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Die einheimischen Störenfriede

Titelthema - Die einheimischen Störenfriede
Somali-Wildesel, Equus africanus somaliensis, Pferde, Dallas Zoo. Sehr stark vom Aussterben bedroht. Vor allem die Jagd, aber auch die Konkurrenz von Haustieren sowie die Vermischung von Haus- und Wildeseln setzen dem Bestand zu. © Joel Sartore/Photo Ark

„Guten Abend, meine lieben Freunde“ – zur kolonialen Attitüde von Bernhard Grzimeks Engagement für Naturschutzreservate in Afrika.

Andreas Eckert01.02.2023

Während einer der frühen Sendungen seiner ungemein erfolgreichen Fernsehreihe Ein Platz für Tiere gelang dem Frankfurter Zoodirektor, Tierfilmer und Buchautor Bernhard Grzimek 1960 ein echter Bluff: Überzeugt davon, dass das Geld von Touristen den gerade unabhängig werdenden Staaten Afrikas Anreiz dafür bieten würde, ihre Tierwelt zu schützen, forderte er seine rund 35 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer auf, dreiwöchige Pauschalreisen nach Tanganyika (dem heutigen Tansania) für nur 120 D-Mark zu unternehmen. Auf diese Weise könnten sie all die prächtigen Löwen und anderen wild lebenden Tiere, die sie in seinen Filmen zu sehen bekamen, hautnah erleben. Grzimek wusste zu diesem Zeitpunkt genau, dass kein deutscher Reiseanbieter solche preiswerten Pakete im Angebot hatte. Doch sein Trick ging auf: Reisebüros wurden mit Anfragen überschwemmt und einige Reiseveranstalter begannen nun tatsächlich, „Fotosafaris“ nach Ostafrika anzubieten.

Grzimeks Ehrgeiz, Pantoffelreisende in aktive „Safari-Touristen“ zu verwandeln, transformierte die bis dahin mit Sand und Sonne am Mittelmeer assoziierte Pauschalreise in ein Instrument des Tier- und Umweltschutzes. In der ostafrikanischen Serengeti hatte Grzimek seit den späten 1950er Jahren für seine bis dahin noch recht allgemeinen Warnungen und Appelle an die Rettung der bedrohten Tierwelt ein Zentrum gefunden. Seine Kinodokumentation Serengeti darf nicht sterben gewann 1960 den Oscar für den besten Dokumentarfilm. Seine vielfältigen Aktivitäten reihten sich dabei in den entstehenden globalen Tierschutz ebenso ein wie in die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Tansania im Kontext des Kalten Kriegs und der Dekolonisation.

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Emmer, Triticum dicoccum, Süßgräser, wird heute in Europa kaum noch angebaut. Vom Aussterben bedroht. Emmer ist eine der ältesten kultivierten Getreidearten. © Wikimedia Commons

Zu einem der wichtigsten Ansprechpartner Grzimeks wurde Julius Nyerere, der erste Präsident des 1961 unabhängig gewordenen Tansanias. Grzimek versuchte den sozialistischen Politiker davon zu überzeugen, dass Natur eine wichtige wirtschaftliche Ressource sei. Er erzählte ihm während ihrer ersten Begegnung am Vorabend der Unabhängigkeit, dass Ostafrika zur ersten Adresse neugieriger Globetrotter werden könne, wenn das junge Land sich entscheide, seine Nationalparks zu bewahren und auszubauen. Italien, Spanien und die Schweiz etwa seien in der Lage, ihre Handelsbilanz mithilfe des Tourismus positiv zu gestalten. Grzimek ergänzte unverblümt: „Lassen Sie uns Klartext sprechen, Dr. Nyerere. Ihr Land ist gegenwärtig nicht hübsch genug, um große Touristenmassen anzuziehen, vielleicht mit Ausnahme des Kilimandscharo. Aber was die tierhungrigen Massentouristen sehen wollen, sind Giraffen, Elefanten, Löwen, Zebras und Rhinozerosse.“

