Titelthema
Eine komplexe, aber lösbare Aufgabe
Die Mobilität, wie wir sie kannten, stößt an ihre Grenzen. Bausteine für einen flexibleren, saubereren und effizienteren Verkehr
Rund 3,2 Milliarden – so viele Kilometer legen die Deutschen jeden Tag zurück. Pro Person sind das 39 Kilometer. In anderen EU-Ländern ist die Situation vergleichbar. Auch dort fahren Menschen täglich viele Kilometer – zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Sport. Lieferdienste bringen Pizza und Pakete. Lkw versorgen Unternehmen mit Nachschub. Doch die Fahrten beschränken sich nicht auf das Inland. Arbeitnehmer pendeln über Grenzen, Familien machen Urlaub im Süden. Produkte aus Polen werden in Frankreich bestellt und umgekehrt. Lkw, Pkw, Züge, Schiffe und Flugzeuge queren permanent unseren Kontinent. Ganz Europa ist in Bewegung – doch stößt diese Mobilität allmählich an Grenzen.
Wer das bezweifelt, muss nur das Radio einschalten: Meldungen über Staus werden länger. Es kommt zu Unfällen. Züge verspäten sich und an den Flughäfen entstehen endlose Warteschlangen. All das kostet Zeit, Nerven, Energie und Geld. Was die Sache erschwert: Laut allen Prognosen wird der Verkehr weiter zunehmen. Noch mehr Menschen wollen reisen, noch mehr Güter transportiert werden.
Es ist unsere Aufgabe, diese Mobilität auch in Zukunft zu ermöglichen. Und zwar so, dass sie sicher, bequem, bezahlbar, klima- und umweltfreundlich ist. Es ist eine Herausforderung; aber wir haben alles, was nötig ist, um sie zu meistern.
So wird der technische Fortschritt dazu beitragen, dass Autos weniger Kraftstoff benötigen und Motoren immer weniger Schadstoffe ausstoßen. Beispiel Diesel: Nach all den Verfehlungen der Vergangenheit haben wir mit der neuesten Abgasnorm Euro 6d-TEMP nun endlich Dieselfahrzeuge, die man mit gutem Gewissen als „sauber“ bezeichnen kann, auch oder gerade auf der Straße.
Der technische Fortschritt wird zudem hoffentlich dazu beitragen, dass Autos bald komplett emissionsfrei fahren. Er hilft, dass Züge weniger Energie verbrauchen, Flugzeuge Kerosin sparen, Schiffsantriebe umweltfreundlicher werden – und womöglich auch, dass Flugtaxis bald selbstverständlich sind.
Doch einige dieser Entwicklungen brauchen Zeit. Mehr Zeit, als wir haben. Deshalb ist es gut, dass es etwas gibt, was die Dinge exorbitant beschleunigt: die Digitalisierung. Sie ermöglicht eine völlig neue Form der Mobilität – viel flexibler und umweltfreundlicher als beispielsweise das eigene Auto es je sein könnte. Eine Mobilität ohne Parkplatzprobleme und Tankstellenfahrten. Sie vernetzt Verkehrsträger und präsentiert den Kunden Angebote, die individuell auf sie zugeschnitten sind.
Dabei bietet die Digitalisierung nicht nur Lösungen für den Personenverkehr, sondern auch für den Güterverkehr. Mit ihrer Hilfe kann passgenau abgeholt, verladen und geliefert werden. Das Ziel muss sein, alle Verkehrsträger mit ihren Stärken einzubinden und da zu vernetzen, wo es sinnvoll ist. Dann können wir den gesamten Verkehr viel effizienter – und umweltfreundlicher – gestalten.
Fest steht allerdings: Die Probleme sind vielschichtig. Auf dem Land sehen sie anders aus als in den Städten. Es gibt also nicht die eine Lösung für sämtliche Herausforderungen, wohl aber viele verschiedene Ansatzpunkte.
Mehr Verkehr auf der Schiene
Ein besonders wirksamer ist das Vorhaben, mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Was zunächst vage klingt, haben wir in Deutschland mittlerweile sehr konkret formuliert: Unser Ziel ist, die Zahl der Fahrgäste im Nah- und Fernverkehr auf der Schiene bis 2030 zu verdoppeln. Auch den Marktanteil im Güterverkehr wollen wir deutlich steigern. Gelingen wird das aber nur, wenn das Angebot auf der Schiene attraktiv ist.
