Anmerkungen zu einem umstrittenen Thema
Die Flut und der Ausbau der Flüsse
Die Flut dieses Sommers hat die seit einigen Jahren andauernde Diskussion zu den Themen Klimaschutz und Flussausbau neu belebt und dabei kräftig verstärkt. Im Fernsehen wurde diese Diskussion überwiegend von Politikern und Vertretern der Umweltverbände geführt.
In Wahlzeiten ist es leider allzu verlockend, die Flut für den Stimmenfang zu nutzen. Fachlich fundierte Stellungnahmen bilden eher die Ausnahme – ob sie nicht erwünscht sind, weil sie nicht in den Trend passen, oder ob den Fachvertretern der Mut fehlt, wider den Trend zu argumentieren, sei dahingestellt. Da wird die Gefahr real, dass der Trend die Politik bestimmt. In diesem Beitrag soll zum Thema Flussausbau an die naturgesetzlichen Gegebenheiten erinnert werden, denn sie finden in der öffentlichen Diskussion zu wenig Beachtung. Sie sind aber wirksam und wenn wir sie unberücksichtigt lassen, wird sich schließlich herausstellen, dass die praktische Politik ein falsches Ergebnis produziert.
Was sind bei Flüssen naturgesetzliche Gegebenheiten? Dass sie nicht geradeaus fließen, sondern mäandrieren, dass sie aufgenommene Steine flussabwärts bewegen und diese dabei zerkleinern, bis schließlich nur noch Sand und Lehm übrig bleiben, und dass ihre Wasserführung nicht gleich bleibt, sondern maßgeblich von den wechselnden Niederschlägen bestimmt wird:
Die Neigung der Flüsse, ihr Bett ständig zu verlagern und dabei Flussschleifen (‚Mäander’) zu bilden, bewirkt eine Verlängerung der Flüsse, damit eine Verringerung ihrer Fließgeschwindigkeit und eine Verbreiterung der Täler. Große Ströme haben besonders in ihrem Unterlauf Talauen geschaffen, die viele hundert Kilometer breit werden können. Treten Flüsse bei Hochwässern über die Ufer, brechen sie an den Engstellen der Flussschleifen durch. Die Durchbruchstelle wird zum neuen Flusslauf und die ehemalige Flussschleife zum Altarm. Bei jedem Hochwasser verändert der Fluss seine Landschaft und das Ausmaß der Veränderungen wächst mit dem des Hochwassers. Große Hochwässer können Flussläufe um viele Kilometer verlagern; China hat solche Katastrophen besonders intensiv erleben müssen.
Dass die Flüsse ihre Sedimentfracht an ihrer Mündung fallen lassen und damit die Küsten seewärts verlagern, ist weit gehend bekannt, dass sie bei Hochwässern über die Ufer treten wohl auch, dass sie aber dabei große Mengen Hochflutlehm ablagern, scheint von „Flutexperten“ oft nicht erinnert zu werden, denn dann müss-ten sie zugeben, dass es große Hochwässer mit einer weiten Ausdehnung schon immer gegeben hat – schließlich bedecken solche Lehmschichten in großen Mächtigkeiten die Flussauen auch noch viele Kilometer vom Fluss entfernt.
Dass die Niederschläge von Natur aus ungleich groß sind, ist ebenso bekannt. Die mittlere Niederschlagshöhe beträgt bei uns 750 mm im Jahr. Aber solche Durchschnittsjahre sind eher statistischer Natur – in der Praxis sind sie recht selten: Meistens regnet es viel mehr oder viel weniger, und wir haben dementsprechend zu nasse oder zu trockene Jahre. Es können viele zu nasse oder viele zu trockene Jahre jeweils aufeinander folgen, und man benötigt die Jahresniederschlagsmengen von Jahrzehnten, um einen „langjährigen Mittelwert“ errechnen zu können, der gleich bleibt oder sich über einen längeren Zeitraum nur noch wenig ändert. Geringe Abweichungen vom langjährigen Mittelwert ereignen sich oft, große sind selten, sehr große kommen nur gelegentlich vor und extreme Niederschlagsmengen haben gar episodischen Charakter. Und ebenso verhält es sich mit den Hochwässern der Flüsse.
