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Recherchereise Tag 1

Der omnipräsente Ukraine-Krieg

Recherchereise Tag 1 - Der omnipräsente Ukraine-Krieg

Florian Quanz recherchiert für das Rotary Magazin an der polnisch-ukrainischen Grenze. Sein Fokus liegt auf rotarischen Hilfsprojekten, die das Leid der ukrainischen Flüchtlinge lindern und ihnen in dieser schweren Zeit helfen sollen.

03.04.2022

Tag 1

Es dauert nicht lange und ich werde mit meinem Reisegrund konfrontiert. Ich sitze im Flieger der polnischen Fluggesellschaft LOT von Hamburg nach Warschau. Die Stewardess, die gerade kontrolliert, ob alle den Sitzgurt geschlossen haben, trägt an ihrer Bluse eine angeheftete Schleife in den ukrainischen Nationalfarben. Eine Woche werde ich als Reporter für das Rotary Magazin, das Mitgliedermagazin aller Rotarier in Deutschland und Österreich, an der polnisch-ukrainischen Grenze sein. Ich werde über Hilfsprojekte berichten, Hilfstransporte entgegennehmen und mit Menschen aus der Region sprechen. Wenn schon im Flieger nach Polen der Krieg in der Ukraine präsent ist, dann muss er Thema mit ganz besonderem Stellenwert in Polen haben, denke ich mir. Der Flieger hebt ab, wird sind in der Luft und wenig später darf ich den Gurt wieder öffnen.

Ich schlage das Boardmagazin "Kaleidoscope" auf: wieder Ukraine. Unter der Überschrift "The charme of Ukraine" wird auf acht Seiten auf polnisch und englisch mit vielen Bildern das Land vorgestellt. Die Ukraine in ihrer ganzen Pracht: Goldene Kuppeln in Kiew, leuchtende Getreidefelder, eine prachtvolle Mittelalterburg und ein schöner Sandstrand am Schwarzen Meer sind auf Fotos zu sehen. Es wirkt wie ein Reiseprospekt, ganz nach dem Motto: Da müssen Sie jetzt hin.

Ich erfahre auf einer weiteren Seite, dass LOT fünf ukrainische Flughäfen vor dem Krieg ansteuerte, der Flugbetrieb dahin nun natürlich eingestellt ist. Aber die Fluggesellschaft belässt es nicht damit, mit einem Artikel die Schönheit des Nachbarlandes zu preisen und auf eingestellte Flugverbindungen hinzuweisen, die im Übrigen auch Belarus und Moldau betreffen. Es wird politisch: Auf vier Seiten wird die aus polnischer Sicht aggressive russische Politik beschrieben, ausgehend vom Kaukasuskrieg 2008 zwischen Georgien und den zwei abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien. Der Tenor des Textes ist unmissverständlich: Russland sei schon lange ein Kriegstreiber und vor Jahren habe sich eine Entwicklung abgezeichnet, die nun zu einem Krieg mitten in Europa geführt habe.

Beim Umstieg in Warschau in den Flieger nach Kattowitz blicke ich an einem Kiosk auf die polnischen Tageszeitungen. Der Ukraine-Krieg ist überall Titelthema. Die Anteilnahme an den Geschehnissen im Nachbarland, so spüre ich, übersteigt das, was ich aus Deutschland kenne. Wenngleich auch in Deutschland fast jeden Abend Sondersendungen im Fernsehen geboten werden.

Auf der Autobahn entdecke ich alle paar Kilometer eine elektronische Anzeigetafel mit Ukraine-Flagge und einer Solidaritätsbotschaft. Dazu wird eine Hilfs-Hotline für Geflüchtete angezeigt, bei der sie sich melden können, wenn sie Probleme in Polen haben.

Ein wesentlicher Unterschied in der medialen Berichterstattung, das bekomme ich später am Abend in Krakau in Gesprächen mit Polen mit, sind permanente Schuldzuweisungen an die deutsche Bundesregierung. Viel zu lange habe man Russland hofiert, zu lange gewartet, bis man erste Waffen geliefert habe und nun liefere man zu wenig. "Ihr könnt doch mehr tun", sagt mir einer in einer Kneipe in der Krakauer Altstadt vorwurfsvoll ins Gesicht. Erklärungen, dass die deutsche Bundesregierung vorsichtig agiere, damit der Konflikt nicht weiter eskaliere, lässt mein Gesprächspartner nicht gelten. Dass Deutschland viel humanitäre Hilfe leistet, wird hingegen positiv wahrgenommen. Immerhin, meine polnischen Gesprächspartner differenzieren.

In Polen selbst sind inzwischen 2,4 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine angekommen. Es ist wohl vor allem der Zivilgesellschaft zu verdanken, dass die Aufnahme so gut funktioniert. Jedenfalls bestätigen mir mehrere Gesprächspartner, dass die Bereitschaft, privat Flüchtlinge aufzunehmen, enorm groß sei. Die historisch-kulturelle Verbundenheit beider Nationen offenbart sich nun in der enormen Anteilnahme und Hilfsbereitschaft.