeadler, Zebras, Büffel, Elefanten und sogar Löwen (seit 2015). Als letzte zogen (2017) 18 Nashörner aus Südafrika ein. Es ist ein Wunder: Afrikas Natur wiederbelebt sich, als sei nichts gewesen, sie fressen, flüchten, vermehren sich. Fotos! Fast vier Stunden fahren wir auf den holprigen Pisten des Parks, immer wieder hält der Konvoi mit seinen sieben Autos, um eine neue Sensation zu bewundern.

Die Wege werden immer abenteuerlicher, wir überholen einen liegengebliebenen Toyota – Achsbruch. Erstaunlich dahinten, weit entfernt von Fluss oder See, trottet ein riesiges Flusspferd durch den Busch. Ganz allein. Das machen sie, wenn sie sich verletzt haben und das Wasser ihren Wunden nicht gut tut. Für eine Weile, dann aber zurück in den Fluss mit dem Pferd. Und für uns: Lieber nicht aussteigen, Pause später!

Der Park ist wieder das Naturwunder, das er über Jahrtausende war, lange bevor er Nationalpark war, 120 Kilometer lang und 15 km breit, mit wunderbaren Hügeln, Seen, Flüssen und bis auf die Besucher auf ihren Buckelpisten, unberührt. Danke Ruanda! Passt gut auf euren Schatz auf!

Am Parkausgang werden die Lunchpakete verteilt und verzehrt und dann geht es  auf die lange Reise zurück nach Kigali. Es wartet das "Hôtel des Milles Collines" und Reiner Meutsch von "Fly&Help", der uns für einen Tag begleiten wird.

Hôtel Ruanda

Das Hotel ist ein historischer Ort, Schauplatz eines Dramas, in dem mehr als 1.000 Menschen in der Zeit des Genozids vor ihren Schlächtern gerettet werden konnten. Der Hoteldirektor, Paul Rusesabagina war ein Held, doch nun wurde er entführt und sitzt mit einem Urteil von 25 Jahren Haft im Gefängnis. Im Hotel kannst Du die schrecklichen Ereignisse noch spüren. In jedem Raum, am Empfang, in den Bars, am Pool, dessen Wasser die Belagerten, von den Mördern bedroht, trinken mussten, um zu überleben.

In diesem Hotel wurde die groteske Aufteilung Ostafrikas durch die Kolonialmächte verhandelt, die bis heute Unfrieden, Hass und Krieg hervorruft. Unsere Vorväter, mehr noch Belgier und Franzosen zogen willkürliche Grenzen quer durch Ethnien und Traditionen. Anschließend wurden Mehrheiten und Minderheiten gegeneinander ausgespielt, wurde geteilt und geherrscht, bereicherten sich korrupte Eliten und begründeten so das Elend bis heute. Mögen die Bemühungen der ostafrikanischen Gemeinschaft zur Gründung einer ostafrikanischen Föderation erfolgreich sein und diese Spaltung überwinden!

Zurück in das "Hôtel des Milles Collines": Mit dem Aufzug geht es in den fünften Stock und dort, auf der Terrasse hoch über der Stadt hast Du einen fantastischen Ausblick, zehntausende Lichter leuchten in den Straßen und Häusern der Metropole — Afrika. Gerd Beckmann in Hochform, Reiner Meutsch kommt dazu, Umarmungen. Neun Freunde aus dem Rotary Club Kigali Virunga sind eingeladen und deren Präsident stellt seine Mitglieder als Söhne und Töchter vor.

Reiner Meutsch spricht. Seine Geschichte und die Berichte über sein großes Lebenswerk findet jeder im Internet. Reiner verspricht, dies werde die Reise unseres Lebens und dass niemand von uns unverändert von dieser Reise zurückkehrt. Ob das stimmt?

Ser Abend findet seinen Ausklang an der Bar am Pool. Tische werden zusammengerückt,Wein bestellt und die Gespräche gehen noch lange weiter... Die Aufregung ist groß: Morgen wird unsere Schule eingeweiht!

Auf zur Schule

Am nächsten Morgen kommt ein achter Wagen dazu für Reiner Meutsch und Begleiter. Nun steht uns die lange Autofahrt nach Rukore bevor und die Kinder warten schon.

