Titelthema
Der Boomer-Effekt

Immer mehr Branchen entdecken die enorme Kaufkraft der Generation 50 plus. Sie ist markentreu, gesund und hat noch viel vor
Über die Marktmacht der Boomer-Generation 50 plus spricht man schon lange – aber nur jedes fünfte Unternehmen hat sich wirklich auf den demografischen Wandel in Form ihrer älter werdenden Kunden und Mitarbeiter eingestellt. Früher galt man mit 50 als alt und verbraucht, vor 100 Jahren wurde man durchschnittlich 55 Jahre alt. Das Durchschnittsalter hat sich inzwischen um mehr als 25 Jahre nach oben verschoben – Tendenz weiter steigend. Das gefühlte Alter liegt etwa 14 Jahre unter dem biologischen Alter, und das gefühlte Aussehen liegt – wissenschaftlich bewiesen – bei acht Jahren weniger. Das heißt nichts anderes als „50 sein, wie 42 aussehen, sich wie 36 fühlen“. 50 ist das neue 36. Mit 50 fängt heutzutage das Leben erst so richtig an, das Ruhebett kann noch einige Zeit warten. Menschen über 50 gehen auf Ü30-Partys, machen sich selbstständig, werden „Best-Ager-Au-pair“, gehen souverän und selbstbewusst neue Wege, mischen sich in die Politik ein, verwirklichen sich selbst.
Gefahr „sozialer Kernschmelze“
Die Babyboomer bereichern einerseits unsere Gesellschaft, belasten aber auch unser Renten- und Sozialsystem. Die Lebenserwartung wird immer höher, immer weniger Junge müssen immer mehr Rentner finanzieren – es knackt aktuell heftig im Generationenvertrag, die Schere zwischen Arm und Reich klafft sichtlich stärker auseinander. Das macht deutlich, dass wir darüber nachdenken müssen, wie wir alle mit weniger Geld besser und generationengerechter leben können. Wer zahlt die horrend steigenden Renten- und Sozialversicherungsbeiträge? Wie geht die jüngere Generation mit der hohen Kaufkraft der Älteren um – kommt Neid auf, fühlt man sich von der Politik gerecht behandelt? Es besteht die Gefahr einer „sozialen Kernschmelze“ aufgrund abnehmender Kaufkraft, künftig längeren Arbeitszeiten und Senkung der Rentenhöhe – bei gleichzeitig mehr Ruheständlern und der Gefahr von zunehmender Arbeitslosigkeit und Kriegsgefahren in Krisenzeiten wie diesen.
All das sollte meines Erachtens unsere Gesellschaft dazu animieren, die Unterschiede zwischen den Generationen 20 plus und 50 plus mit einer Bereicherung für das Arbeitsleben, für die Wirtschaft und für die Gesellschaft mit wechselseitiger Wertschätzung und einem positiven Fokus auf Bereicherungspotenziale der Jugendlichkeit versus Lebenserfahrung sinnvoll zu nutzen – mit Rücksicht, Nachsicht, Weitsicht, für mehr Lebensfreude und Lebensqualität für alle Generationen.
Die Macht des Alters regiert das 21. Jahrhundert – es scheint uns aber nicht wirklich zu interessieren. Wie sonst ist der allseits mehr denn je regierende Jugendwahn vieler Medien und Unternehmen zu erklären? Das Nicht-wahrhaben-Wollen, dass der demografische Wandel uns schon längst in voller Wucht beherrscht. Über 40 Prozent der deutschen Bevölkerung sind Menschen über 50, und es werden immer mehr – ähnlich ist die Situation in Österreich und in der Schweiz.
Der Best-Ager-Markt bietet für zahlreiche Branchen ein gigantisches Umsatzsteigerungspotenzial in einer Größenordnung zwischen 30 und 50 Prozent, darunter die Konsumgüter- und Luxusgüterindustrie, die Fitness- und Freizeitindustrie, Tourismus, Gastronomie und Hotellerie – erfahrene Menschen wollen ihr Leben noch in vollen Zügen genießen, verreisen, wollen ihren Lebensstil und die Gesundheit pflegen, sie wollen täglich genussvoll essen und trinken. Aber auch die Einrichtungsbranche und der Möbelhandel, der Gesundheits- und Seniorenmarkt, die Kosmetik- und Pharmabranche, der Einzelhandel (stationär und online), die Automobilbranche werden davon großzügig profitieren – denn die Babyboomer-Generation hat Zeit und Lust, ihr Geld auszugeben, wenn die Ansprache, die Dienstleistung drumherum und vor allem die Produkte passen. Best Ager sind lebenslustige, agile, erlebnisorientierte Genießer – keine „Generation Grau“ und schon gar keine „Senioren“ im landläufigen Sinn.
Mit einer Kaufkraft von über 720 Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland (Österreich: 70 Milliarden Euro, Schweiz: über 100 Milliarden Schweizer Franken) verfügt die deutsche Generation 50 plus über eine nie dagewesene Marktmacht – sie ist die reichste Generation aller Zeiten. Vielfach werden diese Kunden jedoch zu klischeehaft als „Senioren“ angesprochen oder in ihren Bedürfnissen von der Wirtschaft ignoriert. Erfahrene Menschen haben andere Sehnsüchte, Erwartungen, Wertvorstellungen und Lebensstile als jüngere Verbraucher und werden zunehmend ihre gesellschaftspolitische Marktmacht einzusetzen wissen, Unternehmen und deren Produkte und Dienstleistungen abzuwählen oder aber ganz gezielt und voller Überzeugung weiterzuempfehlen.
Ältere Menschen sind wertvolle Vier-Generationen-Kunden: Sie kaufen selbst, haben oftmals Kinder und Enkel, Eltern, Freunde, Kollegen und Bekannte – denen sie entweder gute oder schlechte eigene Erfahrungen als Verbraucher gerne weitererzählen. Das Geniale ist: Wer die Bedürfnisse dieser Gruppe erkennt und nachhaltig befriedigt, macht im Endeffekt alle Konsumenten glücklich. Kunden über 50 geben verglichen mit jüngeren Kunden wesentlich mehr Geld für Lifestyle-Produkte und Dienstleistungen rund um die Themenfelder Luxus, Gesundheit, Genuss, Ernährung, Fitness, Reisen, Wohnen, Einrichten, Geschenke und Geldanlage aus. Best Ager sind gesünder und leistungsfähiger denn je, häufig vermögend und zahlungskräftig, stehen mitten im Leben und legen großen Wert auf nützliche und attraktive Produkte und Dienstleistungen.

