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Entscheider

"Babyboomer-Egoismus"

Entscheider - "Babyboomer-Egoismus"
© Bernadett Yehdou (zwei Fotos)

Der Bundesrechnungshof prüft nicht nur, wohin die Steuergelder in der Vergangenheit flossen, sondern berät auch in Zukunftsfragen. Ein Gespräch mit seinem Chef Kay Scheller

01.09.2025

Der Bundesrechnungshof ist eine Institution, die auf eine lange Tradition zurückblickt.  Bereits im Deutschen Kaiserreich gab es einen Rechnungshof als Nachfolger der preußischen Generalrechenkammer von 1714. Der Bundesrechnungshof wurde ursprünglich 1950 in Frankfurt am Main errichtet, der Sitz im Zuge des Berlin-Bonn-Gesetzes von Frankfurt nach Bonn verlegt; seit 2000 ist der "Hof" im Gebäude des ehemaligen Postministeriums an der Bonner Adenauerallee untergebracht: ein astreines 50er-Jahre-Gebäude mit monumentaler Eingangshalle und Vordach auf schlanken Betonpfeilern.


Herr Scheller, die Staatsausgaben haben sich seit 1991 von 740 Milliarden auf 2100 Milliarden Euro nahezu verdreifacht. Haben wir jetzt auch einen dreimal besseren Staat als im Jahr Eins nach der Wiedervereinigung?

Oh nein, wohl nicht. Und Sie unterschlagen die Teuerung. Wir haben viele Krisen und die Finanzierung der Wiedervereinigung zu bewältigen gehabt. Heute sind wir nach Corona-Bekämpfung, Energiepreis-Krise und Ukraine-Krieg finanziell aber in einer ganz neuen Dimension gelandet.

Und: War es das viele Geld wert?

Das müssen die Bürgerinnen und Bürger entscheiden. Geld allein jedenfalls schießt keine Tore. Das Defizit bei der Infrastruktur wird größer und größer. Sie ist in weiten Bereichen verschlissen und störanfällig. Es war die Entscheidung der Babyboomer, Investitionen in die Zukunft zu vernachlässigen. Stattdessen ging das Geld in den konsumtiven Bereich, also in den Ausbau des Sozialstaats. Da ähnelt die Politik der Raupe Nimmersatt, die immer mehr und mehr und mehr braucht. Und sie denkt in kurzfristigen demokratischen Zyklen, also an die nächsten Wahlen. Viel Geld wurde gar nicht für die Bedürftigen und Schwachen ausgegeben, sondern für die Wohlfahrt der Mittelschichten, die als Wähler wichtig sind.

Und in dieser Situation beschließt die schwarz-rote Regierung eine riesige Verschuldungsorgie. Wird das den kommenden Generationen irgendwann auf die Füße fallen?

Das Risiko kann man nicht leugnen. Jedenfalls dann, wenn wir vermeiden, dass die gegenwärtig lebenden Menschen – also wir – uns vielleicht irgendwo einschränken. Die Finanzierung gegenwärtiger Staatsleistungen über Schulden in die Zukunft zu verlagern und solche Ewigkeitslasten jeder neuen Generation zu überantworten, das ist hoch gefährlich. 2021 hatte der Bund einen Zinsaufwand von rund vier Milliarden Euro zu stemmen. 2023 waren es schon fast zehn Mal so viel. Mit den jetzt neuen Verschuldungsspielräumen und entsprechend wachsenden Schuldenständen werden immer mehr Staatsausgaben für die Zinslast gebunden sein. Bis 2029 wird der Schuldendienst stark ansteigen, es wird mit über 60 Milliarden Euro gerechnet.

Viel neues Geld geht in die Verteidigung. Deutschland soll kriegstüchtig werden. Fließt das Geld an die richtige Stelle?

Wir haben im Mai einen Sonderbericht zum Handlungsbedarf bei der Bundeswehr veröffentlicht und auf Priorisierung der Mittel gedrungen. Es gibt zu viele Uniformträger in nicht-militärischen Verwendungen. Dabei brauchen wir mehr Kräfte in der kämpfenden Truppe. Auch der administrative Überbau hat überproportional zugenommen. Besser wäre: Weniger Kopflastigkeit und mehr Soldatinnen und Soldaten…

…zu viele Häuptlinge, zu wenige Indianer, hätte man früher gesagt…

Ja. Vor allen Dingen haben wir zu viele Soldaten in zivilen Verwendungen. Das liegt auch daran, dass viel zu wenig Junge nachgewachsen sind und viel zu viel Ältere da sind,…

…die nicht zum Schießen taugen…

So würde ich es nicht ausdrücken.