Kollision mit den Bedürfnissen der Massai

Grzimeks Appell fand ein offenes Ohr. Auf einer großen Tierschutz-Konferenz in Arusha präsentierte sich Nyerere wenige Monate später als Treuhänder des „Naturerbes der Menschheit“. Er baute zunächst auf die Versprechungen der Vertreter des globalen Tierschutzes, die finanzielle Unterstützung beim Park-Management zusagten und wirtschaftlichen Profit aus einer rasch wachsenden Tourismusindustrie prognostizierten. Die folgende Entwicklung, die Bernhard Grzimek wesentlich mitgestaltete, verlief hingegen wenig rosig. Hilfsgelder flossen nur spärlich, Tourismus florierte eher im benachbarten Kenia. Zugleich sorgten die Forderungen internationaler Organisationen nach strikter Abschließung der Parks von der Bevölkerung in weiten Kreisen Tansanias und auch bei Nyerere zunehmend für Unmut. Bis 1975 errichtete das Land mit Unterstützung Grzimeks nahezu ein Dutzend neuer Nationalparks, doch das Werben um Touristen geriet zunehmend in Konflikt mit den Rechten der Massai und anderer einheimischer Gruppen, die eigene Bedürfnisse an das Land artikulierten.

Die tansanische Regierung ärgerte sich zunehmend über die als penetrant empfundene Einmischung und die falschen Versprechen der westlichen Naturschützer. Nyerere platzte irgendwann der Kragen. In einem Brief an den niederländischen Prinzen Bernhard, den damaligen Präsidenten des World Wildlife Fund, konstatierte er spitz, dass es „den Völkern der entwickelten Welt schlecht ansteht, den Menschen in Afrika zu erzählen, sie müssten sogar ihren jetzigen Lebensstandard zum Wohle des Naturschutzes opfern, während die entwickelte Welt fortfährt, ihren unverhältnismäßig großen Anteil an den Gütern der Welt zu sichern, um einen Lebensstandard weiter zu erhöhen, von dem wir nur zu träumen wagen“.

Die Konstruktion des ehrenwerten weißen Naturschützers, wie ihn Grzimek verkörperte, wird bis heute unkritisch fortgeführt. Dafür stehen etwa die biografische Verfilmung der Gorillaforscherin Dian Fossey mit Gorillas im Nebel (1988) oder, trotz kritischer Töne gegenüber den Tätigkeiten internationaler Mineralölkonzerne, der für einen Oscar nominierte Dokumentarfilm Virunga (2014) über den gleichnamigen ältesten afrikanischen Nationalpark im Kongo. Gemein ist diesen populärkulturellen Erzählungen, dass die Gefahren für die Wildtiere in der Regel von afrikanischen Wilderern oder Rebellen ausgehen. Auf diese Weise bestärken sie koloniale Attitüden. So wurden in fast allen Regionen Afrikas im Laufe des 20. Jahrhunderts restriktive Jagdgesetze zum Schutz des Wildtierbestands eingeführt. Doch von Anfang an maßen die Kolonialherren mit zweierlei Maß. Die von den Europäern betriebene Großwildhatz zum Erwerb von Trophäen und Elfenbein wurde erlaubt, die Jagd zur Ernährung durch die Afrikaner hingegen unter Androhung hoher Strafen verboten.

Scheinheilige Debatten

Auch Grzimek hatte Natur als einen unberührten und menschenleeren Raum imaginiert, der nicht nur von imperialer Ausbeutung, sondern vor allem durch die einheimischen afrikanischen Gesellschaften bedroht sei. Schnelles Bevölkerungswachstum führe, so sein zentrales Credo, zu rücksichtsloser Naturausbeutung und drohe die „Tierwelt“ zu vernichten. Dieser Gefahr könne nur mit Bevölkerungsverschiebungen zugunsten der Natur begegnet werden. Diese Vision der Wiederherstellung einer unberührten Natur kündete daher nicht allein von einer neuen Friedfertigkeit, sondern atmete zugleich ein zentrales Motiv einer rassistischen Zivilisationskritik, die sich in Grzimeks Wahrnehmung der Afrikaner als ein störendes Element in ihrem eigenen Lebensraum spiegelte.

