Rotary Aktuell
Nachhaltige Ideen für das Grüne Band
Im ehemaligen deutsch-deutschen Grenzgebiet entwickeln Rotary Clubs Projekte mit doppelter Zielstellung: für Umweltschutz und Erinnerungskultur.
Die Flussperlmuschel – magaritifera magaritifera – ist eine der großen Süßwassermuscheln und sterbenskrank. Der Nachwuchs verendet, weil das Flusswasser, in dem sie in Deutschland noch hier und da vorkommt, zu stark von Feinsedimenteinträgen aus der Landwirtschaft belastet ist. Ihr Schicksal zum Besseren zu wenden, wäre ein wertvoller Nebeneffekt eines rotarischen Projekts, das gerade im Distrikt 1880 mit Macht anläuft. In der Region um Hof haben Rotary Clubs das Geld für den Ankauf eines Moores bereitgestellt, um es wieder zu vernässen und damit CO2 zu speichern. Das hilft der Umwelt und der Umweltbilanz der Clubs, aber es hilft auch der Flussperlmuschel, weil das zufließende Moorwasser die natürlichen Ingredienzen mitbringt, die das empfindliche Tier benötigt. Ein schönes Beispiel dafür, wie im Umweltschutz oft eine gute Tat die andere nach sich zieht.
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Das große Thema unserer Zeit – Wie schützen wir Umwelt, Natur und Klima? – hat Rotary erreicht, auch wenn es auf internationaler Ebene lange gedauert hat, bis Projekte auch förderfähig wurden. Erst seit drei Jahren ist Umweltschutz ein eigenständiger Schwerpunktbereich der Rotary Foundation, sodass jetzt immerhin die geballte Finanzkraft der Stiftung für solche Projekte genutzt werden kann.
An der rotarischen Basis war man vielerorts schneller. Zum Beispiel in Deutschland, wo Umweltschäden so allgegenwärtig geworden sind, dass sie nicht mehr ignoriert werden können. Mit welcher Dringlichkeit das Thema hierzulande aufgeladen ist, zeigt schon die Tatsache, dass sich gleich zwei Initiativen den suggestiven Appell von Rotarys wichtigstem Programm, dem Kampf gegen die Kinderlähmung, zunutze machen: Dem Beispiel von End Polio Now folgen auch End Plastic Soup und ganz neu „End Warming Now“. Diese Dringlichkeit lässt sich statistisch belegen, wie das Rotary Magazin im Januar berichtete: Umweltprojekte rangieren bei deutschen Clubs inzwischen an dritter Stelle. Zudem hat der Deutsche Governorrat kürzlich einen Arbeitskreis Nachhaltigkeit beschlossen. Und auch Rotary International kommt in Zugzwang: Auf der Convention in Singapur wurden Forderungen laut, dass die Organisation bis 2040 klimaneutral werde.
Zeitgleich erhält das Thema in diesem Frühjahr einen kräftigen Schub, der viele Clubs neu ein- und verbinden wird. Im Mittelpunkt steht das „Grüne Band“, jener knapp 1400 Kilometer lange ehemalige Todesstreifen, der quer durch Deutschland über viele Jahre das Land geteilt hat. Die Idee, hier mit Rotary und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND) als Partner einzusteigen, stammt von Past-Governor Sabina Gärtner-Nitsche (Distrikt 1880), ist aber längst über ihren Amtsbereich hinausgewachsen. Wie sie haben auch die Governor der Distrikte 1800, 1940 und 1950 Kooperationsverträge mit dem BUND geschlossen, weitere Distrikte sind interessiert. Damit ist das Partnermodell auf dem besten Weg, zu einem Leuchtturmprojekt mit bundesweiter Ausstrahlung zu werden.
