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Harmonie kommt teuer

Forum - Harmonie kommt teuer
Ein Bild aus längst vergangenen Zeiten: Die Spitzenpolitiker der Ampel-Parteien demonstrieren Geschlossenheit und Stärke. © Michael Kappeler/Picture Alliance/DPA

Die kommende Bundestagswahl wirft ihre Schatten voraus, denn billiger wird’s sicher nicht. Zur politischen Ökonomie von Koalitionen

Rainer Hank01.01.2025

Auch die nächste Bundesregierung wird eine Koalition aus mehreren Parteien sein. Dafür sorgt das deutsche Verhältniswahlrecht. Es verhindert, dass eine Partei durchregieren kann. „The winner takes it all“ ist nur möglich in Ländern mit Mehrheitswahlrecht (Großbritannien, USA). Hinzu kommt: Seit der Bundestag nicht mehr wie in der Nachkriegszeit aus lediglich drei Fraktionen (Union, SPD, FDP) besteht, sondern neue Parteien es über die Fünfprozenthürde schaffen (Linke, AfD, BSW), verringert sich das prozentuale Wahlergebnis der einzelnen Parteien aus rein rechnerischen Gründen – was die Notwendigkeit zur Koalitionsbildung erhöht, zumal da Minderheitsregierungen anders als hierzulande als unschicklich gelten. Die Vermehrung der Parteienvielfalt ist ein gutes Zeichen für eine reife Demokratie. Wettbewerb belebt das Geschäft, auch auf politischen Märkten.

Die im Oktober 2024 abgeschaltete Ampel war die erste Regierung in der Nachkriegszeit, die aus drei Parteien bestand. Es wurde eine teure Angelegenheit. Einen stolzen Betrag von 1952 Milliarden Euro gaben die öffentlichen Haushalte im Jahr 2023 aus – so viel wie nie zuvor (auch nicht in der Pandemie). Zugleich erreichten die öffentlichen Schulden in Jahr 2023 mit 2445 Milliarden Euro einen neuen Höchstwert. Während die Verschuldung zwischen 2012 und 2019 in der Ära Merkel entgegen der jahrzehntelangen Tradition rückläufig war (Schäubles „schwarze Null“), stieg sie in den Ampel-Jahren wieder an, und eben auch unabhängig von der Pandemie.

Faule Kompromisse

Könnte es sein, dass Dreierkoalitionen für den Steuerbürger und die Gläubiger der Staatsschulden – das sind die Kinder der heutigen Steuerbürger – teurer werden als zwei Koalitionspartner? Und könnte es sein, dass harmonische Koalitionen mehr Geld ausgeben als streitige Bündnisse? Das ließe nichts Gutes erwarten für eine neue Regierung in Deutschland. Falsch wäre es, das Scheitern der Ampel (lediglich) als situatives Versagen ideologisch unterschiedlicher Positionen zu erklären oder – noch dürftiger – toxischer Männlichkeit der handelnden Akteure geschuldet. Ebenfalls zu kurz gesprungen wäre es, (lediglich) die Einmaligkeit der finanziellen Konsequenzen der „Zeitenwende“ (Ukraine-Krieg, Klimatransformation, geoökonomischer Isolationismus) als Begründung für den erhöhten Finanzbedarf geltend zu machen. „Ausnahme“ ist eigentlich immer, Finanzen sind immer knapp, und Finanzpolitik kann sich auf veränderte Knappheiten einstellen. Sogenannte „objektive“ Gründe für ein Aufblähen der Ausgaben ins Feld zu führen, entspringt in der Regel einer fiskalpolitischen Verlogenheit.

Werden wir grundsätzlicher. Wie funktionieren Regierungskoalitionen? Um Mehrheiten zu bilden, braucht es Bündnisse unterschiedlicher Parteien mit unterschiedlichen ideologischen Ausrichtungen. Man könnte eine Koalition eine Institution zur Internalisierung von Opposition nennen, was nebenbei heißt, dass die ideologischen Unterschiede der Parteien nicht einfach durch Internalisierung weggebügelt werden. Jeder der Koalitionäre muss seiner Wählerklientel beweisen, dass er etwas für sie herausgeholt hat. Sonst hätte die Stimme an der Wahlurne keine Rendite abgeworfen, und man könnte das nächste Mal gleich die anderen wählen.

Siehe Ampel. Die Kurzformel der Verschwendungsharmonie ging so: Tankrabatt für die FDP-Autofahrer, Energiepauschale für die wackeren SPD-Facharbeiter und Neun- respektive 49-Euro-Ticket für die grünen Umweltaktivisten. Dass die einzelnen Ausgaben dabei in einen Zielkonflikt gerieten, war den Koalitionären einerlei. Hauptsache, jeder Koalitionär hatte seiner Klientel etwas zu bieten.

