RC Wien
Ein Club im Aufbruch
Ausruhen auf den Lorbeeren von 100 Jahren kommt nicht infrage. Im Gegenteil: Das Jubiläum markiert den Aufbruch in die Zukunft.
Es wuselt richtig beim Eingang. Knapp bevor das Mittagsmeeting beginnt, strömen alle in den Saal, fast gleichzeitig, ein fröhliches Getümmel im honorigen Hotel Bristol, gleich neben der Oper. Der Raum droht fast zu klein zu sein. „Wir haben eigentlich immer eine gute Präsenz“, sagt Agnes Mühlgassner, die Clubsekretärin. 50, 60 Personen kommen immer. Der Club ist groß – und lebendig wie ein junger. Und pünktlich um 14.30 Uhr fällt der Hammer auf die Glocke, und alle gehen auseinander, bis auf ganz wenige, die noch etwas nachbesprechen. Dazwischen ist das, was Sepp Zotti eine „abgeschlossene rotarische Welt“ nennt. Zotti ist so etwas wie ein Urgestein im Club, Mitglied seit 40 Jahren. Er beschreibt die Entwicklung in dieser Zeit als ungeheuer positiv, es sei fröhlicher, lustiger und jünger geworden, insbesondere seit der Aufnahme von Damen. „Das hat dem Clubleben sehr gutgetan“, befindet auch Präsident Andreas Blaschke. Das war erst 2015 und ging nicht ganz ohne Schmerzen, war verbunden mit sehr vielen Diskussionen. Zwei Herren sind sogar ausgetreten, aber inzwischen sind alle glücklich über die Öffnung zur Damenwelt. „Der Club hat dadurch viel mehr Verständnis für Frauen in Führungspositionen“, sagt Michael Wolkenstein, Mitglied seit 37 Jahren. Er hatte das schon in den USA gesehen und dann in Wien stark dafür plädiert. „Alle Frauen bei uns sind aber auch wirkliche Kapazunder“, sagt Andrea Stürmer. Hochkarätige Führungskräfte sind sie sowieso allesamt hier.
„Wir leben ein sehr wertschätzendes Miteinander, ohne Unterschied zwischen den Generationen, und haben auch viel Spaß miteinander“, beschreibt Ulli Sych das interne Klima. „Man hat uns früher für abgehoben gehalten“, ärgert sich Wolkenstein, „für einen alten Promiclub.“ Davon spürt man heute nichts. Das Steife früherer Jahrzehnte ist abgeschüttelt. Längst ist man auch hier untereinander selbstverständlich per Du.
Die große Dichte an Personen in Spitzenpositionen prägt aber schon das Selbstverständnis. Präsident Blaschke hat sich für heuer vorgenommen, Vorträge vor allem aus dem eigenen Kreis zu bekommen. Da kann man aus dem Vollen schöpfen, wenn Leute aus Industrie, Forschung, Kultur oder Politik aus erster Hand berichten. „Wir legen bei den Aufnahmen großen Wert auf die Durchmischung, dass ja nicht eine Berufsklasse zu dominant wird“, sagt der Präsident. Das rotarische Prinzip also, wie vor 120 Jahren in den USA. „Jedes einzelne Gespräch im Club ist eine Bereicherung“, findet Andrea Stürmer, weil der Club insgesamt eine hohe Expertise auf fast allen Gebieten hat. Das führt freilich dazu, dass die Außenorientierung nicht sehr hoch ist. „Eigentlich haben wir überhaupt keine“, findet Stürmer, außer den Partnerclubs in Berlin und Hamburg. Ein Verhältnis zu anderen Clubs in Wien ist „eigentlich nicht existent“, geht Zotti hart ins Gericht. Weil man so viele Spitzenleute hier hat, ist man sich selbst genug. Das aber ändert sich mit dem Jubiläumsjahr. Ein erstes Treffen mit dem jüngsten Club in Wien ist in Planung.
Und Präsident Blaschke hat ein Programm durchgesetzt unter dem Motto „100 Jahre – 100 Projekte“. „Viele waren anfangs entsetzt über so viel Ehrgeiz“, lacht er, aber jetzt herrscht buntes Treiben, auch außerhalb der Meetings. 100 Projekte in einem Jahr! Es sind große Projekte, auch im Ausland, mit finanziellen Zuwendungen, aber auch viele kleine vor der Haustüre. Wo Mitglieder selbst Hand anlegen. Der Präsident wird demnächst selbst in Malerschürze in einer Einrichtung der Caritas die Wände neu ausmalen. Andere geben Lernhilfe oder unterstützen Zuwanderer bei der Integration. Das verbindet und stärkt die Freundschaft, ist Ausdruck für den Aufbruch in ein neues, offeneres Selbstverständnis. Das Geld für Sozialprojekte beschafft man durch Veranstaltungen wie ein Golfturnier oder Konzerte, aber auch durch zum Teil großzügige Zuwendungen aus dem inneren Kreis. Auch das ist ein Vorteil einer großen Runde.
Blaschke hat für das Jubiläumsjahr das Motto ausgegeben „Verankert – engagiert – zuversichtlich“. Verankert in der Tradition, aber engagiert im Heute und optimistisch für die Zukunft. Rotary als Gegengewicht zu all dem Negativen, mit wirtschaftlichen Problemen und Kriegen. Dem will sich auch Ulli Sych verschreiben, die Incoming Präsidentin. Als bereits zweite Frau wird sie nächstes Jahr neben ihrer beruflichen Rektorinnenkette die Präsidentenkette tragen. „Ich werde mich auf das Miteinander konzentrieren“, kündigt sie an, „bei dem, wie sich Weltpolitik und Gesellschaft entwickeln, haben wir die große Verantwortung, friedensstiftend und ausgleichend zu wirken.“ Der altehrwürdige Club wird dann, wenn Blaschkes Plan aufgeht, noch viel mehr nach außen wirken. Neben Berlin und Hamburg will er Partnerschaften in Singapur und New York eingehen, mit Clubs, die auch 100 Jahre alt sind. Tradition verbindet ja doch.
Hubert Nowak
RC Wien
Aktive Mitglieder: 125 davon 111 Herren, 14 Damen
Gründungsdatum: 1. Jänner 1925
Charterdatum: 19. Oktober 1925
Patenclub: RC Doncaster, England