Rotary Entscheider
„Ich bin kein Sesselkleber“

Ingo C. Peters ist seit 1997 Direktor des Hamburger Luxushotels Vierjahreszeiten an der Binnennalster. Hier hatte er 1980 als Page angefangen und beschlossen, eines Tages als Direktor wiederzukommen…
Herr Peters, Ihr Herz hängt an diesem Hotel. Warum?
Als unser Gründer Friedrich Haerlin das ursprüngliche Haus in einer Versteigerung erwarb, bestand es aus nur elf Zimmern auf drei Stockwerken und der Eingangshalle, unserer jetzigen Wohnhalle. In den folgenden Jahren wurde es durch den Kauf der Nachbarshäuser erweitert und mit einer einheitlichen Fassade versehen. Das bedeutet, wir haben keine zwei Zimmer mit dem gleichen Grundriss. Ganz anders als bei den durchgeplanten Hotelbauten von heute und auch beim Mitbewerber Hotel Atlantic an der Außenalster, das von Anfang an als Hotel konzipiert worden war. Ich sage immer, dieses Haus ist nicht kopierbar.
2024 gab es 16,1 Millionen Übernachtungen in Hamburg. Das entspricht einer Auslastung von 77 Prozent. Konnte auch Ihr Haus davon profitieren?

Ja, wir hatten ein gutes Jahr. Aber Auslastung ist nicht alles, man muss das in Kombination mit den Preisen sehen. Klar kann ich 100 Prozent Auslastung mit einer Rate von 150 Euro fahren. Dann habe ich 75 Euro im Schnitt. Oder ich fahre 50 Prozent mit 200 Euro, dann habe ich 100. Also es gilt, hier auszubalancieren und das ist uns gelungen. Aber natürlich haben wir vom Markt und der Attraktivität Hamburgs profitiert, keine Frage.
Angenommen, Ihr Haus ist ausgebucht. Welches würden Sie empfehlen?
Das Atlantic, das Fontenay und das Tortu mit seinem besonderen Flair.
Wie wichtig ist die Pflege von Tradition und wie schwierig der Spagat zwischen Tradition und Modernisierung?
AußenaSehr schwierig. Tradition ist für uns wichtig, aber nicht um jeden Preis. Wir fragen uns täglich, ist dies oder jenes noch zeitgemäß? Manchmal müssen wir uns um 180 Grad drehen – trotz Bedenken von Mitarbeitern. Vor allem hinsichtlich neuer Technologien muss man genau abwägen, was richtig ist.
Gibt es bei Ihnen noch die großen, schweren Messingschlüssel?
Tatsächlich sind die ein gutes Beispiel für besagten Spagat: Wir wollten uns davon nicht zugunsten der heute üblichen Türkarten trennen, denn die Schlüsselwand hinter der Rezeption ist eines unserer beliebtesten Fotomotive. Andererseits sind unsere Gäste diese Technologie inzwischen gewohnt, daher haben wir uns für einen Kompromiss entschieden und die traditionellen Schlüssel elektronisch aufgerüstet. Die können alles, was Karten auch können, also aufsperren, aber auch auslesen, wer wann im Zimmer war.
Wieso leistet sich das Vierjahreszeiten eine eigene Floristin?
Meine Philosophie ist, möglichst alles selbst zu machen, um die absolute Kontrolle über die Qualität zu haben. Unser Vorteil ist, dass man früher großzügiger gebaut hat, wir haben also ausreichend Platz für Floristik, zu der auch ein Kühlraum gehört. Wer heute baut, achtet sehr auf den Umsatz pro Quadratmeter. Da wird alles, was nicht direkt Umsatz produziert, klein gehalten. Eine eigene Floristik ist ein Riesenvorteil, denn so können wir auch bei spontanen Geburtstagsfeiern mit passenden Gestecken reagieren – Dekoration ist uns sehr wichtig. Tatsächlich habe ich bei jedem Eigentümerwechsel immer wieder erklären müssen, dass es kaum günstiger würde, wenn wir Floristik extern einkauften.
Sie haben immer wieder Prominente zu Gast, wie sind Ihre Erfahrungen im Umgang mit ihnen?
