Entscheider-Interview
„Wir müssen Banken neu denken“

Commerzbank-Chefin Bettina Orlopp spricht über Digitalisierung, geopolitische Unsicherheiten und den Wettbewerb mit Tech-Konzernen.
Seit Oktober 2024 steht Bettina Orlopp an der Spitze der Commerzbank. Die promovierte Diplom-Kauffrau, Jahrgang 1970, gilt als eine der profiliertesten Managerinnen der deutschen Finanzwirtschaft. Bereits seit 2014 hatte sie in verschiedenen Leitungsfunktionen im Haus Verantwortung übernommen, zuletzt als Finanzvorständin. Nun führt sie die 1870 gegründete Traditionsbank mit Hauptsitz in Frankfurt am Main in eine neue Ära – und in den Abwehrkampf gegen eine drohende feindliche Übernahme durch die italienische Bank UniCredit. Mit einer Bilanzsumme von rund 582 Milliarden Euro, mehr als 39.000 Vollzeitkräften weltweit und mehr als zehn Millionen Privat- und Unternehmerkunden gehört die Commerzbank zu den bedeutendsten Finanzinstituten Europas.
Frau Orlopp, Sie sind nun seit rund einem Jahr Vorstandsvorsitzende der Commerzbank. Wie fühlt sich Ihre neue Rolle an?
Sie macht mir sehr viel Freude. Ich bin ja schon seit 2014 in der Bank, habe viele Bereiche kennengelernt und durfte Verantwortung übernehmen. Jetzt an der Spitze zu stehen, ist natürlich eine besondere Aufgabe – herausfordernd, aber auch unglaublich spannend.
Sie haben in bewegten Zeiten übernommen. In Ihrer neuen Rolle als CEO hatten Sie vom ersten Tag an auch die Aufgabe, eine feindliche Übernahme durch die UniCredit zu verhindern. Die italienische Bank verfügt über ihre Anteilskäufe bereits über eine Sperrminorität. Spüren Sie das im Alltag?
Nein, im Tagesgeschäft spüren wir das nicht. Aktionäre haben bei börsennotierten Aktiengesellschaften kein direktes Weisungsrecht gegenüber dem Management, wie man es aus anderen Gesellschaftsformen kennt. Der Einfluss der UniCredit beschränkt sich auf ihre Stimmrechte als Aktionär. Die UniCredit hätte zwar die Möglichkeit, Entscheidungen auf der Hauptversammlung zu blockieren, die eine Dreiviertelmehrheit erfordern. Dennoch sollte es nicht im Interesse der UniCredit liegen, die Umsetzung unserer Strategie zu behindern, da sie über ihren Anteil direkt von unserer erfolgreichen Entwicklung profitiert. Die Situation bleibt jedoch komplex: UniCredit ist schließlich nicht nur Investor, sondern über die HypoVereinsbank auch direkter Wettbewerber in Deutschland. Das schafft einen inhärenten Interessenkonflikt, den wir im Blick behalten müssen.
Würde die Commerzbank als Teil der UniCredit-Gruppe auch Größenvorteile nutzen können?
Unsere eigenständige Strategie zeigt messbare Erfolge und schafft nachhaltig mehr Wert für alle unsere Stakeholder – Mitarbeitende, Kunden und Investoren – ohne die Integrationsrisiken einer komplexen Übernahme. Daher fokussieren wir uns konsequent auf unsere Strategieumsetzung. Zumal Größe allein noch kein Qualitätsmerkmal ist. Und schon gar nicht innerhalb Europas. Da müssen erst andere wichtige Dinge geklärt werden.
Zum Beispiel?
Solange die Bankenunion ohne europäischen Einlagensicherung unvollständig ist und eine Kapitalmarktunion fehlt, bleibt der Binnenmarkt fragmentiert. Das ist ein Nachteil im globalen Wettbewerb. Ein konkretes Beispiel: Selbst große europäische Banken können nicht frei Kapital zwischen ihren nationalen Töchtern hin- und her transferieren, etwa um Kapital aus einer starken Region zu nutzen, um in einer anderen Region in die dortige Tochter zu investieren. Banken in Europa sind also selbst dann, wenn sie viele europäische Beteiligungen und/oder Bankentöchter haben, im Vergleich zu US-Instituten im Nachteil. Bevor wir über Vorteile europäischer Bank-Fusionen reden, müssen diese regulatorischen Hemmnisse geklärt werden. Sonst schaffen auch große europäische Institute keine echten Skaleneffekte.
Was sind für Sie die größten Herausforderungen für Banken in Deutschland und Europa?
Die geopolitischen Spannungen verringern die Planungssicherheit unserer Kundinnen und Kunden. Das erfordert innovative Lösungen von Unternehmen, aber auch von ihren Banken als Finanzierungspartner. Wir sind heute viel stärker als früher in strategische Entscheidungen der Kunden eingebunden. Dafür brauchen wir die entsprechenden Ressourcen, aber wir können dort auch unsere Stärken ausspielen. Denn gerade in so einem dynamischen Marktumfeld wie heute zeigt sich die Bedeutung starker lokaler Banken, die ihre Kundinnen und Kunden und ihre Märkte genau kennen. Hinzu kommt Regulierung, die uns Sicherheit gibt, aber auch enorme Anforderungen an Ressourcen stellt, und natürlich die Digitalisierung. Ganz wesentlich ist aber auch die Frage: Wie gut sind wir in Europa darin, junge Menschen auszubilden, weiterzubilden und für die Arbeitswelt fit zu machen? Das betrifft uns als Bank direkt, weil wir nur mit qualifizierten und lernfähigen Mitarbeitenden zukunftsfähig bleiben.
