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Rotary Aktuell

Das Zauberwort heißt Synergie

Rotary Aktuell - Das Zauberwort heißt Synergie
Patience Ado-Asquoah, Lehrerin für Gesundheit und Hygiene, unterrichtet ihre Klasse in der Kade Presbyterian School in Ghana über persönliche Hygiene. Rotary-Mitglieder aus 35 Clubs im ganzen Land arbeiten mit USAID sowie nationalen und lokalen Behörden der ghanaischen Regierung an einem groß angelegten Vier-Millionen-Dollar-Programm in den Bereichen Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene für 75.000 Menschen. © Andrew Eseibo/RI

Die Zusammenarbeit mit internationalen Partnerorganisationen im Non-Profit-Bereich kann die Nachhaltigkeit von Rotary-Projekten deutlich erhöhen.

01.04.2023

Social Entrepreneurs sind Unternehmer, die ihre betriebswirtschaftlichen Talente nicht dazu einsetzen, möglichst viel Profit zu erwerben, sondern um gesellschaftliche Probleme zu lösen. Die Profile dieser Sozialunternehmer sind vielschichtig: Das kann der Betreiber eines telefonischen Dolmetscherdienstes für Notfälle im Krankenhaus sein, geht über Wissenschaftler, die ihre Forschungsergebnisse in eigenen Start-ups umsetzen, bis hin zu Gründern von Initiativen wie „Brand New Bundestag“, die die Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten nicht allein den Parteien überlassen wollen.

Eine Szene mit enormem Wachstumspotenzial, das mit vielen Impulsen auch für Projekte von Rotary fruchtbar werden kann. Deshalb hat Rotary International vor einiger Zeit eine Partnerschaft mit Ashoka geschlossen, der nach eigenen Angaben weltweit größten Vereinigung von Sozialunternehmern. Über 4000 solcher „Changemaker“ aus 95 Ländern sind in diesem Netzwerk verbunden. Das gemeinsame Ziel: echten Fortschritt für Gesellschaft und Umweltschutz zu bewirken, indem erprobte Lösungsansätze auf globale Dimensionen skaliert werden.

Ashoka ist eine von bisher neun internationalen Organisationen, mit denen RI Kooperationsvereinbarungen unterschrieben hat, weil deren Ziele und Konzepte zu Rotarys Wertesystem passen. Da RI selbst keine Projekte verfolgt, sind diese Partnerschaften Angebote an Clubs und Distrikte, sich mit Gleichgesinnten zu verstärken. In Aussicht stehen beträchtliche Synergiegewinne, die die Partner allein nicht realisieren könnten.

Aktiver Sektor von Sozialunternehmen

Ulrich Guntram, RC Bonn Süd-Bad Godesberg, ein international tätiger Unternehmensberater und Versicherungsexperte, macht sich über solche Modelle schon seit Längerem Gedanken. „Wir haben in Deutschland seit einigen Jahren einen zunehmend aktiven Sektor von Sozialunternehmen und ehrenamtlichen Einrichtungen. Diese Organisationen haben untereinander wenig Berührungsängste, tun sich jedoch schwer, eine maximal mögliche Wirkung aus einer Kooperation umzusetzen.“ Was Rotary einzubringen hätte, ist die enorme Reichweite in die Gesellschaft hinein, was sowohl breite Kontakte auf lokaler Ebene als auch „advocacy“ umfasst, also die Einwirkung auf Multiplikatoren in Politik und Wirtschaft. Manchen Clubs fehle es andererseits an einer langfristigen strategischen Ausrichtung. Ihre Autonomie und die jährliche Ämterrotation können Hindernisse sein, solche „Kooperationen auf Augenhöhe“ anzugehen.

