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"Geschäfte mit Katastrophen..."

… sind nicht automatisch moralisch verwerflich, meint Markus Schön

15.06.2015

Kaum etwas hat das Bild der Finanzindustrie so nachhaltig geprägt wie der 1987 erschienene Film „Wall Street“. Der Hauptdarsteller Michael Douglas hat für seine Rolle als skrupelloser Börsenhai Gordon Gekko damals den Oscar erhalten. Das Bild, ohne moralische Bedenken zu handeln und auch aus Katastrophen Gewinne zu realisieren, wurde zum Synonym für die Geldgier in der Finanzwelt. Einzelne Ereignisse haben allerdings dieses fiktive Bild tatsächlich in die Realität überführt. Im Zuge der Finanzkrise wurde mit Blick auf Kreditinstitute „Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren“ zu einem geflügelten Wort. Spekulative Hedgefonds haben auch danach an der europäischen Schuldenkrise Milliarden verdient. Solche Entwicklungen führen zu der Frage, ob man am Finanzmarkt alles tun darf, was man tun kann. Gilt tatsächlich: Erlaubt ist, was nicht verboten ist? Die moralischen Schranken scheinen sehr weit gesetzt zu sein, wenn sie denn überhaupt bestehen.

Bitte differenzieren

Besonders laut ist der Aufschrei, wenn es vermeintlich um das Profitieren aus Katastrophen geht. Die Nachrichten des Flugzeugabsturzes von Germanwings oder vom Erdbeben in Nepal sind uns allen noch vor Augen. Dort wird es als zynisch wahrgenommen, wenn beispielsweise große Investmentbanken ihren Anlegern Aktien von Infrastrukturunternehmen empfehlen, die von dem Wiederaufbau in der nepalesischen Erdbebenregion profitieren. Dabei wird aber vielfach vergessen, dass diese Unternehmen Kapital benötigen, um solche Wiederaufbaumaßnahmen zumindest teilweise vorzufinanzieren. Die klassische Funktion der Börse ist schließlich, durch Anleihen Unternehmen Fremdkapital zur Verfügung zu stellen oder mit Aktien die Eigenkapitalbasis des jeweiligen Unternehmens zu stärken. Die um die Kapitalmärkte herum entstandene Spekulationsindustrie hingegen muss kritisch beurteilt werden. Hier ist es aber nicht hilfreich, wenn die in diesem Teilsegment richtige Kritik pauschalisiert wird und automatisch der Vorwurf der Krisengewinner entsteht. Das Beste ist, wenn Anleger bei solchen Produkten mit „Nein, danke!“ abwinken und so die Nachfrage zum Erliegen kommt. Schließlich ist kaum eine andere Branche so von funktionierenden Märkten überzeugt wie die Finanzindustrie. Wird etwas nicht mehr nachgefragt, versuchen viele zwar noch den Bedarf zu wecken, gelingt dies nicht, wird auch das Angebot eingestellt.

Diese pauschale Anschuldigung prägte für mich beruflich sehr stark den Umgang mit der unfassbaren Katastrophe am 24.03.2015. An diesem Tag zerschellte das mit 150 Menschen besetzte Germanwings-Flugzeug in den südfranzösischen Alpen. Unmittelbar vor dieser Katastrophe war die Aktie des Mutterkonzerns Deutsche Lufthansa der stärkste Wert im DAX. Wenn ein Aktionär die Aktie an diesem Morgen verkauft hätte, wäre es für ihn möglich gewesen, den Wert wenige Stunden später deutlich günstiger zurückzukaufen. Es hatte aber keine Unternehmens- oder Konjunkturdaten gegeben, sondern es stürzte mit unvorstellbarem Leid ein Flugzeug mit 150 Menschen, die alle mitten aus dem Leben in den Tod gerissen wurden, ab. Möglich war dies nur aufgrund der menschlichen Tragödie unvorstellbaren Ausmaßes, die jeden Menschen tief bewegt.

Wird man dann also durch den Kauf von Aktien und Anleihen der Deutsche Lufthansa ebenfalls zu einem Krisengewinner im allerschlimmsten Sinn?

Mit dieser Frage habe ich mich auf verschiedenen Ebenen und insbesondere auch als Rotarier beschäftigt. Eine einfache Antwort gibt es nicht. Sie ist zu bejahen, wenn man an die Haltung des eingangs beschriebenen fiktiven Filmcharakters Gordon Gekko denkt, der unfähig zu menschlicher Empathie ist und einfach nur seinen persönlichen materiellen Vorteil sucht. Solche Charaktere gibt es in vielleicht leicht abgemilderter Form im Finanzsektor tatsächlich. Wer seinen Wohlstand aber ausschließlich in materiellen Dingen sucht, wird niemals reich sein. Deswegen gibt es auch eine zweite Facette.

Sich bei Katastrophen nicht nur uneigennützig mit Spenden wie aktuell in Nepal zu engagieren, sondern mit Investitionen die Absicht eines Gewinns zu verfolgen, kann auch ein Signal weiterer Solidarität sein. Schließlich sind in einer solchen Situation die Herausforderungen immens. Darauf dann mit marktwirtschaftlichen Überlegungen zu reagieren, ohne die Empathie außer Acht zu lassen, kann Teil der richtigen Antwort sein. Nicht umsonst ist allen Rotariern die Frage „Ist dies fair?“ bekannt. Ein Katastrophengewinner würde sich diese Frage nie stellen, sondern versuchen, möglichst viel materiellen Nutzen aus der Katastrophe zu ziehen.

Verantwortlichkeit prüfen

Am 24.03.2015 ist eine Katastrophe geschehen, die – gerade auch mit Blick auf die Ergebnisse zur Ursache – für jeden Menschen unvorstellbar ist. Dies erschüttert das betroffene Unternehmen natürlich in den Grundfesten. Wenn man sich nun noch aus vielleicht falsch verstandenen moralischen Gesichtspunkten von dem Unternehmen abwendet und keine Wertpapiere des Unternehmens mehr kauft, können weitreichende wirtschaftliche Folgen drohen. Gerechtfertigt ist ein solcher Schritt, wenn das Unternehmen für die Katastrophe verantwortlich ist. Die Grenze muss jeder im Einzelfall für sich selbst beantworten. Hier bietet aber auch die Interpretation der 4-Fragen-Probe Orientierung. Verneint man die Frage der Verantwortlichkeit des Unternehmens, kehrt man zur – vielfach in Vergessenheit geratenen – fundamentalen Funktion des Kapitalmarkts zurück, Unternehmen ohne direkte Einbeziehung von Kreditinstituten Kapital zur Verfügung zu stellen.

Um eine solche Krise auf allen Ebenen zu meistern, ist Geld unerlässlich. Wer also unter diesem Blickwinkel in Katastrophen investiert, nutzt sicherlich die damit verbundene marktwirtschaftliche Chance. Dies darf allerdings nicht dazu führen, die Opfer von Katastrophen im weitesten Sinne auszunutzen oder zu benachteiligen. Wenn aber auch die moralische Komponente seines Handelns abgewogen wurde, ist dies unwahrscheinlich und der damit vielfach zu hörende Vorwurf des „Katastrophengewinners“ völlig verfehlt.