Es wird niemals langweilig, aus dem Fenster zu schauen, ein farbenfrohes Leben spielt sich auf der Straße ab. Kinder winken uns zu. Mütter tragen schwere Lasten auf dem Kopf. Der Verkehr dicht, in den Städten wimmeln rote Transportmotorräder, dass einem schwindelig wird. Hunde siehst Du nicht. Nach dem Blutrausch mit seinen zahllosen Leichen auf den Straßen mussten sie erschossen werden. Ruanda ist das Land ohne Hunde.

Ein weiteres Transportmittel, eigentlich DAS Transportmittel, sind die Fahrräder und Du glaubst nicht, was sie alles auf ihren Gepäckträgern transportieren. Baumaterial, Möbel, Zuckerrohr und ganze Bananenstauden, so schwer, dass Du sie nicht einmal heben könntest. Ruanda ist das Land der tausend Hügel, bergauf sind die Lasten so schwer, dass sie die Räder schieben müssen, nicht selten zu zweit. Unter der afrikanischen Sonne, endlos, wirklich endlos bergauf. Niemand von uns würde das auch nur eine Viertelstunde schaffen. Manche haben eine oder mehrere Ziegen an der Leine und gelegentlich siehst Du einen mit einem Schwein wandern. Interessant.

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Eincerster Bliuck auf die Schule...

Ein Fest zum Empfang

Je näher wir an die Schule kommen, desto ländlicher wird die Region, desto ärmlicher die Hütten. Manche Kinder stehen traurig mit zerschlissenen Kleidern und ohne Schuhe am Straßenrand. Lachen und winken dann doch
unserem ungewöhnlichen Konvoi zu. Wir werden eine Stunde zu spät ankommen. Dann endlich sind wir dort, raus aus den Autos und schon beginnt das Fest. In einem endlosen Spalier stehen in ihren Schuluniformen die Jungen rechts, die Mädchen links und empfangen uns mit Tanz und Gesang. Germany! Germany! – Ganz nebenbei sind wir also gute Botschafter für unser Land.

Dem kann sich niemand entziehen, einige versuchen es, indem sie fotografieren und filmen, doch dann überwältigt auch sie die Emotion. Der Protokollant erreicht die Schule kurz vor den anderen, die noch mit den Kindern singen und feiern. Mein Eindruck: "Sie ist so schön, Gerd. So liebevoll gebaut, so groß, hell, aus wertvollen, nachhaltigen Materialien, Hunderte holzfeste Schulbänke." Sogar eigene Toiletten gibt es, die wir nach der langen, langen Anreise kurz aufsuchen müssen.

Doch dann geht’s los. Ein Band wird zerschnitten und Hunderte Menschen stürmen feiernd auf den Schulhof.
Wir sitzen mit Eltern, Lehrern und Honoratioren unter einem Sonnendach, die Kinder auf ihren Bänken,  Dorfbewohner säumen in bunten Kleidern den Ort. Sie feiern uns mit rhythmischen afrikanischen Liedern und Tänzen. Wir feiern mit ihnen die Eröffnung dieser Schule. Gerd hat für 400 Kinder geplant, 680 Kinder sind gekommen. Eng sitzen sie in ihren Schulbänken, die, die keinen Platz gefunden haben, stehen etwas traurig, aber mit festem Willen dabei zu sein, daneben. Sie wollen hier lernen, sie wollen Durch Bildung ein besseres Leben.

Sie haben wunderbare traditionelle Tänze. Wie sie strahlen und mit welchem Gespür für die Rhythmen sie sich bewegen. Eine kleine Tänzerin, sie mag vielleicht sechs oder sieben Jahre alt sein, überragt alle. Mit ihrer Lebensfreude, ihrem zauberhaften Lachen, ihrer Schönheit. Möge sie ein glückliches Leben haben.

Ein kleiner Junge mit geistiger Behinderung stolziert umher, er wird niemals auf diese Schule gehen können, an diesem Nachmittag findet er Trost in den Armen unserer Katharina, die nun sei es erwähnt, eine wirkliche Bereicherung für unsere Reisegruppe ist.

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GespannteAufmerksamkeit bei denReden zur Eröffnung

Nun Ansprachen und Grußworte, das muss sein. Dauert wegen der notwendigen Übersetzung etwas länger. Die
Kinder schwitzen in der Sonne. Zum Abschluss gibt es eine kleine Stärkung in den Schulräumen und einen bewegenden Abschied. Gerd bleibt noch bei der Schulleitung, um weitere Projekte zu besprechen. Reiner
Meutsch ist schon losgefahren, um in Namibia weitere Schulen zu eröffnen.

