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Öffentlichkeitsbeteiligung für Suche nach Atommüll-Endlager hat begonnen

Aktuell - Öffentlichkeitsbeteiligung für Suche nach Atommüll-Endlager hat begonnen
Markus Dröge arbeitet derzeit im Nationalen Begleitgremium (NBG) für die Suche nach einem Atommüllendlager mit. © privat

Die Suche nach einem Atommüllendlager ist hoch brisant. Über ein Nationales Begleitgremium soll die Öffentlichkeit einbezogen werden und so für eine gesellschaftliche Akzeptanz der finalen Entscheidung sorgen.

Markus Dröge21.10.2020

Große mediale Aufmerksamkeit bekam die Veröffentlichung des "Zwischenberichts Teilgebiete" am 28. September 2020. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hat mit diesem Bericht zum ersten Mal Ergebnisse ihrer Arbeit bei der Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll veröffentlicht. Bis 2031 muss ein Standort gefunden sein. Zwei Aussagen dieses Berichtes waren unerwartet. Erstens: Unter rein geologischen Gesichtspunkten kommen 54 Prozent der Fläche Deutschlands für ein unterirdisches Lager in Frage. Und zweitens: Gorleben ist nicht dabei.

Der kleine Ort Gorleben im Wendland ist zum Symbol dafür geworden, wie die Atom-Thematik unsere Gesellschaft spalten kann. Wenn jetzt ein Endlager gesucht wird, dann soll alles anders werden. So will es das Standortauswahlgesetz (StandAG). Der Suchprozess soll transparent und partizipativ, wissenschaftsbasiert und lernend gestaltet werden. Drei Hauptakteure sollen den Prozess gestalten. Die BGE, die die wissenschaftlich basierte Suche zu organisieren hat; das BASE (Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung), das die Aufsichtsfunktion wahrnimmt und für die Öffentlichkeitsbeteiligung verantwortlich ist; und das Nationale Begleitgremium (NBG), das den Auswahlprozess kritisch begleiten soll: Wird hier wirklich wissenschaftsbasiert, transparent und partizipativ agiert?  

Das StandAG sieht vor, dass der Zwischenbericht auf drei öffentlichen Konferenzen diskutiert wird. Diese sind nun für Februar, April und Juni 2021 geplant. Und – ein hoher Anspruch! – die Teilnehmenden sollen diese Konferenzen nach ihren Vorstellungen selbst organisieren. Zur Vorbereitung gestaltete das BASE am 17./18. Oktober 2020 in Kassel eine Auftaktveranstaltung, bewusst an einem Wochenende, Corona-bedingt allerdings rein digital. Die Veranstaltung diente dazu, in die schwierige fachliche Materie der geologischen Standortsuche einzuführen und die Selbstorganisation der drei Fachkonferenzen vorzubereiten.

Gut gelungen war der erste Tag der Konferenz. Die Fachleute der BGE präsentierten wissenschaftlich kompetent und so anschaulich wie möglich, mit welchen Methoden und Kriterien die Standortsuche betrieben wird. Es wurde deutlich, wie auf diese Weise die Ergebnisse des Zwischenberichtes zustande gekommen sind. Schwieriger war der zweite Tag, an dem das BASE versucht hat, grundlegende Weichenstellungen für die Fachkonferenzen mit den Online-Teilnehmern abzuklären. Hier zeigte sich deutlich die Schwierigkeit, die entsteht, wenn eine rein digitale Versammlung ihre Selbstorganisation in die Wege leiten soll. Grundlegende Verfahrensweisen mussten per Likes abgestimmt werden. Das NBG hatte im Vorfeld dringend, aber vergeblich eine Verschiebung der Fachkonferenzen empfohlen, um reine Digitalveranstaltungen in Corona-Zeiten zu verhindern.  

Unmittelbar nach der Auftaktveranstaltung hat das NBG seine Einschätzung des bisherigen Prozesses, seine Kritik und seine weitergehenden Anregungen formuliert. Zum einen: Die Auftaktveranstaltung hat zweifellos das Vertrauen in die fachliche Arbeit des BGE und damit in die Ergebnisse des Zwischenberichtes gestärkt. Andererseits war der Start der Selbstorganisation für die Fachkonferenzen sehr holperig. Wenn echte Partizipation gelingen soll, muss nun dringend überlegt werden, wie dieser Mangel behoben werden kann. Zumindest muss vernetztes Arbeiten, auch in Gruppen, zur Vor- und Nachbereitung der Fachkonferenzen ermöglicht werden.   

Schließlich hat das erstaunliche Ergebnis des Zwischenberichtes, der über die Hälfte Deutschlands als geologisch mögliche Standorte beschreibt, eine Unwucht in den Prozess der Öffentlichkeitsbeteiligung gebracht. Die aufwendig konzipierten Fachkonferenzen haben jetzt anders als erwartet kein wirklich brisantes Thema. Denn echte Betroffenheit einzelner Regionen ist noch nicht gegeben. Noch können die Bürgerinnen und Bürger von allen 90 Teilgebieten die Gefahr als sehr gering einschätzen, dass die eigene Region letztlich wirklich betroffen sein wird. Der eigentliche Auswahlprozess wird erst nach den Fachkonferenzen beginnen. Es ist aber noch nicht klar, wie dieser – dann erst wirklich spannende –  Auswahlprozess transparent und partizipativ gestaltet werden kann. Diese Frage wird das NBG nun mit BGE und BASE intensiv beraten müssen.


Zur Information: Das NBG

Das Nationale Begleitgremium ist ein unabhängiges, pluralistisch zusammengesetztes gesellschaftliches Gremium, das mit 18 Personen zu besetzen ist. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Studierende, interessierte Bürgerinnen und Bürger – die Bandbreite der Mitglieder spiegelt die Vielfalt der Gesellschaft wider. Ziel ist es, die Endlagersuche für hoch radioaktive Abfälle vermittelnd zu begleiten – unabhängig, transparent und bürgernah.

Dem Gremium gehören derzeit elf anerkannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens an, die vom Bundestag und Bundesrat gewählt werden und sechs Bürgervertreterinnen und -vertreter, die von der Bundesumweltministerin ernannt wurden.

Markus Dröge
Markus Dröge (Rotary Club Berlin) ist Mitglied des Rates der EKD, Vorsitzender der Evangelischen Mittelostkommission, der Evangelischen Stiftungen des Heiligen Landes und des Aufsichtsrates des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung (Diakonie Deutschland, Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe).
Er war bis Ende 2019 Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und wurde im März 2020 von Bundestag und Bundesrat als anerkannte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens in das Nationale Begleitgremium (NBG) gewählt.

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