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Länderausschüsse

Freundschaft als Basis

Länderausschüsse - Freundschaft als Basis
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Eine Betrachtung zur historischen Bedeutung der Gründung des rotarischen "Petit Comité franco-allemand" vor 90 Jahren — als Vorbild für alle seit dem Zweiten Weltkrieg entstandenen 40 bilateralen Länderausschüsse mit deutscher Beteiligung

07.05.2021

Anfang des Jahres kamen bei einem Zoom-Meeting rund 200 Rotarier und Rotarierinnen aus Deutschland und Frankreich zusammen, um eines besonderen rotarischen Ereignisses zu gedenken, das 90 Jahre zurückliegt. Es ging um die Gründung des ersten bilateralen Ausschusses unter dem Dach von Rotary International, dem sogenannten "Petit Comité franco-allemand", dem "Kleinen deutsch-französischen Ausschuss", dem Vorläufer des heutigen Deutsch-Französischen Länderausschusses (LADF). Das Rotary Magazin hatte im April-Heft 2021 einen Kurzbericht von Freundin Dagmar Gilcher (RC Rockenhausen) veröffentlicht.

Nach den Grußworten der beiden einladenden Vorsitzenden der deutschen und der französischen Sektion des LADF, den Freunden Dirk Jesinghaus und Jean Cambar, eröffnete der Rotary Weltpräsident Freund Holger Knaack den Festakt, gefolgt vom Saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans und der Botschafterin Frankreichs in Deutschland, unserer rotarischen Freundin Anne-Marie Descôtes.

Eine detaillierte Schilderung der Umstände der Gründung vor 90 Jahren stellte Botschafter a.D. Freund Herbert Jess (RC Bonn-Siebengebirge) vor. Den mit zahlreichen Anekdoten gewürzten Festvortrag hielt der frühere Fernsehmoderator Uli Wickert, der viele Jahre in Frankreich verbracht hat.

Gehen wir gedanklich zurück in das Jahr 1931, in dem das Petit Comité gegründet wurde. Bereits 1926 hatten die Außenminister Deutschlands und Frankreichs, Gustav Stresemann und Aristide Briand, den Friedensnobelpreis für ihre friedensstiftenden Bemühungen um beide Länder erhalten. Im selben Jahr war Deutschland in den Völkerbund aufgenommen worden. Dennoch blieben die Beziehungen beider Länder zueinander für lange Zeit nicht spannungsfrei.

Traumatische Entfremdung

Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges mit der Folge der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht ließ die traumatische Entfremdung zwischen beiden Ländern erneut aufflammen. Es bedurfte wiederum der Vision zweier großer Staatsmänner, Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, um die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich durch den Elysée-Vertrag von 1963 — ergänzt durch das Deutsch-Französische Jugendwerk — auf eine dauerhafte Basis zu stellen. Ohne die Schaffung eines dichten zivilgesellschaftlichen Netzes, wie es Rotary darstellt, hätte dieses große Versöhnungswerk jedoch allein auf politischer Ebene nicht verwirklicht werden können.

  • 1931, dem Jahr der Gründung des bilateralen "Petit Comité" lag der Erste Weltkrieg zwar bereits zwölf Jahre zurück, seine Wunden waren aber in beiden Ländern keineswegs verheilt. Frankreich zählte 1,4 Millionen gefallene Soldaten und 300.000 Tote in der Zivilbevölkerung und geschätzte 4,2 Millionen Verwundete. Bis heute wird am 11. November eines jeden Jahres in allen Orten Frankreichs an den Kriegerdenkmalen nicht nur der Toten des Zweiten Weltkrieges gedacht, sondern besonders der Toten des Ersten Weltkrieges.
  • 1931 war Deutschland zahlungsunfähig. Dennoch bestand Frankreich auf der Weiterzahlung der Reparationen, die schließlich auf Betreiben der USA (Hoover-Moratorium) zunächst für ein Jahr ausgesetzt wurden und schließlich in 15-jährige Schuldverschreibungen umgewandelt worden sind. Das Moratorium trat nach zähem Widerstand Frankreichs am 6. Juli 1931 in Kraft.