Die Details hierzu lassen sich in diesem engen Rahmen nicht darstellen. Eines lässt sich allerdings mit Sicherheit feststellen: Um bei den Niederschlagsmengen und bei den Wasserführungen der Flüsse tendenzielle Veränderungen zu erkennen, braucht man kontinuierliche Messwerte aus vielen Jahrzehnten, besser aus einem noch längeren Zeitraum. In einigen Ländern verfügen wir über ausreichende Messwert-Reihen, in den meisten Ländern sind sie jedoch noch nicht verfügbar. Und dementsprechend sind verlässliche Aussagen über Änderungen – und gar über deren Tendenzen – noch kaum möglich.
Spektakuläre Hochwässer, die hierzulande stattgefunden haben, können wir gleichwohl zur Kenntnis nehmen: Die Stadtarchive geben Auskunft und, für jedermann sichtbar, die Hochwassermarken, die an bevorzugter Stelle angebracht wurden. Und was lehren sie uns? Dass die Elbe oder ihre Nebenflüsse früher schon oft noch größere Hochwässer hatten! Goethes Ballade über Johanna Sebus, die in den Hochwasserfluten des Niederrheins ihren Rettungseinsatz mit dem Leben bezahlte, gibt ebenfalls beredte Kunde von früheren Hochwässern. Und dem Fachmann bezeugen die breiten Talauen und die Hochflutlehme, in Jahrzehntausenden von den vielen Hochwässern oft bis zu vielen Metern Mächtigkeit nacheinander abgelagert, dass Hochwässer unsere Flusslandschaften gestaltet haben, lange schon bevor es Menschen gab.
Damals nahmen sich die Flüsse den Raum, den sie brauchten, und mit der Landschaft wurden die Lebensräume verändert – was für die Pflanzen- und Tierwelt sicher nicht ohne Opfer abging. Im vortechnischen Zeitalter wurden die Menschen in einer Hinsicht mit den Hochwässern vermutlich besser fertig als heute: Da die Flüsse weder begradigt noch eingedeicht waren, floss das Wasser infolge Retention bei Hochwasser verzögert ab und die Fluten stiegen bei einer gegebenen Niederschlagsmenge weniger hoch an. Außerdem fehlte das anfällige Gerät – Autos, Waschmaschinen und Kühlschränke etc. waren noch nicht erfunden und konnten nicht beschädigt werden, und dies ist für den Umfang der Schäden besonders wichtig. Wenn früher allerdings extreme Hochwässer auftraten, haben sie die Menschen in einem viel größeren Ausmaß gefährdet, denn die noch nicht ausgebauten Flüsse haben ungeschützte Siedlungen völlig zerstört, wie das auch heute noch in Naturlandschaften zu beobachten ist.
Anscheinend kommen extreme Niederschlagsereignisse in den letzten Jahren öfter vor und damit sollen sich auch die Hochwässer häufen. Dies wird auf die globale Erwärmung zurückgeführt, und nicht selten wird diese Klimaänderung zu einer Klimakatastrophe hochstilisiert, die wir mit unserer industriellen Tätigkeit selbst verursachen. Nun sind bei der Bewertung des Klimas zwei Dinge sicher:
Das Klima, sozusagen der Mittelwert des täglichen Wetters, hat sich schon immer verändert und wird das auch weiter tun. Die Änderungen waren unterschiedlich groß. Besonders intensive Abkühlungen haben Eiszeiten verursacht. Sie haben in sehr frühen geologischen Epochen wiederholt stattgefunden, und während der letzten Million Jahre gleich vier Mal.
Ob eine Klimaänderung gleich eine Kata-strophe darstellt, ist relativ: In Grönland und in der Antarktis wäre sie es wegen der Erwärmung wohl nicht, für die Tiefländer wegen der Überflutung sicher ja. Nebenbei: Der heutige Mensch verdankt den Eiszeiten viele Entwicklungsimpulse, vielleicht sogar seine Existenz.
Nun soll hier nicht die Klimaänderung betrachtet werden, sondern der Ausbau der Flüsse. Zur Klimaänderung deshalb hier nur das Folgende, weil sie ja immerhin für den Flussausbau eine wichtige Rolle spielt:
Dass seit einiger Zeit eine globale Erwärmung stattfindet, muss angesichts des Rückganges der Gletscher angenommen werden. Ob sie sich fortsetzt oder bald aufhört und welche Erwärmung bis dann erfolgt sein wird, ist noch unbekannt und lässt sich, allen Klimamodellen zum Trotz, auch nicht vorhersagen und, wenn überhaupt, bestenfalls abschätzen.
