https://rotary.de/gesellschaft/30-grundrechte-fuer-alle-a-23007.html
UN-Menschenrechtserklärung

30 Grundrechte für alle

UN-Menschenrechtserklärung - 30 Grundrechte für alle
© UN

Vor 75 Jahren wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen verabschiedet. Welche Bedeutung haben sie heute noch? Von Klaus-Heinrich Standke

Klaus-Heinrich Standke18.12.2023

Am 10. Dezember 2023 jährte sich zum 75. Mal der Tag, an dem in Paris die dritte Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in Paris verabschiedet hat. Die Erklärung ist ein Meilenstein in der Geschichte der Menschenrechte. Die Allgemeine Erklärung – zutreffender im Französischen "déclaration universelle" beziehungsweise im Englischen "universal declaration" genannt – ist  das am meisten übersetzte Dokument der Welt und in mehr als 500 Sprachen verfügbar. Als solches ist sie auch im Guinness-Buch der Rekorde vermerkt.

Auch 75 Jahre nach ihrer Verkündung hat die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen (UDHR) nichts an Aktualität verloren. Gleichheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde sind universelle Werte – heute wie vor 75 Jahren.

Insbesondere Artikel 1 der Menschenrechtserklärung "Alle Menschen sind frei geboren und in Würde und Recht gleich" findet sich in einer Vielzahl von Verfassungen von Ländern wieder, die nach 1948 ihre Souveränität erlangt haben. Auch in dem am 8. Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat beschlossenen Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland heißt es in Artikel 1, Absatz 1, fast wortgleich "Die Würde des Menschen ist unantastbar".  Auch die von dem  Europarat im Jahr 1950 konzipierte  Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) lehnte sich eng an die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen an.

Von Anbeginn ihrer Gründung im Juni 1945 in San Francisco haben die Gründungsstaaten der Vereinten Nationen den Menschenrechten einen hohen Stellenwert eingeräumt: Zur Behandlung der Menschenrechte wurde eine eigene Kommission gebildet, zu deren Präsidentin am 27. Januar 1947 Eleanor Roosevelt, erste UN-Botschafterin der USA und Witwe von US Präsident F.D. Roosevelt, gewählt wurde.  Die Delegierten haben sich bereits in allen Etappen ihrer Meinungsbildung über jeden einzelnen Artikel erbitterte Auseinandersetzungen geliefert. Sie waren Ausdruck des damals bereits aufziehenden Ost-West-Konfliktes, der die Verhandlungen beinahe platzen ließ. Die Sowjetunion und die anderen damals kommunistischen Länder – aber auch Saudi-Arabien und Südafrika – drohten damit, gegen die Menschenrechtsresolution zu stimmen. In sozusagen letzter Minute wurde erreicht, die Gegner der Resolution zu bewegen, statt eines Nein, sich der Stimme zu enthalten – allerdings mit dem stillen Einverständnis, dass sie sich an die Allgemeine Erklärung nicht gebunden fühlen.

Die Resolution wurde am 10. Dezember 1948 im Pariser Palais de Chaillot von der dritten Generalversammlung der Vereinten Nationen mit 48 Stimmen dafür, 0 dagegen und 8 Enthaltungen angenommen.

Der hohe Preis für ihre Annahme war die Bedingung, dass sie letztlich für die Vertragsstaaten den Charakter einer Empfehlung ohne rechtliche Verpflichtung hatte.

Heutige Bedeutung der UN-Menschenrechtsklärung

Kritiker der durch die in den Vereinten Nationen verkörperten Idealvorstellung einer wertegeleiteten einheitlichen Weltordnung wenden ein, dass die Interessen, Werte und geopolitischen Voraussetzungen innerhalb der einzelnen Gruppierungen der 193 Mitgliedsstaaten zu unterschiedlich sind, um heute noch für alle verpflichtend zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass die im Rahmen der UN ausgearbeiteten Übereinkommen ohnehin auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit beruhen, vom Konsensprinzip geprägt sind und zu ihrer Umsetzung der Zustimmung aller Mitgliedsstaaten bedürfen.