    Bereits im Vorfeld der Wahl von Adolf Hitler zum Reichskanzler hat das Deutsche Reich auf Revanche gegenüber Frankreich gesonnen und begann insgeheim – mit sowjetischer Hilfe – die Wiederaufrüstung der damaligen Reichswehr, ein Unterfangen, das im Versailler Vertrag nur unter strengen Auflagen gestattet war.

In dieser spannungsgeladenen politischen Situation zwischen beiden Ländern ist die Annäherung auf rotarischer Ebene vor 90 Jahren umso bemerkenswerter.

Freund Herbert Jess hat hierzu bei der Jubiläumssitzung wie folgt berichtet: "...Eine starke Zunahme der Gründungen von Rotary Clubs in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, mit 30 Clubs in Deutschland und Österreich sowie 34 Clubs in Frankreich, verlieh den Rotariern bereits ein hohes Maß an gesellschaftlicher Bedeutung. Diese manifestierte sich in der ersten europäischen Regionalkonferenz von Rotary International, die vom 12. bis 14. September 1930 im niederländischen Seebad Scheveningen stattfand. Dort waren die deutschen und französischen Rotarier im gleichen Hotel einquartiert. Es kam zu ersten Begegnungen, in deren Folge die französischen Rotarier ihre deutschen Kollegen zu einer gemeinsamen Sitzung einluden. Man kam überein, "das Trennende zurückzustellen und das Einigende hervorzuheben". Dazu solle man sich häufiger treffen und enger zusammenarbeiten. Schließlich wurde beschlossen, einen gemeinsamen Ausschuss zu gründen.

Ein kleines Komitee

In der Folge kam es dann tatsächlich zur Bildung dieses "Petit Comité" genannten Ausschusses, über dessen Geburtsurkunde wir leider nicht verfügen. Dafür findet sich aber so etwas wie ein Taufschein in den Protokollen der International Convention, die im Juni 1931 in Wien stattfand. Dort heißt es im Bericht des damaligen Präsidenten von RI, Almon E. Roth, der sich wie folgt zur Europäischen Regionalkonferenz äußerte: "Twenty Rotarians from Germany and Austria and thirty from France were present, and both groups were eager in their desire to promote better understanding between their respective peoples. ... This meeting led to the establishment of a permanent committee of three Rotarians from the 73rd and 49th districts, which committee is studying und promoting means for better understanding. — Zwanzig Rotarier aus Deutschland und Österreich und dreißig aus Frankreich waren anwesend, und beide Gruppen waren eifrig bemüht, eine bessere Verständigung zwischen ihren jeweiligen Völkern zu fördern. ... Dieses Treffen führte zur Gründung eines ständigen Ausschusses von drei Rotariern aus dem 73. und 49. Distrikt, der nach Mitteln zur besseren Verständigung sucht und sie fördert."

Der bilaterale Ausschuss war mit dieser Erwähnung im Protokoll der Convention zu einer anerkannten Arbeitseinheit von Rotary International geworden. Die Mitglieder des Ausschusses haben sich in der Folgezeit regelmäßig und abwechselnd in beiden Ländern getroffen. Als ein Höhepunkt der damaligen deutsch-französischen Zusammenarbeit kann die von deutscher Seite ausgehende Nominierung von Maurice Duperrey zum Präsidenten von Rotary International für das Jahr 1937/38 angesehen werden. Er wurde auf der Convention in Nizza 1937 dann auch einstimmig gewählt. Bei dieser Tagung in Nizza trafen sich 400 deutsche Rotarier mit ihren französischen Freunden zu einem gemeinsamen Diner, das Auftakt hätte sein sollen für eine noch intensivere Zusammenarbeit der Rotarier aus beiden Ländern. Die Auflösung der deutschen Rotary Clubs noch im gleichen Jahr und 1938 auch derer in Österreich beendete diese hoffnungsvolle Entwicklung. Stattdessen fanden sich diese Rotarier ein paar Jahre später an den Fronten einer der schrecklichsten kriegerischen Auseinandersetzungen wieder, die die Menschheit bis dahin erlebt hatte.

Nach der Auflösung der deutschen Clubs schrieb der Vorsitzende der französischen Sektion, Maurice Minotte, im Dezember 1937 einen Brief an seinen deutschen Kollegen Otto Fischer, in dem er seiner Bitterkeit über die eingetretene Entwicklung Ausdruck gab. Er schloss mit dem Satz: "Que notre amitié et que notre idéal demeurent et tout ne sera pas perdu. — Lassen Sie uns unsere Freundschaft und unsere Ideale erhalten und nichts wird verloren sein."