Es ist eingebettet in ein gesamteuropäisches Konzept für insgesamt 12.500 Kilometer ehemaliger Ost-West-Grenzstreifen, bei dem sich auch Rotary bereits engagiert, etwa im Ostseeraum. In diesem Beitrag geht es aber ausschließlich um jenen 50 bis 200 Meter breiten Geländestreifen zwischen der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze und den Grenzanlagen auf der östlichen Seite. Bereits in den 1970er Jahren hatten Umweltschützer aus Bayern mit Kartierungen der Vogelwelt im Grenzgelände begonnen und die ersten von insgesamt 1200 bedrohten Tier- und Pflanzenarten identifiziert. Wo Ost und West jahrzehntelang waffenstarrend und wachturmbewehrt einander in Schach hielten, erblühte in friedlichster Abgeschiedenheit ein Rückzugsgebiet für Tiere und Pflanzen, die in den deutschen Industrielandschaften keine Überlebenschance hätten. Dieses Biotop zu erhalten, eröffnet Rotary Clubs ein vielfältiges Betätigungsfeld mit hohem Hands-on-Anteil.
„Was das Grüne Band für Rotary so interessant macht, ist in erster Linie der Umwelt- und Naturschutz“, betont Sabina Gärtner-Nitsche, „aber nicht nur: Es geht auch um die Erinnerungskultur zwischen Ost- und Westdeutschen. Die gemeinsame Arbeit am Grünen Band sollte dazu führen, dass wir 35 Jahre nach der Wiedervereinigung noch einmal einen Anlauf nehmen, um einander besser kennenzulernen. Das könnte auch dem sanften Tourismus neuen Schwung bringen.“ In dieselbe Richtung denkt auch Governorin Mechthild Exner-Herforth (RC Walsrode) im Distrikt 1800, die ihr Governorjahr schwerpunktmäßig dem Grünen Band widmen will: „Mir ist es extrem wichtig, dass wir an dieser Nahtstelle über den Umweltschutz einmal mehr das Gemeinsame in den Vordergrund stellen und in vielen Begegnungen ausloten, wie wir Zukunft gestalten können.“
„Hey, wir kaufen ein Moor“
Im Distrikt 1880 dreht sich derzeit alles um ein Moor im Rehauer Forst bei Hof. Hier haben inzwischen zwölf Clubs so viel Geld zugesagt, dass der BUND davon 17 Hektar erwerben kann, die nach planmäßiger Wiedervernässung als CO 2-Speicher dienen werden. Ralf Hardenberg (RC Nürnberg-Connect) wickelt als „Moor-Beauftragter“ die Modalitäten für den Distrikt ab und erläutert: „Der Kauf wird überhaupt nur möglich, weil der Freistaat Bayern für solche Erwerbungen derzeit 80 Prozent des Kaufpreises übernimmt. Bei Preisen von 12.000 bis 15.000 Euro pro Hektar und Gesamtkosten von rund einer viertel Million Euro verbleiben bei den beteiligten Clubs maximal 51.000 Euro als Investition.“ Dazu kommen die Kosten für die Wiedervernässung (durch Verstopfen der Drainagen und Entwässerungssysteme) sowie die Rodung der Fläche. „Das kostet noch einmal 4000 bis 5000 Euro pro Hektar“, so Hardenberg. „Dann aber entstehen keine Folgekosten mehr, denn die Pflege wird durch die Landesbehörden sichergestellt.“ Am 2. Juni, dem Welttag der Moore, haben sich Mitglieder der beteiligten Clubs zu einer Begehung getroffen und Hands-on-Projekte besprochen.
Warum das nicht ganz preiswerte Projekt so schnell so viele Rotarier überzeugt hat, liegt an der Tatsache, dass mit dem Erwerb eines einzigen Hektars die zwölf bis 14 Tonnen CO 2 annähernd kompensiert werden können, die ein Club im Jahr durchschnittlich produziert. Wer Verantwortung für seine individuellen Emissionen übernehmen möchte, kann zumindest für den rotarischen Anteil seinen Fußabdruck im Moor ausgleichen.