Züge müssen deshalb pünktlich und zuverlässig fahren. Bahnhöfe müssen auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen sein. Zudem ist wichtig, dass die Züge sauber und komfortabel sind. Vor allem aber müssen die Verbindungen funktionieren. Kaum etwas ist für Bahnreisende ärgerlicher, als ihren Anschlusszug zu verpassen.
Um all das voranzutreiben, haben wir ein Projekt beschlossen, das den Verkehr auf der Schiene revolutionieren soll: den Deutschland-Takt. Nach diesem Modell treffen sich alle Züge zu jeweils festen Zeiten im Bahnhof, also beispielsweise immer zur halben und vollen Stunde. Umsteigen wird dadurch deutlich leichter und Bahnfahren deutlich verlässlicher. Das ist nichts, was wir morgen oder übermorgen vollständig hinbekommen, denn erst müssen wir Engpässe im Schienennetz beseitigen sowie Knoten ausbauen. Doch jedes große Projekt beginnt mit einem ersten Schritt. Und den haben wir getan. Wenn es den Verantwortlichen bei der Bahn jetzt noch gelingt, dass ihre Züge pünktlich fahren, die Wagenreihung stimmt, Toiletten, Reservierungsanzeiger und Kaffeemaschinen funktionieren, dann sind wir schon ziemlich nah dran an dem, was ich mir für das Bahnfahren wünsche: den „Wow-Effekt“!
Auch im Güterverkehr liegt großes Potential, wenn es darum geht, mehr Transporte von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Ein einfaches und schnelles Verladen muss möglich sein. Güterzüge dürfen zudem nicht zu teuer sein, sonst hat die Bahn gegen den deutlich flexibleren Lkw keine Chance. Aus eben diesen Gründen fördern wir den kombinierten Verkehr und haben die Trassenpreise im Schienengüterverkehr gesenkt.
Zudem statten wir die Strecken nach und nach mit dem europäischen Signalsystem ETCS aus. Allein dadurch können schon 20 Prozent mehr Züge fahren. Auch grenzüberschreitend brauchen wir moderne Technik. In Zeiten der Digitalisierung kann es nicht sein, dass ein Zug, der vom Hamburger Hafen nach Genua fährt, an der Schweizer und an der italienischen Grenze jeweils eine neue Lok benötigt, weil er nicht in der Lage ist, die Signaltechnik von drei verschiedenen Ländern zu verstehen. Mit all diesen Maßnahmen erleichtern wir den Entschluss, auf die Schiene umzusteigen. Damit können wir die Straßen spürbar entlasten. Weil Deutschland ein Transitland ist, profitiert ganz Europa davon.
Innenstädte entlasten
Eine weitere Herausforderung liegt in den Innenstädten. Überall in Europa kämpfen sie mit denselben Problemen: zu viel Lieferverkehr, zu viele Pendler, zu wenig Parkplätze, schlechte Luft. Auch hier zeigt sich, was für ein großes Potential im Digitalisieren und Vernetzen liegt.
Beispiel: öffentlicher Nahverkehr. Er spielt eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, die Straßen in den Innenstädten zu entlasten. Mithilfe von Apps kann sich mittlerweile jeder mit wenigen Klicks über Abfahrtszeiten, Routen und Ticketkosten informieren. Dank neuer Angebote wie Elektro-Tretrollern oder Car-Sharing-Diensten lassen sich Busse, Straßenbahnen, S- und U-Bahnen zudem perfekt mit anderen Verkehrsmitteln vernetzen. Das ist wichtig: Je bequemer der öffentliche Nahverkehr zu nutzen ist, umso leichter fällt der Entschluss, das eigene Auto stehen zu lassen.
Weiteres Beispiel: Lieferverkehr. Dank der Digitalisierung lassen sich Routen optimieren und Wege verkürzen. Zudem sind Kooperationen möglich. Es ist beispielsweise schwer nachvollziehbar, wenn ein Haus in der Innenstadt bis zu fünf Mal am Tag von verschiedenen Paketdiensten angefahren wird – statt diese Wege einfach zusammenzulegen.