2023, zauberwort synergie, schütt
Rotary und Habitat for Humanity machten bei dem Aufbau eines Mehrfamilienhauses in Rumänien gemeinsame Sache. © Team U Restart, Martin Klein

Doch wo sie zustande kommen, ist das Ergebnis frappant. Beispiel Ahrtal. Fast alle Bonner Rotary Clubs sowie Clubs direkt aus den Hochwassergebieten haben sich in einer Projektgruppe Hochwasserhilfe zusammengeschlossen. Unter der Leitung von Axel Schwarz (RC Bonn Süd-Bad Godesberg) trifft sich alle zwei Wochen ein clubübergreifendes Expertenteam, um Projekte zum Wiederaufbau zu entwickeln. Dabei geht es Schwarz nicht nur um den konkreten Projekterfolg, sondern auch darum, über dieses Engagement neue Zuversicht zu stabilisieren. Dazu trägt etwa eine kostenfreie Beratung für kleine und mittlere Unternehmen bei, die infolge der Hochwasserkatastrophe von Insolvenz bedroht sind. Das Kölner Beratungsunternehmen Team U Restart gGmbH übernimmt die ehrenamtliche Beratung, ihm fehlt jedoch der Zugang zu den Betroffenen in den Städten und Gemeinden.

„Diese Beratung ist eine gewaltige Herausforderung für uns“, sagt Attila von Unruh, Chef von Team U Restart und Ashoka-Fellow. „Wir mussten dafür neue Leute einstellen. Ohne Rotarys Kontakte in den Städten und Gemeinden wären wir nicht weit gekommen.“ Neben der Türöffner-Funktion hat die rotarische Hochwasserhilfe auch die operativen Kosten der Beratungen übernommen.

Emotionale Situation im Fokus

Der besondere Kölner Ansatz ist, dass die Beratung nicht bei den wirtschaftlichen Fragen stehen bleibt, sondern die emotionale Situation der Betroffenen in den Mittelpunkt stellt. „Wenn alles verloren ist, müssen Sie den Menschen erst wieder aufbauen“, erläutert Firmenchef von Unruh. „Ein Großteil unserer Ehrenamtlichen hat selbst Insolvenzen durchlitten und weiß, wie es in den Chefs aussieht. Deshalb ist die persönliche Begleitung so wichtig bei allen Schritten, die unternommen werden müssen.“ Dazu gehören unter anderem die Hilfe bei der Antragstellung auf Überbrückungsmittel und Verhandlungen mit den Banken, wenn die ausgesetzte Tilgung von Krediten wieder anlaufen soll. Rund 110 Unternehmen in den Hochwassergebieten konnten bisher von der Beratung profitieren – und ein Abebben der Nachfrage sei noch lange nicht in Sicht.

So wie im Ahrtal stellen sich Sarah Crawford und Carrie Golden eine fruchtbare Partnerschaft vor. Die beiden Managerinnen kümmern sich bei Rotary International um diesen Bereich, der sich sowohl über längerfristig angelegte strategische Partnerschaften als auch Service-Partnerschaften erstreckt. Strategisch zielt man wie bei Ashoka, aber zum Beispiel auch mit der Global Part ner ship for Education (GPE), darauf, neue Strukturen zu schaffen, mit denen etwa bei der GPE Mädchen in armen Ländern bessere Bildungschancen erhalten. Service-Partnerschaften wurden mit der NGO Habitat for Humanity geschlossen, die Bedürftigen ein Dach über dem Kopf verschaffen will. Hier gibt es bereits gemeinsame Erfahrungen, etwa im vergangenen Frühjahr, als acht Clubmitglieder aus dem Distrikt 1940 in Rumänien zum Hands-on eintrafen. Finanziert über einen Distrikt-Grant und mithilfe rumänischer Rotary Clubs und Habitat for Humanity wurde eine Woche lang angepackt, um ein Mehrfamilienhaus zu errichten.

