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Ost-West-Beziehung

"Ich halte die Wiedervereinigung für gelungen"

Ost-West-Beziehung - "Ich halte die Wiedervereinigung für gelungen"
Heute erinnern Hinweisschilder auf den Verlauf der innerdeutschen Grenze. Seit 1989 ist Deutschland wiedervereint. © Pixabay

Wir haben Präsidenten von ostdeutschen Rotary Clubs zur deutschen Wiedervereinigung befragt. Sie blicken emotional zurück.

01.09.2024

Hans-Ulrich Krenzin (RC Lübben-Spreewald):
"Ich kann mich sehr gut an den Fall der Mauer erinnern, denn ich habe ihn live in Berlin erlebt: Das Regime der DDR befand sich in den Wochen und Tagen davor bereits im Umbruch, in Auflösung bis  Schabowski wohl versehentlich die Mauer "freigab". Wir West-Berliner verfolgten die Entwicklung ungläubig am Bildschirm, bis die Menschenmassen aus Ost-Berlin über den Ku`damm schwappten und sich eine ungeheuere Euphorie breitmachte. Auch in den Tagen danach. Ich werde es mein Leben lang nicht vergessen.

Ich habe mich sehr gefreut, da es ja keine Einbahnstraße war. In den Wochen danach habe ich ausgiebig die neue Freizügigkeit genutzt und viele Fahrten in die nähere Umgebung von Berlin getätigt, auch mit dem Fahrrad ,um das Umland zu erkunden Zugleich begannen wir in unserer Rechtsanwaltskanzlei mit Überlegungen wie wir auch in der ehemaligen DDR beruflich tätig werden können. Dies führte 1992 zuer Gründung einer Dependence in Cottbus ,die wir etwa 15 Jahre lang betrieben haben. Hiermit einher ging die Gründung des RC Cottbus , die von meinem verstorbenen Seniorpartner Freund Strangfeld ( RC Tempelhof, nunmehr Berlin Luftbrücke) 1992  durchgeführt wurde. Seitdem bin ich auch Rotarier.

Ich halte die Wiedervereinigung für gelungen, auch wenn es in vielen gesellschaftlichen Fragen unterschiedliche Befindlichkeiten gibt. Diese gibt es aber auch zwischen Bayern und Ostfriesen, zwischen Saarländern und Pfälzern und so weiter. Sie werden nur nicht so medial herausgestellt."

Peter Kutzer (RC Eisenhüttenstadt-Schlaubetal): 
"Die Nachricht wurde mir von meiner Frau überbracht. Wir lebten damals in einem Studentenheim im Ostberliner Bezirk Lichtenberg. Am Abend des 9. November war ich mit einem Freund auf ein Bier in unserer Eckkneipe. Wieder daheim empfing mich meine Frau sehr aufgeregt mit den Worten: Der RIAS meldet, an der Bornholmer ist die Mauer auf!

Zuerst war da Ungläubigkeit. Ich nahm an, dass die Grenzen nur für diejenigen Menschen geöffnet wurden, welche die ehemalige DDR für immer verlassen wollten. Dennoch nichts wie hin! Mit der S-Bahn bis Schönhauser Allee, von dort zur Bornholmer Brücke und dann: Hand in Hand rüber! Ein unvergesslicher Augenblick puren Glücks!

Ich empfinde die Wiedervereinigung als eines der größten Geschenke meines Lebens. Und ja, meines Erachtens ist sie durchaus gelungen. Was nach 40 Jahren Teilung bis heute bleibt, sind unterschiedliche Prägungen und Empfindlichkeiten. Daraus ergeben sich dann auch differente Sichtweisen auf einige gesellschaftliche und politische Entwicklungen, die letztlich ins Wahlverhalten durchschlagen. Für eine Demokratie erscheint mir dies aber völlig normal, hieraus "neue Gräben" zu konstruieren, halte ich für falsch."

2024, markus bechtelsheimer
© privat
Markus Bechtelsheimer (RC Apolda-Weimarer Land): 
"Ich kann mich nicht auf die Sekunde genau an den Moment erinnern, als ich vom Fall der Mauer hörte. Aber ich habe davon natürlich schnell etwas mitbekommen und über die Medien verfolgt. Damals war ich noch in Bonn und habe zuvor eigentlich wenig über Ostdeutschland nachgedacht. Aber an dem Tag, als es über die Medien lief: Aufregung pur, das muss ich im Nachhinein sagen.