Schulden locken die Regierenden immer

Alles fand sein jähes Ende durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 2023. Das oberste Gericht urteilte, dass der Bund zur Bekämpfung der Coronakrise vorgesehene Gelder in Höhe von 60 Milliarden Euro nicht für den Klimaschutz nutzen dürfe. Die Änderung des Nachtragshaushalts 2021 war verfassungswidrig. Das Urteil hatte Signalwirkung: Es machte deutlich, dass das Schuldenverbot des Grundgesetzes (über eine gewisse erlaubte Dehnungsmöglichkeit hinaus) ernst gemeint war. Sogenannte Sondervermögen, Verschuldungsparkplätze bei der staatseigenen KfW, Notfallbeschlüsse nach Gutdünken – all das wurde von Karlsruhe gekippt.

Der Schock des Urteils bedeutete zugleich das Ende der Harmonie der Ampel. Solange Geld da ist, fällt kooperieren nicht schwer – falls man Finanzklientelismus überhaupt als Kooperation durchgehen lassen will. Dass die Ampel-Koalitionäre in ihren Honeymoon-Wochen enge Kooperation gelobten und versprachen, einander den jeweiligen Erfolg nicht zu neiden, muss man nach dem BVerfG-Urteil als Lippenbekenntnis deuten. Den Typus einer Koalition (ob kooperativ oder unkooperativ) erkennt man erst, wenn Knappheiten sichtbar werden.

Es passt in das Bild, dass seither die öffentliche Debatte über die Schuldenbremse nicht mehr abreißt. Kein Argument ist zu weit hergeholt, um ihr Ende zu fordern – durchschaubar als „Reform“ camoufliert. Ständig passiert etwas in der Welt, was vorgeblich derartige Ausnahmequalität hat, dass ein Ende des Schuldenverbots geboten sei. Das dürftigste Argument lautet, die Zeiten hätten sich seit der Einführung der Schuldenbremse 2011 eben geändert. Schulden locken die Regierenden immer, einerlei wie die Zeiten sind, wie der Aufklärungsphilosoph David Hume schon 1741 wusste: „Für einen Minister ist es sehr verführerisch, die Staatsschulden zu nutzen und den großen Mann zu spielen.“

Die Rechnung kommt später

So war es im 18. Jahrhundert, so war es 2011. So ist es heute. Der Unterschied ist nur, dass in der Zwischenzeit Staatstätigkeit immer raumgreifender und reale Staatsverschuldung immer zugreifender ausgefallen sind. Es mag ja sein, dass die öffentlichen In ves ti tionen in den vergangenen Jahren vernachlässigt wurden. Doch dann müsste sich eine Regierung eben Einsparmöglichkeiten an anderer Stelle einfallen lassen. In Wohlfahrtsstaaten, in denen der größte Anteil der Staatsausgaben für Soziales verwendet wird, bietet sich dieser Etat an – was in der Regel gar nicht auf echtes Sparen hinausläuft, sondern lediglich auf geringere Zuwächse der Staatsleistungen.

Doch eben das bedeutet Streit, der vermeidbar wäre, könnte man sich am Kapitalmarkt verschulden. Merke: Wer die Schuldenbremse kassiert (geht nur mit einer Zweidrittelmehrheit), sorgt für Harmonie in einer Koalition. Die Bürger mögen keinen Streit. Sie finden Harmonie in der Regierung gut und sehen nicht, dass sie oder ihre Nachkommen die Harmonie teuer bezahlen müssen. Ökonomen sprechen von der „fiskalischen Illusion“: Es landet ja keine Zusatzrechnung für Harmonie der Regierung in den Briefkästen der Deutschen. Es geht schleichend – durch später nötig werdende Steuererhöhungen, Inflationierung der Schulden oder andere wohlstandsmindernde Mechanismen.

Das alles lässt nichts Gutes erhoffen von der jetzt zu wählenden Regierung. Sollte es für eine Zweierkoalition (Union plus SPD) reichen, käme das nach der hier aufgestellten Regel den Bürger nur auf den ersten Blick günstiger als ein Dreierbündnis. Denn nachdem nun auch Friedrich Merz seinen Widerstand gegen ein Aufweichen der Schuldenbremse aufgegeben hat, wird es kein Halten mehr geben. Für Harmonie ist gesorgt; für teures staatliches Wünsch-dir-was auch. Das werde den Standort stärken, wird diese Regierung uns versichern. Das Gegenteil ist die Wahrheit.

Rainer Hank

Rainer Hank, RC Frankfurt am Main-Städel, leitete 17 Jahre das Ressort Wirtschaft und „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Seit 2018 ist er Publizist und Kolumnist für unterschiedliche Medien, seine Kolumne „Hanks Welt“ erscheint jeden Sonntag in der FAS.