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Nachdem Habeck in Katar für Öl- und Gasimporte geworben hatte, reiste er weiter nach Abu Dhabi, um eine WasserstoffKooperation mit den Emiraten einzugehen. © Dominik Butzmann/Laif

Angesichts der drohenden Gasknappheit hat Robert Habeck keinen leichten Job. Beliebt ist der Grüne dennoch. Wie er die Wirtschaft umkrempelt.

Rainer Hank01.08.2022

Plato vertritt in seiner Politeia bekanntlich die Auffassung, ein Staat sei nur dann gut regiert, wenn seine Lenkung in der Hand von Philosophen liege. Robert Habeck, der Philosoph aus dem deutschen Norden, wäre so gesehen der Realitätstest auf die platonische Theorie.

Habeck, Jahrgang 1969, hat in Freiburg Philosophie studiert und in Hamburg über ästhetische Theorie promoviert. Ich habe erlebt, wie er aus dem Stand Heideggers Sein und Zeit in fünf Minuten korrekt und allgemeinverständlich zusammenfasst. Das hätte nicht einmal Heidegger selbst hinbekommen.


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Jetzt ist der Mann Wirtschafts- und Klimaschutzminister – und bei den Deutschen beliebt wie kaum ein anderes Regierungsmitglied. Im ZDF-Politbarometer schaffte er es im Juni auf Platz eins, im Spiegel-Ranking steht er auf Platz zwei, knapp hinter der Parteifreundin und Rivalin Annalena Baerbock. So viel Ansehen wird Wirtschaftsministern in der Regel nicht zuteil. Entweder arbeiten sie tief unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle (die hießen zum Beispiel Bangemann oder Haussmann) oder sie verglühen kurz nach dem Zenit ihres Ruhms (wie Karl-Theodor zu Guttenberg).

Ohne Show und Besserwisserei

Habeck zahlt für seine Popularität nicht den Preis der Unseriosität. Er verkörpert einen neuen Politikertyp: der Philosoph im Regierungsamt ist einer, der Führung nicht mit Basta-Politik verwechselt und sich traut, in Zeiten der Unsicherheit sich selbst zur eigenen Unsicherheit zu bekennen. Habeck macht deutlich, dass Leadership nicht gekoppelt sein muss an die Haltung des „Ich weiß, wo es langgeht“. Oder sagen wir so: Der Philosoph im Regierungsamt erlaubt es sich, seinen eigenen, von Zweifeln, Unsicherheit und Korrekturbedarf gezeichneten Krisenalltag zu thematisieren und laut zu reflektieren. „Ich weiß es auch nicht“, gibt er zu Protokoll auf die Frage, ob Putin den Gashahn zudrehen wird. Er revolutioniert den politischen Stil, ohne dass man ihm die dreitagebärtige Dauer-Denker-Pose vorhält. Im Gegenteil: Habecks reflektierende Ehrlichkeit zahlt ein auf das Konto seiner Glaubwürdigkeit.

Selbstverständlich ist das nicht, wirft man einen Seitenblick auf seinen Kabinettskollegen Karl Lauterbach. Wenn Habeck der Philosoph ist, dann ist Lauterbach der Naturwissenschaftler im Regierungsamt. Alles muss „evidenzbasiert“ sein, unterlegt mit mindestens drei Harvard-Studien. Das hat ihm in der Coronazeit bei einem Teil der Bevölkerung Ansehen (und zum Dank das Ministeramt) verschafft, den anderen Teil nervt Lauterbach immer schon. Doch seit er Minister ist, funktioniert die evidenzbasierte Legitimation nicht mehr. Während Habecks Unsicherheit fast durchgehend glaubwürdig wirkt, erscheint Lauterbach sprunghaft zwischen Hü und Hott, angebunden am Pflock des Augenblicks und zugleich am Horizont den Weltuntergang drohend beschwörend.

Womöglich ist genau dies eine Erklärung dafür, warum Habeck ankommt und Lauterbach, vorsichtig gesprochen, eher Schwierigkeiten hat. Kassandra mögen die Leute nicht, erst recht dann nicht, wenn man sie so laienhaft spielt wie Karl Lauterbach. Dabei wäre es für Robert Habeck ein Leichtes, angesichts der Widernisse der ökonomischen und ökologischen Transformation ebenfalls den Apokalyptiker zu geben und das Gefahrenszenario mit Verarmungs- und Verzichtsmoral („Du musst dein Leben ändern!“) zu unterfüttern. Er macht das manchmal schon, etwa dann, wenn er uns Duschtipps gibt. Aber selbst das macht er charmant.

Die Änderung des politischen Stils, Unsicherheit zuzugeben, statt zu leugnen – allein das ist eine Leistung in diesen Zeiten. Der ehemalige Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat jüngst in einem Vortrag vor der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) von einem „Zeitalter der Unsicherheit“ gesprochen, in dem wir wohl noch lange leben müssten. Weidmann nennt Dekarbonisierung, Digitalisierung, demografische Veränderungen und De-Globalisierung strukturelle Umbrüche als Quellen der Unsicherheit. Welche Kosten dafür anfallen, dies ist alles andere als klar. Klar ist nur, dass sie hoch sein werden, während die Erträge erst in ferner Zukunft bilanziert werden können.