Und als drittes Beispiel schließlich: das Auto. Mehr als die Hälfte der Bürger will niemals darauf verzichten. Ein Drittel hält das für „nur sehr schwer vorstellbar“. Was also kann das Auto in den Innenstädten – neben sauberen Antrieben – zu einer modernen Mobilität beitragen? Sehr viel.
Da wäre zunächst einmal das automatisierte und vernetzte Fahren. Es wird die Zahl der Unfälle stark reduzieren. Autos und Lkw werden sich gegenseitig vor Staus und Blitzeis warnen. Auch mit Hilfe künstlicher Intelligenz werden sie das Verhalten von anderen Verkehrsteilnehmern besser voraussagen als ein Mensch es könnte. Automatisierte und vernetzte Fahrzeuge werden zudem schneller reagieren. Sie sind umweltfreundlicher, da sie einen gleichmäßigen Verkehrsfluss ermöglichen. Deutschland ist dabei Vorreiter. Wir haben als erste digitale Testfelder eingerichtet, auf denen Unternehmen ihre Innovationen erproben können; sogar grenzüberschreitend mit Frankreich und Luxemburg. Denn klar ist: Das automatisierte und vernetzte Fahren darf an der Grenze nicht Halt machen.
Klar ist aber auch: Wenn künftig einfach jeder sein bisheriges Auto durch ein hochautomatisiertes ersetzt, ist in den Innenstädten nicht viel gewonnen. Jedes Auto nimmt Platz weg, egal mit wie viel Technik es ausgestattet ist. Wir werden das Problem der verstopften Straßen nur lösen, wenn es uns gelingt, dass weniger Fahrzeuge unterwegs sind. Neben einem attraktiven öffentlichen Nahverkehr können auch Angebote wie Car-Sharing oder On-Demand-Dienste den Entschluss erleichtern, auf den Kauf eines eigenen Autos zu verzichten.
Zudem hilft uns die Digitalisierung, die Zahl der Autos zu senken, die nur mit einer Person besetzt sind. Mein Ministerium unterstützt bereits mehrere Pilotprojekte, bei denen Fahrtwünsche verschiedener Nutzer gebündelt werden. Solche Ride-Sharing-Dienste bieten ganz neue Chancen für eine praktische und bezahlbare Mobilität – übrigens nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land.
Mobilität in ländlichen Regionen verbessern
Was bei der ganzen Diskussion um verstopfte Straßen, zu wenig Parkplätze und schlechte Luft in den Städten gern übersehen wird: Rund 70 Prozent der Deutschen leben in ländlichen Regionen. Dort aber sind nicht volle Straßen das Problem, sondern eine oftmals schlechte Anbindung. Wenn die nächste Bushaltestelle zehn Minuten zu Fuß entfernt ist und der ALestionetur aut volupta cus, suntisi nullore rnatquid „Rund 70 Prozent der Deutschen leben in ländlichen Regionen. Dort sind nicht volle Straßen das Problem, sondern eine oftmals schlechte Anbindung“ Bus nur alle halbe Stunde fährt, setzt man sich eben doch lieber ins Auto und fährt von Tür zu Tür.
Wer sich auf dem Land kein eigenes Auto leisten kann oder nicht mehr leisten will, etwa weil er zu alt ist, hat es schwer. Auch deshalb werde ich noch in dieser Legislatur den deutschen Markt für neue Fahrdienst-Angebote öffnen. Natürlich werden wir dabei die Bedürfnisse des Taxi-Gewerbes berücksichtigen. Aber gerade auf dem Land können wir mit solchen Angeboten und Pooling-Systemen ganz neue Möglichkeiten schaffen, vor allem auch für ältere Bürger.
All das zeigt: Mit dem technischen Fortschritt, der Digitalisierung und einer klugen Vernetzung haben wir alles, was nötig ist, um gut voranzukommen. Ich wünsche mir eine vielseitige, digitale, umweltfreundliche, vernetzte Mobilität; die gern auch ein bisschen verrückt sein darf – aber immer sicher. Das ist kein Wunsch für eine ferne Zukunft. Sie ist möglich. Und sie wird Spaß machen!