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Wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, muss Deutschland auch vom französischen Kernkraftwerk Cattenom Strom zukaufen. © Mario Fourmy/Laif

Klima- und Umweltfragen haben im Jahr 2019 die Menschen bewegt wie kaum ein zweites Thema. Da ist es bedauerlich, dass sich häufige Erwartungen in die „Erneuerbaren Energien“ nicht erfüllen können.

Rudolf Lachenmann01.02.2020

Im Zusammenhang mit der Energiewende sprechen Politiker und Journalisten gern von einer „Spaltung der Gesellschaft“, ohne allerdings diesen Begriff näher zu konkretisieren. Bei genauerer Betrachtung gibt es sowohl eine ideologische als auch eine soziale Spaltung: ideologisch, weil in den Debatten selten rationale Argumente ausgetauscht und akzeptiert werden; und sozial, weil die Energiewende eine große Umverteilungsaktion von unten nach oben ist. Alle Bürger, auch wirtschaftlich schwächere wie zum Beispiel kinderreiche Familien, zahlen zum Vorteil von Investoren viel Geld in das System ein.

Ausstieg vom Ausstieg?
Die gesellschaftliche Grundlage der Energiewende sind einerseits Sorgen vor Gefahren der Atomkraft, mit denen insbesondere durch die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im Jahre 2011 massiv argumentiert wird, und andererseits das Bemühen, den Klimawandel durch eine Reduktion des „Treibhausgases“ Kohlendioxid (CO2) zu stoppen oder wenigstens zu verlangsamen. Nicht erst mit der Bewegung „Fridays for Future“ ist der Stellenwert des Klima- und Umweltschutzes auf Platz eins der wichtigsten Probleme in unserem Lande gerückt.

Ein grundlegendes Problem dabei ist, dass sich die beiden genannten Grundlagen der Energiewende argumentativ zum Teil entgegenstehen. Denn wenn wir eine Energiewirtschaft ohne Kohlendioxid anstreben, benötigen wir dazu Erfolg versprechende Alternativtechnologien, die in der Lage sind, den bisherigen Anteil der fossilen Brennstoffe am Energiemix unserer Volkswirtschaft zuverlässig zu ersetzen. Da es diese Alternativen bisher nicht gibt, kann es sich unsere moderne Industrienation bis auf Weiteres nicht leisten, auf die CO 2-freie Kernkraft zu verzichten. Aus dem gleichen Grund steigt außer uns kein anderes Industrieland aus dieser Technologie aus, im Gegenteil: Weltweit sind derzeit über 100 Kernkraftwerke im Bau oder in Planung.

Die deutschen Reaktoren gehören (noch) zu den sichersten und zuverlässigsten der Welt: Grafenrheinfeld und Grohnde waren beziehungsweise sind Weltrekordhalter in der Stromerzeugung. Sie waren oder sind inhärent sichere – das heißt selbst abschaltende – Leichtwasserreaktoren mit hoher Sicherheitsauslegungsredundanz. Von den Katastrophen in Tschernobyl (graphitmoderierter) ohne permanente externe Steuerung „durchgehender“ Druckröhrenreaktor) oder Fukushima (Siedewasserreaktor der ersten Generation mit unten liegenden Steuerstäben und fehlender ausreichender Redundanz der Notkühlung gegen totale Überflutung) auf deutsche Kernkraftwerke zu schließen ist technisch absolut unzutreffend und geradezu demagogisch.

Zur Entsorgung der viel geringeren Mengen hochradioaktiver Abfälle, als häufig argumentiert wird, ist seit 40 Jahren nichts Substanzielles mehr unternommen worden. Diese Abfälle enthalten noch große Mengen an spaltbarem Material, das sinnvoll im Reaktor genutzt werden kann.

Die „Erneuerbaren Energien“ können per se die in sie gesteckten Erwartungen nicht erfüllen. Gleich ob Wind-, Solar- oder Bioenergie: Sie schneiden in Bezug auf die Faktoren Energiedichte, Laufzeit, Zuverlässigkeit, Lebensdauer, Investitionsvolumen je installierte Leistung, ja teilweise sogar bei den CO2-Emission gegenüber konventionellen Kraftwerken – gegenüber Kernreaktoren um ein Vielfaches – schlechter ab.