Wenn mehr Geld da ist, steigt das Risiko für unwirtschaftliches Handeln. Sie sprechen von Priorisierung, nicht nur wenn es um Effizienz bei der Verteidigung geht. Was sind Kriterien für Priorisierung?

Es braucht Mut zu Entscheidungen, was Vorrang haben soll und was dann nachrangig bedient wird. Das Umsteuern muss in der Demokratie von der Politik kommen. Es ist eben nicht Geld für alles da. Ein Rechnungshof als neutraler externer Berater kann dazu Fakten und Empfehlungen beisteuern. Doch häufig nimmt die Politik eine Priorisierungsvermeidungsstrategie ein – und das geht dann wie gesagt über Kreditaufnahme zu Lasten künftiger Generationen. Nachhaltig ist das nicht, sondern das Ergebnis von Babyboomer-Egoismus.

Viele Bürger denken, der Rechnungshof prüft nur "Rechnungen" aus der Vergangenheit. Doch Sie warnen vor Lasten in der Zukunft, wenn Sie etwa auf den wachsenden Schuldendienst verweisen oder die kommenden Milliarden-Finanzierungslücken der Pflegeversicherung beziffern. Überziehen Sie damit nicht Ihr Mandat?

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Keinesfalls. Das entspricht zu 100 Prozent unserem Verfassungsauftrag. Es ist unsere Pflicht die Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit der Haushaltsführung zu prüfen. Das sind die Themen, die wir mit 60 richterlich unabhängigen Mitgliedern beackern. Als der Hof 1950 gegründet wurde, war unser Mandat mit der Prüfung der Rechnung rückwärtsgewandt. Doch nach einigen Reformen, insbesondere nach 1969, hat sich das gewandelt. Der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab der Wirtschaftlichkeit ermöglichte die Prüfung aller finanzwirksamen Maßnahmen. Zugleich konnte der Bundesrechnungshof nun direkt an das Parlament berichten. Wir haben das Recht, "über Angelegenheiten von besonderer Bedeutung den Bundestag, den Bundesrat und die Bundesregierung jederzeit zu unterrichten", wie es in der Bundeshaushaltsordnung heißt. Unter Bezug darauf haben wir zum Beispiel unser Gutachten zur Neuausrichtung der Bundeswehr verfasst. Unser Auftrag ist zu prüfen, zu berichten und zu beraten. Wir erheben Fakten, haben Erkenntnisse und aus unseren Feststellungen erwachsen Empfehlungen. Wenn ich Mängel feststelle und Schwachstellen identifiziert habe, dann blicke ich natürlich nach vorne und gebe Empfehlungen, wie ich das in Zukunft besser mache. Und natürlich haben wir auch die Verantwortung, die finanzwirtschaftliche Lage und Entwicklung im Bundeshaushalt zu analysieren und über das Ergebnis zu berichten.

Aber Sie haben keinerlei Sanktionsmöglichkeiten, sind also weniger mächtig als zum Beispiel das Bundesverfassungsgericht. Ein Manko?

Sanktionsmöglichkeiten möchte und darf ich nicht haben. Das würde überhaupt nicht in das System unserer Gewaltenteilung passen. Und wäre auch nicht demokratisch. Wir sind eine Institution, die sich nicht in die exekutive oder legislative Rolle begeben darf. Die Schlüsse aus unseren Empfehlungen müssen Parlament und Regierung treffen. Und der Bürger kann entscheiden, was er davon hält. Wir setzen auf Transparenz.

Gibt es da eine Erfolgsbilanz: Wie viel ihrer Empfehlungen wurde umgesetzt?

Aber ja. Es sind Milliarden, die wir Jahr für Jahr über die Wirkung unserer Prüfungsarbeit für den Staat gewinnen beziehungsweise sparen. Wir machen auch strukturelle Mängel transparent.

Ein Beispiel?

2016 gab es die sogenannte Berateraffäre. Da ging es um millionenschwere Beraterverträge der Bundeswehr, die zum Teil rechtswidrig vergeben wurden. Das haben wir damals aufgedeckt. In der Maskenaffäre während Corona haben wir gezeigt, dass deutlich mehr Masken beschafft wurden als benötigt, und deren Lagerung und Vernichtung horrende Folgekosten von über 500 Millionen Euro verursachen.

