100 Jahre Rotary Österreich
Klingende Namen
Rotary Österreich und der RC Wien zwischen Krisenjahrzehnten, Nationalsozialismus und der Wiedererrichtung nach 1945
Knapp sieben Jahre nach der Ausrufung der Republik Deutsch-Österreich wurde am 15. September 1925 der erste Rotary Club in Wien mit 30 Mitgliedern gegründet. Frank Molloy, Funktionär eines kleinen britischen Clubs, des RC Doncaster, gelang es, die feindschaftlichen Gefühle aus dem Ersten Weltkrieg zu überwinden und mit Warren Teeles, dem Rotary-Verantwortlichen für Europa, die formalen Gründungsvoraussetzungen zu schaffen. Am 31. Oktober 1925 fand in Anwesenheit von 21 Gästen aus England das „Charter-Dinner“ im Wiener Grand Hotel statt. Der RC Wien bestand aus Unternehmern mit klingenden Namen wie Richard Thonet oder Ernst Prinzhorn beziehungsweise Oskar Behrl oder Moritz Rothberger, sowie einigen Ärzten, Rechtsanwälten und Universitätsprofessoren – viele von ihnen jüdischer Herkunft. Im Wiener Club gab es auch eine Reihe von Künstlern wie den Schriftsteller Felix Salten oder den Komponisten Franz Lehár.
Salzburg folgte 1926
1926 wurde von Zürich aus gemeinsam mit dem RC Wien der zweite Club gegründet, der RC Salzburg, 1928 folgte, ebenfalls von Wien aus, die Errichtung des RC Klagenfurt.
Der RC Wien war wie die später etablierten Clubs in Österreich auch in zahlreichen sozialen Projekten involviert. Insgesamt konnten in der Bundeshauptstadt zwischen 1932 und 1936 110.000 Mahlzeiten zur Verfügung gestellt werden. Der RC Wien war überdies als Patenclub aktiv – so unter anderem gemeinsam mit dem RC Hamburg, dem ersten deutschen Club aus dem Jahr 1927, bei der Gründung des RC München 1929. Im selben Jahr entstand auch der Distrikt Deutschland-Österreich, mit einem jeweils national wechselnden gemeinsamen Governor. Die zahlreichen Aktivitäten der österreichischen Rotarier im „Committee for Rotary Extension in Europe“ und im „Club Service Committee of RI“, getragen vor allem vom RC Wien, wurden belohnt, und Governor Otto Böhler brachte 1931 eine große Rotary Convention nach Wien, an der rund 4300 Rotarier im Wiener Konzerthaus teilnahmen. Böhler betonte leidenschaftlich die transnationale Zielsetzung von Rotary gerade in Zentraleuropa, um die nationalen Grenzen nach 1918 zu überwinden. Wien glänzte bei den Rotariern mit einem großen kulturellen Angebot zwischen Staatsopernaufführungen und der Lustigen Witwe im Theater an der Wien, die der Rotarier Franz Lehár selbst dirigierte.
Innenpolitisch wurde bis 1933 parteipolitische Äquidistanz zwischen der christlich-sozial-konservativen Bundesregierung und der sozialdemokratischen Stadtverwaltung in Wien gehalten. Im Jahr 1937 verzeichnete der Distrikt Österreich-Deutschland bereits 55 Clubs mit rund 1700 Mitgliedern, davon elf Clubs in Österreich mit 340 Mitgliedern, wobei 111 Rotarier im RC Wien aktiv waren. Österreich stand ursprünglich politisch nach dem Verfassungsbruch 1933 und der Errichtung einer Kanzler-Diktatur in totaler Opposition zum Nationalsozialismus. Das Clubleben wurde ab 1933 zunehmend parteipolitisch mitgeprägt, und einige Rotarier übernahmen politische Funktionen. Gleichzeitig traten in den Folgejahren manche NS-affine Rotarier aus ideologischen Gründen aus.