Im ersten, 407 Seiten umfassenden Entwurf der Menschenrechtserklärung fanden große historische Vorbilder ähnlicher Art ihren Niederschlag:

  • 1215 die Magna Carta – ("große Urkunde der Freiheiten"), sowie 1628 die auf ihr aufbauende Petition of Rights, die die Rechte des Volkes gegenüber dem englischen König festlegte
  • 1776 die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika, die damals im Namen von 13 Gründerstaaten das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück proklamierte
  • 1789 die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte in Paris  (La Déclaration des droits de l'homme et du citoyen), die bereits verkündete, dass alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind

Menschenrechte haben eine kulturspezifische Komponente. Der Anspruch auf Gleichheit von Mann und Frau beinhaltet faktisch auch eine religionskritische Dimension. Bei der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Paris vor 75 Jahren stimmte Saudi-Arabien nicht dafür, sondern enthielt sich der Stimme, weil die Religionsfreiheit so formuliert sei, dass sie auch den Religionswechsel beinhalte. Brasilien wiederum hatte in den Beratungen den Vorschlag gemacht, man möge die Würde des Menschen biblisch begründen, also die Würde des Menschen als Ebenbild Gottes in die Erklärung einfügen. Dies fand den Widerspruch, unter anderem des Vertreters von China, der entgegnete: "Wenn wir die Menschenrechte biblisch begründen, dann sind alle Menschen außerhalb dieses Religionskreises von vornherein ausgeschlossen".

Die Religionsfreiheit und die Gleichheit von Mann und Frau sind bis heute neuralgische Punkte insbesondere in islamisch geprägten Ländern geblieben. Unverändert bis heute beruht nach Auffassung orthodoxer muslimischer Länder die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte auf einem "säkularen Verständnis der jüdisch-christlichen Tradition", das von Muslimen nicht ohne Konflikt mit der Scharia umgesetzt werden kann.

Aber auch China oder Russland, die sich neuerdings als Wortführer des "Globalen Südens" gerieren, verweisen gerne darauf, dass die Erklärung rein westliche Werte widerspiegele.

Westliche Werte, östliche Werte, islamische, europäische, amerikanische, afrikanische Werte? Die Frage "Was ist allen Menschen gemeinsam?" lässt sich wohl niemals abschließend beantworten.

Bewertung aus heutiger Sicht

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AER) ist in der Geschichte der Menschheit das erste umfassende Dokument, in dem die 30 Grundrechte aufgeführt sind, auf die alle Menschen Anspruch erheben können.

Um überhaupt auf die Unterstützung der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zählen zu können, musste die Menschenrechtserklärung so allgemein gehalten werden, dass sie ohne Gegenstimme angenommen werden konnte. Der hohe Preis für die Annahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte war die Bedingung, dass sie letztlich für die Vertragsstaaten den Charakter einer Empfehlung ohne rechtliche Verpflichtung hatte.

Das mag unbefriedigend erscheinen. Aber die Uno ist keine Weltregierung. Es fehlt daher bis heute an einer weltumspannenden Instanz, die die Menschenrechte individuell durchsetzen könnte. Dennoch ist immer wieder zu unterstreichen, dass es vor 75 Jahren in Paris bei der Verabschiedung der Menschenrechtsdeklaration erstmals in der Geschichte der Menschheit gelungen ist, ein System grundlegender Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens durch die Staatengemeinschaft in freier Entscheidung anzunehmen.

Der Rechtekatalog von 1948 ist in den Folgejahrzehnten mehrfach präzisiert und erweitert worden. Die UN-Menschenrechtserklärung hat völkerrechtliche Prinzipien wie das Souveränitätsprinzip und das Nichteinmischungsprinzip nicht grundsätzlich aufheben können. Hierauf hat sich jedoch eine Art von Grundkonsens entwickelt, der durch völkerrechtliche Verträge erhärtet und zu zwingendem Gewohnheitsrecht wurde. Dessen ungeachtet gilt bis heute unverändert: Recht beruht auf Macht, ohne diese ist auch das Menschenrecht nicht viel mehr als eine (wiewohl wichtige) normative Mahnung.

Aus Sicht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen António Guterres ist dies jedoch keinesfalls wenig: "Während die Menschenrechtsverletzungen mit der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung nicht endeten, hat die Erklärung unzähligen Menschen geholfen, mehr Freiheit und Sicherheit zu erlangen. Sie hat dazu beigetragen, Verletzungen zu verhindern, Gerechtigkeit für Unrecht zu erlangen und die nationalen und internationalen Menschenrechtsgesetze sowie Maßnahmen zu Menschenrechten sind ein wesentlicher Bestandteil des täglichen Lebens aller Menschen auf dem Planeten. Die Wahrung der Menschenrechte ist auch eine wichtige Säule der Arbeit der Vereinten Nationen und für das Erreichen von Frieden und Fortschritt unerlässlich."

Klaus-Heinrich Standke
Prof. E.h. Dr. Drs. h.c. Klaus-Heinrich Standke, RC Berlin-Kurfürstendamm ( Ehrenmitglied RC Berlin-Mickiewicz und RC Cabourg), wurde 1974 nach dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen als erster Deutscher zum Direktor für Wissenschaft und Technologie im Sekretariat der Vereinten Nationen in New York ernannt.