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Bloß kein zweites Gorleben

Forum - Bloß kein zweites Gorleben
Das gelbe Kreuz wurde zum Symbol des Protestes gegen das Endlager in Gorleben. Die Suche nach einem neuen Endlager soll transparent und bürgernah gestaltet werden. © Philip Lisowski/Visum

Die Suche nach einem Atommüllendlager ist hoch brisant. Über ein Nationales Begleitgremium soll die Öffentlichkeit einbezogen werden, um so für eine gesellschaftliche Akzeptanz der finalen Entscheidung zu sorgen.

Markus Dröge01.12.2020

Es soll alles anders werden als Ende der 1970er Jahre. Damals hatten die Bundesregierung und die niedersächsische Landesregierung entschieden, die Salzstöcke von Gorleben als mögliche Endlagerstätten für radioaktiven Müll prüfen zu lassen. Seit dieser Entscheidung im Jahr 1977 ist der kleine Ort im Wendland zum Symbol dafür geworden, wie sehr die Atom-Thematik unsere Gesellschaft spalten kann. Der Protest gegen Gorleben ist nie zur Ruhe gekommen. Die politische Entscheidung blieb umstritten. Nie wurde ein fachlicher Konsens erzielt, dass die Salzstöcke von Gorleben wirklich geologisch geeignet sind, Atommüll dauerhaft sicher aufzubewahren.

Doch ein Endlager muss gefunden werden. Bis 2031 muss eine Entscheidung fallen. Damit es nicht wieder zu politischen Verwerfungen und gesellschaftlichen Kämpfen kommt, wurde in intensiver Arbeit das Standortauswahlgesetz (StandAG) entwickelt. Eine vom Bundestag und Bundesrat eingesetzte Kommission hat die Entstehung dieses Gesetzes in den Jahren 2014 bis 2016 beratend begleitet. Das StandAG wurde schließlich 2017 vom Parlament beschlossen.

Gorleben scheidet als Endlager aus

Was ist die Quintessenz des StandAG? Der Suchprozess soll transparent und partizipativ, wissenschaftsbasiert und lernend gestaltet werden, mit drei Hauptakteuren: Der sogenannte „Vorhabenträger“, die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), der die wissenschaftlich basierte Suche zu organisieren hat; das BASE (Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung), das die Aufsicht führt und für die Öffentlichkeitsbeteiligung verantwortlich ist; und das Nationale Begleitgremium (NBG). Dieses Gremium ist ein demokratietheoretisches Novum. Besetzt mit Vertreterinnen und Vertretern der Bürgerschaft und „anerkannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“, gewählt von Bundestag und Bundesrat, soll es den Suchprozess kritisch begleiten: Wird hier wirklich wissenschaftsbasiert, transparent  und partizipativ agiert? Das Gremium ist mit umfangreichen Rechten, wie einem Akteneinsichtsrecht, und mit Finanzmitteln, zum Beispiel um Gutachten in Auftrag geben zu können, ausgestattet. Unterstützt wird es durch eine Geschäftsstelle mit zehn Mitarbeitenden.

Große mediale Aufmerksamkeit bekam die neue Endlagersuche als am 28. September 2020 der „Zwischenbericht Teilgebiete“ veröffentlicht wurde. Darin hat die BGE zum ersten Mal Ergebnisse ihrer Arbeit der Öffentlichkeit vorgestellt. Zwei Aussagen dieses Berichtes waren unerwartet. Erstens: Unter rein geologischen Gesichtspunkten kommen 54 Prozent der Fläche Deutschlands für ein unterirdisches Lager in Frage. Und zweitens: Gorleben ist nicht dabei. Der Zwischenbericht dokumentiert den wissenschaftlich-basierten Entscheidungsweg, mit dem anhand von Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen und geologischen Abwägungskriterien mögliche Teilgebiete ermittelt wurden. Dabei wurde der jahrzehntelange Streit um Gorleben mit entschieden: die Salzstöcke von Gorleben eignen sich nicht für ein Atommüllendlager.

Das Gesetz sieht vor, dass dieser Zwischenbericht nun auf drei öffentlichen Konferenzen diskutiert wird. Diese sollen im Februar, im April und im Juni 2021 stattfinden. Sie sind offen für alle Bürgerinnen und Bürger. Und – ein hoher Anspruch! – die Teilnehmenden sollen diese Konferenzen nach ihren Vorstellungen selbst organisieren. Zur Vorbereitung gestaltete das BASE am Wochenende des 17. und 18. Oktober 2020 in Kassel eine Auftaktveranstaltung. Sie diente dazu, in die schwierige fachliche Materie der Standortsuche einzuführen und die Selbstorganisation der drei Fachkonferenzen vorzubereiten.

