Rotary und die Vereinten Nationen
Die Sonderrolle von Rotary bei der Gründung der Weltorganisation 1945 – Erinnerungen eines Zeitzeugen an die Anfänge der deutschen Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen
Am Vortag der feierlichen Eröffnung der Generaldebatte zur 78. Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA78) hat Bundeskanzler Olaf Scholz für den 18. September 2023 gemeinsam mit den Bundesministerinnen Annalena Baerbock, Steffi Lemke und Svenja Schulze zu einem Jubiläumsempfang "50 Jahre Deutschland in den Vereinten Nationen" eingeladen.
Als Rotarier, der vor 40 Jahren als Mitglied in den RC New York aufgenommen wurde, liegt mir daran, die Hintergründe der besonderen Rolle von Rotary International bei der Gründung der Vereinten Nationen (VN) 1945 zu skizzieren und die bis heute gepflegten Sonderbeziehungen zwischen beiden Organisationen zu erhellen. Darüber hinaus liegt mir in meiner Rolle als erster Deutscher, der vor 49 Jahren auf Vorschlag des Auswärtigen Amtes zum Uno-Direktor ernannt wurde, sozusagen als Zeitzeuge daran, die besonderen Umstände der späten Aufnahme der beiden deutschen Teilstaaten 28 Jahre nach Kriegsende aufzuzeigen.
Zur Vorbereitung der Gründungsversammlung der Vereinten Nationen vom 25. April bis zum 26. Juni 1945 in San Francisco hat US-Präsident Franklin D. Roosevelt sich der internationalen Erfahrungen von Rotary versichert. Zur damaligen Zeit war Rotary die einzige internationale Einrichtung, die mit damals bereits 6800 Clubs in 81 Ländern über ein weltweites internationales Netz verfügte. Unter der Leitung des damaligen RI-Präsidenten Richard H. Wells nahmen 49 Rotarier beratend an 29 Arbeitsgruppen der VN-Gründungskonferenz teil, darunter Regierungschefs und Minister zahlreicher Länder.
Der wichtige Artikel 71 der VN-Charter, der die Beziehungen zwischen den VN einerseits und Nichtregierungsorganisationen andererseits regelt, ist auf Initiative von rotarischen Beratern in die Charta eingefügt worden: "Der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) kann geeignete Abmachungen zwecks Konsultation mit nichtstaatlichen Organisationen treffen, die sich mit Angelegenheiten seiner Zuständigkeit befassen. Solche Abmachungen können mit internationalen Organisationen und, wenn dies zweckmäßig ist, auch mit nationalen Organisationen nach Konsultation mit dem betreffenden Mitglied der Vereinten Nationen getroffen werden."
Auch die Wahl von New York als permanenten Sitz der Vereinten Nationen geht auf eine rotarische Initiative zurück – sie ist auf meinen alten Club, dem Rotary Club Nr. 6, New York, der mich 1983 als Mitglied aufnahm, zurückzuführen. Nachdem in London die erste VN-Generalversammlung stattfand, sah sich die britische Hauptstadt als geborenen Kandidaten für den VN-Hauptsitz an. Die Stadt Philadelphia, in der die Liberty Bell hängt – ein wichtiges amerikanisches Symbol für Freiheit und Demokratie – war ein weiterer starker Kandidat.
In einer Art Überraschungscoup bot Rotarier Robert Moses (RC New York), Präsident der konstituierenden Kommission von New York, John D. Rockefeller Jr., dem Generalsekretär der VN, eine Spende von 8.500.000 Dollar für die Vereinten Nationen zum Ankauf eines Geländes in der Nähe der Turtle Bay am East River in New York an. Die Stadt New York gewährte Rechte entlang des Flussufers. Im November 1947 genehmigte die VN-Generalversammlung die Architekturpläne, und neun Monate später schloss die VN einen zinslosen Darlehensvertrag über 65 Millionen Dollar mit der US-Regierung ab.
Rotary unterhält seit der Gründung der VN enge Beziehungen zur Weltorganisation. Von allen bei den VN akkreditierten NGOs hat Rotary den höchsten beratenden Status. Alljährlich im November laden die Vereinten Nationen zum "Rotary Day at the United Nations" ein zur Würdigung der historischen Zusammenarbeit zweier Organisationen, die sich beide in ihrer Geschichte für Frieden und Humanität eingesetzt haben. Unter dem Motto "Connecting for Good" konzentriert sich die diesjährige Veranstaltung auf gemeindebasierte Lösungen für die globale Flüchtlingskrise.
An der Veranstaltung nehmen Spitzenvertreter des VN-Sekretariats teil und treten in einen Dialog mit Vertretern von Rotary ein, häufig angeführt vom RI-Präsidenten und anderen Vertretern des Zentralvorstands sowie der Rotary Foundation. Der "Rotary Day at the UN" ist öffentlich und erfreut sich großen Interesses. Ähnliche Veranstaltungen werden am Sitz von VN-Sonderorganisationen wie der Unesco (Paris), WHO (Genf), FAO (Rom) und anderen abgehalten.
Die besonderen Umstände der Aufnahme der beiden deutschen Teilstaaten vor 50 Jahren in die Vereinten Nationen
Die Aufnahme der beiden deutschen Staaten war ein besonderer Meilenstein in der Geschichte der Vereinten Nationen. Schließlich war es das Deutsche Reich, aus dem am 23. Mai 1949 die Bundesrepublik Deutschland und am 7. Oktober 1949 die Deutsche Demokratische Republik hervorgingen – außerdem das Japanische Kaiserreich, zu deren militärischer Überwindung 1945 die Vereinten Nationen gegründet wurden.