Schon bald: Erneuerung

Diese Hoffnung hat sich schon bald nach dem Ende des zweiten Weltkriegs erfüllt. Kurze Zeit nach der Wiedergründung von Rotary Clubs in Deutschland und in Frankreich kam es zu erneuten Kontaktaufnahmen mit dem Ziel einer Erneuerung der Beziehungen zwischen deutschen und französischen Rotariern. Diese Wiederaufnahme der freundschaftlichen Beziehungen wurde dann auf den jeweiligen Distriktkonferenzen in Baden-Baden und Straßburg im Mai 1950 feierlich beschworen. Der Gouverneur des deutschen Distrikts, Robert Haussmann vom RC Stuttgart, der schon maßgeblich an den Arbeiten im Petit Comité beteiligt war, gab in Baden-Baden eine Erklärung ab, in der er im Namen der 24 deutschen Rotary Clubs die Leiden, die Deutschland über seine Nachbarvölker gebracht hatte, zutiefst bedauerte und daraus den Schluss zog, dass die Rotarier jetzt an der Spitze der Friedensbewegung stehen müssten. Sein langjähriger Freund Roger Coutant, vom RC Lille und Gouverneur des französischen Distrikts, forderte auf dieser Distriktkonferenz die Rotarier auf, "à réaliser l’unité européenne dans le Rotary et, pour commencer, rétablir les relations entre le Rotary allemand et français , voilà notre premier devoir. — Die europäische Einheit in Rotary zu erreichen und zunächst die Beziehungen zwischen deutschem und französischem Rotary wiederherzustellen, ist unsere erste Aufgabe."

Bei der Konferenz des französischen Distrikts in Straßburg wurden zwei Tage später die Weichen gestellt, die dann dazu führten, daß im Jahre 1952 bei einem Treffen in Heidelberg das Petit Comité als Deutsch-Französischer Länderausschuss wiedergegründet wurde. Dieser Ausschuss ist bis heute den damals beschworenen Zielen und Idealen treu geblieben.

Einige markante Ereignisse de LADF verdienen es, besonders hervorgehoben zu werden. So war es ein spezifisches Anliegen des Ausschusses, durch Förderung von Clubpartnerschaften die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen deutschen und französischen Rotariern zu festigen. Das gelang in spektakulärer Weise. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Élysée-Vertrags im Jahre 1963 gab es bereits über 200 Clubpartnerschaften, das heißt, der rotarische Annäherungsprozess eilte dem staatlichen um Längen voraus. Die Regelmäßigkeit der Treffen und die damit verbundene Intensität der Beziehungen zwischen deutschen und französischen Rotariern, die meistens auch die Familien mit einschlossen, ist vielleicht das schönste Ergebnis, auf das der Ausschuss mit Stolz zurückblicken kann.

Hunderte Rotarier besuchen einander

Es war die entschiedene Politik des Ausschusses, eine regelmäßige Kommunikation mit den Partnerclubs zu pflegen und diese in die Arbeit des Ausschusses mit einzubeziehen. In diesem vergrößerten Kreis wurden beeindruckende Veranstaltungen organisiert, die jedes Mal Hunderte von Rotariern aus beiden Ländern zusammenführten. Besonders erinnerungswürdig ist die Rheinreise im Jahre 1965, die 600 Rotarier auf mehreren Schiffen fünf Tage lang von Straßburg nach Rotterdam gemeinsam erlebten. Rotary Clubs an der Strecke bereiteten den Teilnehmern bei Landgängen einen herzlichen Empfang. So stand in Wiesbaden beispielsweise ein Besuch des Opernhauses auf dem Programm. Weitere vom Ausschuss organisierte Großereignisse folgten, der Kongreß in Berlin im Jahre 1969 war mit fast 1400 Teilnehmern, davon 600 Franzosen, wahrscheinlich die zahlenmäßig größte Zusammenkunft in den 70 Jahren seines Bestehens. Daran anknüpfend fanden sich deutsche und französische Rotarier abermals in großer Zahl im Jahre 2012 in Berlin ein, um bei der rotarischen Friedenskonferenz über ihre eigenen Bemühungen um Aussöhnung und Völkerverständigung zu berichten. Diese enge und vom gegenseitigen Verständnis geprägte gemeinsame Arbeit zieht sich über die letzten Jahre und Jahrzehnte hin, über zahlreiche, jährlich abwechselnd in Deutschland und Frankreich stattfindende Ausschusssitzungen und freundschaftliche Begegnungen bis hin zum Jahreskongress von Rotary International 2019 in Hamburg.