Partner im Bereich Umweltschutz gesucht

„Diese Partnerschaften bieten die große Chance, Rotarys Wirkung über den lokalen Bereich hinaus zu stärken“, sagt Abteilungsleiterin Crawford. „Das ist einer der Grundgedanken der strategischen Neuausrichtung, die Rotary 2013 mit der Umstellung des Fördersystems auf Global Grants eingeleitet hat. Zwei Kernpunkte sind die Nachhaltigkeit aller Projekte und ihre passgenaue Ausrichtung an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort.“ Die Liste der Partner entspricht den Schwerpunkten, die die Rotary Foundation als förderwürdig für Global Grants ausgewählt hat. Für den zuletzt hinzugekommenen Schwerpunkt Umweltschutz wird ebenfalls eine strategische Partnerschaft auf globaler Ebene angestrebt. Ulrich Guntram ist diese Ausrichtung geläufig, seit er in Singapur ein etwas anderes Rotary als das deutsche kennengelernt hat: „mehr Hands-on, mehr Offenheit für Zusammenarbeit mit Dritten“. Als Mitglied des Ashoka Support Network, das mit seinen Spendenbeträgen die Arbeit der Fellows unterstützt, kennt er die Stärken beider Organisationen. Rotary sieht er in der Schlüsselposition, neben Spenden und der Vermittlung von Kontakten vor allem Bewusstsein für Problemlagen und mögliche Lösungen zu schaffen. Allerdings neigen nach seiner Erfahrung viele Clubs zu einem „Tunnelblick“, bei dem die Chancen externer Expertise übersehen werden. Er sucht deshalb gezielt nach interessierten Ashoka-Fellows, die in Rotary Clubs über ihre Ideen berichten und eventuell Projektdiskussionen auslösen.

Bahnbrechende Idee

2023, zauberwort synergie, schütt
Blinde oder sehbehinderte Frauen nutzen ihre taktilen Fähigkeiten für die Brustkrebs-Früherkennung. © Discovering Hands/Berthold Litjes

Auch Frauenarzt Frank Hoffmann (RC Mülheim an der Ruhr-Uhlenhorst) ist gerade an dem Punkt, Rotary Clubs stärker für die Verbreitung seiner Idee zu gewinnen. Bei der Brustkrebs-Früherkennung bleibt für das Abtasten der weiblichen Brust im Praxisalltag zu wenig Zeit. Diese Aufgabe müsste man an Dienstleister abgeben, die dafür besonders geeignet sind, kam ihm in einer stillen Stunde in den Sinn. Die Lösung fand er bei Frauen, die aufgrund von Sehbehinderung oder Blindheit über besondere taktile Fertigkeiten verfügen, die andere Menschen nicht entwickeln. „Sie können als ausgebildete medizinisch-taktile Untersucherinnen (MTU) genauer Veränderungen in einer Brust ertasten als ein Arzt, der dafür nur wenige Minuten zur Verfügung hat. Da dieser Krebs erst tödlich wird, wenn er die Brust verlässt, vermeiden wir auf diesem Weg enormes Leid und beträchtliche Therapie- und Sozialkosten“, erläutert Hoffmann. „Zudem fördern wir die Inklusion von Arbeitskräften, die als Menschen mit Behinderung gelten, dabei aber diese absolut konkurrenzfreie Tätigkeit ausüben können.“ Sein Konzept hat Ashoka sofort überzeugt. Die Organisation hat ihm ein Stipendium gewährt, damit er einen Teil seiner Arbeitszeit der Weiterentwicklung der gemeinnützigen Unternehmensgründung „Discovering Hands“ widmen kann. Seit Projektstart 2006 wurden in 130 Arztpraxen und Kliniken in Deutschland Untersuchungsstellen für MTU aufgebaut, in Österreich gibt es einen Franchise-Partner. Ein Pilotprojekt ist in Indien angelaufen, in Südamerika sind zwei geplant. Geht man von 70.000 Brustkrebspatientinnen pro Jahr allein in Deutschland aus, wird das enorme Potenzial dieser Innovation erkennbar.

Von lokalen Bürgerinitiativen bis hin zu den Vereinten Nationen – so weit zieht RI das Netz an Partnerorganisationen, mit denen Rotary Clubs ihre Projekte verstärken können. Was im Kampf gegen die Kinderlähmung auf höchster Ebene die Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO), mit Unicef und anderen Global Playern ist, kann auch im kleineren Maßstab auf rotarischer Clubebene stattfinden. Wer sich mit Projekten im Ausland auskennt, weiß, dass ohne sachkompetente, zumeist nicht rotarische Partner vor Ort ohnehin nichts zu gewinnen ist. Diese „vertikale“ Kooperation klappt in der Regel gut und ist weitgehend anerkannt. Die „horizontale“ Kooperation mit Organisationen wie Ashoka steht dagegen noch am Anfang.

Matthias Schütt


 „Wir packen Probleme an der Wurzel“

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Marie Ringler ist überzeugt, dass Ashoka und Rotary dieselbe Mission verbindet. © Elisabeth Mandl

Fragen an Marie Ringler, RC Wien, Europa-Repräsentantin des Netzwerks Ashoka

Sie sind sowohl bei Ashoka als auch bei Rotary aktiv. Wo sehen Sie die Synergien, die aus einer Zusammenarbeit hervorgehen können?