Die bisherigen Klimaänderungen wurden mit Sicherheit nicht vom Menschen verursacht. Ob der Mensch mit seinen Tätigkeiten die heutige Erwärmung mit verursacht, ist noch unbekannt. Die atmosphärischen Prozesse sind sensibel und in Anbetracht der Treibhausgase, die wir direkt oder indirekt produzieren und zusätzlich in die Atmosphäre entlassen, ist mindestens eine Mitbeteiligung des Menschen an der Erwärmung möglich.
Genau wird man diesen Einfluss erst später kennen. Was man aus dieser Ungewissheit folgert, ist nun fast eine Temperamentssache: Neigt man – nicht zuletzt auch wegen der wirtschaftlichen Implikationen – zum „Es ist noch immer gut gegangen“, wird man unseren Einfluss für unerheblich halten und den Dingen ihren Lauf lassen. Hält man, umgekehrt, die Auswirkungen unserer Tätigkeit für potenziell schädlich, wird man versuchen, sie zu verringern. Mit dem Kyoto-Protokoll haben sich die Länder mehrheitlich für die zweite Variante entschieden und versuchen, sie zu realisieren. Diese Politik hat ein Argument für sich: Falls wir Menschen die Klimaänderung doch (mit-)verursachen, könnte es beim Abwarten für eine Einflussnahme zu spät sein, sollte sich die bisher vermutete Mitbeteiligung in der Zukunft bestätigen.
Zurück zum Ausbau der Flüsse. Dazu gehören mehrere Komponenten: die Begradigung, die Eindeichung, die Schaffung von Retentionsräumen, von denen die Hochwasserwellen schon möglichst weit oben vorübergehend aufgenommen werden können, und schließlich die Schiffbarmachung. Was davon jeweils infrage kommt, richtet sich nach den einzelnen örtlichen Gegebenheiten.
Die sich der Ökologie verpflichtet fühlenden Gruppierungen unserer Gesellschaft haben schon lange die Meinung propagiert, man solle die Flüsse möglichst in ihrem Naturzustand belassen – oder in diesen zurückversetzen. Diese Auffassung hat dazu geführt, dass kleinere Flüsse „renaturiert”’ werden. Dagegen ist nichts zu sagen, denn auf diese Weise werden manche Übertreibungen beim früheren Ausbau zurück- genommen.
Bei unseren Strömen sieht das anders aus. Beispielsweise lässt sich die Flusslandschaft des Rheins, die vor seiner Begradigung bestand, nicht wiederherstellen – die Interessen der Schifffahrt, der Ökonomie also, stünden einer solchen Absicht ebenso entgegen wie die enormen Kosten, die ein Rückbau dort erforderte. Anders sieht es bei der Elbe aus: Sie befindet sich noch weit gehend in einem naturbelassenen Zustand und in den letzten Jahren wurde deshalb der Plan entwickelt, die Elbe im Interesse der Schifffahrt weiter auszubauen. Nach der Flut soll jetzt dieser Plan aus ökologischen Gründen wohl erst mal auf Eis gelegt werden.
Diese Beispiele werfen eine grundsätzliche Frage auf: Dürfen potenziell schiffbare Flüsse im Interesse des Schutzes ihrer Anlieger und der Schiffbarkeit ausgebaut werden, oder gebieten es ökologische Gründe, auf einen solchen Ausbau zu verzichten – und welche Komponenten soll der Ausbau umfassen? Hochwässer sind von Natur aus unvermeidbar, es wird sie immer wieder geben. Belässt man die Flüsse in ihrem natürlichen Zustand, vermeidet man möglicherweise, dass sich spektakuläre Hochwässer häufen, denn in einer Naturlandschaft kann sich der nicht eingedeichte Fluss „verlaufen“, es wird lediglich die Flusslandschaft jedes Mal umgestaltet. Umgekehrt sprechen die entscheidungsrelevanten Faktoren immer dann für einen Ausbau, wenn es sich um einen Strom handelt, der durch dicht besiedeltes und industrialisiertes Land fließt:
‚ Ein Fluss entwickelt bei Hochwasser ein erhebliches Zerstörungspotenzial. In einer Kulturlandschaft muss das Potenzial gebändigt werden, will man nicht die enormen Schäden in Kauf nehmen, die die Überflutungen ausgedehnter Landstriche in den Dörfern, Städten und Industrieanlagen verursachen.