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die deutsch-französische rotarische Zusammenarbeit einen beispiellosen Aufschwung. Von den knapp mehr als 1.000 deutschen Rotary Clubs unterhalten mehr als 300 eine Partnerschaft mit französischen Clubs, das ist mit großem Abstand mehr als mit jedem anderen Land. Der RC Berlin-Kurfürstendamm zum Beispiel unterhält seit zwei Jahren eine lebendige Partnerschaft mit dem RC Paris-Tour Eiffel.

Im Länderausschuss Deutschland/Frankreich (LADF) wirken derzeit 24 Rotarier und Rotarierinnen mit, davon aus dem Distrikt 1940 außer mir (Klaus-Heinrich Standke, RC Berlin-Kurfürstendamm - Anmerkung der Redaktion) die Freunde Richard François (RC Berlin-International) und Dominik Lengyel (RC Berlin).

Zur Rolle der Länderausschüsse insgesamt

Nach dem Vorbild des deutsch-französischen Länderausschusses sind seit 1952 39 Länderausschüsse und 32 Kontaktstellen entstanden. Hinzu kommen die von Udo Noack, Vorsitzender des Internationalen Dienstes/Länderausschüsse, initiierten und mandatierten rotarischen Foren, die sich großen Zuspruches erfreuen:

  • Afrika-Forum
  • Balkan-Forum
  • Kaukasus-Forum

Die Vorsitzenden geographisch benachbarter Länderausschüsse und Kontaktstellen sowie Experten schätzen offenbar sehr diese Gesprächsplattform für den gegenseitigen Austausch.

Freund Udo Noack ließ unlängst wissen: "Ergo erfährt auch Freund Standkes Vorschlag von 2017, etwas gemeinsam für Afrika auf den Weg zu bringen, nunmehr seine Vollendung."

Was ist das Ziel der rotarischen Partnerschaften mit anderen Ländern?

Durch Internationale Begegnungen aller Art soll die Zusammenarbeit in Internationalen Länderausschüssen (Intercountry Committees) erleichtert werden. Dasselbe gilt für die Kontaktverhältnisse zwischen Clubs und Distrikten verschiedener Länder – einschließlich der Durchführung von Weltgemeindienstprojekten — und durch Internationale Bildungs-, Kultur- und Jugendaustauschprogramme unter Nutzung der Programme und Mittel der Rotary Foundation — wo immer möglich.

Die 15 Distrikte in Deutschland haben je einen Distriktbeauftragten für den Internationalen Dienst, der – wie auch der Governor und der Governor elect — Mitglied in dem Länderausschuss ist, für dessen deutsche Sektion der jeweilige Distrikt als Leitdistrikt wirkt.

Die deutschen Sektionen der 40 Internationalen Länderausschüsse fördern durch Internationale Ländertreffen das gegenseitige Verständnis von Rotariern verschiedener Länder, sie unterstützen Clubs und Distrikte bei der Schaffung von Kontakten zu den Clubs und Distrikten anderer Länder und spielen eine wichtige Rolle bei der Durchführung gemeinsamer Weltgemeindienstprojekte. Die Kontaktstellen zu Ländern sollen als "Wegweiser" Clubs und Rotariern helfen, in diesen Ländern rotarische Kontakte zu finden.

De Länderausschüsse können Hilfestellung leisten bei der Beteiligung an Global Grants. Sie dienen als Projektbörsen und Kooperations- und Spendenplattform für Clubs, die für ihr Serviceprojekt Unterstützung suchen. Clubs präsentieren in diesem Format ihre Projektideen und laden andere Clubs zur Kooperation ein.

Klaus-Heinrich Standke PHF
RC Berlin-Kurfürstendamm
Ehrenmitglied RC Berlin-Mickiewicz & RC Cabourg, fr. RC New York Mitglied der Länderausschüsse Deutschland/Frankreich und Deutschland/Polen