Und noch ein Beispiel?

Wir haben erreicht, dass die Autobahnverwaltung, die auf 16 Länder verteilt war, jetzt fusioniert ist in der Autobahn GmbH. Das ist effizient und spart langfristig Geld des Steuerzahlers. In der legendären Starfighter-Affäre in den 60er Jahren konnten wir vorrechnen, dass diese Flugzeuge zwar teuer, aber für die Zwecke der Bundeswehr leider nur bedingt einsatztauglich waren.

Wie entscheiden Sie, was Sie prüfen? Machen das Sie?

Nein. Die Vorschläge kommen aus der Prüferschaft aller Prüfungsgebiete. Auch kann ich keine Aufträge einfach anweisen, sondern muss im Kreis der Mitglieder mit Argumenten überzeugen, dieses oder jenes in unserem nächstjährigen Prüfungsplan aufzunehmen. Das Kollegialprinzip stärkt uns. Vom Parlament nehmen wir gerne Hinweise entgegen, wenn sich alle Fraktionen im Haushaltsausschuss darüber verständigen, dass ihnen ein Thema besonders wichtig ist.  

Und woher bekommen die Prüfer ihre Ideen?

Ich sage nur: Spürnase und Erfahrung. Unsere Stärke sind die vielen unterschiedlichen Fähigkeiten. Wir beschäftigen Ingenieurinnen, Ökonomen, ehemalige Soldaten oder Juristinnen. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir eine digitalisierte Behörde sind. Jeder Zehnte unserer Mitarbeiter hat einen IT-Hintergrund. Durch Effizienzverbesserung und Digitalisierung habe ich 200 Stellen vor allem in der eigenen Prozessorganisation und Verwaltung eingespart, und 30 Prozent an Bürofläche. Ein solches Ergebnis kann keine andere oberste Bundesbehörde vorweisen.

Sie sind jetzt elf Jahre Präsident des Rechnungshofs. 2026, nach zwölf Jahren, endet Ihre Amtszeit. Wie würde der Bundesrechnungshof urteilen, müsste er Ihre Amtszeit prüfen?

Ich bin zufrieden mit der Modernisierung und Effizienzsteigerung meiner Behörde. Der Bundesrechnungshof kann relevante Fragestellungen leistungsfähig bearbeiten. Auch mit der Digitalisierung der Verwaltung. Mit 45 Prozent kann sich auch der Frauenanteil sehen lassen. Wir kommen ja aus einer traditionell sehr männerlastigen Behörde, was auch mit dem vielen Reiseaufwand zu tun hat. Dauernd sind wir unterwegs zu den geprüften Stellen. Durch die Digitalisierung wird das weniger werden.

Was war der spektakulärste Skandal? Die Sanierung des Segelschulschiffes Gorch Fock, die um ein Vielfaches teuer wurde als ein neues Schiff es gewesen wäre?

Ja, das war schon ein Husarenstück. Ursprünglich sollte die Sanierung zehn Millionen Euro kosten, am Ende waren es dann 135 Millionen. Aber da gibt es noch viel mehr, leider auch aberwitzige Beschaffungsgeschichten, die sich nicht nur bei der Bundeswehr entwickelt haben.

Sie sind Rotarier im RC Bonn Süd-Bad Godesberg. Was bedeutet Ihnen Rotary?

Ich habe vor drei Jahren eine Einladung bekommen zum Vortrag in diesem Club. Ich habe eine Runde von interessierten, sympathischen und klugen Menschen angetroffen, mit denen ich mich gerne unterhalte und bin sehr gerne dann dort eingetreten. Wir teilen viele Werte. Vor allem der Berufsdienst liegt mir am Herzen. Da werden Weichenstellungen ermöglicht, nicht nur für jede einzelne Persönlichkeit, sondern für das Gemeinwesen und natürlich auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Das Gespräch führte Rainer Hank.


Kay Scheller ist seit 1. Juli 2014 Präsident des Bundesrechnungshofs. Der studierte Jurist, Jahrgang 1960, war in den 1990er-Jahren in verschiedenen Bundesministerien beschäftigt sowie im Kanzleramt, bevor er 1999 zur Unionsfraktion im Deutschen Bundestag wechselte, für die er von 2005 bis 2014 als Fraktionsdirektor tätig war.