Mir war sehr schnell klar: Das ist ein historischer Moment. Damals habe ich natürlich noch nicht gewusst, welche persönlichen Auswirkungen das haben könnte oder würde. Als ich nach dem zweiten Staatsexamen im Westen in einer Kanzlei arbeitete, eröffnete mir meine damalige Freundin, dass sie als Richterin am Bezirksgericht in Erfurt arbeiten wolle. Da stand die Frage im Raum: Mitgehen oder nicht? Ich habe mich für das "Mitgehen" entschieden und war dann nach einer "Anlernphase" bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt unter anderem bei der Staatsanwaltschaft Erfurt, der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft oder auch im Thüringer Justizministerium tätig.

Meine Freundin und ich haben für unseren Start in Thüringen als Wohnort Jena gewählt – weil es wegen der Uni so lebendig ist, außerdem landschaftlich wunderbar gelegen. Zudem waren von Jena aus einige mögliche zukünftige dienstliche Einsatzorte gut erreichbar. Wir haben dann geheiratet, fünf Kinder bekommen und sind geblieben. Insgesamt werde ich in wenigen Jahren schon mehr Lebenszeit in den neuen Bundesländern verbracht haben, als ich zuvor im Westen gelebt habe. Und ich finde, es war eine gute Entscheidung!

Bei der Frage, ob die Wende gelungen war, muss man zunächst die Menschen fragen, die zuvor in der DDR lebten und nicht wie ich erst später nach der Wende dazugekommen sind. Absolut perfekt ist es sicher nicht gelaufen. Aber ich persönlich denke schon, dass die Wiedervereinigung gelungen ist. Seit über drei Jahrzehnten sind wir gemeinsam auf einem guten Weg. Für mich persönlich war die Wende ein absolut positives Ereignis. Ich fühlte und fühle mich in meinem Umfeld in Thüringen absolut wohl. Eine Rückkehr kommt für mich unter keinen Umständen in Betracht. Und insgesamt gilt, was überall zählt: Wenn etwas noch nicht positiv läuft, dann müssen wir gemeinsam daran arbeiten."

Uli Klüßendorf (RC Sondershausen):
"Als die Mauer fiel war ich Ende Zwanzig und gerade im Beruf gestartet. Ich habe als Forstwirt mit meiner Frau und kleinen Kindern in einem alten Forsthaus in Sophienhof gelebt – nur  sechs Kilometer entfernt von der Grenze. Da war das Erstaunen groß, als es hieß: Die Grenze ist offen.

Zunächst war da Neugier. Wir hatten Verwandtschaft im Westen, aber nur die Omas konnten reisen. Wegen der Kinder sind wir nicht sofort losgefahren Richtung Westen, aber irgendwann dann doch. Das Begrüßungsgeld haben wir erstmal nicht ausgegeben, wir waren vorsichtig bei unseren ersten Ausflügen in die BRD. Dafür haben wir den Westharz erkundet und sind auch endlich mal auf den – bis dahin wegen der Grenze gesperrten – Brocken gelaufen.

Ich hatte rasch Kontakt zu Berufskollegen, mit denen lief sofort ein Austausch über Holzernte und Waldbewirtschaftung an. Was mich überraschte: der respektvolle Umgang untereinander. Waldarbeiter, Revierleiter, Sachbearbeiter – da war jeder wichtig. Das kannten wir bis dato nicht. Und auch über die Schutzausrüstung für die Arbeiten im Wald staunten wir: modernstes Equipment, von dem wir nur träumen konnten.

Der Wissensaustausch mit den Kollegen lief rasant und ohne Probleme über Patenschaften zu Forstämtern in Hessen und Rheinland-Pfalz an – und blieb bis heute großartig. Davon berichte ich heute noch gern den jüngeren Kollegen, die bei uns starten.

Ich halte die Wiedervereinigung für absolut gelungen. Was ich beurteilen kann: Hier wurde eine moderne Forstwirtschaft aufgebaut. Im Team sind wir fast familiär miteinander verbunden – egal, ob aus dem Westen oder Osten. Die enge, auch länderübergreifende Zusammenarbeit wäre so nie möglich gewesen. Für mich kam die Wende auch zeitlich genau richtig: Ich konnte mich entwickeln. Und in meinem Umfeld spielt die Diskussion "Ost-West" überhaupt keine Rolle mehr.