Emissionsbewusste Rotarier vor allem in der Initiative End Warming Now haben Berechnungsmodelle für diesen Fußabdruck entwickelt und kürzlich beim Zukunftsforum in Berlin für die Kompensation die Trommel gerührt. „Wir haben für das dreitägige Forum mit 120 Teilnehmern einen Emissionswert von 21,1 Tonnen CO2 für Anreise, Energieverbrauch und so weiter ermittelt und zur Kompensation Spenden erbeten“, berichtet Johannes Kraume vom Rotaract Club Berlin-Brandenburger Tor. Richtwert ist der derzeitige offizielle Preis pro Tonne von 45 Euro. „Tatsächlich konnten wir 765 Euro verbuchen“, so Kraume, „davon haben wir 525 für das Moor in Hof gespendet und weitere 240 Euro für Wasserfilter in Afrika.“ Inzwischen wurde auch die Deutschlandkonferenz der Rotaracter im März in Hamburg über Kompensationsspenden neutral gestaltet.
Vermeiden statt kompensieren
Wer das Modell weiterdenkt, geht noch einen entscheidenden Schritt weiter: Wichtiger muss es sein, erst gar keine Emissionen zu verursachen. Deshalb geht mit der Berechnung des Clubverbrauchs die Beratung einher, wie man seinen Fußabdruck von vornherein verringern kann. Dieser Ansatz erfordert eine gewisse Schmerzresilienz, denn jetzt reicht es nicht mehr, sein schlechtes Gewissen nach einem Ferienflug mit einer Baumspende zu entlasten. Jetzt kommt der Lebenswandel auf den Prüfstand, wobei ein „ökologischer Handabdruck“ den Fußabdruck ergänzt: Damit sind alle Handlungen gemeint, mit der eine Person bei sich selbst Emissionen vermeidet und bei anderen darauf hinwirkt mitzumachen. End Warming Now wie auch die Webseite becomesustainable.org der Environmental Sustainability Rotarian Action Group Esrag bieten dazu Clubs eine Beratung an. „Ein Großteil des jährlichen CO2-Ausstoßes entsteht durch die Anfahrten zum Meeting“, so Kraume. „Diese Emissionen lassen sich zum Beispiel in Städten durch den Wechsel vom Auto aufs Fahrrad oder den ÖPNV und auf dem Land durch die Bildung von Fahrgemeinschaften reduzieren.“
Doch zurück zum Grünen Band: „Was man nicht kennt, kann man nicht wertschätzen und wird es dann auch nicht schützen“, sagt Carolin Ruh (RC Duderstadt-Eichsfeld), Programmverantwortliche im Distrikt 1800. Ihr geht es darum, möglichst viele Menschen, vor allem Kinder und Schulklassen, in die Natur zu bringen. Dazu plant sie sowohl Hands-on-Aktivitäten wie Baumpflanzungen und Aussaaten als auch Erlebnistage sowie Informations- und Filmabende. Ausgangspunkt aller Aktivitäten ist Gut Herbigshagen bei Duderstadt, Sitz der Heinz-Sielmann-Stiftung, für die sie als Vorständin tätig ist und die sie in die Planungen einbezieht. Zum Gut gehören 120 Hektar, große Teile davon im Grünen Band. Schon jetzt steht fest, dass Governorin Exner-Herforth am 24. August als Auftaktveranstaltung zu einer Wanderung zwischen Niedersachsen und Thüringen einladen wird. Dabei wird man an Ort und Stelle sehen, wo Hands-on benötigt wird. „Es fehlen zum Beispiel an vielen Stellen Erklärtafeln“, so Ruh, „die besonders jungen Leuten die politische Dimension vor Augen führen, die mit diesem Biotop zusammenhängt.“
Matthias Schütt
Am Grünen Band
Fünf Distrikte in Deutschland –
• 1940 (Schleswig-Holstein/ Mecklenburg-Vorpommern),
• 1800 (Niedersachen/Mecklenburg-Vorpommern/Sachsen-Anhalt),
• 1820 (Hessen),
• 1880 (Franken/Sachsen) und
• 1950 (Bayern/Thüringen) – liegen direkt am Grünen Band oder vereinigen Clubs von beiden Seiten der ehemaligen Grenze. Clubs, die Interesse an entsprechenden Projekten haben, wenden sich an den Gemeindienstbeauftragten im Distrikt oder ihren Landesverband des BUND e. V.
