Festspiele 2025 – Entscheider
Acht Takte für die Ewigkeit

Als Leiter des Johann-Strauss-Orchesters ist der niederländische Stargeiger André Rieu der legitime Nachfolger von Johann Strauss. Ein Gespräch über das große Vorbild und die Freude an der Unterhaltung
Sie sind ein klassischer Violinist, wurden in Maastricht geboren und spielten bis 1989 unter der Leitung Ihres Vaters im Limburgs Symfonie Orkest. Wie kamen Sie zu Johann Strauss, dem wohl Wienerischsten in der langen Reihe von Komponisten dieser musikalischen Weltmetropole?
Ich habe meinen ersten Walzer im Alter von fünf Jahren im Konzert meines Vaters gehört. Nach einem Programm mit Bartók, Beethoven oder Mozart spielte er häufig Walzer als Zugabe. Und plötzlich änderte sich die Atmosphäre im Publikum. Die Zuschauer lächelten, bewegten sich zur Musik. Den Zauber, der von der Musik von Johann Strauss ausgeht, habe ich also bereits als ganz kleiner Junge wahrgenommen und mir gedacht: Das möchte ich auch machen.
Was bedeutet Ihnen Wien? Nehmen die Wiener es Ihnen ab, dass Sie sich mit Ihrem Ensemble, dem JohannStrauss-Orchester, ganz bewusst in diese Tradition stellen?

Zwei der schönsten Konzerte meiner Karriere habe ich in Wien gegeben. Das eine auf dem Michaelerplatz, das andere vor dem Schloss Schönbrunn. Mit der Kulisse des Schlosses bin ich 2008 auch auf Welttournee durch zahlreiche Stadien gegangen. Drei Jahre später erhielt ich vom Wiener Landtag das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, als Botschafter der Musik von Johann Strauss für Wien und Österreich. Darauf bin ich unglaublich stolz.
Wenn man Sie auf der Bühne vor der Kulisse des Schlosses Schönbrunn sieht und das goldene Johann-Strauss-Denkmal im Wiener Stadtpark vor Augen hat, dann ist eine gewisse Ähnlichkeit in Haltung und Statur unverkennbar. Ist das Marketing oder eine bewusste Anverwandlung an das große Vorbild?
Ich habe mein Orchester 1987 gegründet, weil ich die Musik von Johann Strauss spielen wollte. Das ging mit meinem ersten Ensemble, dem Maastricht Salon Orkest, nicht, dafür waren wir zu klein. Heute habe ich 120 Mitarbeiter und das größte private Orchester der Welt. Ich wollte mit meinem Publikum kommunizieren, den Menschen in die Augen schauen und ihnen nicht den Rücken zukehren. Das hat nichts mit Marketing zu tun; ich will die Freude und Energie, die wir auf der Bühne spüren und die diese herrliche Musik verdient, mit dem Publikum teilen. Den Namen „Walzerkönig“ haben mir dann die Medien gegeben, nicht ich. Ich spiele in meinen Konzerten natürlich auch Walzer, aber vor allem ein gemischtes Programm aus Weltmusik, Schlagern, Arien, Filmmusik oder auch Popsongs. Alles andere wäre langweilig.
Sie hätten also auch nichts dagegen, wenn man Sie – wie zu Strauss’ Zeiten – als einen Stehgeiger bezeichnen würde?
Absolut nicht. Ein Stehgeiger ist ein Violinist, der sein Orchester stehend mit der Geige in der Hand leitet. Neben Johann Strauss war auch Joseph Lanner ein Stehgeiger. Und Willi Boskovsky hat viele Jahre lang das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker mit Geige geleitet. Es ist schön, damit auch ein Teil des Orchesters zu sein.
Wie erklären Sie sich die fast zeitlose Popularität der Werke von Johann Strauss, der ja wie kaum ein anderer für den Zeitgeschmack, für die Walzerseligkeit des späten 19. Jahrhunderts steht?

