Interview
Früher Herta-Chef, jetzt Bio-Bauer
Jedes Jahr werden in Deutschland und Österreich Millionen Schweine, Hühner, Enten und sonstige sogenannte Nutztiere gehalten und geschlachtet. Die dabei herrschenden Bedingungen wurden bis dato kaum diskutiert. Doch in jüngster Zeit rücken Tierhaltung und Tierschutz verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit. Nachdem Mitte Juli eine Fernsehdokumentation enthüllte, wie dramatisch die Zustände in manchen Massentierhaltungsbetrieben sind, wurde das Thema zum Politikum. Die Beiträge des August-Titelthemas widmen sich den Lebensbedingungen der Vierbeiner in unseren Ställen – und diskutieren dabei auch, ob Tiere eigene Grundrechte haben.
Mit „Herta“ war er einst Europas größter Fleisch- und Wurstfabrikant. Dann hatte Karl Ludwig Schweisfurth „die Schnauze voll“ und ließ sich als Bio-Bauer vor den Toren Münchens nieder. Dort, in Herrmannsdorf bei Glonn, hat ihn vor ein paar Jahren sein Sohn Karl beerbt. Dort traf auch das Rotary Magazin die beiden und sprach mit ihnen über ihre Philosophie der Landwirtschaft, insbesondere der Tierhaltung.
Herr Schweisfurth, warum haben Sie 1984 Ihr Unternehmen „Herta“ verkauft?
Karl Ludwig Schweisfurth: Das ist immer wieder die berühmte Saulus-Paulus-Geschichte, und die hat eine lange Vorlaufzeit. Ich bin im Handwerk groß geworden und vom Handwerk geprägt. Nach dem Krieg habe ich mir als junger Mann in den Union Stock Yards von Chicago die industrielle Fleischproduktion angesehen und war davon beeindruckt – von der Größe, von der Organisation, von den Fließbändern und der ganzen Technik. Die Erfahrungen aus Amerika habe ich mit nach Deutschland gebracht. Schon zu Lebzeiten meines Vaters waren wir seitdem immer an der Spitze der Entwicklung in der Industrialisierung der Fleischwirtschaft. Dadurch wurde „Herta“ immer größer, immer größer. Am Ende waren es zehn Fabriken, fünfeinhalbtausend Mitarbeiter und anderthalb Milliarden D-Mark Umsatz.
Anfang der achtziger Jahre kamen mir die ersten Zweifel. Als gelernter Metzger spürte ich, dass es den Tieren, die zu uns in die Schlachtung kamen, nicht gut ging.
Woran merkten Sie das?
Karl Ludwig Schweisfurth: Erstens waren die Tiere gestört und nervös, wenn sie in meinen Schlachthäusern ankamen. Wir schlachteten damals 20.000 Schweine in der Woche. Nachdem die Tiere getötet waren, war das Fleisch wässrig, und ich konnte keine gescheiten Schinken und keine gescheiten Würste mehr daraus machen.
Hinzu kamen die kritischen Diskussionen mit meinen Kindern. Sie fragten mich: „Vater, was soll das? Immer schneller, immer größer, immer mehr? Du sitzt sechsmal in der Woche im Flugzeug, rast kreuz und quer um die Welt. Wozu?“ Das Ende dieser Diskussion war dann, das mein Sohn Karl zu mir sagte: „Vater, ich werde Bauer. Ich will in Dein Unternehmen nicht einsteigen.“ Und dann habe ich mich besonnen. Ich habe mich immer mit meiner Frau für das Fasten zurückgezogen, für vierzehn Tage oder drei Wochen. Dabei habe ich irgendwann begriffen, dass die Kinder recht hatten, dass es genug war. Und deshalb habe ich „Herta“ verkauft und „Herrmannsdorfer“ gegründet.
Warum waren Sie bereit, „Herrmannsdorfer“ zu übernehmen und „Herta“ nicht?
Karl Schweisfurth: Da gibt es durchaus verschiedene Gründe. Ganz wesentlich war und ist für mich die Größe. „Hermannsdorfer“ ist im Vergleich zu „Herta“ deutlich kleiner und übersichtlicher. Ich bin der Meinung, dass man mit vielen kleinen Unternehmen die Welt genauso gut oder sogar besser ernähren könnte als mit einigen großen Fleischmultis, die alles in der Hand haben. Man kann bessere Lebensmittel herstellen; man hat eine höhere Zufriedenheit der Menschen und – wenn ich das etwas philosophisch ausdrücke – auch der Tiere.