Gigantische Chancen
Ein heute 50-Jähriger kann noch mehr als 30 Jahre ein loyaler Kunde sein, wenn es gelingt, diesen individuell mit herausragendem Service und persönlicher Wertschätzung anzusprechen. Die alten Tugenden sind das A und O – weil diese in dieser schnelllebigen Zeit inmitten der digitalen Revolution kaum noch zu erleben sind. Gerade in digitalen Welten und Social-Media-Zeiten wünschen sich erfahrene Menschen – übrigens Kunden ebenso wie Mitarbeiter – aufgrund einer zunehmenden Anonymität ganz besonders: Vertrauen, Verlässlichkeit, Verbundenheit, Ehrlichkeit, charmante Aufmerksamkeit, Einfühlungsvermögen, Komfort, Geborgenheit, Transparenz und keine falschen Versprechungen. Sonst wechseln sie schnell die Anbieter.
Ob die Konsequenzen in Bezug auf veränderte Kundenbedürfnisse wie auch Mitarbeiterwünsche bei den Verantwortlichen der Wirtschaft tatsächlich schon angekommen sind, wage ich zu bezweifeln. Unternehmer und Personalverantwortliche sind branchenübergreifend gefordert – unterschätzen aber noch die Situation. Erfahrene Fach- und Führungskräfte im Alter von 45 bis 67 Jahren sind ein Juwel für Unternehmen, auf die noch viel zu wenig zurückgegriffen wird. Gerade Mitarbeiter im besten Alter sind motiviert, zuverlässig, effektiv, belastbar, treu und flexibler, als man landläufig so meint. Nur ein gesunder Personalmix aus Älteren und Jüngeren bringt der Wirtschaft den Erfolg, den es langfristig so nötig braucht. Die Generationen könnten sich exzellent ergänzen und bereichern – man denke nur an den Ressourcen- und Erfahrungsaustausch, an die vielen Wertschöpfungssynergien für Unternehmen oder an den wichtigen Know-how-Transfer zwischen Jung und Alt. Hierzu brauchen wir dringend einen Mentalitätswandel in den Chefetagen, in den Köpfen aller Entscheider.
Das Älterwerden wird gerade neu erfunden. Der demografische Wandel eröffnet gigantische Chancen und große Wachstumspotenziale für die Wirtschaft. Wir sollten unsere Unternehmen neu ausrichten – auf eine Bevölkerung, die „alt werden“ gerade neu erfindet, auf veränderte Kundenwünsche und Lebensstile, auf eine neue Marktmacht 50 plus, die mit dem Geldausgeben gerade erst richtig angefangen hat. Richten Sie Ihren Fokus stärker als bisher auf diese gigantische Wirtschaftskraft, ohne dabei die Jüngeren zu vernachlässigen. Sie werden begeistert sein und viel Freude mit diesen erfahrenen Kunden und Mitarbeitern haben.

Buchtipp: Hans-Georg Pompe,
Marktmacht 50plus: Wie Sie Best Ager als Kunden gewinnen und begeistern,
Springer Gabler, 3. Auflage, 64,99 Euro

Hans-Georg Pompe ist erfahrener Vortragsredner, Kommunikations- und Verkaufstrainer, Marketingspezialist, Unternehmer, Buchautor. Er hat Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Marketing studiert. Er war 24 Jahre im Management und Marketing/PR renommierter Dienstleistungsunternehmen tätig und ist seit 21 Jahren mit seinem Unternehmen Pompe Marketing erfolgreich.
Foto: Astrid Obert