Apropos Ausbildung: Viele Unternehmen klagen über abnehmende Qualifikationen der Bewerberinnen und Bewerber. Und die Universitäten haben immer mehr ein Problem damit, dass Studierende KI-Tools unkritisch nutzen, anstatt sich in Themen tief einzuarbeiten. Spüren Sie diese Entwicklung auch?
Wir erleben beides. Zum einen nutzen wir selbst KI im Haus. Dazu gehört beispielsweise ein Tool, das Mitarbeitenden hilft, die Beantwortung komplexer regulatorischer Fragen zu beschleunigen oder Mails zu optimieren. Das spart Zeit und macht uns präziser. Es geht also nicht darum, ob diese Instrumente genutzt werden – das ist selbstverständlich. Die Frage ist: Können junge Menschen die Ergebnisse kritisch hinterfragen? Verstehen sie, wie wichtig der richtige Prompt ist, wie man also Fragen so formuliert, dass wirklich brauchbare und verlässliche Antworten entstehen? Genau diese Fähigkeiten brauchen wir. Deshalb ist es zentral, dass schon Schulen und Universitäten den Umgang mit KI richtig lehren, anstatt KI als Problem zu sehen und womöglich aus dem Lehrbetrieb zu verbannen. Niemand sollte oder kann die Entwicklungen aufhalten. Auch wir als Bank werden uns verändern.
Was können Kunden in Zukunft von der Commerzbank erwarten?
Kunden wollen vor allem schnelle, professionelle und sichere Dienstleistungen. Basisservices wie Zahlungsverkehr oder Kartenausgabe müssen reibungslos und digital funktionieren – das ist unser Anspruch. Darüber hinaus wollen wir unsere Kundinnen und Kunden dort abholen, wo sie stehen. Manchmal reicht ein digitaler Self-Service, manchmal braucht es den KI-Assistenten, und manchmal ist das persönliche Gespräch im Beratungscenter oder in der Filiale unersetzlich. Entscheidend ist, dass die Kundin oder der Kunde sich jederzeit gut aufgehoben fühlt. KI an der richtigen Stelle kann also hilfreich sein und den klassischen Banken-Service entlasten. Dafür haben wir in diesem Frühjahr Ava, unsere virtuelle Banking-Assistentin, eingeführt. Neben der Beantwortung allgemeiner Fragen zu Produkten der Commerzbank ermöglicht Ava die digitale Durchführung von Banking-Transaktionen, unter anderem die Bestellung einer neuen Kreditkarte, das Sperren oder Entsperren einer Kreditkarte oder Limitänderungen. Wenn es um komplexe Themen geht, etwa Baufinanzierungen, Anlagestrategien oder gar Nachlassregelung, Firmenfinanzierung oder ähnliches, bleiben kompetente persönliche Ansprechpartner gefragt.
Bedeutet das auch eine Verschiebung im Berufsbild „Banker“?
Absolut. Früher war der klassische Berater oft erster Ansprechpartner für alles. Heute werden Routinefragen zunehmend digital erledigt. Das heißt: Unsere Mitarbeitenden müssen komplexere, individuellere Anliegen lösen – und das erfordert hohe Qualifikation und ständige Lernbereitschaft. Parallel entstehen neue Berufsfelder, gerade in IT, Datenanalyse und Cybersicherheit. Natürlich verschwinden auch einige traditionelle Tätigkeiten, aber wir sehen das als Chance.
Neben klassischen Wettbewerbern treten auch Tech-Giganten wie Google oder Apple auf den Plan. Wie sehen Sie diese Herausforderung?
Wettbewerb gehört dazu. Tech-Unternehmen sind stark in Nutzerfreundlichkeit und Reichweite und teilweise gehen wir auch strategische Partnerschaften mit ihnen ein. Banken müssen darauf reagieren, indem sie ihre eigenen Stärken ausspielen: Sicherheit, Regulierung, Vertrauen. Unser Ziel ist es, digitale Services anzubieten, die genauso komfortabel sind – aber mit dem Plus an Verlässlichkeit, die eine Bank mitbringt.
Wo sehen Sie wichtige Aufgabenfelder für die Entwicklung klassischer, historisch gewachsener Banken?
Ganz klar bei den Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Digitalisierung, weil sie Effizienz schafft und Kundenerwartungen erfüllt. Nachhaltigkeit, weil sie für Wirtschaft und Gesellschaft unverzichtbar ist. Banken sollten Finanzierungslösungen bieten, die Unternehmen beim Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft begleiten. Beides gehört für mich untrennbar zusammen.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Was bedeutet Rotary für Sie?
Rotary ist für mich ein faszinierendes Netzwerk. Ich bin dort Menschen begegnet, die aus ganz unterschiedlichen Bereichen kommen – Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft. Das erweitert den Horizont. Und man führt auch viel interessante Gespräche abseits der typischen Bankthemen. Leider schaffe ich es nicht so oft zu den wöchentlichen Treffen, wie ich gerne würde. Aber wenn es klappt, ist es jedes Mal inspirierend.
Das Gespräch führte Matthias von Arnim.
Zur Person

Bettina Orlopp (RC Frankfurt am Main) ist seit 2024 Vorstandsvorsitzende der Commerzbank AG. Zuvor war sie Finanzvorständin und seit 2014 in verschiedenen Leitungsfunktionen für das Institut tätig. Als Ausgleich zu ihrem herausfordernden Job achtet sie auf gutes Zeitmanagement und Balance. Ihr Credo lautet: Nur wer auch privat ein stabiles Fundament hat, kann beruflich wirklich erfolgreich sein. So trifft sie sich auch gerne mit Freunden zum Kartenspielen, mit Vorliebe Skat und Doppelkopf. Zum Golfen kommt sie leider nur noch selten, wie sie sagt.