Voraussetzung für die gleichzeitige Aufnahme beider deutschen Staaten am 18. September 1973 in die Vereinten Nationen war die vorherige Unterzeichnung des sogenannten Grundlagenvertrages, des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Der Vertrag trat am 21. Juni 1973 in Kraft. Mit ihm sollte das Nebeneinander und Miteinander der beiden deutschen Staaten auf eine vertragliche Basis gestellt werden. Der andere Feindstaat Japan war bereits 17 Jahre früher VN-Mitglied geworden.
In seiner ersten Kanzlerrede vor der Vollversammlung hat Willy Brandt dies Ereignis am 26. September 1973 wie folgt angekündigt: "Trotz unterschiedlicher Gesellschaftssysteme und politischer Ordnungen, durch Vertrag und Überzeugung an verschiedene Bündnisse gebunden, haben die beiden deutschen Staaten beschlossen, eine Politik der friedlichen Nachbarschaft, des Nebeneinander und wie wir hoffen – des Miteinander zu beginnen. Wir werden also versuchen, friedliche Koexistenz auf deutsch zu buchstabieren. Bei der Gründlichkeit, die man dem deutschen Volkscharakter zuweilen nachsagt, kann ich nicht versprechen, dass dies immer einfach sein wird...".
Am 50. Jahrestag der Aufnahme Deutschlands in die Vereinten Nationen erscheint es geboten, sich daran zu erinnern, warum und wie es überhaupt zur Schaffung der Weltorganisation gekommen ist.
Die eigentliche VN-Gründungskonferenz "United Nations Conference on International Organization", fand von April bis Juni 1945 in San Francisco mit 3500 Teilnehmern aus 50 Ländern statt. Als Abschlussdokument wurde am 26. Juni 1945 die Gründungscharta der Vereinten Nationen unterzeichnet. Ihr Inhalt ist seitdem in Anpassung an das starke Wachstum der Mitgliederzahl unwesentlich verändert worden.
Das ganze Ausmaß der vom Deutschen Reich und dem Japanischen Kaiserreich ausgelösten menschlichen Tragödie (abgesehen von den materiellen Schäden) der von beiden Ländern im Zweiten Weltkrieg zu verantwortenden Opfer ist in der gesamten Menschheitsgeschichte ohne Beispiel: In 37 Mitgliedsstaaten der VN sind seit dem Kriegsbeginn in Europa am 1. September 1939 bis zur Kapitulation Japans am 2. September 1945 durch Kriegshandlungen nach Schätzungen insgesamt weit mehr als 50 Millionen Menschen getötet worden, davon mehr als die Hälfte in der damaligen Sowjetunion und in China.
Hinzu kommen die Opfer deutscher Massenverbrechen im Kriegsverlauf: Allein rund sechs Millionen Juden und drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene fielen der deutschen Kriegsmaschinerie zum Opfer. Diese von Deutschen verübten Verbrechen sind auch nach zwei Generationen in Millionen Opferfamilien der betroffenen Länder unvergessen.
Hierzu hat sich Thomas Mann in der letzten seiner legendären 55 Radioansprachen am 10. Mai 1945 (seinem 70. Geburtstag) – das heißt noch während der VN-Gründungskonferenz in San Francisco – wie folgt geäußert: "Man hat mit Deutschland zu tun und mit deutscher Schuld, wenn man als Deutscher geboren ist."
Vor diesem geschichtlichen Hintergrund war es für die beiden Teilstaaten Deutschlands als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches eine historische Chance, als sie vor 50 Jahren – mehr als einem Vierteljahrhundert nach Ende des Zweiten Weltkrieges – in die Völkergemeinschaft aufgenommen wurden.
Mit der Herstellung der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 war die 17-jährige deutsche Doppelmitgliedschaft in den Vereinten Nationen beendet.
Seither haben sich ausnahmslos alle Bundesregierungen nachdrücklich zu den friedensstiftenden Zielen der Vereinten Nationen bekannt. Das Engagement in den Vereinten Nationen ist wichtiger Pfeiler deutscher Außenpolitik. Als Uno-Mitglied setzt sich Deutschland für die Stärkung der internationalen Ordnung auf Grundlage der Charta der Vereinten Nationen und dem Völkerrecht ein.
Bei der jährlichen Konferenz der Leiterinnen und Leiter der deutschen Auslandsvertretungen im Auswärtigen Amt hat die Bundesministerin des Auswärtigen Annalena Baerbock am 4. September 2023 an die Umstände der späten Aufnahme Deutschlands in die Völkergemeinschaft erinnert: "Wir feiern dieses Jahr 50 Jahre Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen. Das unterstreicht, wie wenig selbstverständlich das gerade nach 1945 war. Es macht deutlich, wie lange es dauerte, bis Deutschland damals als BRD und DDR 1973, also deutlich nach der Gründung der Vereinten Nationen, in die internationale Gemeinschaft, in die Vereinten Nationen, wiederaufgenommen wurde...". Und weiter in einem Beitrag zum 50. Jahrestag: "Wir sind für diese Rückkehr bis heute dankbar – und sie ist für uns eine Verpflichtung".
Die ungekürzte Version lesen Sie unter klaus-heinrich-standke.de
Prof. E. h. Dr. Drs. h. c. Klaus-Heinrich Standke (RC Berlin-Kurfürstendamm), ist Ehrenmitglied des RC Cabourg und des RC Berlin-Mickiewicz. Zurzeit der Gründung der Vereinten Nationen war er Mitglied des RC # 6 New York.