Abstecher in die Ambulanz

Unsere Fahrt bringt uns zu dem Buschkrankenhaus von Dr. Uta Döll und schon steht die Ärztin nach ihrem langen Arbeitstag bei uns und begrüßt uns herzlich. Sie berichtet uns, dass es in Ruanda eine flächendeckende Krankenversicherung gibt, so dass die Menschen Zugang zum Gesundheitssystem haben. Wir sehen ihre Ambulanz und das Labor, in dem im fluoreszierenden Licht säurefeste Stäbchen zu sehen sind, unser Pneumologe hat sie gleich erkannt. Die Tuberkulose ist neben Malaria eines der großen medizinischen Probleme des Landes. Ihr Krankenhaus ist das Centre des Santé de Gikonko und zuständig für die Versorgung von etwa 27.000 Menschen.
Doch kommen viele Patienten von weither in dieses Krankenhaus, weil sich herumgesprochen hat, wie gut die
Ärztin operiert, beispielsweise Kinder mit "Wasserkopf".

Dr. Uta Döll ist Ordensschwester der Benediktinerinnen und gelernte Allgemeinchirurgin. Sie ist – so vermute ich – eine der letzten großen Allrounderinnen der Medizin auf dieser Welt. Chirurgin, Gynäkologin, Geburtshelferin, Internistin, Pädiaterin und vieles mehr. Unter anderem auch Krankenhausmanagerin. Sie ist die einzige Ärztin vor Ort, hat aber Unterstützung durch bestens ausgebildete Krankenschwestern und -pfleger.

Wir besuchen die Mütter mit den Kindern mit "Hydrozephalus", denen Dr. Döll Shunts implantiert, um den Hirndruck zu entlasten. Eines ist sichtbar so schwer krank, dass die Hilfe zu spät kommt. Wir besuchen die Mütter mit ihren Neugeborenen, auch das von heute, dass sich gerade ziemlich unbeholfen auf die Suche nach der Brust macht. Uta lässt die jungen Mütter sich manchmal etwas länger auf der Neugeborenenstation ausruhen, weil sie weiß, dass sie, wieder zu Hause, sofort aufs Feld müssen.

Ruandisches Familienleben

Mehr als vier Kinder leben im Durchschnitt in einer Familie. Die Rolle der Männer unrühmlich zu nennen, wäre grob verharmlosend. Sie lassen die jungen Frauen im Stich, gehen fremd, lehnen jede Form der Empfängnisverhütung ab. Sterilisation des Mannes? Jetzt ist’s aber mal genug.

Das exponentielle Bevölkerungswachstum in Ruanda stellt jeden Fortschritt in Frage. Aus dieser Welt eine bessere
Welt zu machen, in der auch in Zukunft Menschen gut leben können, erfordert in aller erster Linie Verhaltensänderungen der Männer. Nicht nur in Ruanda.

Und noch eine andere Geschichte: die der Drohnen, mit denen in Ruanda Blutkonserven von einer zentralen Blutbank zu den Krankenhäusern geflogen werden. Mit einem wissenden Lächeln führt uns Dr. Döll auf einen kleinen Platz vor ihrem Krankenhaus. Plötzlich ein leichtes Surren, ein unbekanntes Flugobjekt rauscht heran, ein Klick, eine rote Box, die an einem kleinen Fallschirm hinuntersegelt und von Peter aufgefangen wird und schwupps ist die Drohne wieder weg.

Applaudissement! Sie ist etwa 80 km von der Blutbank zum Krankenhaus nach Huye geflogen, punkt- und zeitgenau bringt sie die Blutkonserve vorbei. Das hätten wir, so eine erfahrene Blutbankmitarbeiterin, auch in Niedersachsen gerne – sprich: Deutschland ist hier das Entwicklungsland und Ruanda hat die Lösung. Am Abend wird es eine spontane Spendensammlung für das Krankenhaus geben.

Trip zu den Pygmäen

Aufbruch: Es geht zu den Twa, den Pygmäen in Ruanda. Ein Volk, über das man nicht sprechen darf, denn seit dem Genozid gibt es in Ruanda die gesetzliche Regel, dass jede Form der Ethnizität in der Sprache tabu ist. Hutus werden nicht mehr Hutus genannt und Tutsi nicht mehr Tutsi. Aber auch die Twa dürfen nicht mehr Twa genannt werden und geraten dabei immer mehr in die Isolation, sind vom Aussterben bedroht. Mit Begleitung ihrer Kinder stapfen wir einen steilen Hügel hinauf und werden in ihrem kleinen Dorf mit Trommelschlag und Tanz begrüßt. Sie sind berühmt für ihre eleganten Tänze. Hunderte Augen beobachten uns. Es sind die Buschfrauen, die für uns tanzen und uns hinter ihrer Hütte in Windeseile zwei perfekte Krüge töpfern.