‚ Sollten die extremen Niederschlagsereignisse aus Gründen der globalen Erwärmung zunehmen, vermehrten sich auch die extremen Hochwässer – und damit verstärkte sich die Notwendigkeit des Flussausbaues, anderenfalls würden sie noch größere Schäden anrichten.
Und die Ökologie der Landschaft, ist ihr nicht Rechnung zu tragen? Will man die Frage ehrlich beantworten, muss man zwischen der Ökologie des Großraumes und der kleinerer Raumein-
heiten unterscheiden. Das ursprüngliche Ökosystem des Großraumes Mitteleuropa, nämlich der Wald, ist durch die menschliche Besiedlung schon in grauer Vorzeit in eine Kulturlandschaft umgestaltet worden. Wollte man diese wiederherstellen, müssten wir unseren Lebensraum aufgeben – eine utopische Alternative! Es bleiben uns folglich nur noch kleine Räume, die wir ökologisch gestalten können, mehr wird der Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie nicht zulassen.
Gegen diese Argumentation ließe sich einwenden, dass die bisherige Eindeichung der Flüsse den Siedlungen eher geschadet als genutzt hat, denn das kanalisierte Hochwasser fließt schneller zu Tal und vergrößert die Hochwasserwelle. Dies Argument ist anscheinend zutreffend – aber nur weil der Ausbau unvollständig war. Bisher hat man die Flüsse begradigt und eingedeicht. Das reicht nicht aus: Ausreichend bemessene Retentionsräume müssen hinzukommen – auch in den Nebenflüssen, und die Deiche sind so zu bauen, dass sie einer längeren Belastung standhalten, was grundsätzlich möglich ist, aber einen größeren Aufwand erfordert.
Diese Folgerungen werden dem puristischen Ökologen vermutlich nicht gefallen. Er sollte bedenken, dass sich der Mensch mit der Eroberung seines Lebensraumes nicht anders verhalten hat als alle Lebewesen, die vor ihm entstanden sind – sie haben sich nach Kräften und Möglichkeiten vermehrt und ausgedehnt.
Nachdem wir nun jedoch erkannt haben, dass die Ressourcen auf dem Raumschiff Erde begrenzt sind, müssen wir das besser machen, nämlich die Natur nur so wenig wie möglich verändern. Aber es ist illusorisch anzunehmen, dies könne bei immer mehr Menschen auf unserem Globus und bei wachsenden Ansprüchen nach einem besseren Lebensstandard zum ökologischen Null-Tarif gelingen.
Was sind bei Flüssen naturgesetzliche Gegebenheiten? Dass sie nicht geradeaus fließen, sondern mäandrieren, dass sie aufgenommene Steine flussabwärts bewegen und diese dabei zerkleinern, bis schließlich nur noch Sand und Lehm übrig bleiben, und dass ihre Wasserführung nicht gleich bleibt, sondern maßgeblich von den wechselnden Niederschlägen bestimmt wird:
Die Neigung der Flüsse, ihr Bett ständig zu verlagern und dabei Flussschleifen (‚Mäander’) zu bilden, bewirkt eine Verlängerung der Flüsse, damit eine Verringerung ihrer Fließgeschwindigkeit und eine Verbreiterung der Täler. Große Ströme haben besonders in ihrem Unterlauf Talauen geschaffen, die viele hundert Kilometer breit werden können. Treten Flüsse bei Hochwässern über die Ufer, brechen sie an den Engstellen der Flussschleifen durch. Die Durchbruchstelle wird zum neuen Flusslauf und die ehemalige Flussschleife zum Altarm. Bei jedem Hochwasser verändert der Fluss seine Landschaft und das Ausmaß der Veränderungen wächst mit dem des Hochwassers. Große Hochwässer können Flussläufe um viele Kilometer verlagern; China hat solche Katastrophen besonders intensiv erleben müssen.
