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Entscheider-Interview

Bankerin aus Leidenschaft

Entscheider-Interview - Bankerin aus Leidenschaft
Souâd Benkredda ist Mitglied des Vorstands der DZ BANK AG. © DZ Bank

Souad Benkredda hat sich als Tochter einer Reinigungskraft und eines Arbeiters in den Vorstand der zweitgrößten deutschen Bank hochgearbeitet. Ein Gespräch über Vertrauen, Trump und Rotary

Rainer Hank01.05.2025

Souad Benkredda will nichts trinken. Noch nicht einmal ein Glas Wasser. Es ist Ramadan, der Fastenmonat der Muslime. Diesen hält sie streng. Essen und Trinken gibt es erst nach Einbruch der Dunkelheit. Mitten in der Nacht wird sie noch einmal aufstehen zum Gebet. Die Religionen kannten die Wirkung des Heilfastens schon vor Tausenden von Jahren. Auch wenn es damals noch keine naturwissenschaftliche Begründung dafür gab. Unser Gespräch hat damit sofort sein Thema: Den biografischen Hintergrund der Bankerin Benkredda.

Sie haben eine sehr ungewöhnliche Migrationsbiografie. Ihre Eltern sind aus Algerien nach Deutschland eingewandert. Wie muss man sich das vorstellen?

Meine Familie mütterlicher- und väterlicherseits hat im Unabhängigkeitskrieg für Algerien gegen Frankreich gekämpft und wir haben viele Familienmitglieder verloren. Ein Großvater war Friseur und mein anderer Großvater war ein islamischer Heiler, ein sehr spiritueller und sehr angesehener Mann, der nur arabisch lesen und schreiben konnte. 1871 wurde er geboren. Mein Vater war sein jüngstes Kind, geboren 1927. Sein Geld hat auch er als Friseur verdient. Ich kam 1976 auf die Welt. Lediglich drei Generationen durchmessen über 100 Jahre. Mein Großvater mütterlicherseits wurde zu Tode gefoltert; ein Onkel erschossen. Mein Vater hat im Widerstand gekämpft und verletzt überlebt.

Das haben Ihre Eltern Ihnen alles erzählt?

Nein, meine Eltern haben nie von dem Krieg erzählt. Das habe ich erst später als Erwachsene langsam herausgefunden.

Warum haben die Eltern nichts erzählt? Der Vater war doch ein Held.

Ja, das war er. Meine Familie hat es mit erreicht, die Fremdherrschaft der Franzosen abzuschütteln. Inzwischen gibt es sogar einen Platz in unserer Heimatstadt Sidi Bel Abess im Nordwesten Algeriens, der nach meiner Familie benannt ist. Man könnte denken, meine Eltern waren traumatisiert und haben deshalb nichts erzählt. Aber das war es nicht. Die haben nicht darüber gesprochen, weil es für sie selbstverständlich war, sich gegen ein ungerechtes Regime zu wehren. Es schien ihnen nicht der Rede wert. Erst als mein Vater alt wurde, hat er sich von meiner Mutter überreden lassen, als Nationalheld eine Anerkennung aus Algerien zu akzeptieren.

Wie ist der Vater nach Deutschland gekommen?

Das ist eine lange Geschichte. Der Vater wurde mit 17 in einer arrangierten Ehe mit einer Cousine verheiratet. Sie hatten fünf Kinder. Die Ehe war unglücklich. Nach der Unabhängigkeit kam mein Vater über einige Umwege nach Deutschland. Er war immer ein intellektuell neugieriger Mann. Er hat sich in Deutschland und die Deutschen verliebt, weil er sich mit dieser Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, was man im Ausland als deutsche Tugenden bezeichnet, selbst sehr identifiziert und sie verkörpert hat. Das entsprach seinem Charakter. Er hat dann als Drucker bei der Frankfurter Societätsdruckerei gearbeitet und meine Mutter geheiratet, die auch aus Algerien stammt. Das wurde eine glückliche Ehe. Ich habe noch zwei leibliche Geschwister, ich bin die Jüngste. Insgesamt sind wir acht. Meine Mutter hat in einer Filiale der Frankfurter Volksbank im Nordend geputzt, über der wir gewohnt haben.

Kann es sein, dass Sie diese Neugier geerbt haben, die Sie als Kind armer algerischer Einwanderer mit 45 Jahren in den Vorstand der zweitgrößten deutschen Bank gebracht hat?