Das ist ihr Lebensunterhalt, neben etwas Landwirtschaft und Viehzucht. Sie tragen ihre Töpferwaren zum lokalen Markt, doch werden sie dort schlecht bezahlt. Sie sind wirklich sehr arm, hoffentlich hilft ihnen unser Besuch etwas. Armut und Freude, sie tanzen, lachen, die Kinder rasen auf einfachen Holzrädern den Hügel hinab.

Auf zu den Gorillas

Abfahrt zum Hotel "Mater Boni". Morgen werden sich die Gruppen trennen, denn einige wollen Gorillas sehen.
Trotz der absehbar langen Fahrt von Butare nach Ruhengeri zum Vulcano Nationalpark, dem Zuhause der Berggorillas, machen wir einen Abstecher: nach Murambi zum Genocide Memorial. Es liegt in einem Talkessel umgeben von hohen Hügeln. Hierher hatten sich Zehntausende Tutsis geflüchtet, weil sie hofften, in einem noch nicht fertiggestellten Schulkomplex ihren Mördern zu entkommen. Sie entkamen nicht, etwa 43.000 Tutsi wurden innerhalb weniger Tage mit Macheten, Messern, Speeren, Sicheln und Knüppeln ermordet. Wenige konnte
entkommen, in ein Kloster auf einem der Hügel, das heute noch zu sehen ist. Dort fand ein zweites Massaker statt.

Es ist ein Ort der stillen Schreie. Ein freundlicher Museumsmitarbeiter hat die Türen für uns aufgeschlossen und beginnt mit der Führung. Zunächst geht es durch die Ausstellung. Die Parallelen zum Holocaust sind unmittelbar. Es ist unsere Geschichte. Die Schulgebäude sind zu Gedenkräumen geworden. Hier lagern, den Baracken von Auschwitz gleich, Kleidungsstücke, Schuhe der Ermordeten. Sie haben sie exhumiert und ihre mumifizierten Körper weiß eingekalkt. Dort liegen sie nun zu Hunderten auf großen Holzemporen. Stille Schreie. Schweigen. Fotografieren verboten. Einige können es nicht ertragen, hinein zu gehen.

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Auf dem Weg zu weiteren Stationen der Reise immer wieder Einblicke in das einfache afrikanische Leben

Dort, ein Volleyballfeld. Franzosen wurden zur Hilfe gerufen und schickten ihre Soldaten. Sie haben Täter geschützt und außer Landes gebracht. Sie haben das Töten weiter zugelassen und sich mit dem Ballspiel vergnügt, als sich neben ihnen Tausende von Leichen aufhäuften. Willst Du es wirklich wissen? Nachts sind sie zu den Frauen der Opfer in die Hütten gestiegen und haben sie vergewaltigt. Manche mussten bis zu zehn Soldaten pro Nacht ertragen.
Zunächst bist Du still, fühlst nichts. Doch ich verrate euch, wenn ich das heute schreibe, beschreibend mich erinnere, dann kommen mir  wieder die Tränen.

Zusammen mit dem Institut für Rechtsmedizin der Universitätsklinik Eppendorf in Hamburg (UKE) haben sie begonnen, die Verstorben zu untersuchen. Viele Körper liegen konserviert, ausgestellt in Vitrinen. Sie wurden für die Ausstellung "Never Forgotten, Never again"(2022) wissenschaftlich untersucht. Ihre Verletzungen, ihre Todesursachen. Aus Respekt vor jedem einzelnen Leben.

Dort liegt ein Kind, vielleicht fünf Jahre alt, ein Junge. Seine Jacke ist noch erhalten. Sein Körper grotesk verzerrt. Sie haben ihm mit ihren Macheten die Beugesehnen in den Knien und die Achillessehnen zerschlagen, dass er nicht weglaufen konnte. Später haben sie ihm schwere Verletzungen am Hinterkopf zugefügt und schließlich mit den Hieben der Macheten in seinen Nacken getötet. Sein verletzter Kopf ist verdreht, sein Mund steht offen, Du siehst die Zähne, angedeutet noch die Zunge und nun siehst Du, dass er mit einem furchtbaren Schrei gestorben
ist, der in diesem Moment erfror. — Komm näher. Dort auf seiner Jacke, siehst Du? Ein kleiner rosaroter Aufnäher. Ein fröhlicher süßer rosa Elefant.

