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Standpunkt

Hilfe, bin ich etwa rechts?

Standpunkt - Hilfe, bin ich etwa rechts?
Robert-Jan Stuessel © Privat

Wer und was soll mit diesem Begriff gemeint sein?

Robert-Jan Stuessel01.08.2024

Die hohen Zustimmungswerte für die AfD beunruhigen die deutsche Politik und große Teile der Bevölkerung. Mittlerweile kommt die Partei in den neuen Bundesländern auf Werte nahe 30 Prozent. Die nächsten Wahlen stehen an, und nicht nur in Ostdeutschland erstarkt die in weiten Teilen rechtsextreme Partei, wie gesehen in der Wahl für das Europäische Parlament. Über den Winter wurden deutschlandweit Demonstrationen angesetzt, um zu zeigen: Die deutsche Mitte ist gegen rechts. Geholfen hat es nur vorübergehend, da die Argumente ausschließlich aus Stigmatisierung bestanden. Was mich beunruhigt, ist der leichtfertige Umgang mit dem Begriff rechts. Selbst innerhalb von Rotary wird das Thema teilweise kontrovers diskutiert, bis hin zu Aufrufen von Amtsträgern, sich gegen rechts zu positionieren. Seitdem die AfD im Aufwind ist, ist rechts zum Kampfbegriff geworden. Was aber ist rechts, und machen wir es uns damit nicht zu leicht? Der Begriff stammt aus dem Altgermanischen und bedeutete ursprünglich „geradeaus“ oder „richtig“. Im Laufe der Zeit hat sich der Begriff weiterentwickelt und stand für eine konservative und bürgerliche Haltung. Werte wie die klassische Familie, Leistungsbereitschaft und Bewahrung standen dabei im Vordergrund. Muss man nicht gut finden, wird aber von mindestens der Hälfte der deutschen Bevölkerung so empfunden. Vermutlich ist der Grad bei Rotariern sogar höher.

Automatisch fürs Terrorregime?

Wenn es ein Rechts gibt, gibt es auch ein Links. Was hat es denn damit auf sich? Was passiert, wenn ich mich dem linken Spektrum zuordne? Bin ich dann automatisch ein Unterstützer linksextremer Tendenzen, wünsche ich mir den Kommunismus und damit eine Wiederholung von Terrorregimen wie einst in Russland, Kambodscha oder China unter Mao für Deutschland, oder unterstütze ich sogar die Ideen einer RAF? Sollten wir uns nicht darauf einigen, linke wie auch rechte Extreme zu verurteilen und zu bekämpfen?

Ich habe versucht, den Begriff Mitte zu begreifen. Wer oder was ist denn die Mitte, und ist das der richtige Platz für alle? Ist die Mitte eine politische Richtung oder eine Werthaltung? Wenn ich eine liberale Grundhaltung habe, bin ich nicht automatisch die Mitte, denn dann müssten alle für Steuersenkungen sein, Verschlankung des Staates, mehr Eigenverantwortung und so weiter. Die Partei, die sich selbst dort verortet, obwohl sie sich als liberal bezeichnet, kämpft immer wieder um den Einzug in Parlamente. Ich komme zu dem Schluss, die Mitte ist der Bereich, den man gemeinhin als Konsens großer Teile der Bevölkerung bezeichnen würde. Ich kann Wähler einer Partei sein und trotzdem mit Wählern einer anderen Partei über Grundsätzliches übereinstimmen. Einfache Beispiele wären die Achtung des Grundgesetzes, die Gleichberechtigung der Geschlechter, freie Berufswahl, Wahlrecht und Reisefreiheit und vieles mehr. Kurz gesagt: Grundwerte.

Schnappatmung überflüssig

Den aktuellen Trend erachte ich als schädlich. Wer rechts als allumfassendes Label gebraucht, wird damit große Teile der Bevölkerung brandmarken. Für etwas, das sie nicht sind oder nicht getan haben. Ich kann konservativ sein, mein eigenes Weltbild von Familie, Beruf und Gesellschaft haben, mich damit nach alter Definition rechts verordnen, ohne Unterstützer rechtsextremer Strömungen zu sein. Deutschland ist vielschichtig, und das trifft ganz besonders auf Haltungen zu. Um das abzubilden, bedarf es einer Verortung. Wer etwas Besseres findet als links, rechts oder liberal, der möge Vorschläge machen. Wer weiterhin alles, was rechts ist, pauschal verurteilt, muss sich nicht wundern, wenn unsere Gesellschaft auf einer zusätzlichen Ebene auseinanderdriftet und der Ton rauer wird.

Wir sollten uns mit dem Thema vernünftig auseinandersetzen und nicht in dieselbe Schnappatmung wie viele andere verfallen. Denken wir einen Moment darüber nach, und nutzen wir die Begriffe unvoreingenommen. Dabei empfiehlt sich einmal mehr die Vier-Fragen-Probe.

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