Nicht mit dem Rücken zum Publikum: Rieu interagiert mit seinen Fans © André Rieu Productions/Marcel van Hoorn
Sein Melodienreichtum ist unglaublich. Hören Sie seiner Musik einmal wirklich mit dem Herzen zu. Dann erübrigt sich jede Erklärung.
Woher kommt die Wertschätzung seiner Künstlerkollegen vom „ernsthaften Ufer“ der Musikgeschichte? Strauss sei der Einzige, den er beneide, hat der kritische Johannes Brahms einmal bekannt. Und Richard Wagner, der nur wenige Konkurrenten neben sich duldete, hat ihn zum „musikalischsten Schädel der Gegenwart“ erklärt.
Strauss war einzigartig in seiner Zeit. Brahms, Bruckner, Mahler – alles großartige Komponisten, vor allem im symphonischen Fach. Aber Strauss war der Einzige, der auf diesem Niveau Unterhaltungsmusik machte. Brahms und Strauss haben 1894 Zeit zusammen in Bad Ischl verbracht. Bei einer dieser Zusammenkünfte malte Brahms ein paar Takte auf, dazu die Worte: „Leider nicht von mir.“ (lacht) Ich denke, die anderen Komponisten bewunderten Strauss für seine vielseitigen Melodien und die Leichtigkeit, mit der er komponierte.
Strauss, den manche vielleicht wie seinen Vater eher in der Welt der Wiener Heurigenkneipen, der Schrammelmusik und der leichten Muse vermuten, war ein international erfolgreicher Künstler, der mit Ehrungen überschüttet wurde, und zugleich ein höchst moderner Musikproduzent, der seine Schlager, seine Ohrwürmer fast fabrikmäßig herstellte. Wie passt das zusammen?
Strauss so zu unterschätzen, wird ihm nicht gerecht. Seine Kompositionen sind herrlichste Unterhaltungsmusik auf höchstem Niveau. Die Walzer sind übrigens sehr schwer zu spielen. Strauss hatte fünf Orchester, war ein Genie. Wenn es beispielsweise einen Operetten-Oscar gäbe, würde Die Fledermaus in jeder Kategorie gewinnen.
Émile Zola, der berühmte französische Schriftsteller, hat über Strauss einmal gesagt, dass er uns zeige, wie schön die Welt sein kann. Aber um welchen künstlerischen Preis ist dieser Effekt erkauft? Auch Ihnen hält man ja gelegentlich vor, dass Sie Ihr Repertoire glätten, dass Sie vor allem populäre, eingängige Titel spielen. Was antworten Sie diesen Kritikern?

Mit 120Mitgliedern ist André Rieus Orchester das größte private Orchester der Welt © André Rieu Productions/Marcel van Hoorn
Ich spiele ausschließlich Musik, die mein Herz berührt. Denn dann wird sie auch die Herzen meiner Zuschauer berühren. Viele Stücke sind sehr berühmt, andere, wie etwa das ukrainische Volkslied Nitsch jaka, gar nicht. Es ist doch fantastisch, Menschen zu zeigen, wie schön die Welt sein kann! Zu meinen Sommerkonzerten nach Maastricht kommen 150.000 Zuschauer aus rund 100 Ländern der Welt jedes Jahr im Juli. Die gehen alle glücklich nach Hause und können ihre Sorgen für einen Abend vergessen. Die meisten Kritiker waren übrigens noch nie in einem meiner Konzerte.
Was gibt die Musik von Johann Strauss unserer heutigen Zeit noch? Nostalgische Gefühle, Ablenkung? Erreichen Sie mit Ihren Auftritten auch noch ein jüngeres Publikum?
Die Musik ist zeitlos. Sie gibt Freude. In meine Konzerte, egal ob in Mexiko, Australien oder Deutschland, kommen viele Familien, von den Enkeln bis zu den Großeltern. Und auch Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Ich sehe Ehepaare miteinander tanzen, die das wahrscheinlich seit Jahren nicht mehr gemacht haben. Das ist doch schön.
„An der schönen blauen Donau“ ist zur zweiten Nationalhymne Österreichs geworden. Was müssen solche Walzer an sich haben, damit sie bis heute ein großes Publikum, eine große Gemeinschaft, berühren? Acht Takte von „Wiener Blut“, und er gäbe eine ganze Oper dafür, hat sein großer Namensvetter Richard Strauss einmal bekannt. Acht Takte, Maestro Rieu, worin besteht deren Zauber?
Das Zitat geht noch weiter: „Acht Takte von ‚Wiener Blut‘, und ich gebe eine ganze Oper dafür. Es ist viel schwerer, einen schönen Walzer zu schreiben, als eine mittelmäßige Symphonie zu komponieren.“ Der Zauber besteht in deren Schönheit.
Das Gespräch führte Johann Michael Möller.
Zur Person:
André Rieu spielt auf einem echten Schatz: Seine Stradivari, Baujahr 1667, ist also über 350 Jahre alt und hat einen Wert von 2,2 Millionen Euro. Neben seiner Muttersprache Niederländisch spricht er fließend Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch und Italienisch.
Konzerttermine 2025
14.5.2025 Chemnitz
Messe Chemnitz, 19.00
15.5.2025 Leipzig
Quarterback-ImmobilienArena, 19.30
16.5.2025 Erfurt
Messehalle Erfurt, 19.30
17.5.2025 Halle (Westfalen)
OWL-Arena, 19.00
30.10.2025 Köln
Lanxess-Arena, 19.30
31.10.2025 Frankfurt am Main
Festhalle Frankfurt, 19.00 1.11.2025 Oberhausen Rudolf-Weber-Arena, 19.30

André Rieus neues Album „The Sound of Heaven“ vereint Melodien von Künstlern wie Georg Friedrich Händel, Andrew Lloyd Webber, Giacomo Puccini, Abba und John Williams, darunter bekannte Stücke aus Musicals und Filmen. Zusätzlich enthält das Album eine Bonus-DVD mit Höhepunkten aus Rieus Konzerten.