Das Kind, die Liebe seiner Eltern, die ihm die Elefantenjacke geschenkt haben, seine unvorstellbaren Verletzungen, der Schrei – in diesem Korpus ist ein Augenblick verewigt, in dem Du das Wesen der Menschen erkennst. Es ist alles da, alles gleichzeitig, die Liebe und der Hass. Nur die Situationen lassen das eine oder andere herausbrechen. Wir müssen die Situationen früh erkennen und verhindern.

Es kommt der Gedanke: Alle Menschen sind gleich an Würde, auch jeder der 43.000 in Murambi. In Auschwitz, Srebrenica, in Armenien, Kambodscha, der Ukraine... Irgendwann sollten sie hier die Verstorbenen begraben, damit ihre Seelen Ruhe finden. Interessant ist der Umgang mit den Tätern. Die sind nicht der staatlichen Gerichtsbarkeit unterworfen worden, sondern den traditionellen Gerichten der Dörfer. Sind verurteilt und eingesperrt in ihren Gefängnissen. Müssen für ihren Lebensunterhalt arbeiten. Ganz in Orange oder Pink gekleidet, erkennst Du sie an den Straßen und Reisfeldern. Flamingos.

Wir verlassen Murambi, ein kurzes Gedenken in Stille, noch lange werden wir in unseren Autos schweigen.

Und dazu: Eine Brautgesellschaft

Lange Fahrt bis nach Ruhengeri mit kurzen Pausen, niemals wird uns der Blick aus dem Fenster, die Straße langweilig. Es ist ein schönes Land! Bei Ankunft im "Gorillas Volcanoes Hotel" versammelt sich dort gerade eine Hochzeitsgesellschaft. Bildhübsche Braut in Gold, aber auch der Ehemann nicht zu verachten. Diesmal ist es leicht mit den Fotos, denn nicht nur wir möchten sie fotografieren, sondern sie uns, in allen denkbaren Konstellationen. Beste Stimmung, internationale Freude.

Einige Freunde sind am Kiwu See, fein untergekommen und auf Bootstour mit einem Affen. Für uns aber: Höhepunkt der Reise — Besuch bei den Berggorillas. Alle sind aufgeregt. Wegen ihrer Vorstellungen und der erweckten Erwartung: Once in a lifetime event. Gar nicht billig.

Die Berggorillas wurden erst in diesem Jahrhundert von den Menschen entdeckt und hätten das beinahe nicht überlebt. Mutigen Forscherinnen und schließlich der Regierung Ruandas verdanken sie, dass ihr Lebensraum erhalten und ihr Überleben wahrscheinlich ist. Im Vulcano Nationalpark leben auf dem Staatsgebiet Ruandas etwa 20 Familien mit acht bis zwölf Individuen. Ihr Bestand ist stabil, er nimmt zu und die Fläche des Parks vergrößert sich.

Nach kurzer Autofahrt über extrem schlechte Straßen erreichen wir ein Camp, in dem sich die Besucher sammeln. Etwa zwölf Familien werden besucht, jeweils für eine Stunde, andere lässt man in Ruhe, damit sie sich erholen können. Vor dem Camp ist ein großer Platz auf dem einmal im Jahr gefeiert wird: ein Willkommen für die neugeborenen Gorillas, die alle einen Namen bekommen. Sie sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor: Etwa 12.000 Euro pro Gorillafamilie kommen pro Tag aus den Zahlungen der Besucher zusammen — damit lässt sich Naturschutz finanzieren!

Im Nationalpark leben auch Waldelefanten (deren riesige Spuren wir entdecken) und Büffel, die sich mit einer großen Herde auf unserer Wanderroute wiederkäuend breitmachen. Pause! Zunächst muss jemand zu uns stoßen, mit Waffe, um uns im Zweifelsfall zu schützen. Dann kommt sie, eine junge Rangerin mit Langwaffe und schon fühlen wir uns sicher. Über ein sehr wackliges Gerüst geht es hinein in den afrikanischen Regenwald. Wir haben es gut, sind bestens ausgestattet, für unser Gepäck hat jeder seinen "Porter", sie helfen uns auch über steile Anstiege und bei Sturzgefahr, bringen uns sicher zu den Gorillas und wieder zurück.