Ein Beispiel: Der Offshore-Windpark Arkona nordöstlich der Insel Rügen hat, alle Anlagen zusammen, eine installierte Leistung (Nennleistung) von 385 Megawatt (MW) oder 0,38 Gigawatt (GW) und überdeckt eine Fläche von 39 Quadratkilometern. Ein einziges konventionelles Kraftwerk, gleich ob Kohle oder Kernkraft, verfügt über eine installierte Leistung von 1,2 bis 1,5 Gigawatt, das heißt 1200 beziehungsweise 1500 MW, also mehr als die dreifache Nennleistung des gesamten Windparks. Der Flächenbedarf eines konventionellen Kraftwerkes ist demgegenüber verschwindend gering, die jährliche Verfügungszeit der Energieerzeugung ist doppelt so groß wie die einer (Offshore-) Windkraftanlage (WKA). Zudem ist die tägliche und jährliche Stromverfügungszeit einer Windkraftanlage nicht steuerbar und auch heute nur ungenau vorhersagbar. Windkraft ist und bleibt ein sogenannter volatiler Strom, das heißt, häufig wird entweder zu wenig oder zu viel Strom geliefert. Onshore, also an Land stehende Windkraftanlagen, schneiden diesbezüglich nochmals erheblich schlechter ab.

Die Schwächen der Alternativen
Zum Vergleich der Effizienz der Stromerzeugungsanlagen dient die Volllaststundenzahl (VLH). Das ist die fiktive Stundenzahl, die man bräuchte, um die gesamte tatsächlich im Jahr erzeugte Strommenge zu liefern, wenn das Kraftwerk kontinuierlich mit Nennleistung laufen würde. Bei einer VLH unter 8760 Stunden (ein Jahr) bedeutet dies, dass das Kraftwerk einen Teil des Jahres nur mit reduzierter Leistung läuft (etwa bei Schwachwind) oder sogar steht (nachts bei Photovoltaikanlagen). Ein Kernkraftwerk hat zumeist 7500 bis 8000 VLH, ein Kohlekraftwerk rund 3500 VLH. Eine Offshore-WKA hat je nach Standort und Rotorhöhe 3000–3500 VLH, eine moderne an Land stehende WKA (bei etwa 120 Metern Turmhöhe und 150 Metern Rotordurchmesser und damit einer Gesamthöhe von 215 Metern) gut 1800 bis 2000 VLH. Typische Dach-Photovoltaikanlagen ohne Nachführung und mit nicht optimaler Ausrichtung kommen auf rund 900 bis 1000 VLH. Das Jahr hat aber 8760 Stunden. Bei einer in Deutschland immer wieder vorkommenden „Dunkelflaute“ (Windstille bei Nacht) kommt von Wind und Sonne dann überhaupt nichts. Die für die Verwendung von Wind- oder Solarstrom notwendigen Energiespeicher gibt es nur in Haushaltsgröße; großtechnisch kann elektrische Energie zu ökonomischen Bedingungen nicht gespeichert werden – das gilt für unabsehbare Zeit.

Das bedeutet, dass neben den „Erneuerbaren“ zusätzliche Anlagen in einer anderen, steuerbaren Technologie – also fossil oder Kernkraft – entweder im eigenen Land oder bei den Nachbarn vorgehalten werden müssen. Im vergangenen Sommer, am 6., 12. und 25. Juni 2019, war die Lage im Netz extrem angespannt und konnte nur mithilfe der europäischen Partner bewältigt werden – mit Kohlestrom aus Polen und Atomstrom aus Frankreich, unter anderem aus dem wegen vermuteter Sicherheitsmängel umstrittenen Fessenheim und dem Atomkraftwerk Cattenom. Am 31. Dezember 2019 wurde in Baden-Württemberg das Kraftwerk Philippsburg 2 abgeschaltet. Die dadurch in Baden-Württemberg fehlenden rund 16 Prozent sollen durch Lieferungen aus der genannten Nachbarschaft ersetzt werden. Philippsburg ist im Besitz der EnBW, also des Landes Baden-Württemberg. Das um 1984 in Betrieb gegangene KKW könnte technisch noch gut 20 bis 30 Jahre laufen. Das Land und damit die Bevölkerung erleiden einen Vermögensverlust von mehreren Milliarden Euro. Und müssen ein höheres Risiko und mehrere Zigmillionen Tonnen CO2 in Kauf nehmen.