Karl Ludwig Schweisfurth: Schon bei „Herta“ hatte ich gespürt, dass die Tiere immer mehr zu Produktionsgegenständen, zur Sache werden. Das ist für meine Begriffe schändlich. Denn Tiere sind empfindungsfähige Wesen, die zeigen können, wenn es ihnen gut geht, und die auch zeigen können, wenn sie schlecht behandelt werden. Deshalb wollte ich in Herrmannsdorf alles anders machen: nicht industriell, sondern ökologisch, handwerklich und regional. Ich wollte alles wieder zusammenbringen, die Landwirtschaft mit den Tieren. Ich wollte vom Acker bis zum Verkauf an den Endverbraucher eine saubere Produktionskette auf ordentlicher handwerklicher Basis. Die Tiere sollen an Ort und Stelle geschlachtet und in Schinken und Würste umgewandelt werden. Auch das Brot sollte auf dem eigenen Hof gebacken und Käse gemacht werden.
Dennoch werden auch in Ihrem jetzigen Betrieb am Ende die Tiere geschlachtet. Wo ist da der Unterschied?
Karl Ludwig Schweisfurth: Ich habe mir darüber viele Gedanken gemacht, schon seit langer Zeit. Denn ich habe ja selbst mit meinen eigenen Händen sehr viele Tiere getötet. Ich habe mich oft gefragt: Darf ich Tiere halten? Darf ich sie nutzen? Darf ich Tiere töten, um ihr Fleisch zu essen?
Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Karl Ludwig Schweisfurth: Meine Antwort ist immer gewesen, dass die Tiernutzung zum Leben dazu gehört. Leben heißt auch Töten. Wir leben immer vom anderen Leben, wir leben nicht von der Luft. Ganz tief in unserem Inneren sind auch wir Menschen Tiere, mit Instinkten für das Leben und das Überleben.
Andererseits sind wir auch Philosophen, wir können in den Kategorien von Moral und Ethik denken. Deshalb kann ich sehr wohl die Gedanken der Tierethiker nachvollziehen, die sagen, wir dürfen eigentlich empfindungsfähige Wesen nicht töten. Und deshalb glaube ich, dass wir die Verpflichtung haben, mit den Tieren achtsam umzugehen, solange sie leben. Wir müssen dafür sorgen, dass sie gut leben, dass sie Gutes zu fressen bekommen, und dass sie am Ende ihres Lebens achtsam und ohne Angst und Qual vom Leben in den Tod gebracht werden. Das ist meine Philosophie.
Wie stellen Sie das an?
Karl Schweisfurth: Die Tiere wissen nichts von ihrem bevorstehenden Tod. Aber sie reagieren ängstlich auf jede Veränderung ihrer Lebensumstände, zum Beispiel wenn ein Lastwagen kommt, wo schon fremde Tiere drauf sind. Anschließend kommen sie in ein Groß-Schlachthaus mit vielen anderen Tieren. Es ist laut, die Tiere werden nervös, sie kriegen Angst. Und unter ihrer Angst leiden die Tiere, und diese Angst essen wir alle mit.
Und was machen Sie anders?
Karl Schweisfurth: Bei uns können unsere eigenen Tiere zu Fuß zu unserem kleinen Schlachthaus laufen, die von den vielen Partnerbauern werden von diesem selber gebracht. Dabei sind sie ruhig, der Bauer ist noch dabei, die Tiere haben keinen Stress. Und dann übergibt der Bauer seine Tiere dem Metzger. Der sorgt dafür, dass es keine lauten Geräusche gibt. Die Tiere dürfen nicht nervös werden, sie bleiben solange wie möglich zusammen in der Gruppe. Dann spricht der Metzger auch mit dem Tier, einzeln. Er gibt ihm mit der elektrischen Zange einen Schlag, dann ist es betäubt, und dann wird gestochen. Kein Schrei ist zu hören.
Allerdings ist ein solches Verfahren deutlich aufwendiger. Deshalb – und weil wir unseren Tieren mehr Platz und besseres Futter geben – sind die hier produzierten Lebensmittel teurer als in der Industrie. Doch es entsteht eben auch eine Qualität von einem Geschmacks- und Gesundheitswert, wie sie die Industrie nicht bieten kann. Diese Lebensmittel schmecken nicht nur ganz besonders gut. Wer sie isst, der merkt das auch, der fühlt sich besser.
Als ein Problem für faire Preise gilt gemeinhin der Vertrieb. Die Bauern haben in der Regel keinen Einfluss auf ihren Erlös. Wie haben Sie das geregelt?