Voraus ist eine Gruppe erfahrener Ranger, die helfen soll, unsere Gorillafamilie, die Kwitonda Family, zu finden. Fast zwei Stunden geht es durch den Wald, es ist still, kaum Vogelstimmen, einzig die Macheten sind zu hören, mit denen jemand den Weg freischlägt. Als wir der Gorilla-Familie näher kommen, heißt es, FFP-2-Masken aufsetzen, Wanderstöcke und Gepäck abgeben, Handschuhe anziehen, denn der Weg wird dornig, und Schutzstulpen hochgezogen, damit die afrikanischen Ameisen uns nicht beißen. "Once in a lifetime" stolpern wir nun restlos aufgeregt voraus.

Erinnern wir uns noch einmal an den Grundkurs "Kommunikation mit Gorillas": Agieren die Tiere freundlich grunzend, besteht keine Gefahr, kannst Du zurückgrunzen. Du merkst gleich, wenn sie schlecht gelaunt sind.
Dann mach Dich klein und demütig, sei still und lauf nicht weg. Niemals in die Augen gucken. Dann lassen sie Dich (meistens) in Ruhe. Es sind friedliche Riesen.

Ein gelassener Silberrücken

Dann liegt er plötzlich dort, der Silberrücken, der Chef, rekelt sich, kratzt sich, richtet sich auf, blickt Dich gelassen an. Alles in Ordnung, wir können seine Familie besuchen. Fotos! Wir sind so nah an ihm dran, mit seinen langen, starken Armen könnte er jeden von uns erreichen. Sein linker Arm ist verletzt, Kampf mit einem anderen
Silberrücken am Vortag. Chefs haben es auch nicht immer leicht.

Weiter geht’s. Wir sind jetzt mitten drin. Manchmal hörst Du sie nur rascheln, doch da liegt ein weiteres Männchen und stopft sich Früchte in den Mund. Chillt. Vor ihm turnt eine Halbstarke, die irgendwann an uns vorbeistreift, hautnah. Dann größtes Geraschel: Action! Das chillige Männchen liegt unter einem Baum, von dem sich nun ein wunderschönes Weibchen hinuntergleiten lässt. Großes Geraschel, Gefalle, dann wieder elegantes Klettern. Die beiden haben Interesse aneinander, der Silberrücken darf nichts davon mitbekommen und dann gehen sie, vor unseren Augen, miteinander fremd. Video!

Sie macht sich sehr flach, er kommt etwas mackerhaft rüber und lässt sich nach dem Ereignis in machtvoller Pose
fotografieren. Hinterher in ein kleines Flussbett, Geröll, von links raschelt der nächste Gorilla, erschrocken stürzt eine Wanderin, verletzt sich aber nicht. Zwei junge Gorillas tollen herum, eine Dame genießt in bester Fotopose
wilden Salbei. Weiter geht es, der zweite Silberrücken taucht auf , interessiert sich aber nicht für uns, mehr für seine Blätter. Ein Jüngerer trommelt sich in bester Manier auf die Brust. Sie haben großen Hunger, doch soviel Platz in ihrem Park, dass sie umherwandernd nachhaltig leben. Eine Stunde dürfen wir mit ihnen nahe sein, wir haben sie erlebt. Sie sind ein Geschenk der Schöpfung. Wir gehen mit starken Gefühlen für sie zurück.

  • "Seeing these magnificant creatures up close is an experience like no other, and I never grow tired of it. It makes you understand how closely connected we are to them – and once you see that, you understand, really understand, that we have a responsibility to protect them."

    Felix Ndagijimana
    Director, Rwanda Programs
    Dian Fossey Gorilla Fund

You understand, you really understand! Nicht mit Gedanken, nicht mit Worten, sondern viel tiefer drin. Für immer.
Wir wandern zurück, die Aufregung ist einem fröhlich plaudernden Miteinander gewichen,einige laufen allein, andächtig fast.

Eine kurze Autofahrt zurück, ein Besuch des Diane Fossey Museum und Karisoke Research Center, das die große Forscherin 1967 selbst gegründet hat. Sie hat einen wesentlichen Anstoß gegeben, die Berggorillas vor dem Aussterben bewahren, Generationen von Forschern und Naturschützern folgen ihr, so wurde sie unsterblich.

