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Alles nur Red-State-Dramen?

Titelthema - Alles nur Red-State-Dramen?
Yellowstone – seit 2018 – Neue Serie, altes Thema: John Dutton (Kevin Costner) muss die Ranch und das Erbe seiner Familie mit allen Mitteln schützen. Die Serie ist so erfolgreich, dass sie bald ihren dritten Ableger bekommt. © paramount network, adobe stock

Die aktuellen Westernserien begraben den Mythos des unberührten Landes und thematisieren das Schicksal der Indigenen.

Brigitte Georgi-Findlay01.03.2023

Am 5. Januar 2023 schrieb Nina Rehfeld in der FAZ: „So wild war der Westen noch nie. Das amerikanische Fernsehen entdeckt den Western wieder – und verhandelt auf der Prärie die aktuelle Zerrissenheit der Vereinigten Staaten.“ Aktueller Anlass war die enorme Popularität der Fernsehserie Yellowstone, deren fünfte Staffel gerade auf einer Streamingplattform läuft, begleitet von zwei Ablegern, 1883 und 1923, zur Vorgeschichte der Serienhandlung. Letztes Jahr kamen zwei weitere neue Westernserien hinzu: The English und Outer Range. Grund genug also, um von einem Comeback des immer wieder totgesagten Genres zu sprechen, in dem es ja um nichts anderes als die Verhandlung der Grundlagen der amerikanischen Nation, ihrer Wertvorstellungen und Ideale geht. Allerdings, so merkt Rehfeld an, beschäftigen sich die aktuellen Serien mit dem Westernmythos auf eine neue Weise, sodass vom amerikanischen Traum nicht mehr viel übrig ist. Was passiert also hier im amerikanischen Fernsehen und was hat dies mit der aktuellen Zerrissenheit der amerikanischen Gesellschaft zu tun?


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Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit

In der Tat sind die Glanzzeiten des amerikanischen Western (etwa 1930er bis 1960er Jahre) schon lange her. 1974 stellte die Filmkritikerin Pauline Kael dem Genre den Totenschein aus. Dabei hat sich der Western nicht nur mit der Vergangenheit beschäftigt, sondern war immer auch mit der Zeit gegangen. Besonders die Westernfilme der 1950er und 1960er Jahre reflektierten den Mythos des alten Westens und des Westernhelden kritisch und läuteten damit bereits den Abgesang auf das Genre ein – man denke an Shane, High Noon, The Man Who Shot Liberty Valance. High Noon spaltete sogar das Publikum. Auch die (über 40) Western-Fernsehserien der 1950er und 1960er Jahre (zum Beispiel Gunsmoke, Bonanza), in denen der amerikanische Wertekodex durch allerlei Kämpfe physischer und moralischer Art aufrechterhalten wurde, mussten sich immer wieder an neue Umstände – man denke an die turbulenten 1960er Jahre – anpassen, um ihre Zuschauer zu halten. Und dies zu einer Zeit, in der drei Sender – dazu kam dann 1980 mit Fox ein vierter – miteinander um ein Massenpublikum konkurrierten. Aber auch die erfolgreichsten Westernserien überstanden die 1970er Jahre nicht, vielleicht waren die Ernüchterungen im Zuge von Watergate und Vietnamkrieg mit schuld daran. Ihre Geschichten und Protagonisten lebten in Science-Fiction- und Krimi-Serien oder in Soaps wie Dallas (1978–1991) weiter. Oder sie wurden in Little House on the Prairie (1974–1982) und Dr. Quinn, Medicine Woman (1992–1998) für eine neue Zeit aktualisiert, in der die innere Verfasstheit der amerikanischen Gesellschaft (auch im Hinblick auf die Bedürfnisse von Minderheiten, einschließlich Kindern und Frauen) in den Mittelpunkt rückte.

So richtig verschwunden war der Western also nie. Mit großen Epen wie Kevin Costners Der mit dem Wolf tanzt (1990) und Open Range (2003) sowie Clint Eastwoods Pale Rider (1985) und Unforgiven (1992) meldete er sich dann auch wieder auf der großen Leinwand zurück, in teils sehr ungeschönten Abrechnungen mit der amerikanischen Vergangenheit (Indianerpolitik, Umweltzerstörung) und Gegenwart (Polizeigewalt gegen Afroamerikaner), dem Mythos des alten Westens und des Westernhelden.

Das Comeback findet im Fernsehen statt

Die Wiederbelebung des Westerngenres findet im neuen Jahrhundert vor allem im Fernsehen statt, in einer Fernsehlandschaft, die sich seit den 80er/90er Jahren mit unzähligen Kabel-, Bezahl- und Spartensendern segmentiert hat, mit Nischenprogrammen, die auf spezifische Zuschauerschichten zugeschnitten sind und unter Umständen auch ambitioniertes oder „riskanteres“ Fernsehen zeigen können. Die Verlagerung der Serienproduktion auf Streamingplattformen vor circa zehn Jahren hat diese Nischenbildung weiter verstärkt.

Vor diesem medialen Hintergrund entstanden mehrere Arten von Westernserien. Zum einen Dramen, die wie die meisten klassischen Western den Westen nach dem Bürgerkrieg als Handlungsraum nutzen. Dazu gehören Deadwood (2004–2006) und Hell on Wheels (2011–2016). Andere Serien spielen im Westen (oder Süden) der Gegenwart, mit männlichen Protagonisten, die an Westernhelden angelehnt sind, darunter Breaking Bad (2008–2013), Sons of Anarchy (2008–2015), Justified (2010–2016) und Longmire (2012–2017). Weitere Serien verorten sich zwar im Horror- oder Science-Fiction-Genre, machen aber doch viele Anleihen beim Western, wie zum Beispiel The Walking Dead (2010–2022) oder Westworld (2016– 2020). Alle sind mit viel Geld produziert, oft von hoher kinematografischer Qualität, weisen komplexe Erzählstrukturen auf und geben ihren Charakteren Entwicklungsmöglichkeiten. In ihrem Stil orientieren sie sich nicht an den alten Westernserien im Fernsehen, sondern am Westernkino – den klassischen Western, Italo-Western oder Neo-Western.