Das NBG hat eine kritische Einschätzung dieser Auftaktveranstaltung veröffentlicht: Positiv zu werten ist, dass es den Fachleuten der BGE auf dieser Online-Veranstaltung gut gelungen ist, ihre hohe wissenschaftliche Expertise allgemeinverständlich einzubringen. Es wurde deutlich, mit welchen Methoden und Kriterien die Standortsuche betrieben wird und wie auf diese Weise die Ergebnisse des Zwischenberichtes zustande gekommen sind. Damit ist es zweifellos gelungen, das Vertrauen in die Fachlichkeit und wissenschaftliche Unabhängigkeit der BGE zu stärken. Vorwürfe, die BGE habe aus politisch-taktischen Gründen Gorleben ausgenommen, sind schlicht Unterstellungen und lassen sich nicht belegen.

Der Auswahlprozess beginnt jetzt

Deutlich schwieriger war es, auf der Auftaktveranstaltung mit den etwa 600 digital Teilnehmenden abzuklären, wie die drei anstehenden Fachkonferenzen „selbstorganisiert“ gestaltet werden sollen. Hier zeigte sich deutlich die Schwierigkeit, die entsteht, wenn eine rein digitale Versammlung eine solche Selbstorganisation in die Wege leiten soll. Grundlegende Verfahrensweisen mussten per Likes abgestimmt werden. Die Zahl der digital Teilnehmenden sank gegen Ende der Veranstaltung stetig. Zuletzt waren es nur noch gut 100 Netzteilnehmer, die eine Vorbereitungsgruppe für die erste Fachkonferenz gewählt haben. Im Blick nach vorne muss nun überlegt werden, wie dieser Mangel behoben werden kann. Zumindest muss vernetztes Arbeiten, auch in Gruppen, zur Vor- und Nachbereitung der Fachkonferenzen ermöglicht werden.

Die Veröffentlichung des „Zwischenberichtes Teilgebiete“ ist lediglich der Auftakt für den Suchprozess nach dem bestmöglichen Atommüllendlager. Die ernsthaften Auseinandersetzungen werden erst noch kommen. Wenn zurzeit noch 54 Prozent der Fläche Deutschlands aus geologischer Sicht als prinzipiell geeignet für ein Endlager eingeschätzt werden, kann jede Bürgerin und jeder Bürger die Gefahr als sehr gering einschätzen, wirklich eines Tages betroffen zu sein. Der eigentliche Auswahlprozess wird jetzt erst beginnen.

Konflikte werden sich nicht vermeiden lassen, und es ist nicht zu erwarten, dass die letztendliche Entscheidung bei den Betroffenen auf Zustimmung stößt. Das Standortauswahlgesetz hat aber im Grundsatz eine gute Voraussetzung geschaffen, um den gesellschaftlichen Prozess der Standortsuche zu institutionalisieren. Der Prozess kann so gestaltet werden, dass eine sachliche Auseinandersetzung möglich wird. Das Nationale Begleitgremium hat dabei eine wichtige Funktion. Es ermöglicht eine neue Form von Bürgerbeteiligung, die sich bereits während des Entscheidungsprozesses kritisch-korrektiv einschalten kann. Aufgabe des NBG wird es in der nächsten Phase sein, darauf zu dringen, dass die Weiterarbeit der BGE, mit der die in den Blick genommenen Teilgebiete radikal eingeschränkt werden müssen, auch weiterhin transparent und partizipativ gestaltet wird.


Das NBG

Das Nationale Begleitgremium ist ein unabhängiges, pluralistisch zusammengesetztes gesellschaftliches Gremium, das mit 18 Personen zu besetzen ist. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Studierende, interessierte Bürgerinnen und Bürger – die Bandbreite der Mitglieder spiegelt die Vielfalt der Gesellschaft wider. Ziel ist es, die Endlagersuche für hoch radioaktive Abfälle vermittelnd zu begleiten – unabhängig, transparent und bürgernah.

Dem Gremium gehören derzeit elf anerkannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens an, die vom Bundestag und Bundesrat gewählt wurden und sechs Bürgervertreterinnen und -vertreter, die von der Bundesumweltministerin ernannt wurden.

Markus Dröge
Markus Dröge (Rotary Club Berlin) ist Mitglied des Rates der EKD, Vorsitzender der Evangelischen Mittelostkommission, der Evangelischen Stiftungen des Heiligen Landes und des Aufsichtsrates des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung (Diakonie Deutschland, Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe).
Er war bis Ende 2019 Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und wurde im März 2020 von Bundestag und Bundesrat als anerkannte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens in das Nationale Begleitgremium (NBG) gewählt.