Ashoka und Rotary verbindet dieselbe Mission: Menschen dazu zu bringen, nicht nur sich selbst, sondern die Gesellschaft insgesamt voranzubringen und Problemlöser zu sein. Rotarys Stärke ist die globale Reichweite bis auf die lokale Ebene und der Zugang zu wichtigen Multiplikatoren. Neben diesem sozialen Kapital stellt Rotary auch finanzielle Mittel zur Verfügung, die Ashoka-Projekte fördern können. Andererseits können unsere Fellows Rotary-Mitglieder für gesellschaftliche Lösungen begeistern, wo sie noch besser und zielgenauer helfen können.

Was genau zeichnet die rund 4000 Sozialunternehmer aus, die Ashoka weltweit als Fellows betreut?

Ihre Projekte müssen zu systemwirksamen Lösungen führen. Das heißt, sie packen das Problem an der Wurzel und schaffen nachhaltig bessere Strukturen. Einem Obdachlosen eine Decke zu geben, ist eine Hilfe im Notfall, ändert aber nichts an seinem Problem. Wenn wir aber Gemeinden dazu bringen, für Obdachlose Gebäude umzuwidmen, dann hat das eine andere Qualität. Das Projekt „Common Ground Community“ in den USA hat mit dieser Strategie die Obdachlosigkeit in mehreren Städten überwunden. Es kommt nicht auf Almosen an, sondern darauf, die Ursachen eines Problems aufzudecken. Das zeichnet unsere „Changemaker“ aus.

Ashoka besteht seit 1980 und ist in 95 Ländern der Welt aktiv. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung?

Die Zahl der Changemaker wächst jedes Jahr in einem intensiven Auswahlprozess um 120 bis 140 neue Fellows. Diese Zahl wollen wir möglichst verdoppeln. Das Potenzial ist vorhanden, leider sind unsere Möglichkeiten begrenzt. Wir finanzieren uns vor allem von Spenden aus unserem eigenen Ashoka Support Network und von Familienstiftungen.

Einer Ihrer institutionellen Partner ist der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim. Wie kann man sich diese Zusammenarbeit vorstellen?

Boehringer Ingelheim, übrigens ein familiengeführtes Unternehmen, und Ashoka verbindet seit zehn Jahren das Projekt „Making More Health“ mit Gesundheitsprojekten in aller Welt. Ein praktisches Beispiel: Dem im Artikel erwähnten Frauenarzt Frank Hoffmann half ein halbes Jahr lang als Sachspender ein Manager von Boehringer Ingelheim bei der Gründung des gemeinnützigen Unternehmens Discovering Hands. Solche Spenden haben natürlich auch Rückwirkungen auf das Unternehmen: Wer auf Changemaker setzt, stärkt das Innovationspotenzial auf allen Ebenen.

Das Gespräch führte Matthias Schütt.


Rotarys Partnerschaften

Nähere Informationen zu den folgenden Einrichtungen unter my.rotary.org/de/learning-reference/about-rotary/partners

Ashoka
Netzwerk von 4000 Sozialunternehmern, die für sozialen Fortschritt arbeiten Global Partnership for Education (GPE) Bildungsförderung für Kinder in den ärmsten Ländern

Habitat for Humanity
Wohnungen für bedürftige Familien und Einzelpersonen Institute for Economics and Peace (IEP) Konzepte für „Positiven Frieden“, das heißt den wirtschaftlichen Nutzen von Konfliktvermeidung

Mediators Beyond Borders (MBBI)
Programme zur Konfliktvermeidung auf lokaler und regionaler Ebene

Peace Corps
Bedarfsanalysen und Konzepte für Projekte in Entwicklungsländern

ShelterBox
Notunterkünfte und Hilfsgüter in Naturkatastrophenund Krisengebieten

Toastmasters International
Gemeinnützige Bildungsorganisation zur Vermittlung von rhetorischen und Führungskompetenzen

The United States Agency for International Development (USAID)
Hilfsorganisation zur Verbesserung der Lebensbedingungen in Entwicklungsländern