Höherer Materialbedarf
Doch nicht nur beim Output der Stromerzeugung schneiden die „Erneuerbaren Energien“ nicht gut ab, sondern auch beim Materialbedarf. So ist im Vergleich von Kernkraft und Windenergie der Einsatz von Material wie Beton oder Stahl bei Windanlagen unverhältnismäßig groß. Zudem macht sich bei KKW und Kohlekraftwerken die „Skalenwirtschaftlichkeit“ sehr positiv bemerkbar: Je größer eine Anlage ist, desto relativ weniger Beton und Stahl braucht man für den Bau eines KKW oder eines Kohlekraftwerks.

Der Druckbehälter eines 1400-MWKernkraftwerks wiegt etwa 700 Tonnen. Ein Turm einer einzigen Windkraftanlage (WKA), die höchstens ein Drittel bis zur Hälfte der Nennleistung von 2,5 MW erzeugt, wiegt mit Fundament gut 150 Tonnen. Der Generator eines KKW besteht aus etwa 600 Tonnen Kupfer, Eisen und Neodym; eine WKA von 2,5 MW braucht 50 Tonnen. Um die gleiche Strommenge eines Kernkraftwerks zu erzeugen, benötigt man rund 3000 einzelne WKA, die nicht immer gerade dann laufen, wenn man den Strom braucht. Dadurch ergibt sich ein Bedarf von etwa 150.000 Tonnen Kupfer für Wind gegenüber rund 600 Tonnen bei Atomenergie und ein Bedarf von gut 450.000 Tonnen Stahl bei Windenergie gegenüber 700 Tonnen bei der Kernkraft.

Derzeit sind in Deutschland etwa 30.000 Windanlagen mit einer Kapazität von 55.000 MW installiert. Im ersten Quartal 2019 haben diese Anlagen 27 Prozent des Strombedarfs produziert, die Kohle lieferte noch 32 Prozent und Kernenergie 13 Prozent unseres Strombedarfs, Photovoltaik spielte keine wesentliche Rolle. Um in Deutschland Kohle und Kernenergie kurzfristig ersetzen zu können, werden gut 10.000 Windanlagen mit 230 Metern Höhe benötigt. Der tatsächliche Nettozubau betrug jedoch im auslaufenden Jahr 2019 nur rund 100 (!) Windanlagen. Große Probleme bereiten der Windkraft zudem fehlende Genehmigungen und Klagen gegen bereits erteilte Genehmigungen.

Fehlende Nachhaltigkeit
Auch sonst weisen die bisherigen Alternativen zu den herkömmlichen Energiequellen zahlreiche Schwächen auf: So kommt die Lebenszeit eines Windrades mit etwa 20 Jahren an die 50-60 Jahre eines konventionellen Kraftwerkes nicht heran. Die Entsorgung insbesondere der Fundamente von Offshore-Anlagen ist völlig ungeklärt. Und sogenannte Energiepflanzen, die in Biogasanlagen verstromt werden, verarbeiten deutlich weniger als ein Prozent der angebotenen Sonnenenergie, was zu einem enormen Flächenbedarf führt: Bereits heute werden rund 20 Prozent unserer Agrarfläche mit Raps oder Mais für Biogasanlagen verwendet. Der dabei entstehende Leckstrom von Methan ist etwa zehnmal so umweltschädlich wie die gleiche Menge an CO2.

Hinzu kommt, dass trotz des Fehlens einer tragfähigen Lösung zur Stromerzeugung die E-Mobilität forciert wird – wodurch der Stromerzeugungsbedarf zusätzlich steigt. Dabei sind E-Mobile nur für Stadtfahrten eine Lösung zur lokalen Reduzierung von Autoabgasen. Ihr CO2-Fußabdruck hängt wesentlich von der Fahrleistung und von der Art der Strom erzeugung ab. Beim derzeitigen Mix in Deutschland dürfte die Nutzungsdauer bis zum „Break-even“ gegenüber Dieselfahrzeugen bei etwa 200.000 Kilometern liegen. Französische Autos liegen wesentlich günstiger, da bei der Herstellung in Frankreich dank des dortigen Energiemixes mit einem hohen Anteil an Kernenergie nur circa 20 bis 30 Prozent des CO2 im Vergleich zu Deutschland anfallen.

Da eine vollständig CO2-freie Stromerzeugung in Deutschland mit der heute verfügbaren Technologie nicht möglich ist, wird entweder der Kohleausstieg in weite Zukunft rücken – oder Deutschland wird in nennenswertem Umfang auf die Nachbarn, vor allem auf Frankreich und Belgien (Kernenergie) sowie Polen (Kohle) angewiesen sein.