Karl Ludwig Schweisfurth: Schon bei meinem Neustart wollte ich unmittelbar zum Endverbraucher gehen und nicht wieder abhängig sein von dem Druck des Einzelhandels, immer noch billiger und noch billiger zu produzieren. Deshalb verkaufen wir nicht nur hier in Herrmannsdorf, sondern betreiben auch zwölf eigene Läden in München und verkaufen an über 80 Naturkostgeschäfte. Dadurch können wir von der Haltung bis zum Verkauf Qualität garantieren. Und einen engen, persönlichen Kontakt zum Kunden haben wir auch.
Allerdings habe ich fast fünfzehn Jahre gebraucht, um die Menschen hier in der Region davon zu überzeugen, dass solches Fleisch und solche Würste und solches Brot und solch Käse und solche Eier auch ihren Preis haben. Inzwischen haben wir in München und Umgebung schätzungsweise 20.000-30.000 Kunden, die das verstanden haben, und die bereit sind, einen höheren Preis zu bezahlen, die aber auch die Qualität wertschätzen.
Woran kann der Kunde erkennen, ob sein Fleisch wirklich eine gute Qualität hat und nicht einfach nur mit Lebensmittelfarbe aufgehübscht wurde?
Karl Schweisfurth: Für den normalen Kunden ist dies mittlerweile schwierig, weil er gutes Fleisch oft gar nicht mehr kennt. Zuallererst ist es die Marmorierung, also die Fettäderchen, die sich durch das Fleisch ziehen. Das gilt nicht nur für das Rind, sondern auch für das Schwein. Dann ist wichtig, ob das Fleisch Wasser verliert. Das sieht man schon in der Theke, spätestens aber in der Pfanne. Dann kommt die Färbung: Ein gutes Fleisch ist eher dunkler, selbst ein Schweinefleisch. Auch ein Rindfleisch ist tiefrot. Und erst, wenn das Tier ein gewisses Alter bekommen hat, hat es auch seinen jeweils spezifischen Fleischgeschmack.
Der Verbraucher muss sich aber auch darauf einlassen, zum Beispiel ist gutes Fleisch oftmals nicht ganz so zart wie von den jungen, intensiv gemästeten Rindern. Die Tiere sind etwas älter geworden, sie hatten viel mehr Bewegung. Die Franzosen haben schon immer gesagt, dass man sich entscheiden muss, ob man zartes Fleisch haben will oder gutes. Beides zusammen geht nicht.
Ungefähr ein Jahr nach dem Verkauf des Unternehmens haben Sie die Schweisfurth-Stiftung gegründet. Was ist deren Ziel?
Karl Ludwig Schweisfurth: Die Stiftung, in der sich meine Tochter engagiert, stellt vor allem grundsätzliche Fragen: Wie wollen wir in Zukunft leben? Wie wollen wir arbeiten? Wie wollen wir mit der Energie umgehen oder mit der Technik, die wir heute haben? Wie wollen wir mit der Natur umgehen, vor allem mit den Tieren?
Zur Beantwortung dieser Fragen halten wir Kontakte mit der Wissenschaft, mit der Politik und mit der Bildung. Dazu gehört auch, dass wir Kinder aus Grundschulen für eine Woche hierher holen, um sie pädagogisch sorgfältig an die Natur heranzuführen und ihnen ein Gefühl dafür zu geben, wovon wir Menschen eigentlich leben.
Dann haben wir angefangen, den Begriff „Agrarkultur“ wieder in die Gesellschaft zurückzubringen. Nicht Industrie, sondern Agrarkultur. Das lateinische Ursprungswort „colere“ hat drei Bedeutungsebenen. Die unterste ist „Pflügen“, den Acker bebauen. Die zweite Stufe ist „Pflegen“, achtsam mit den Ressourcen umgehen. Und die dritte Stufe ist „anbeten und verehren“. Das ist Kultur. Am schönsten ist das beschrieben im Alten Testament, im 1. Buch Mose, Kapitel 2,15: „Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ Besser kannst Du das nicht ausdrücken.
Das Interview führte René Nehring.
Zur Person:
Vom Global Player zum lokalen Lieferanten
Karl Ludwig Schweisfurth (RC Recklinghausen) war bis 1984 Inhaber der „Herta“ Fleischwaren und damit der größte Fleisch- und Wurtsfabrikant Europas. Nach dem Verkauf des Famiienbetriebs ließ er sich im oberbayerischen Herrmannsdorf als Bio-Bauer nieder. Seit fünzehn Jahren werden die „Hermannsdorfer Landwerkstätten“ von seinem Sohn Karl Schweisfurth (RC München-Bavaria) geführt.
www.herrmannsdorfer.de