Dass die Flüsse ihre Sedimentfracht an ihrer Mündung fallen lassen und damit die Küsten seewärts verlagern, ist weit gehend bekannt, dass sie bei Hochwässern über die Ufer treten wohl auch, dass sie aber dabei große Mengen Hochflutlehm ablagern, scheint von „Flutexperten“ oft nicht erinnert zu werden, denn dann müss-ten sie zugeben, dass es große Hochwässer mit einer weiten Ausdehnung schon immer gegeben hat – schließlich bedecken solche Lehmschichten in großen Mächtigkeiten die Flussauen auch noch viele Kilometer vom Fluss entfernt.
Dass die Niederschläge von Natur aus ungleich groß sind, ist ebenso bekannt. Die mittlere Niederschlagshöhe beträgt bei uns 750 mm im Jahr. Aber solche Durchschnittsjahre sind eher statistischer Natur – in der Praxis sind sie recht selten: Meistens regnet es viel mehr oder viel weniger, und wir haben dementsprechend zu nasse oder zu trockene Jahre. Es können viele zu nasse oder viele zu trockene Jahre jeweils aufeinander folgen, und man benötigt die Jahresniederschlagsmengen von Jahrzehnten, um einen „langjährigen Mittelwert“ errechnen zu können, der gleich bleibt oder sich über einen längeren Zeitraum nur noch wenig ändert. Geringe Abweichungen vom langjährigen Mittelwert ereignen sich oft, große sind selten, sehr große kommen nur gelegentlich vor und extreme Niederschlagsmengen haben gar episodischen Charakter. Und ebenso verhält es sich mit den Hochwässern der Flüsse.
Die Details hierzu lassen sich in diesem engen Rahmen nicht darstellen. Eines lässt sich allerdings mit Sicherheit feststellen: Um bei den Niederschlagsmengen und bei den Wasserführungen der Flüsse tendenzielle Veränderungen zu erkennen, braucht man kontinuierliche Messwerte aus vielen Jahrzehnten, besser aus einem noch längeren Zeitraum. In einigen Ländern verfügen wir über ausreichende Messwert-Reihen, in den meisten Ländern sind sie jedoch noch nicht verfügbar. Und dementsprechend sind verlässliche Aussagen über Änderungen – und gar über deren Tendenzen – noch kaum möglich.
Spektakuläre Hochwässer, die hierzulande stattgefunden haben, können wir gleichwohl zur Kenntnis nehmen: Die Stadtarchive geben Auskunft und, für jedermann sichtbar, die Hochwassermarken, die an bevorzugter Stelle angebracht wurden. Und was lehren sie uns? Dass die Elbe oder ihre Nebenflüsse früher schon oft noch größere Hochwässer hatten! Goethes Ballade über Johanna Sebus, die in den Hochwasserfluten des Niederrheins ihren Rettungseinsatz mit dem Leben bezahlte, gibt ebenfalls beredte Kunde von früheren Hochwässern. Und dem Fachmann bezeugen die breiten Talauen und die Hochflutlehme, in Jahrzehntausenden von den vielen Hochwässern oft bis zu vielen Metern Mächtigkeit nacheinander abgelagert, dass Hochwässer unsere Flusslandschaften gestaltet haben, lange schon bevor es Menschen gab.
Damals nahmen sich die Flüsse den Raum, den sie brauchten, und mit der Landschaft wurden die Lebensräume verändert – was für die Pflanzen- und Tierwelt sicher nicht ohne Opfer abging. Im vortechnischen Zeitalter wurden die Menschen in einer Hinsicht mit den Hochwässern vermutlich besser fertig als heute: Da die Flüsse weder begradigt noch eingedeicht waren, floss das Wasser infolge Retention bei Hochwasser verzögert ab und die Fluten stiegen bei einer gegebenen Niederschlagsmenge weniger hoch an. Außerdem fehlte das anfällige Gerät – Autos, Waschmaschinen und Kühlschränke etc. waren noch nicht erfunden und konnten nicht beschädigt werden, und dies ist für den Umfang der Schäden besonders wichtig. Wenn früher allerdings extreme Hochwässer auftraten, haben sie die Menschen in einem viel größeren Ausmaß gefährdet, denn die noch nicht ausgebauten Flüsse haben ungeschützte Siedlungen völlig zerstört, wie das auch heute noch in Naturlandschaften zu beobachten ist.