Nicht geordnet, sondern dreckig war’s

Die historischen Westerndramen basieren auf umfassenden Recherchen und zielen auf geschichtliche Authentizität ab – wodurch sie mit allerlei Mythen um den amerikanischen Westen aufräumen. Ihr Westen ist dreckig, voller Gewalt (auch gegen Frauen und Minderheiten), Opportunismus und Rassismus. In diesem „alten“ Westen hat eben nicht alles seine Ordnung. Im Gegenteil, so suggeriert zum Beispiel Deadwood, begeht hier die amerikanische Nation ihre Ursünde. Auch in Hell on Wheels finden wir mit den Geschichten um den Bau der transatlantischen Eisenbahn einen Westen vor, der für die Nachfahren eine schwere Hypothek hinterlässt. In vielen dieser Serien befinden sich Menschen in Krisen, begehen große Fehler und arbeiten gegeneinander. Und doch schmieden sie (oft notgedrungen) Allianzen, durch die Gemeinschaft entsteht. Ohne Zweifel kann dies als kritische Auseinandersetzung mit den Krisen der amerikanischen Gesellschaft nach 9/11 verstanden werden, geprägt durch wirtschaftliche Unsicherheiten, politische Spaltung und soziale Auflösungserscheinungen. Während der klassische Western den amerikanischen Traum mitdefinierte, obwohl er ihn auch immer wieder infrage gestellt hat, rechnen diese neuen Western mit diesem Traum ab. Vielleicht sind sie mit ihren schwierigen, traumatisierten, dysfunktionalen und doch sympathischen Männerfiguren auch eine Form der Auseinandersetzung mit einer Krise der (weißen) Männer. Selbst wenn hier zum Beispiel durch die Anlage der Männerfiguren zum Teil recht traditionelle Wertvorstellungen transportiert werden, lassen sich diese Serien nur schwer einer politischen Strömung zuordnen. Progressive Inhalte finden sich gewissermaßen in konservativer Schale.

Schluss mit der Romantisierung des Westens

Wie verhält es sich nun mit der derzeit populärsten Westernserie im amerikanischen Fernsehen? Als Western-Familiendrama um einen ruchlosen Patriarchen, in dem sich eine Intrige an die andere reiht, erinnert Yellowstone an Dallas. Die Art und Weise, wie hier der Westen als Privatbesitz verteidigt wird, nicht nur gegenüber indigenen Nachbarn, sondern gegen allerlei Städter an beiden Küsten (diese gelten im konservativen Diskurs als Eliten), hat der Serie den Ruf als konservatives Red-State-Drama eingebracht, das Sympathien für das Festhalten an traditionellen Werten schafft. Gleichzeitig thematisiert die Serie (ähnlich wie die bereits beschriebenen neueren Serien) in geschichtskritischer Manier die physischen und psychischen Wunden, die der „alte“ mythische Westen durch gewaltsame Landnahme hinterlassen hat. Das ist gar nicht konservativ.

Neu ist an diesen aktuellen Varianten des Westerndramas, dass das Land (wieder) im Mittelpunkt steht – als unberechenbare Naturgewalt, die sich nicht um den Menschen schert. Diese Naturdarstellungen erinnern an die Perspektive von Tagebüchern, die im 19. Jahrhundert von den strapaziösen Trecks nach Westen berichteten. 1883 und The English rücken den Blickwinkel von Frauen in einer Weise in den Mittelpunkt, dass der Westernmythos hinter dem Gefühl der Ernüchterung und Enttäuschung zurückweicht, das insbesondere weibliche Tagebuchschreiber damals artikulierten. Die Serien betätigen sich so als Geschichtsschreiber, die die harschen Realitäten des Wegs der Nation nach Westen hervorkehren. Interessant ist auch, dass – wie etwa in 1923 – die gewaltsame Landnahme durch Einwanderer aus verschiedenen Teilen der Welt thematisiert wird.

Dass das Fernsehen überhaupt wieder, wie die Westernfilme der 1940er und 1950er Jahre, Siedler und Siedlertrecks in den Vordergrund rückt, ist neu. Die aktuellen Serien räumen zudem (wie schon Steven Spielbergs Serie Into the West von 2005) mit dem Mythos des unberührten Landes auf, thematisieren den Verlust indigenen Landes und gestehen indigenen Charakteren in Yellowstone, The English oder Outer Range Raum und Entwicklungsmöglichkeiten zu. Diese spielen keine edlen Opfer, sondern komplexe Hauptfiguren, was in nur wenigen anderen Westernserien – zum Beispiel in Longmire und neuerdings in Dark Winds – der Fall ist. Als dritter Ableger von Yellowstone ist Bass Reeves geplant, die Geschichte um den ersten schwarzen Marshall westlich des Mississippi. Auf vielen dieser Ebenen sind diese Serien also mitnichten als rein konservative Dramen zu bewerten. Aber vielleicht schaffen sie einen gemeinsamen Nenner im Hinblick auf das, was Amerika ausmacht, auf den sich ein gespaltenes Amerika einigen kann. 

Brigitte Georgi-Findlay
Brigitte Georgi-Findlay, RC Dresden International, ist Professorin für Nordamerikastudien an der TU Dresden, wo sie zur amerikanischen und kanadischen Geschichte, Gesellschaft und Kultur lehrt und forscht.