Da wäre es aus wirtschaftlichen, sicherheitstechnischen und ökologischen Gründen sinnvoller, die hierzulande noch in Betrieb befindlichen sechs Kernkraftwerke bis zum Ende ihrer technischen Lebensdauer im Betrieb zu halten.

Kurzfristige und langfristige Lösungen
Eine kurzfristige Perspektive bietet auch die Wiederaufnahme des Ausbaus von Gaskraftwerken, die bei gleicher Leistung nur etwa die Hälfte CO2 gegenüber klassischer Kohlekraftwerke ausstoßen. Vorteilhaft ist auch ihre schnelle Reaktionsfähigkeit zum Ausgleich von Schwankungen von Wind- und Photovoltaikanlagen. Problematisch ist dabei im Augenblick die Gasversorgung, die im Süden unseres Landes nicht ausreicht. Deshalb ist die Fertigstellung der Gaspipeline North stream 2 – trotz aller politischen und wirtschaftlichen Problematik – für Deutschland zwingend notwendig.

Wasserstoff ist keine Energiequelle, da er in der Natur praktisch nicht frei vorkommt. Will man ihn zur Energiegewinnung einsetzen, muss vorher die Energie, die er liefern soll, in sein Molekül eingebracht werden (Elektrolyse).

Wasserstoff kann durch direkte Verbrennung in thermischen Kraftmaschinen, Kolbenmotoren oder Turbinen zur Energiegewinnung oder auch in Prozessen wie der Stahlerzeugung verwendet werden. Die Handhabung, insbesondere auch von tiefkaltem, verflüssigtem Wasserstoff, ist aufwendig, aber vorhandene Technologie. Damit ließe sich weitgehend der Umbau wichtiger Industriezweige, etwa des Automobilbaus, in angemessener Zeit vorbereiten und realisieren.

Wesentlich einfacher, wenn auch energetisch ungünstiger, bietet Wasserstoff in Verbindung mit CO2, zum Beispiel aus der Luft, die Möglichkeit der Herstellung von synthetischem Treibstoff aller Art, etwa Benzin, Diesel oder Kerosin. Thermische Motoren wie in Kraftfahrzeugen müssten nur geringfügig verändert werden. Die Lagerung und Handhabung wäre ebenso gegeben wie alltagstaugliche Reichweiten, und auch die Fortsetzung des Flugverkehrs wäre CO2-frei mit vorhandener Technologie möglich. Alle Probleme der Batterie-E-Mobilität wie die CO2-Emission bei der Herstellung, Speicherung, Antriebe, Batteriematerialien, Lagerung, Tankzeiten und Reichweiten würden entfallen.

Hoffnungsträger Kernfusion
Mittelfristig gibt es zur Umsetzung einer weitgehend CO2-freien Stromerzeugung nur einen Weg: die Kernfusionsreaktoren. Diese Technologie entspricht den Vorgängen auf der Sonne und könnte eine „ewige“, ausreichende, absolut saubere und auch sichere Energiequelle ohne langlebigen radioaktiven Abfall sein. Der Weg dahin ist jedoch aufwendig und langwierig. Deutschland ist mit den Experimentieranlagen in Greifswald und Garching in einer guten Position. In Südkorea steht schon ein nahezu fertiger Reaktor, und in den USA sind zwei geplant. Auch in Russland ist dazu viel technisches Wissen vorhanden.

In jedem Falle zeigen die genannten Fakten, dass die Energiewende in ihrer bisherigen Form nicht nur mit teuren Begleiterscheinungen behaftet, sondern schlichtweg nicht in der Lage ist, die in sie gesteckten Erwartungen zu erfüllen. Neue Verfahren werden sich nur dann durchsetzen, wenn sie sauberer, effektiver und günstiger sind als die herkömmlichen Arten der Energiegewinnung. Um dies zu erreichen, braucht es jedoch weniger politische Ideologie – und einen kühlen Verstand bei allen Entscheidungsträgern. 

Rudolf Lachenmann
Dr. Rudolf Lachenmann, RC Wertheim, war bis zu seinem Ruhestand geschäftsführender Gesellschafter des Maschinenbauers Vacuubrand. Als Mitglied der Kammer für Soziale Ordnung der EKD war er mitverantwortlich für die Herausgabe der Denkschrift „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“