https://rotary.de/clubs/distriktberichte/herbergssuche-2019-a-15278.html
Hilfe im direkten Umfeld

Herbergssuche 2019

Hilfe im direkten Umfeld - Herbergssuche 2019
Wieder ein Zuhause haben - nachdem der Status "illegal" aufgehoben war, konnte Marco* endlich ankommen und gut lernen. © Pixabay.de

Zu Weihnachten erinnern wir uns gerne an die biblische Herbergssuche. So etwas gibt es auch heute. Tausendfach. In einem Fall gelang es dem RC Wien, einem Buben eine neue Heimat zu geben.

13.12.2019

Wir befinden uns in einer „Brennpunktvolksschule“. Diese Schule wird von (rotarischen) Lesepaten unterstützt. Einer Lesepatin fällt ein besonders in sich gekehrtes, unzugängliches und schweigsames Kind auf. Das Kind zeigt keine äußerlichen Merkmale von Diversität, gilt jedoch als verhaltensauffällig. Obwohl völlig normal wirkend, wird der Übertritt in eine Sonderschule erwogen.

Der Lesepatin läßt das Verhalten des so netten Buben keine Ruhe. Mit viel Geduld kann sie sein Vertrauen erwirken und kommt so an seine Lebensgeschichte:

Marco war im Bauch seiner illegal aus Guatemala einreisenden Mutter Maria nach Österreich gekommen.* Die Mutter wollte sich mit Hilfe ihrer Tante in Österreich ein neues Leben aufbauen. Die Tante war mit einem Österreicher verheiratet, bei ihr fanden Maria und Marco eine Bleibe. Die Mutter hatte keinerlei Aufenthaltsstatus, die beiden lebten somit als "U-Boote" in Österreich. Marco hatte von seiner Mutter den strikten Auftrag, in keiner Weise aufzufallen, da beiden die Abschiebung drohte. Daher verhielt sich der Bub in seiner Angst weitestgehend bedeckt und vermied nach Möglichkeit jeglichen Kontakt. Das Motto zu Hause war: Nur ja nicht auffallen, sonst werden wir abgeschoben.

Der Club beschloss, Marco und seine Mutter in ein normales Leben zu bringen. Die Koordinierung übernahm die psychologie-affine Lesepatin des Clubs. Die grundsätzliche Bearbeitung der Aufenthaltsfrage übernahm ein in solchen Angelegenheit erfahrener NGO-Clubfreund, die Rechtsfragen ein hoch motivierter junger Anwalt aus dem Club. Und für den Fall der positiven Erledigung des Bleiberechtsverfahrens stellte ein weiterer Clubfreund einen Arbeitsplatz für Maria zur Verfügung.

Viribus unitis: Das Bleiberecht wurde erreicht und mit einem Schlag war Marco ein aufmerksamer, kommunikativer und entspannter Schüler. Seit dem Übertritt in die NMS besucht Marco jedes Jahr seine Volksschullehrerin, um ihr stolz seine Zeugnisse zu zeigen! Und nun ist er sogar ins Gymnasium aufgenommen worden. Marco hat sich von einem geduckten, schüchternen, stillen Kind zu einem selbstbewußten Jugendlichen mit hochgesteckten Bildungszielen entwickelt.

Getreu dem Motto „Rette ein Menschenleben und du rettest die ganze Welt“ (Talmud) war es dem Club gelungen, ein Menschenleben zu „retten“ - in diesem Fall ihm und seiner Mutter mit dem Bleiberecht in Österreich eine offizielle Herberge zu geben. Jetzt ist dem Burschen das Tor in unsere Welt eröffnet. So viel kann aus einer Lesepatenschaft entstehen.

Günther W. Havranek
RC Wien

* Namen redaktionell geändert