https://rotary.de/gesellschaft/die-zukunft-sind-wir-a-25996.html
Titelthema

Die Zukunft sind wir!

Titelthema - Die Zukunft sind wir!
Ewige Liebe: Larry und Jeannie Klein begannen 1950 in der Highschool miteinander auszugehen. Sie stehen auf dem Steg ihres Hauses mit Blick auf den Viewpoint Lake in Sun City © Kendrick Brinson

Wer baut eigentlich das Land, in dem meine Generation leben soll? Warum die Rente keine Frage von Alt gegen Jung sein darf

Gizem Celik01.10.2025

Vor über zehn Jahren war der demografische Wandel Teil meines Politikunterrichts. Ein ganzes Schulhalbjahr redeten wir über den Generationenvertrag und die Lasten, die einmal auf uns zukommen würden. Wenn ich heute an diesen Unterricht zurückdenke, frage ich mich, warum wir das damals so nüchtern besprochen haben. Als wäre es ein fernes Szenario und nicht die kommende Realität meiner Dreißiger. Seitdem wurden Reformen immer wieder diskutiert, aber eine tragfähige Lösung wurde verschoben, während die Beiträge stiegen. Ich bin mir bewusst, dass die Boomer-Generation Deutschland über Jahrzehnte aufgebaut hat, aber wir stehen unter Druck: Wir als kleiner werdende Gruppe junger Menschen sollen eine immer älter werdende Gruppe finanzieren, während wir selbst im Rentenalter weniger erhalten werden.

Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts werden 2036 alle geburtenstarken Jahrgänge von 1955 bis 1969 im Rentenalter sein – zusammen rund 16,5 Millionen Menschen. Es ist das erste Mal, dass eine Generation in dieser Größenordnung in den Ruhestand tritt, die politisch und gesellschaftlich so sichtbar bleiben und auch in Zukunft Entscheidungen prägen wird. Die Frage ist dabei also nicht mehr nur, wie wir die Renten bezahlen, sondern ob wir dabei überhaupt mitgestalten dürfen. Denn schon heute liegt die Wahlbeteiligung der über 60-Jährigen rund zehn bis 15 Prozentpunkte höher als die der unter 30-Jährigen. In einer Demokratie, die auf Mehrheiten beruht, bedeutet das: Meine Generation hat schon verloren, bevor sie zahlen muss. Auch in anderen alternden Demokratien wie Japan oder Italien zeigt sich: Große Rentnerkohorten verschieben nicht nur Sozialpolitik, sondern die gesamte politische Richtung. Das macht es umso wichtiger, gemeinsam Maßnahmen zu finden, die das System tragfähig halten und den Beitrag aller Generationen fair verteilen.

Kaum ein Thema produziert in meiner Freundesgruppe aktuell so viele Rezeptideen wie die Rente. Die einfachste mathematische Rechnung: Mehr junge Menschen im Arbeitsmarkt gleich mehr Beitragszahler in der Rentenkasse. Kanada, Australien und Neuseeland haben punktgenaue Einwanderungsprogramme, die gezielt Fachkräfte anziehen. Deutschland hat Fortschritte gemacht, etwa mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, aber wir sind noch weit weg von der internationalen Konkurrenzfähigkeit. Wer gewinnen will, muss Hürden abbauen: Abschlüsse schneller anerkennen, Visa entbürokratisieren, attraktive Rahmenbedingungen für ganze Familien. Politisch ist es aufgeladen, doch ökonomisch führt daran kein Weg vorbei.

Beamte zur Kasse bitten
Neben Zuwanderung liegt weiterhin enormes ungenutztes Potenzial im eigenen Land. Frauen arbeiten in Deutschland im internationalen Vergleich häufiger in Teilzeit. Nicht weil sie wollen, sondern weil die Betreuungsinfrastruktur fehlt. Ältere Beschäftigte steigen früh aus, weil Weiterbildungsmöglichkeiten und flexible Modelle rar sind. Menschen mit Behinderung stoßen noch immer auf strukturelle Barrieren. Wenn wir einfach nur „mehr arbeiten“ fordern, ohne Arbeitsbedingungen und Vereinbarkeit zu verbessern, entsteht Überlastung statt Entlastung.