Anscheinend kommen extreme Niederschlagsereignisse in den letzten Jahren öfter vor und damit sollen sich auch die Hochwässer häufen. Dies wird auf die globale Erwärmung zurückgeführt, und nicht selten wird diese Klimaänderung zu einer Klimakatastrophe hochstilisiert, die wir mit unserer industriellen Tätigkeit selbst verursachen. Nun sind bei der Bewertung des Klimas zwei Dinge sicher:
Das Klima, sozusagen der Mittelwert des täglichen Wetters, hat sich schon immer verändert und wird das auch weiter tun. Die Änderungen waren unterschiedlich groß. Besonders intensive Abkühlungen haben Eiszeiten verursacht. Sie haben in sehr frühen geologischen Epochen wiederholt stattgefunden, und während der letzten Million Jahre gleich vier Mal.
Ob eine Klimaänderung gleich eine Kata-strophe darstellt, ist relativ: In Grönland und in der Antarktis wäre sie es wegen der Erwärmung wohl nicht, für die Tiefländer wegen der Überflutung sicher ja. Nebenbei: Der heutige Mensch verdankt den Eiszeiten viele Entwicklungsimpulse, vielleicht sogar seine Existenz.
Nun soll hier nicht die Klimaänderung betrachtet werden, sondern der Ausbau der Flüsse. Zur Klimaänderung deshalb hier nur das Folgende, weil sie ja immerhin für den Flussausbau eine wichtige Rolle spielt:
Dass seit einiger Zeit eine globale Erwärmung stattfindet, muss angesichts des Rückganges der Gletscher angenommen werden. Ob sie sich fortsetzt oder bald aufhört und welche Erwärmung bis dann erfolgt sein wird, ist noch unbekannt und lässt sich, allen Klimamodellen zum Trotz, auch nicht vorhersagen und, wenn überhaupt, bestenfalls abschätzen.
Die bisherigen Klimaänderungen wurden mit Sicherheit nicht vom Menschen verursacht. Ob der Mensch mit seinen Tätigkeiten die heutige Erwärmung mit verursacht, ist noch unbekannt. Die atmosphärischen Prozesse sind sensibel und in Anbetracht der Treibhausgase, die wir direkt oder indirekt produzieren und zusätzlich in die Atmosphäre entlassen, ist mindestens eine Mitbeteiligung des Menschen an der Erwärmung möglich.
Genau wird man diesen Einfluss erst später kennen. Was man aus dieser Ungewissheit folgert, ist nun fast eine Temperamentssache: Neigt man – nicht zuletzt auch wegen der wirtschaftlichen Implikationen – zum „Es ist noch immer gut gegangen“, wird man unseren Einfluss für unerheblich halten und den Dingen ihren Lauf lassen. Hält man, umgekehrt, die Auswirkungen unserer Tätigkeit für potenziell schädlich, wird man versuchen, sie zu verringern. Mit dem Kyoto-Protokoll haben sich die Länder mehrheitlich für die zweite Variante entschieden und versuchen, sie zu realisieren. Diese Politik hat ein Argument für sich: Falls wir Menschen die Klimaänderung doch (mit-)verursachen, könnte es beim Abwarten für eine Einflussnahme zu spät sein, sollte sich die bisher vermutete Mitbeteiligung in der Zukunft bestätigen.
Zurück zum Ausbau der Flüsse. Dazu gehören mehrere Komponenten: die Begradigung, die Eindeichung, die Schaffung von Retentionsräumen, von denen die Hochwasserwellen schon möglichst weit oben vorübergehend aufgenommen werden können, und schließlich die Schiffbarmachung. Was davon jeweils infrage kommt, richtet sich nach den einzelnen örtlichen Gegebenheiten.
Die sich der Ökologie verpflichtet fühlenden Gruppierungen unserer Gesellschaft haben schon lange die Meinung propagiert, man solle die Flüsse möglichst in ihrem Naturzustand belassen – oder in diesen zurückversetzen. Diese Auffassung hat dazu geführt, dass kleinere Flüsse „renaturiert”’ werden. Dagegen ist nichts zu sagen, denn auf diese Weise werden manche Übertreibungen beim früheren Ausbau zurück- genommen.