Die Stadt Ruhengeri liegt so nahe an dem Zuhause der Gorillas! Noch 1991 wütete hier der Bürgerkrieg, damals lebten 30.000 Menschen in der Stadt. Heute sind es 75.000 und ihre Zahl wird sich in den nächsten Jahrzehnten verdoppeln und verdoppeln. Es ist eine bunte afrikanische Stadt voller Leben mit großen Märkten und viel Verkehr, liegt sie doch an der Hauptroute durch Uganda, Ruanda und Kongo. Tag und Nacht donnern die Laster über den
Highway. Vom Vulkan kannst Du die schmale Grenze zwischen dem Naturschutzgebiet und dem Stadtleben der Menschen sehen.Und ebenso: deren Armut. Wie unter einem Brennglas siehst Du den Zustand der Welt. Die Bedrängnis, unter der die Arten leben. Und machst Dir Sorgen. Ob das gut geht?

Wir laufen über den großen Markt der Stadt und treffen unsere Freunde wieder, die am Kivu See unterwegs waren. Es ist ein buntes wildes Treiben auf dem Markt, von überall werden wir bestürmt. "Best Price!", "High Quality!"... Einigen wird das zu eng. Lange Hallen mit Stoffen, Kleidern, Koffern, Obst und Gemüsen zu Bergen gestapelt. Wir
werden beobachtet und beobachten, allmählich mutiger machen wir uns auf den Weg durch die endlosen dunklen Gänge, Ruanda ist ein sicheres Land. Dennoch froh, wieder im Auto zu sitzen mit unseren gut gelaunten Fahrern geht es zurück in das Hôtel Gorilla Vulcanoes. Spätestens jetzt ist zu spüren, dass die Reise zu Ende geht.

Beim Abendessen gibt es kurze Ansprachen. Der Grußwortbeauftragte ist sehr zufrieden. Gerd, der Löwenfan, bekommt einen wunderbaren, kleinen, ganz aus Stoff, aber gut als Löwe erkennbar. Außerdem bekommt er eine sehr feine Dankesrede und großen Beifall. Genau so ergeht es Peter, der behauptet, sich ebenfalls mit uns ganz wohl gefühlt zu haben, nahe dran, erkennst Du, dass er innen drin berührt ist und sich wirklich freut. Briefing für den morgigen Tag, an dem wir Zeit haben für Kigali und es ein Abschiedsdinner im Ristorante Sole Luna geben wird.

Buffet, Primus, Frühstück, alle in ihre Toyotas, nichts vergessen und schon sind wir wieder im "Hôtel Des Milles Collines", diesmal eben bei Tag. Kigali ist eine stolze Millionenstadt mit architektonisch eindrucksvollem Kongresszentrum und einem schönen Anwesen mit Park für die Regierenden. Das „Singapur Afrikas“ möchten die Stadt werden und sind auf einem guten Weg dorthin. Mögen sie „etwas mehr Demokratie wagen“.

Bis zum Flug sind es noch ein paar Stunden, die verbringen wir zunächst in einer Markthalle. Peter kennt etwas Spannendes im ersten Stock: eine Näherei. Dicht, sehr dicht sitzen die Näherinnen mit ihren bunten Stoffen. Engster Raum und dennoch große Stimmung. Wir mitten drin, also die Frauen. Wo ist Peter? Auf dem Gang werden
wundervolle Stoffbahnen auseinandergefaltet. Musst man aufpassen, dass die nicht aus China kommen. Jetzt wird gekauft. Eine rotarische Freundin probiert eine knallafrikabunte Jacke an und die steht ihr fabelhaft. Umstehende rotarische Freundinnen gratulieren ihr, dass sie toll aussieht und empfehlen den Kauf.

2023. ruanda, schule, jumelage, fly&help, beckmann, d1850, näherei
Blick in eine örtliche Näherei

Ehemann: „Das ziehst Du zu Hause niemals an“. Das kommt etwas ernüchternd; doch sie ist gut drauf und kauft. "Schau mal: Nur 40 Euro, das ist doch nicht viel." Und sie wird es doch anziehen, denn schon sind alle zum afrikanischen Sommerfest im Garten der Beckmanns eingeladen. Geht doch.