Ja, ich glaube, das ist ein Grund – gepaart war diese Neugier mit einer tiefen Bescheidenheit, die meine Eltern uns mitgegeben haben. Wir sind ins Leben gegangen und haben immer gesagt, wir wollen etwas lernen und wir wissen eigentlich wenig. Wir wollen offen sein gegenüber allem Neuen. Mit einem Grundoptimismus an die Dinge rangehen. Das habe ich unbewusst von meinen Eltern immer mitbekommen. Die haben sich ehrlich hochgearbeitet, meine Mutter als Reinigungskraft, mein Vater als Drucker. Sie sind dabei mit Optimismus, mit einem Lachen jeden Tag aufgewacht. Das hat natürlich auf uns abgefärbt.

Dass Sie studieren, dafür allein nach Paris gehen, das alles haben die Eltern unterstützt?

Ja. Ich musste mich mit 18 entscheiden, ob ich den traditionellen Weg gehe und früh heirate, so wie es sich eigentlich gehörte für eine Frau. Oder ob ich einen anderen Weg gehe. Für mich war klar: Ich wollte nicht ein ganzes Leben von einem Mann abhängig sein. Meine Eltern haben meine Entscheidung unterstützt. Hätten sie gesagt, ich solle den traditionellen Weg als Frau gehen, hätte ich mich gefügt. Aus Liebe!

Das brachte eine Entfremdung von den Eltern? Modernes Banking ist eine komplexe Angelegenheit.

Nein. Sie wussten, ich arbeite bei einer Bank. Im Studium hatte ich Derivate als Spezialfach. Dass sie wissen mussten, was das ist, fand ich nicht wichtig. Ich fand es ja auch nicht besonders spannend darüber zu erzählen. Meine Familie und meine Eltern und Geschwister waren für mich die wichtigsten Mentoren, die ich hatte. Sehen Sie: Als eine muslimische, algerische, junge und unverheiratete Frau mit Anfang 20 alleine nach Paris zu gehen und zu studieren, das macht man normalerweise nicht. Das gab es auch in dem Freundeskreis meiner Eltern nicht, weder in Algerien noch in Deutschland. Aber meine Eltern haben mich unterstützt.

Sie haben Karriere gemacht als emanzipierte, assimilierte Frau, die fünf Sprachen spricht und die Welt kennt. Diese Welt stand nie im Widerspruch zu Ihrem Glauben und ihrer tiefen Religiosität?

Nein, nie. Ich habe den Glauben nie abgelegt. Zum Beispiel jetzt der Ramadan. Das war für uns Kinder damals immer eine schöne Zeit. Und so fühle ich es auch heute wieder.

Wie sind Sie denn zum Kapitalmarkt als Ihrem beruflichen Thema gekommen?

Beim Studium in Paris bin ich durch einen Zufall auf den Trading Floor bei der Société Générale gekommen, weil ein Kommilitone von mir in Frankreich dort ein Praktikum machen sollte. Aber er hatte sich das Bein gebrochen. Ich hatte keine Ahnung, was für ein Metier das genau ist. Dann kam ich auf diesen Trading Floor mit 400 Menschen – genauer gesagt waren es etwa 400 Männer – und dann habe ich mich in diese Atmosphäre verliebt. Ich fand einfach die Energie so toll. Diese Atmosphäre hat mich auch später bei der Deutschen Bank immer fasziniert und fast 16 Jahre dort gehalten. Es hat mir gefallen, in einem Umfeld zu arbeiten, in dem egal war, dass meine Mutter Putzfrau war, mein Vater ein Arbeiter und dass ich einen ungewöhnlichen Lebenslauf hatte und wir auch zeitweise Sozialhilfeempfänger waren. Es war nie ein Thema, weil auf dem Trading-Floor einfach nur die Kompetenz, die Dynamik und die Ideen zählen, unabhängig von der Person, die dahintersteht.

Sie hatten keinen Nachteil als Aufsteigerin?

Nein, ich merke bis heute, dass ich einen anderen Lebenslauf habe als andere in meiner Position. Obwohl ich in Deutschland geboren und aufgewachsen bin, habe ich bis heute Probleme zum Beispiel mit deutschen Sprichwörtern und bestimmten Redewendungen. Das mag daran liegen, dass Arabisch meine erste Muttersprache war. Aber das sind Kleinigkeiten. Und wenn ich etwas nicht weiß, dann frage ich einfach. Natürlich habe ich immer gemerkt,dass viele Kommilitonen und Kollegen einen sehr hohen Bildungsgrad haben und die Eltern häufig Akademiker, waren. Dass das bei mir nicht der Fall war, hat mich nie gestört. Im Gegenteil. Meine Eltern gehören zu den intelligentesten Personen, die ich je getroffen habe. Das eine hat nicht unbedingt etwas mit dem anderen zu tun.