Bei unseren Strömen sieht das anders aus. Beispielsweise lässt sich die Flusslandschaft des Rheins, die vor seiner Begradigung bestand, nicht wiederherstellen – die Interessen der Schifffahrt, der Ökonomie also, stünden einer solchen Absicht ebenso entgegen wie die enormen Kosten, die ein Rückbau dort erforderte. Anders sieht es bei der Elbe aus: Sie befindet sich noch weit gehend in einem naturbelassenen Zustand und in den letzten Jahren wurde deshalb der Plan entwickelt, die Elbe im Interesse der Schifffahrt weiter auszubauen. Nach der Flut soll jetzt dieser Plan aus ökologischen Gründen wohl erst mal auf Eis gelegt werden.
Diese Beispiele werfen eine grundsätzliche Frage auf: Dürfen potenziell schiffbare Flüsse im Interesse des Schutzes ihrer Anlieger und der Schiffbarkeit ausgebaut werden, oder gebieten es ökologische Gründe, auf einen solchen Ausbau zu verzichten – und welche Komponenten soll der Ausbau umfassen? Hochwässer sind von Natur aus unvermeidbar, es wird sie immer wieder geben. Belässt man die Flüsse in ihrem natürlichen Zustand, vermeidet man möglicherweise, dass sich spektakuläre Hochwässer häufen, denn in einer Naturlandschaft kann sich der nicht eingedeichte Fluss „verlaufen“, es wird lediglich die Flusslandschaft jedes Mal umgestaltet. Umgekehrt sprechen die entscheidungsrelevanten Faktoren immer dann für einen Ausbau, wenn es sich um einen Strom handelt, der durch dicht besiedeltes und industrialisiertes Land fließt:
‚ Ein Fluss entwickelt bei Hochwasser ein erhebliches Zerstörungspotenzial. In einer Kulturlandschaft muss das Potenzial gebändigt werden, will man nicht die enormen Schäden in Kauf nehmen, die die Überflutungen ausgedehnter Landstriche in den Dörfern, Städten und Industrieanlagen verursachen.
‚ Sollten die extremen Niederschlagsereignisse aus Gründen der globalen Erwärmung zunehmen, vermehrten sich auch die extremen Hochwässer – und damit verstärkte sich die Notwendigkeit des Flussausbaues, anderenfalls würden sie noch größere Schäden anrichten.
Und die Ökologie der Landschaft, ist ihr nicht Rechnung zu tragen? Will man die Frage ehrlich beantworten, muss man zwischen der Ökologie des Großraumes und der kleinerer Raumein-
heiten unterscheiden. Das ursprüngliche Ökosystem des Großraumes Mitteleuropa, nämlich der Wald, ist durch die menschliche Besiedlung schon in grauer Vorzeit in eine Kulturlandschaft umgestaltet worden. Wollte man diese wiederherstellen, müssten wir unseren Lebensraum aufgeben – eine utopische Alternative! Es bleiben uns folglich nur noch kleine Räume, die wir ökologisch gestalten können, mehr wird der Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie nicht zulassen.
Gegen diese Argumentation ließe sich einwenden, dass die bisherige Eindeichung der Flüsse den Siedlungen eher geschadet als genutzt hat, denn das kanalisierte Hochwasser fließt schneller zu Tal und vergrößert die Hochwasserwelle. Dies Argument ist anscheinend zutreffend – aber nur weil der Ausbau unvollständig war. Bisher hat man die Flüsse begradigt und eingedeicht. Das reicht nicht aus: Ausreichend bemessene Retentionsräume müssen hinzukommen – auch in den Nebenflüssen, und die Deiche sind so zu bauen, dass sie einer längeren Belastung standhalten, was grundsätzlich möglich ist, aber einen größeren Aufwand erfordert.
Diese Folgerungen werden dem puristischen Ökologen vermutlich nicht gefallen. Er sollte bedenken, dass sich der Mensch mit der Eroberung seines Lebensraumes nicht anders verhalten hat als alle Lebewesen, die vor ihm entstanden sind – sie haben sich nach Kräften und Möglichkeiten vermehrt und ausgedehnt.
Nachdem wir nun jedoch erkannt haben, dass die Ressourcen auf dem Raumschiff Erde begrenzt sind, müssen wir das besser machen, nämlich die Natur nur so wenig wie möglich verändern. Aber es ist illusorisch anzunehmen, dies könne bei immer mehr Menschen auf unserem Globus und bei wachsenden Ansprüchen nach einem besseren Lebensstandard zum ökologischen Null-Tarif gelingen.