Die gesetzliche Rente funktioniert nur, solange es genug Beitragszahler gibt. Jetzt, wo das Verhältnis kippt, könnte das Generationenkapital eine Ergänzung sein. Der Staat investiert Teile der Rentenbeiträge in kostengünstige ETFs oder Fonds. Die Erträge fließen zurück in die Rentenkasse und entlasten den Beitragssatz. Länder wie Schweden oder Norwegen managen milliardenschwere Staatsfonds, transparent und langfristig gedacht.

In vielen Diskussionen mit Freunden taucht ein zweiter Gedanke auf: Beitragsgerechtigkeit. Politiker, Beamte, Selbstständige und CEOs sollen ohne Beitragsbemessungsgrenze in die gesetzliche Rente einzahlen. Selbst Kapitalerträge würden anteilig berücksichtigt. Gleichzeitig soll die abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte wegfallen, und wer früher in Rente geht, müsste höhere Abschläge in Kauf nehmen. Das Ziel, uns so zu entlasten, kann aber heikel werden, wenn man die Belastung nicht unterscheidet. Ohne Ausgleich nach Beruf und Belastung droht diese Reform die Ungleichheit im Alter zu verschärfen.

Ein weiterer potenzieller Hebel beginnt nicht im Arbeitsmarkt, sondern in der Wiege. Ein staatlich geförderter Kindergeldfonds legt für jedes Kind ab der Geburt einen festen Betrag an, zusätzlich zum Kindergeld, finanziert aus Steuermitteln oder künftigen Kindergelderhöhungen. Das Geld wird in kostengünstige ETFs investiert und wächst über Jahrzehnte. Eltern können freiwillig aufstocken, bis zu einer Obergrenze, um soziale Spreizung zu verhindern. Mit dieser Struktur hätte jede Person, die ins Erwerbsleben eintritt, bereits einen Kapitalstock. Das entlastet die gesetzliche Rente langfristig und sorgt dafür, dass Altersvorsorge nicht erst mit dem ersten Job beginnt, sondern von Tag eins an.

Ohne Staat geht es nicht
Ja, wir brauchen politisch verlässliche, langfristige Strategien. Gleichzeitig höre ich in vielen Gesprächen inzwischen denselben Satz: „Auf eine große Rentenreform zu warten, ist vergeudete Zeit.“ Stattdessen sollten wir selbst vorsorgen mit ETF-Depots, Immobilien oder Beteiligungen. Wer 2036 mitten im Berufsleben steht, wird sich kaum allein auf den Staat verlassen können. Eigenverantwortung ist also wichtig, ist aber auch ein großes Privileg. Private Vorsorge setzt nicht nur Geld voraus, sondern auch Wissen. In deutschen Schulen lernen wir kaum etwas über ETFs oder diversifizierte Portfolios. Und selbst wenn man dieses Wissen hat: Unter hohen Beiträgen, unsicheren Jobs und steigenden Kosten bleibt kaum Energie für Eigenverantwortung. Genau deshalb halte ich private Vorsorge als Kern eines Rentensystems für untauglich. Es gibt einen ganzen Berg an Forschung in den Behavioral Economics, der zeigt: Menschen bewerten den Nutzen der Gegenwart irrational hoch im Vergleich zur Zukunft. Wir wissen, dass wir später mehr brauchen werden und tun trotzdem nichts. In meinem Umfeld haben die meisten studiert. Trotzdem kümmert sich kaum ein junger Mensch ernsthaft um private Altersvorsorge. Weil es komplex wirkt, weil man Angst hat, Fehler zu machen, weil man es leichter verdrängt.