Sie sind in der Welt herumgekommen, haben lange in Dubai und London und Paris gelebt, für die Deutsche Bank und Standard Chartered gearbeitet. Jetzt sind Sie wieder in Frankfurt zurück und bei den Volks- und Raiffeisenbanken gelandet, den langweiligsten Banken, die man sich vorstellen kann.

Sagen wir es mal so: Bei einer für mich angesichts meiner bisherigen Berufserfahrung eher unkonventionellen Bank. Aber das passt sehr gut und langweilig ist sie ganz sicher nicht. Die genossenschaftlich-kooperative Idee gefällt mir gut, wie mir auch der Shareholder-Gedanke bei der Deutschen Bank gut gefallen hat. Beides liegt mir, was man erst verstehen kann, wenn man meine Vita ein bisschen besser kennt. Als ich durch die Flure gelaufen bin am Tag meiner Bestellung als Vorständin, habe ich eigentlich nur an meine Eltern gedacht. Weil meine Mutter ja Reinigungskraft bei der Frankfurter Volksbank war. So schließt sich der Kreis.

Ist die Genossenschaftsidee wirklich noch zeitgemäß?

Ja, die Genossenschaftsidee bedeutet, "was der eine allein nicht schafft, schaffen viele". Wenn ich einen Mengenrabatt bekomme bei einem Händler, dann ist er nur dann vorteilhaft, wenn ich eine große Menge abnehme. So ähnlich geht unser Prinzip. Wenn einer anfragt, sind die Konditionen nicht so gut, als wenn sich viele zusammentun. Das beruht auf den Vorteilen einer Bündelung von gemeinsamen Interessen, um diese Interessen wiederum wirtschaftlich effizienter durchzusetzen. Ich finde es sehr schön, dass es hier keinen gibt, der von oben herab etwas diktiert. Das geht gar nicht, denn die Genossenschaftsbanken, deren Spitzeninstitut wir sind, sind zugleich unsere Eigentümer. Wir müssen mit Konsens Stabilität und Nachhaltigkeit erzielen.

Keine Nachteile?

Doch. Konsens dauert tendenziell länger. Aber in einer Welt wie der unseren, wo sich die Ereignisse permanent überschlagen, hat ein wahrer Konsens viel Gutes. Wir sind zugleich Avantgarde: Das sehen Sie zum Beispiel an unserem Krypto-Angebot, das ich verantworte, wo wir eine der ersten Banken waren, die diese Produkte über die Volks- und Raiffeisenbanken auf den Markt gebracht hat. Hätte man nicht erwartet, oder?

Die drei Säulen der Banken in Deutschland – private, öffentliche und genossenschaftliche Institute – verhindern die Konsolidierung des Finanzplatzes. Die Folge ist zum Beispiel, dass die Commerzbank Übernahmeziel für die italienische Unicredit wird.

Wenn Sie auf den genossenschaftlichen Finanzsektor schauen, dann haben wir hier schon viel Konsolidierung hinbekommen durch ungefähr eine Halbierung der Anzahl der Institute. Vor 25 Jahren hatten wir über 1400, heute sind wir weniger als 700 Banken.

Sie persönlich sind öffentlich sehr präsent, sitzen oft auf Panels – zuletzt etwa in Davos beim World Economic Forum (WEF). Macht Ihnen das Spaß?

Ja, das macht großen Spaß! Ich freue mich, dass ich zu diesen Formaten angefragt werde und mich inhaltlich einbringen darf.

Na ja, die Auswahl an Top-Bankerinnen mit Kapitalmarktexpertise und maghrebinischem Migrationshintergrund ist ja auch überschaubar.

Umso erfreulicher, dass ich mit meiner etwas ungewöhnlichen Vita dazu beitragen kann, dass sich das ändert.

Wie kriegen Sie die Work-Life-Balance gebügelt? Die Kinder, 14-jährige Zwillinge, sind auf dem Internat in England. Ihr Mann lebt weiterhin in Dubai, habe ich gelesen?

Nein, mein Mann, der im Immobilienbereich tätig ist, lebt heute zwischen London und Berlin. Also treffen wir uns als Familie in der Regel in Berlin oder in London. Manchmal kommt er mich auch in Frankfurt besuchen.