Ralf Hardenberg hat den Fußabdruck seines RC Nürnberg-Connect mit 52 Mitgliedern genauer unter die Lupe genommen:
• Reine Meetings ergeben etwa acht Tonnen CO2 pro Jahr, abhängig von Clubgröße, Meetingfrequenz und Lage (Stadt/Land).
• FÜR 20 MEETINGS mit 24 Teilnehmern – der Club tagt zweiwöchentlich – sowie Clubreisen mit insgesamt 50 Übernachtungen hat er 12,2 Tonnen CO2-Ausstoß ermittelt (siehe Grafik).
• Als Kompensation leisten die Mitglieder eine Klimaabgabe von zehn Euro pro Kopf und Jahr.
Eine Bilderstrecke zum Grünen Band finden Sie unter: rotary.de/fotostrecke/487
Governor 2023/24 Sabina Gärtner-Nitsche (RC Nürnberg-Neumarkt) über Nachhaltigkeit bei Rotary und ihr Musterprojekt im Moor
Der Deutsche Governorrat (DGR) hat kürzlich einen Arbeitskreis Nachhaltigkeit beschlossen. Was ist von dem zu erwarten?
Sabina Gärtner-Nitsche: Wir wollen eine Informationsplattform aufbauen, die Distrikte und Clubs für ihre Projektfindung nutzen können. Dort wird zum B eispiel unser Konzept im Moor als Blaupause auftauchen, es wird einen Referentenpool geben, Literaturtipps, eine Projektkarte und weitere praktische Hilfestellungen. Nachhaltigkeit ist ein Thema, dem sich zum einen unsere Organisation nicht entziehen kann und das zum anderen viele Ansatzpunkte für spannende Projekte liefert. Auch der DGR selbst darf sich gern mit seiner eigenen Klimaneutralität auseinandersetzen.
Woran liegt es, dass dieses Thema bei Rotary International erst so spät entdeckt wurde?
Es ist sicherlich so, dass nicht überall auf der Welt die Dringlichkeit für Umwelt- und Klimaschutz so deutlich gesehen wird wie in Mitteleuropa. Andererseits stünde es Rotary International als weltumspannender Organisation gut an, für sich ebenfalls das Ziel der Klimaneutralität auszugeben. Es gibt Vorschläge, unsere Vier-Fragen-Probe durch eine fünfte Frage – Ist es nachhaltig? – zu ergänzen. Dafür werden sich zwar so schnell keine Mehrheiten finden lassen. Das heißt aber nicht, dass wir nicht diesen Anspruch in allen unseren Aktivitäten berücksichtigen sollten.
Wie kamen Sie eigentlich auf die Idee mit dem Moor?
Ich hatte beim RC Nürnberg-Connect einen Vortrag über die Berechnung des ökologischen Fußabdrucks und mögliche Kompensationen gehört. Ralf Hardenberg und ich haben dann überlegt, dass wir den Ausgleich aber nicht irgendwo machen wollen, sondern hier bei uns in der Region. Das BUND-Büro in Nürnberg hat uns auch gleich Moorflächen nachgewiesen, bei denen wir einsteigen konnten. Besonders ein Argument hat uns überzeugt: Der CO2-Speichereffekt bei Vernässung ist fünfmal größer als bei Wiederaufforstung. Darüber hinaus ist das Moor ein faszinierender Erlebnisraum, den wir im Herbst mit einem Konzert noch mal ganz anders kennenlernen werden.
Was bringt die Kooperationspartnerschaft mit dem BUND?
Wir profitieren vom Branding einer großen, allseits anerkannten Organisation. Für den Action Day am 4. Mai wurden 1000 Malbücher produziert, auf denen die beiden Logos nebeneinander stehen. Für Rotary liegt in der Partnerschaft eine doppelte Chance: Wir werden in der Öffentlichkeit mit einem positiven und brandaktuellen Thema identifiziert, mit dem wir überdies große Chancen haben, Resonanz in der jungen Generation zu finden. Und hier wachsen schließlich unsere Mitglieder von morgen heran.
Die Fragen stellte Matthias Schütt.