Auf Linkedin, Instagram und Tiktok trendet Finanz-Selbstoptimierung, doch das passt nicht zu den Armutsstatistiken und erst recht nicht zu den Erwerbsbiografien vieler Frauen. Ich spreche oft und laut über Altersarmut bei Frauen, denn sie müssen investieren, und zwar früh. Dabei bemerke ich: Geld ist in Deutschland ein Tabuthema. Wir sprechen nicht darüber, und wir verlernen dadurch, vernünftig damit umzugehen. Wer glaubt, dass jeder allein vorsorgen wird, ist naiv oder privilegiert. Ja, Eigenverantwortung ist wichtig, aber für die meisten Menschen bleibt der Staat die einzige Garantie für Sicherheit im Alter.

Und genau hier schließt sich der Kreis: Die Stabilität der Rente hängt am Arbeitsmarkt. Ohne Nachwuchs keine Beitragszahler. Während wir also über 2036 diskutieren, zeigt sich die demografische Realität längst in Unternehmen. Sie kämpfen heute schon quer durch alle Branchen, offene Stellen zu besetzen. Klassische Recruiting-Kanäle wie Jobbörsen erreichen meine Generation kaum noch. Die Generation Z entdeckt Arbeitgeber auf Tiktok, Instagram oder über persönliche Netzwerke und entscheidet oft beim ersten Eindruck, ob ein Unternehmen relevant ist. In meiner Arbeit erlebe ich, wie Firmen, vom Mittelständler bis zum Konzern, durch gezieltes Employer-Branding genau dort, wo die Gen Z tatsächlich ist, nicht nur eine hohe Reichweite, sondern auch messbare Bewerberzahlen gewinnen. Wer den Nachwuchs sichern will, muss die gesamte Bewerbungsreise von der ersten Begegnung bis zum unterschriebenen Vertrag neu denken. Das ist eine Aufgabe, die auch für viele Rotary-Mitglieder drängend sein dürfte.

Besser gemeinsam
Das Bewältigen dieser Herausforderungen gelingt nur, wenn wir Generationen nicht gegeneinander ausspielen, sondern gemeinsam gestalten lassen. Wenn die größte Generation der Geschichte in den Ruhestand geht und gleichzeitig die einflussreichste Wählergruppe bleibt, wird es für meine Generation schwieriger, eigene Schwerpunkte zu setzen. Selbst wenn wir ähnliche Ziele haben, entscheidet am Ende, wessen Prioritäten umgesetzt werden – und derzeit schlägt dieses Pendel meist zugunsten der Älteren aus. Ob das so bleibt, hängt davon ab, wie entschlossen jüngere Generationen ihre Themen in Parteien, Verbänden und Initiativen einbringen. Rotary kann hier eine Brücke bauen, indem Erfahrung und Zukunftsperspektive zusammenkommen. Denn am Ende geht es bei Rente, Arbeitsmarkt oder gesellschaftlicher Teilhabe auch um die Zukunft Ihrer Kinder und Enkelkinder.


ONLINE-SEMINAR: Wie tickt die Gen Z?
Das Rotary Magazin lädt interessierte Rotarier zu einem Online-Seminar mit Gizem Celik ein. Termin: Donnerstag, 13. November, 18.30 Uhr. Anmeldung bis zum 30. Oktober unter Angabe von Name, Club und Telefonnummer an redaktion@rotary-verlag.de. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt.

Gizem Celik

Gizem Celik unterstützt Unternehmen dabei, die Kultur und Kommunikationslogik der Gen Z zu verstehen, und entwickelt Strategien, wie Marken und Arbeitgeber für diese Generation relevant bleiben. Mit ihrem Master of Science von der Copenhagen Business School und ihrer langjährigen Erfahrung als Content-Creatorin verbindet sie wissenschaftliche Schärfe mit praktischer Umsetzung.

Foto: Julia Winnitzki