Dort hinten gibt es ein großes Hallo. Die beste Tochter der Welt macht Selfies mit superschönen, krass bunt gekleideten Ruanderinnen und die mit ihr. Nebendran und doch im Mittelpunkt: Peter mit einer etwas älteren bunten Schönen, Arm in Arm strahlen und lachen sie um die Wette. Er ist gern in Ruanda. Das erlebst Du beim KiK nicht, niemals. Sammlung; Rückweg; Keiner geht verloren. Der Tag vergeht, das Dinner im afrikanisch-italienischen Restaurant ist ein weiterer Höhepunkt, prima Pizza, kein Bruschetta. Außerdem erregt ein feiner, afrikanischer Design-Modeladen direkt am Ristorante, das Interesse.

Noch einmal durch die pulsierende Stadt zum Flughafen und dann müssen alle raus aus den Autos, denn die werden mit Inhalt gescannt. Hohe Sicherheitsstandards, Waffen müssten abgegeben werden, aber wir haben keine dabei. Zügig geht es durch alle Kontrollen. Das Flugzeug hat die Stunde Verspätung vom Hinflug noch nicht aufgeholt. Warten. Feine Läden, Whisky und übergroße Schokoladen, wir haben zwar noch Restgeld, aber keine Lust mehr, etwas zu kaufen. Pläne werden geschmiedet, wir müssen noch zwei Klassenzimmer anbauen! Nachtflug. Halbschlaf. Glücklich in Brüssel. Dann der letzte große Abschied. Anschlussflüge nach Hamburg, Frankfurt und München werden erreicht.

Klimawandel. Plötzlich ist es saukalt, regnet bei null Grad und stürmt von Westen. Sauwetter. Bäume und Büsche sind kahl, die Tiere entweder weggeflogen oder im Winterschlaf. Anfang Februar ist im Norden das Leben nahe Null. Wie gut, dass man sich erinnert: warte, warte noch ein Weilchen und dann kommt alles wieder, die Knospen sieht man schon.

Wenige Menschen auf den Straßen, kaum mal ein Lachen. Mundwinkel nach unten, nicht in die Augen schauen. Alles voller Autos, die Landschaft ist großflächig den Straßen und Parkplätzen gewidmet. Groteske Betonspielplätze vor Einzelgaragen, umzäunt, einzelne stark zurückgeschnittene Büsche, in denen der Müll sich fängt. Kinder siehst Du nicht. Krieg ist in Europa. Ob das gut geht?

Okay, sorry. Das war die Depri-Platte. Vergriffen. Alles andere ist ja auch da. Also die vielen Menschen mit ihren offenen Herzen, die Vielen, die helfen und sich engagieren, für das Leben eintreten. Vielleicht geht es gut.

Resümee

Das war viel auf einmal, da kommst Du so schnell gar nicht mit. Doch merkwürdig, sehr unterschiedlich das Zeitgefühl. Für einige: lange Reise, für andere eher verlängertes Wochenende. Intensive Eindrücke und während der Fahrt wenig Zeit, um zur Ruhe zu kommen und die Wirkungen zu spüren. Auch direkt nach der Fahrt ist zunächst alles so wie immer. Spürst Du nichts, jedenfalls keine grundlegende Veränderung, wie sie Rainer Meutsch das prognostiziert hat.

Ich glaube, es ist wie bei einer Schwangerschaft, zunächst intensives Erlebnis, dann merkst Du erstmal nichts. Alles wie immer, aber dann leichte Veränderungen und dann verändert sich alles. Der moderne Mensch, entfesselter Prometheus, mit unvorstellbaren Möglichkeiten, der in einer Woche 13.000 km fahren und fliegen kann, Städte, Nationalparks und Memorials zu besuchen, ist in der Verantwortung für die Zukunft: Sie muss bei allen wichtigen
Entscheidungen mit an den Tisch! Sie ist bereits geboren, wir haben sie doch gesehen. Sie ist noch ungeboren. Sie ist unbekannt und unbestimmt. Doch wissen wir schon soviel über sie,wir müssten nur verantwortlich handeln.

Wir haben Verantwortung für all die Kinder, die wir gesehen haben, die wunderbare Natur, die Schöpfung, deren Schicksal in dieser Zeit so sehr durch uns Menschen bestimmt wird. Gemeinsam mit all den Rotariern und den vielen, vielen Menschen, die offene Herzen in sich tragen sind wir in guter Gemeinschaft, diese Verantwortung zu übernehmen und etwas zu bewegen.

Ralf Hardenberg