Standpunkt
Ist unser Slogan ein Anachronismus?
„Wir sollten ehrlicher und selbstbewusster über Rotary reden“, findet der Governor des Distrikts 1930.
Zur Person
Jan Mittelstaedt, RC Konstanz-Mainau, ist Governor 2019/20 im Distrikt 1930 und Inhaber einer Agentur für Markenführung, Design, Online und Filmproduktion.
Unsere beiden offiziellen Mottos „Service Above Self“ und „One Profits Most Who Serves Best“ haben eine lange Geschichte, die bis ins Jahr 1911 zurückreicht. Hierzulande hat sich vor allem die deutsche Version von Service Above Self durchgesetzt: „Selbstloses Dienen“. Seither tragen wir diesen Slogan vor uns her wie eine Monstranz.
Es mag sein, dass „Selbstloses Dienen“ ein geeignetes Motto für das war, was Rotary in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens darstellte, doch heute ist dieser Slogan veraltet. Zunächst ist festzustellen, dass es sich dabei semantisch um eine ungenaue Übersetzung ins Deutsche handelt. „Service above self“ stellt in seiner ursprünglichen Bedeutung den Service, also den Dienst am Wohl anderer, über das eigene Ich. Das Ich wird dabei aber nicht verleugnet. Im Deutschen hingegen handelt es sich um eine maximal altruistische Überhöhung, die nicht nur das Ich verschwinden lässt, sondern aus der humanitären Leistung auch noch ein unterwürfiges Dienen macht. Würde ich meinen Kindern mit diesem Spruch kommen, würden sie mich zu Recht fragen: Echt jetzt, Papa? Sie würden es mir schlicht nicht abnehmen, weil sie doch täglich mitbekommen, wie viel Rotary mir bedeutet und wie es mich begeistert.
Persönlichen Nutzen nicht verheimlichen
Die Aussage „Selbstloses Dienen“ implodiert in dem Moment, in dem sie den Mund verlässt. Was ist denn an unserer Mitgliedschaft selbstlos und was daran ist Dienen? Und warum ist es überhaupt nötig, dass wir ständig explizit behaupten, nichts davon zu haben, was wir in unseren Clubs und unserer weltweiten Gemeinschaft tun? Wir alle erleben bei Rotary doch Freundschaft mit Menschen, die uns inspirieren und von denen wir viel lernen können. Wir haben auf der ganzen Welt Freundinnen und Freunde, die uns mit offenen Armen empfangen, wenn wir zum Beispiel im Urlaub oder auf Geschäftsreise den örtlichen Rotary Club besuchen. Wir hören Woche für Woche interessante Vorträge. Und wenn wir in eine andere Stadt umziehen, finden wir dort viel schneller Anschluss. Das alles sind doch enorme persönliche Nutzen, die wir meines Erachtens nicht verheimlichen, sondern – ganz im Gegenteil – als wertvolle Seiten der Mitgliedschaft nach außen tragen sollten.
So wie Unternehmen stets an ihrer Arbeitgebermarke feilen sollten, so ist es auch für Rotary eine gute Idee, sich für die nächste Generation der Positions- und der Potenzialelite attraktiv zu positionieren. Die Mitgliedschaft bei Rotary muss erstrebenswert bleiben. Denn heute konkurrieren mehr Wohltätigkeitsorganisationen denn je um Ehrenamtliche, um Spenden und auch um Mitglieder. Ganz neue Modelle des Engagements entwickeln sich. Man muss nicht länger Mitglied einer Organisation sein, um Bedeutendes zu bewirken. Crowd Fundraising ist nur ein Beispiel. Die gemeinnützige deutsche Spendenplattform Betterplace erzielte 2017 mehr als 13 Millionen Euro an Spenden. Betterplace ist gerade einmal zwölf Jahre alt und wächst stark. Aber Rotary hat etwas, das Betterplace nicht hat, denn Rotary ist viel mehr als nur Wohltätigkeit.
Das Privileg, Rotarier zu sein
Abgesehen von der Tatsache, dass sich die Behauptung des selbstlosen Dienens nicht halten lässt, trifft sie auch in keiner Weise den Markenkern Rotarys. Dieser ist – und daran hat sich in all den Jahren nichts verändert – das Privileg. Denn wir dürfen dabei sein. Im Gegensatz zu vielen rede ich nie von einer Präsenzpflicht bei Rotary, sondern stets von einem Präsenzrecht. Welch ein Glück und welch eine Ehre, dass ich dabei sein darf! Das meine ich genau, wie ich es hier schreibe. Deshalb ist das Privileg nicht im Sinne eines Ausgrenzens anderer gemeint, sondern als Auszeichnung der Mitglieder. Um diesen Markenkern herum gruppieren sich meines Erachtens drei Markenwerte: Freundschaft, Lernen und Service. Zwei davon sind alles andere als selbstlos. Und ich behaupte, dass auch der Service eine Dimension des Eigennutzes in sich trägt. Denn es ist ein bereicherndes Gefühl zu wissen, dass man Gutes tut.
Und damit kommen wir zur Lösung des Problems: Machen wir uns für Rotary doch einfach das brillante Motto unserer Foundation zu eigen: „Doing Good In The World.“ Er ist selbstbewusst, blickt über den Tellerrand der Clubs hinaus und ist stark genug für beide: die Foundation und Rotary. Und dieses Versprechen, Gutes tun zu können, ist es auch, was meine Kinder inspiriert hat, sich Rotary zu nähern: Mein Sohn ist mit Begeisterung bei Rotaract und meine Tochter ist gerade dabei, einen Interact Club in Konstanz zu gründen. Rotaract und Interact haben in Deutschland übrigens den besten Slogan, den ich bei Rotary je gehört habe: Lernen – Helfen – Feiern.
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