Beim RC Sondershausen werden wir übrigens ganz sicher die Freunde unseres Gründungsclubs RC Homberg/Efze zum 3. Oktober zu einem gemeinsamen Event einladen."

2024, gerd maier
© privat

Gerd Maier (RC Sonneberg):
"Ich saß gerade im Pfarrgemeinderat, als ich vom Mauerfall hörte. Ich bin dann rasch nach Hause und fand meine Frau, wie sie am Fernseher die Ereignisse verfolgte. Wir haben es fast nicht glauben können. Schließlich waren wir so nah dran an der Grenze. Nur zwei Kilometer waren es bis zum Sperrgebiet.

Ich dachte: Wir haben so lange quasi aus unserem Garten auf die Grenze geschaut – und nun können wir sie überqueren. Ich habe mir am nächsten Morgen noch vor der Schule – ich war Lehrer – den nötigen Stempel bei der Polizei geholt. Mittags, nach meinen Stunden, bin ich dann mit dem Motorrad via Grenzübergang Eisfeld Richtung Coburg gedüst und habe meine Tante besucht. Vorher konnte nur sie immer die Grenze queren – und auf einmal konnten wir sie auch besuchen. Am Sonntag nach der Grenzöffnung haben wir das mit unseren drei Kindern ausgiebig ausgekostet. Rückwärts standen wir total im Stau. Doch die Bayern haben uns entlang der Strecke mit Tee und Snacks versorgt. Toll!

Wenn ich uns so anschaue: Ja, die Wiedervereinigung ist gelungen. Unsere persönlichen Lebensbedingungen haben sich eindeutig verbessert. Und unsere Stadt – Sonneberg – hat einen großen Sprung ins Plus gemacht. Wir gehören jetzt zur Metropolregion Nürnberg. Hier hat sich Industrie angesiedelt, es gibt wenig Arbeitslose, es wird überall gebaut. Insgesamt hat unser Leben deutlich gewonnen."

Rainer Schätz (RC Güstrow):
"Am 9. November habe ich mit meiner Freundin im Studentenwohnheim Kuchen gebacken und eine Einladung für unsere Eltern vorbereitet. Wir wollten uns bei diesem Treffen verloben und hatten zuvor im Studentensommer in Russland Gold besorgt, damit wir schöne Ringe kaufen können. Unsere Aufmerksamkeit war bis zum Eintreffen der Gäste am nächsten Tag ganz woanders, deshalb haben wir – zwischen Küchenschürze und Backzutaten – gar nichts mitbekommen. Und einen Fernseher hatten wir nicht. Erst als die Eltern kamen und uns davon erzählten, haben wir das große Ereignis registriert. Wir waren natürlich völlig überrascht!

Ich wollte es zuerst gar nicht glauben. Ein paar Wochen zuvor hatte ich bei einem Praktikum in Polen immer mal die FAZ in die Hand bekommen und konnte nicht fassen, was ringsum alles so passierte. Ich stand mitten im Examen und habe mich gefragt, was kommt da auf uns zu. Kurze Zeit später wurde nicht mal mein Lehramts-Diplom anerkannt. Ich musste noch ein zweites Staatsexamen ablegen. Das war nach all der Studienzeit bitter.

Mein Schwiegervater und ich haben die Chance ergriffen und uns nur zwei Jahre später selbständig gemacht. Wir gründeten ein Bildungsinstitut, das sich seither gut entwickelt hat. Mittlerweile beschäftigen wir 145 Mitarbeiter. Insgesamt wurden wohl einige Fehler gemacht. Gerade die Eigentumsfragen sind bis heute oft Streitpunkte. Auch in den Firmen hat nicht alles geklappt, so dass eine hohe Arbeitslosigkeit entstand. Das war ein großes Problem und hat zu viel Frust geführt. Als Plus muss man werten: Es gab nach der Wende deutlich mehr Möglichkeiten und Chancen, die Zukunft zu gestalten.

Ohne die Wende hätten wir nie die Chance auf eine eigene Firma gehabt. Und ich denke, alles in allem ist die Einheit doch halbwegs gelungen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Wiedervereinigung friedlich verlaufen ist. In der heutigen politischen Weltsituation wäre das sicherlich nicht möglich gewesen."


Diese Stimmen wurden gesammelt von Sabine Meinert und Florian Quanz.