Die meisten Prominenten möchten am liebsten normal behandelt werden. Daher finden Sie bei uns keinen Mitarbeiter, der tuschelt oder gar Selfies machen möchte. Allerdings muss man immer unterscheiden, aus welchen Gründen die VIPs bei uns zu Gast sind. Wer zum Beispiel ein neues Buch oder einen Film promoten will, freut sich über Aufmerksamkeit. Bill Clinton zum Beispiel kam hier mal vorgefahren, stieg aus dem Auto, drehte sich in alle Richtungen und wunderte sich, wo die Menschenmassen waren. Leider waren nur fünf oder zehn Leute seinetwegen gekommen, eine ausgesprochen peinliche Situation.
Was war denn der kurioseste Wunsch, an den Sie sich erinnern?
Für ein Staatsoberhaupt musste die Eingangstreppe verändert werden, weil die Person eine gewisse Stufenhöhe und Tiefe gewohnt war und diese überall vorfinden wollte. Dafür haben wir eine Holztreppe über unsere normale Eingangstreppe gelegt und mit Marmor beklebt. Das Staatsoberhaupt durfte keinesfalls erkennen, dass diese Treppe extra angefertigt worden war – das war schon sehr skurril.
So wie das Lagern von Spezial-Betten für den einen oder anderen Stammgast?
Nicht nur Betten, sondern auch andere Möbel, Bilder und Teppiche. Aber wie gesagt, wir haben viel Platz, zum Beispiel auf unserem Dachboden…
… den man auch für einen Pool nutzen könnte, denn der fehlt doch.
Unser Gründer hat immer gesagt, unsere Gäste haben einen Swimmingpool zu Hause. Die brauchen keinen, wenn sie im Hotel wohnen. Natürlich wäre ein Pool irgendwie machbar, aber dann müsste etwas anderes weichen und ich wüsste nicht, was. Tatsächlich scheint ein Swimmingpool für die Entscheidung, welches Hotel man bucht, eine große Bedeutung zu haben, aber die Zahl der Gäste, die ihn dann tatsächlich nutzen, liegt bei unter zehn Prozent.
Dafür haben Sie einen Anleger für Alsterdampfer.
Ja, zehn Meter gegenüber vom Eingang, für Hochzeiten beispielsweise wunderbar.
Wie haben Sie die Pandemiezeit für das Haus genutzt?
Intensiv. Das war ein komisches Gefühl, selbst über zwei Weltkriege hindurch ist das Hotel nie geschlossen gewesen. Aber dann haben wir diverse Projekte angeschoben, zum Beispiel den Empfang umgebaut, den Weinkeller saniert sowie sämtliche Innenhöfe neugestaltet. Und radikal ausgemistet – bis hin zu den AGBs. Das war eine irre Zeit – und für den Zusammenhalt der Mitarbeiter fast ein Geschenk.
Die Pandemie ist zu Ende, der Krieg gegen die Ukraine nicht – wie viele Gäste aus Russland haben Sie derzeit im Haus?
Keine. Hamburg hatte noch nie besonders viele russische Gäste, nicht so wie in Baden-Baden, da kommen die im fast zweistelligen Prozentbereich. Ein paar arabische Gäste haben wir, aber nicht so in der Quantität, wie in München oder in Düsseldorf. Wir setzen nie auf eine bestimmte Nation, damit vergrault man andere Gäste. Balance zu halten ist entscheidend. Ich möchte, dass sich hier jeder wohl fühlt – und das beziehe ich auch auf verschiedene Altersklassen und Berufsgruppen
Wie eng ist denn die Verzahnung mit der Hamburger Gesellschaft?
Sehr eng. Sehr viele Generationen von Hamburgern haben hier schon mal gefeiert – ob Geburtstag, Hochzeit oder Taufe – und das ist bis heute so. Gerade haben wir eine spontane Geburtstagsfeier für eine 19-Jährige ausgerichtet.
Ihr Haus hat seit 1989 mehrfach den Besitzer gewechselt, warum fehlt es hier an Konstanz?