Viele nicht zuletzt afrikanische Kritikerinnen und Kritiker sehen in der Naturschutzdebatte, die immer noch stark den Geist Grzimeks atmet, daher vor allem Scheinheiligkeit. Denn zahlreiche Studien zeigen, dass etliche der klassischen Wildnisgebiete wie die Serengeti teils seit Tausenden von Jahren von Menschen bewohnt, gemanagt und auch verändert wurden. Diese Naturlandschaften sind so artenreich aufgrund und nicht trotz der einheimischen Bevölkerung. Das wird in der von Grzimek propagierten und bis heute folgenreichen Ideologie und Praxis der Einhegung von Naturschutzgebieten jedoch ignoriert. Der MassaiAktivist Navaya ole Ndaskoi etwa sieht diesen „Festungsnaturschutz“ als kalte Enteignung lokaler Gemeinschaften. Das nicht zuletzt von Grzimek immer wieder vorgebrachte Versprechen von Wohlstand durch Tourismus ist für ihn lediglich die Rechtfertigungslüge einer mächtigen Naturschutzlobby, in deren Gewand der Steuerungsanspruch der früheren Kolonialmächte nachwirkt. Dazu gehört die Aneignung großer Ländereien durch weiße Siedler und Investoren, um Wildtiere zur Jagd oder für den Safari-Tourismus zu halten.

„Linke Gelder für rechte Agenda“

Der kenianische Ökologe und Wildtierforscher Mordecai Ogada beschreibt in seinem Buch The Big Conservation Lie Naturschutz in Afrika als „Green Grabbing“ und neue Form von Kolonialismus. Dieser folge bis heute den Regeln der Kolonialzeit: Haltet schwarze Menschen fern von der Natur, damit weiße Menschen sie genießen können. Die „große Lüge“ bestehe darin, dass sich Naturschutz bei den Spendern im Westen als friedlich und liberal präsentiere, im globalen Süden aber grüne Uniformen trage und elitär, gewalttätig und häufig rassistisch sei – „eine rechte Agenda, die mit Geldern von Linken durchgesetzt wird“.

Wie viele andere Kritiker beklagt Ogada zudem die Militarisierung des Naturschutzes. Unter dem Stichwort „Professionalisierung“ werden Parkwächter im Kampf gegen Wilderer zum Töten ausgebildet. So engagieren sich in Tansania US-Militärveteranen. Im Kongo, in Uganda und Kenia bringen israelische Söldnerfirmen im Auftrag des WWF Wildhütern bei, mit Nachtsichtgeräten, Scharfschützengewehren und Drohnen umzugehen. Die Parkwächter sind inzwischen militärisch und geheimdienstlich besser ausgestattet und ausgebildet als die Soldaten der regulären Armee. Sie werden so zu neuen Macht- und Gewaltakteuren, die mitunter auch Menschenrechtsverbrechen begehen, die von vielen westlichen Naturschutzorganisationen und Regierungen jedoch als Erfolge des wehrhaften Naturschutzes gefeiert werden.

Die Wehrhaftigkeit kommt zu einem Preis, den nicht selten die lokale Bevölkerung zahlen muss. Die meisten Nationalparks sind eben nicht menschenleer. Millionen von Menschen leben nicht nur an den Parkrändern, sondern zum Teil innerhalb der Parkgrenzen. Die Ausweitung oder Neugründung von Schutzgebieten führt unweigerlich zu lokalen Land- und Ressourcenkonflikten. Zwar verschreiben sich viele der Beteiligten zumindest theoretisch zunehmend der Einsicht, dass Naturschutz nur im Einklang mit der Bevölkerung vor Ort wirksam sein kann. Doch in der Praxis wird er weiter vor allem ohne oder gegen sie gemacht. 

Andreas Eckert

Prof. Dr. Andreas Eckert ist Historiker und Afrikawissenschaftler am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin

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