Anpassungspolitik zahlte sich nicht aus
Letztlich entschieden sich die deutschen Clubs im September 1937 für die „Selbstauflösung“. Im November 1937 bestätigten hingegen in Linz die österreichischen Clubs die Fortführung des 73. Distrikts. Einzelne Clubs wie der RC Graz diskutierten bereits, um weitere Austritte zu verhindern, einen „Arierparagraphen“ in die Gründungscharter aufzunehmen. Diese Anpassungspolitik sollte sich aber keineswegs auszahlen, obwohl noch prominente NSDAP-Mitglieder wie Hans Fischböck aufgenommen wurden (RC Wien). Nach dem „Anschluss“ organisierte er die „Arisierung“ in der „Ostmark“. Otto Böhler, ebenfalls ein ehemaliger Governor, trat der NSDAP als Parteianwärter bei, wurde aber 1944 ausgeschlossen.
Auf der anderen Seite gab es zahlreiche Rotarier, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft zu Opfern des Nationalsozialismus wurden, wie Friedrich Reitlinger, Gründungspräsident des RC Innsbruck und Generaldirektor der Jenbacher Berg- und Hüttenwerke – er wurde gemeinsam mit seiner Tochter Johanna de facto zum Selbstmord gezwungen. Andere wurden enteignet, viele flüchteten ins Exil. Im Anhang des Buches von Hermann Schäfer Die Rotary Clubs im Nationalsozialismus. Die ausgeschlossenen und diskriminierten Mitglieder konnte ich 25 österreichische Opfer dokumentieren.
Schon wenige Monate nach der Befreiung Wiens 1945 verhandelten Rotarier des RC Wien, die sich in einer Gruppe von rund 30 Personen während der NSZeit als „Freundeskreis“ im Rathauskeller weiterhin klandestin getroffen hatten, mit amerikanischen Rotariern über eine Wiedergründung des RC Wien. Sie scheiterten aber mehrfach an Einsprüchen der US-Besatzungsbehörden und von RI – anscheinend wegen des Kalten Krieges und der sowjetischen Präsenz in Wien. In Linz gelang es nach mehreren Anläufen Georg Beurle, Altpräsident des RC Linz 1934/35, 1950 die Charterübergabe durchzuführen. Auch der RC Salzburg wurde 1950 wieder zugelassen, ebenso Graz (gegründet 1927) und Innsbruck (gegründet 1927/28). 1951 folgten Klagenfurt (gegründet 1928), Bad Ischl (gegründet 1928/29), Wiener Neustadt (gegründet 1929), Steyr (gegründet 1930), Baden (gegründet 1930) und Villach. 1952 wurden neue Clubs in Wels und Ende 1953 in Bregenz gegründet.
Der RC Wien schaffte es dann doch mit Unterstützung des US-Rotariers Roger G. McGregor, gemeinsam mit sieben anderen Rotariern im Rathauskeller ein Wiedergründungstreffen zu organisieren, aber RI zögerte. Erst 1953 wurde unter dem Berater Friedrich Mader (RC Innsbruck) der RC Wien mit einem Konzert in der Aula der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und einer Opernaufführung im Theater an der Wien sowie einem Fest-Diner im Palais Pallavicini wieder begründet. 30 Mitglieder aus der Zeit der Auflösung haben sich dem RC Wien erneut angeschlossen sowie drei Personen aus dem „Freundeskreis“ von 1938 bis 1945. Max Dietrich, 1929 dem RC Wien beigetreten, wurde zum Präsidenten gewählt. Unter den ersten Mitgliedern befanden sich sowohl Opfer des Nationalsozialismus als auch ehemalige NSDAP-Mitglieder – eine typische Nachkriegskonstellation.
Die Geschichte der Rotary Clubs in Österreich in den Jahren 1925 bis 1938 und 1945 bis 1953 ist letztlich ein Spiegelbild der tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der Nachkriegszeit. Erst sehr verspätet setzten sich die Rotary Clubs mit ihrer Geschichte im Nationalsozialismus auseinander.
Oliver Rathkolb