Mehr Resilienz, weniger Risiko

Dekarbonisierung wird nur dann gelingen, wenn fossile Energien so teuer werden, dass dies den Verbrauchern und Produzenten als Signal dient, auf alternative und regenerative Energien umzusteigen. Dass der Sprit an der Tankstelle unerhört teuer ist, liegt nicht nur am Krieg in der Ukraine und dem diabolischen Spiel Putins im Wirtschaftskrieg. Es liegt – was oft vergessen wird – auch an der CO₂-Steuer als Instrument zur Linderung der Folgen des Klimawandels. Wer dieses Signal unschädlich zu machen sucht, indem er die Teuerung fiskalpolitisch kompensiert (durch Tankrabatt oder Pendlerpauschale) desavouiert das Klimaziel und heizt die Inflation an.

Habeck weiß das; der Tankrabatt war nicht seine Idee. Er weiß auch, dass die von Putin durch die Verknappung und Verteuerung von Gas und Öl erzwungene Dekarbonisierung womöglich – unintendierte Konsequenz – ein Beschleuniger der Transformation zur Klimaneutralität werden könnte. Das ist der Grund, warum Habeck den Konzernen empfiehlt, Gas einzusparen und dieses am Markt zu auktionieren, und mithin eine Prämie fürs Sparen in Aussicht stellt. Dass der Minister dann nicht konsequenterweise auch private Haushalte fürs Sparen belohnt, sondern jene, die dies fordern, beschimpft („Das kriegst du nicht, Alter!“), ist inkonsequent, vorsichtig gesprochen. Und dass er deutsche Konzerne (Uniper), die jahrelang mit russischem Gas satte Gewinne einfuhren, jetzt mit Geld des Steuerzahlers „rettet“, widerspricht dem marktwirtschaftlichen Grundsatz, wonach Risiko und Haftung untrennbar zusammengehören. Mit der Zauberformel von der „Systemrelevanz“ Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren ist bei der Energieversorgung nicht weniger verwerflich als bei den Banken. Dass ausgerechnet Habeck, der Grüne, sich hier von der Industrie erpressen lässt, überrascht. Es könnte sein, dass, gerade weil seine Biografie wirtschaftsfern verlief, er als Wirtschaftsminister übertriebenen Respekt vor „der Wirtschaft“ hat.

Wer sich nicht hilflos diesen Abhängigkeiten aussetzen will, sorgt vor: Die neuen Stichwörter heißen Slowbalisierung, Friendsourcing oder Decoupling. Mehr Resilienz, weniger Risiko, so die Formel für eine neue Balance. Es geht darum, geo- oder seuchenpolitische Schocks künftig besser zu parieren. Dazu zählt der Aufbau von Lägern (so etwas hielt man im Zeitalter des „just in time“ für verzichtbar). Dazu zählt der Aufbau regionaler Zulieferbeziehungen oder gar – horribile dictu – ein Zurück zum „make“ statt „buy“. Darüber, wie diese Balance zu gestalten ist, gibt es kein Manual, dafür aber ein Bild: Das Stehaufmännchen könnte zum Maskottchen der Resilienz werden.

Klar ist: Die industrielle Verflechtung der deutschen Wirtschaft mit China ist um ein Vielfaches ausgeprägter als jene mit Russland. Decoupling wird teuer werden, oder vorsichtiger: Decoupling schmälert die künftigen Gewinne der deutschen Exportwirtschaft. Ein kompletter Rückzug in den Isolationismus, ein Leben in fiskalisch subventionierten, nationalen Bunkern wäre indessen tödlich, warnte jüngst der britische Economist.

Und Robert Habeck: Wird er das richtige Gespür für diese Balance finden? Ehrlicherweise muss man antworten wie Habeck selbst: Wir wissen es nicht. Seine Popularität ist kein Garant für die richtigen Entscheidungen. Vertrauen der Bürger kann rasch schwinden. Und nicht alles, was wir sehen, überzeugt. Warum lässt Habeck Braunkohle fördern als Maßnahme des Decoupling, warum schließt er Verträge mit nicht gerade lupenrein demokratischen Herrschern am Golf, weigert sich aber wochenlang hartnäckig, die letzten drei Atomreaktoren länger am Netz zu lassen? Dass das Anti-AKW-Dogma, der Gründungsmythos der Grünen, am Ende härter ist als der Bann der klimaschädlichen Braunkohle, überrascht nicht, bleibt aber gleichwohl irrational. Dass Habeck sich für das Verbot des Verbrenners einsetzt, ist nicht minder irrational. Ein deutscher Klimaminister muss für die Dekarbonisierung arbeiten. Wie diese technisch erreicht wird – ob mit Batterieantrieb oder Verbrennern – sollte er getrost den Ingenieuren überlassen.

Ordnungspolitik, Wissen und Gefühl dafür, wer wofür zuständig ist, ist Habecks starke Seite nicht. Der Philosoph verändert Habitus und Sprache in der Politik. Das ist viel. Die Substanz dieser Politik ändert sich kaum. Habeck hält fest am Interventionismus und Paternalismus in guter grüner Tradition. Dass er nonchalant mit Geld umgeht („Die Rechnung zahlt Herr Lindner“), ist ebenfalls nicht neu, sondern typisch – nach dem Motto: Wenn es für einen guten Zweck ist, kommt es auf die Kosten nicht so an. Das Gegenteil ist richtig: Gerade weil die De-Globalisierung teuer wird, müssen Politiker besonders effizient mit dem Geld der Bürger umgehen.

Kurzum: Habeck macht es gut. Für eine Heiligsprechung ist es noch zu früh.

Rainer Hank

Rainer Hank, RC Frankfurt am Main-Städel, leitete 17 Jahre das Ressort Wirtschaft und „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Seit 2018 ist er Publizist und Kolumnist für unterschiedliche Medien, seine Kolumne „Hanks Welt“ erscheint jeden Sonntag in der FAS.