Wie sorgenvoll oder zuversichtlich blicken Sie in die aktuelle Weltlage? Wie werden sich die unglaublichen Summen der staatlichen Neuverschuldung auf Kapitalmärkte und Anleger auswirken?

Unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten stellen sich einige wichtige Fragen. Für das Kapitalmarktgeschäft selbst ist Volatilität aber an sich gut. Wir sind Risikoabnehmer für unsere Kundinnen und Kunden, sowohl auf der Investitionsseite als auch auf der Absicherungsseite. Von daher würde ich sehr hoffen, dass 2025 ein lebhaftes Kapitalmarktjahr wird.

Trumps Zollpolitik führt nicht zu einer weltweiten Rezession und einem Ende der Globalisierung?

Das glaube ich bei aller Unwägbarkeit seiner Politik derzeit eher nicht. Die Kehrseite ist ja, dass wir einen stärkeren Euro haben. Auf der Aktienseite haben wir zugleich die interessante Entwicklung gesehen, dass durch stärkere geopolitische Unsicherheiten aus den USA in den letzten Wochen europäische Aktien und auch der Dax profitiert haben. Wenn Sie wiederum auf die Anleihenmärkte schauen, dann werden sich die Staatsschulden auf die Renditen auswirken. Die Staaten müssen Risikoaufschläge beim Zins bezahlen. Und Deutschland wird – zumindest erkennen wir das an den Entwicklungen im Kapitalmarkt in den letzten Wochen – deutlich mehr Zinsaufwand für den Schuldendienst schultern müssen. Von daher sind das bewegte Zeiten, in denen wir leben.

Alles prima?

Da verstehen Sie mich falsch. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, zwar nicht über Deregulierung, so doch zumindest über smarte Regulierung nachzudenken. Und das empfinde ich als positiven Impuls.

Zurück nach Frankfurt. Ihre Bank steht am Rande des berühmt-berüchtigten Frankfurter Bahnhofsviertels. Ein Standortnachteil, oder?

Tatsächlich ist es so, dass wir noch einiges zu tun haben im Bahnhofsviertel. Ich sehe das immer, wenn ich hier regelmäßig die U-Bahn zum und vom Bahnhof nehme Und unseren Mitarbeitern und Kunden geht es genauso. Deswegen möchten wir als Bank einen Beitrag zur Verbesserung der Lage leisten, gemeinsam mit der Stadt Frankfurt. Zusammen mit der Frankfurter Volksbank und anderen Banken und Anrainern haben wir die Unternehmensinitiative Bahnhofsviertel gegründet. Darüber unterstützen wir die Arbeit verschiedener Einrichtungen im Viertel finanziell. Aber es braucht Zeit, bis wir Erfolge sehen.

Zuletzt gefragt: Was bedeutet Rotary für Sie?

Es ist für mich ein unheimlich wichtiges Netzwerk, das sehr anders ist als meine beruflich fokussierten Netzwerke. Umso mehr bedauere ich, nicht noch regelmäßiger an den Meetings teilnehmen zu können.

Das Gespräch führte Rainer Hank

© Dirk Moll/DZ Bank

Zur Person:

Souad Benkredda, geboren 1976 in Frankfurt am Main, studierte Wirtschaftswissenschaften in Frankfurt am Main und Paris. Seit September 2022 ist sie Mitglied des Vorstands der DZ Bank und verantwortlich für das Kapitalmarktgeschäft, die Group Treasury und die Auslandsstandorte. Die DZ Bank ist das Spitzeninstitut der Volks- und Raiffeisenbanken; zur Gruppe gehören unter anderem die R+V-Versicherung und die Fondsgesellschaft Union Investment. Zuvor war Benkredda Global Head of Strategic Investor Group Sales bei der Standard Chartered Bank in Dubai. Sie begann ihre Karriere 2001 bei der Deutschen Bank im Kapitalmarktgeschäft, wo sie knapp 16 Jahre lang verschiedene Managementpositionen in verschiedenen Märkten in Frankfurt, Dubai und London innehatte. Frau Benkredda ist verheiratet; das Paar hat 14-jährige Zwillinge.

Rainer Hank

Rainer Hank, RC Frankfurt am Main-Städel, leitete 17 Jahre das Ressort Wirtschaft und "Geld & Mehr" der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Seit 2018 ist er Publizist und Kolumnist für unterschiedliche Medien, seine Kolumne "Hanks Welt" erscheint jeden Sonntag in der FAS.