Also das passiert heutzutage öfter und es hat uns nicht geschadet. Jedes Mal, wenn ein neuer Besitzer kommt, hat der auch Ziele und investiert. Unsere Eigentümerin seit 2013 ist Familie Dohle. Der Senior, gerade 90 geworden, war Anfang der 50er Jahre in Hamburg und spazierte bewundernd an unserem Hotel vorbei, traute sich aber erst nach zwei Tagen, hineinzugehen, um mit abgezählten Münzen an der Bar einen Gin Fizz zu nehmen… Und nun besitzt er das Haus. Er und seine Familie versuchen nicht, kurzfristig Geld rauszuziehen, sondern treffen lieber langfristige Entscheidungen, die unserem Haus – und deren Investment – guttun sollen.
Leidet Ihr Haus unter Personalmangel?
Wir haben keine Probleme im Vergleich zur Branche. Tatsächlich haben wir eine sehr gute Nachfrage, aber der Markt ist wirklich eng. Zwei Punkte lassen sich auch bei uns nicht ändern, das eine sind die Arbeitszeiten an Sonn- und Feiertagen sowie der Schichtdienst, das andere ist die Bezahlung, wo es kaum Luft nach oben gibt. Aber dafür können wir unseren Mitarbeitern andere Dinge bieten, die nur wenig oder gar kein Geld kosten – die Nutzung des Fitnesscenters beispielsweise und kostenlose Verpflegung.
Sie stammen aus einer Akademikerfamilie, aber fingen nach dem Abitur im Vierjahreszeiten als Page an. Wie fanden Ihre Eltern das?
Es gab riesigen Ärger zu Hause. Meine Mutter war Apothekerin und stolz darauf, Pharmazie studiert zu haben, aber für mich war sie jemand, der einfach nur Medikamente verkaufte – dazu hatte ich keine Lust. Mein Vater wollte am liebsten, dass ich Architekt werde, so wie er. Aber ich wusste schon damals, ich wäre nur ein mittelmäßiger Architekt geworden.
Sie sind über viele Jahrzehnte diesem Haus verbunden, die Rente ist nicht mehr lange hin, haben Sie noch Lust?
Ich bin kein Sesselkleber, aber wir haben im Laufe der Jahre viele langfristige Entscheidungen getroffen und es läuft nun sehr gut. Wenn man sieht, wie die Saat aufgeht, bringt das natürlich Spaß. Aber es gibt auch Sachen, bei denen ich mich frage: Habe ich Lust, mich da noch einzuarbeiten? Ich finde, dann, wenn man merkt, man ist nicht mehr relevant, sollte man Tschüss sagen.
Was schätzen Sie an Rotary generell und an Ihrem Rotary Club speziell?
Es ist eine tolle Gemeinschaft und wir leben Rotary in unserem Club noch sehr ursprünglich – mit vielen traditionellen Regeln. Der RC Hamburg ist der erste Club, der in Deutschland ins Leben gerufen wurde und Fritz Haerlin, Sohn des Hotelgründers, war damals Gründungsmitglied. Ich empfand es 1999 als große Ehre, hier aufgenommen worden zu sein und für den Club auch Gastgeber zu sein. So wie auch für den RC Hamburg-Alstertal.
Gibt es auch Hands-On bei Ihnen?
Gerade haben wir einen Seniorenausflug organisiert. Wir haben die Senioren mit unseren Autos abgeholt und sind mit ihnen zum Kaffee trinken aufs Land gefahren.
Von Ihren Clubaktionen bekommen wir beim Magazin nur selten etwas mit…
… Wir haben viele Mitglieder auch in höheren Positionen. Die scheuen die Presse ein bisschen. Sie sagen, lieber was Gutes tun und nicht so viel drüber reden. Hanseatisches Understatement eben. Wie bei unseren Gästen: So manch einer fährt nur mit einer C-Klasse vor, mit Stoffsitzen und Kurbeln…

Zur Person:
Ingo C. Peters, RC Hamburg, geboren 1961, absolvierte eine Ausbildung im Hotel Vier Jahreszeiten, studierte an der Cornell University in Ithaca/New York und arbeitete anschließend im Westin in Boston, im Ritz-Carlton in Philadelphia und später im Mandarin Oriental auf Phuket/Thailand und in Jakarta/Indonesien. 1997 kehrte er als Hoteldirektor ins Hotel Vier Jahreszeiten zurück.