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Keine Panik!

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Vernichtet generative KI Tausende Jobs? Nein! Es stellt sich kein Arbeitsplatzabbau ein, vielmehr wird ein Kompetenzumbau erforderlich.

Oliver Riedel01.04.2023

Was ist der Sinn des Lebens?“ – Inzwischen haben wohl die meisten von uns bereits einmal versucht, das KI-gestützte Sprachmodell ChatGPT mit den wichtigsten Fragen unserer Zeit zu konfrontieren. Und dabei erstaunliche Antworten erhalten.


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Tragen die häufig überraschend differenzierten Aussagen und das reichhaltige Ausdrucksvermögen des KI-gestützten Sprachmodells anfangs noch zu einem gewissen Amüsement bei, dämmert es den meisten Menschen schnell, dass diese Technologie erhebliche Auswirkungen auf weite Teile der Arbeitswelt, ja sogar unseres sozialen Miteinanders insgesamt haben kann. Dabei ist die Idee nicht neu. Die Veröffentlichung von ChatGPT-3 im November 2022 markiert nicht einen Meilenstein technologischer Entwicklung – schließlich handelt es sich um die dritte Version eines Projektes, das bereits vor Jahren gestartet wurde –, sondern den Zeitpunkt, an dem die Tragweite der Macht von Maschinen Eingang gefunden hat in das kollektive Bewusstsein unserer Gesellschaft.

Spätestens jetzt wird allen Menschen klar: Mit der sogenannten generativen KI ist eine nächste Stufe erreicht, die sich in einer neuen Qualität von Verständnis, in Interaktionsfähigkeiten, in Sensibilität, ja sogar in der Suggestion emotionaler Nähe niederschlägt. Auch wenn derartige KI-Systeme zu einem gegebenen Input lediglich die am wahrscheinlichsten passende Ergänzung zurückgeben, erscheinen uns die Antworten sinnvoll und durchdacht. Generative KI ist also nicht wirklich kreativ, sondern reproduziert nur vorab trainierte Inhalte. Generative KI Generell eignet sich KI für die maschinelle Erzeugung jeglicher planerisch-konstruktiver Artefakte. Dies eröffnet ein riesiges Anwendungsspektrum, etwa im Maschinenbau, in der Elektronik oder in der Architektur sowie beim Bau. Generative KI dringt in die kreativen Arbeitsbereiche vor, generiert selbst Entwürfe mithilfe von Vorgaben.

So lassen sich beispielsweise die Einhaltung baurechtlicher Vorgaben und Richtlinien mithilfe von KI überprüfen. Generatives Design in der Architektur ermöglicht die rasche Modellbildung anhand komplexer Entwurfsvorgaben, die zum Beispiel von Raumfunktionen, Raumbeziehungen, aber auch biometrisch inspirierten Grundformen ausgehen. Außerdem ist die Programmierung von Software – präziser: die formelle Codierung natürlichsprachlich formulierter Algorithmen – mittels generativer KI realisierbar. Mit Werkzeugen wie OpenAI Codex wird es somit IT-Laien möglich, eigene lauffähige Software zu entwickeln, ohne über Programmierkenntnisse zu verfügen.

Wirkung auf Arbeit und Beschäftigung

KI-Systeme sind jedoch nicht wirklich intelligent, sondern sind auf eine umfangreiche Datenbasis angewiesen, anhand derer sie ihre Modelle trainieren und optimieren. Voraussetzung für die erfolgreiche Einführung von generativer KI ist also ein hoher Digitalisierungsgrad und eine große Datenverfügbarkeit im jeweiligen Anwendungsfeld. Eine KI ist bestenfalls so gut wie die Daten, mit denen sie trainiert wurde. Im Falle des Bauwesens können dies CAD-Daten, Stücklisten, Planungs- und Geodaten, Baustellenfotos oder sonstige Sensordaten sein.

Bei aller beeindruckenden Funktionalität gehören generative KI-Systeme zur sogenannten schwachen KI, das heißt, ihre Fähigkeiten sind zumeist auf das Wiedergeben erlernter Muster zu einem spezifischen Anwendungszweck limitiert. Sie besitzen keine eigene Kreativität und nicht die Möglichkeit, Lösungsansätze zu variieren und selbstständig zu lernen. Dies wäre das Ziel einer sogenannten starken KI, die eine allgemeine Intelligenz entwickeln könnte, aber noch Zukunftsmusik ist.

Menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Planen oder Kombinationsgabe werden nachgeahmt, das Spektrum der von Maschinen unterstützten oder gar substituierten Tätigkeiten dehnt sich von prüfenden oder repetitiven Arbeiten hin zu stärker kreativen oder empathischen Tätigkeiten aus.

Angesichts ihrer erstaunlichen Kompetenzen ist absehbar, dass KI auch Aufgaben übernehmen wird, die bislang von Menschen mit einer höheren Ausbildung ausgeführt werden. Es bestehen Ängste und Bedenken, dass Arbeitsplätze durch Maschinen substituiert würden. Ähnliches war bereits in früheren Automatisierungswellen, etwa bei der Einführung von Robotik in der Fertigung oder von „Robotic Process Automation“ (RPA) in der Sachbearbei tung befürchtet worden. Diesmal sind jedoch Arbeitsplätze von Menschen mit akademischer Ausbildung betroffen.

In der Tat ist es wahrscheinlich, dass viele Tätigkeiten, die heute von Berufsgruppen mit hohem Ausbildungsniveau ausgeführt werden, durch Maschinen ersetzt werden. So ist die Anfertigung von Schriftsätzen im Rechtsverkehr maschinell abbildbar. Dies bedeutet aber nicht, dass der komplette Berufszweig des Rechtsanwaltsgehilfen obsolet würde. Vielmehr werden Mitarbeitende von den maschinell abbildbaren Aufgaben entlastet und können ihre eigene Kreativität und intellektuelle Kraft besser zum Einsatz bringen, etwa in der Konzeption erfolgversprechender Verteidigungslinien.

Im Endeffekt führt die Einführung der KI, die vordergründig auf eine Effizienzsteigerung durch Automatisierung gemünzt ist, so zu einem Qualitätssprung, weil Mitarbeitende zu neuen, werthaltigeren Tätigkeiten befähigt werden. Es stellt sich also kein Arbeitsplatzabbau ein, sondern es wird ein Kompetenzumbau erforderlich, der darauf ausgerichtet ist, eine Sensibilisierung für den Wert von Daten zu schaffen und die Produktivität in einem integrierten Arbeitssystem aus Mensch und Maschine zu steigern.

Stärkere Beschäftigungseffekte sind zu erwarten, wenn die Möglichkeiten der KI nicht erkannt werden und Marktteilnehmer aus dem Markt ausscheiden. Gerade mittelständische Unternehmen, die häufig einen Rückstand in der Digitalisierung aufweisen und die sich schwertun, die erforderliche Fachexpertise in KI und Arbeitsgestaltung ins Haus zu holen, drohen daher Wettbewerbsnachteile zu erleiden. Hier sind integrierte Digital- und KI-Strategien gefragt, die die Datenerschließung zu strategischen Geschäftszielen sicherstellen und dabei die Kompetenzentwicklung im eigenen Betrieb im Blick behalten.

Chancen für Wirtschaft und Gesellschaft

Generative KI könnte sich tatsächlich als Gamechanger für die Ausgestaltung von Arbeit in vielen Berufsgruppen erweisen. Ein Wettbewerbsvorteil für Unternehmen wird sich jedoch nicht aus dem Rationalisierungspotenzial durch Automatisierung ergeben – dieser Effizienzvorteil ist einfach zu kopieren und taugt nicht als Grundlage für eine nachhaltige Geschäftsstrategie. Vielmehr wird es darauf ankommen, systematisch Datenquellen zu erschließen und sie für eigene unternehmerische KI-Lösungen nutzbar zu machen. Nur den Wettbewerbern nicht zugängliche Daten begründen eine höhere Chance am Markt. Dies zu erkennen, Möglichkeiten zu deren Erschließung zu finden und systemische Vorteile zu erarbeiten, ist die größte Herausforderung auf dem Weg zum erfolgreichen Einsatz generativer KI.

Diese Aufgabe erfordert dauerhaft menschlichen Genius und ist nicht selbst durch KI zu ersetzen. Wer die maschinell zu Ende komponierte 10. Symphonie von Beethoven einmal gehört hat, konnte die Grenzen generativer KI schmerzhaft kennenlernen. Es gibt eben doch mehr im Leben als KI – und das hat auch seinen Sinn.


Künstliche Intelligenz schafft auch Bilder, die oft mit der Realität wenig zu tun haben. Sehen Sie hier, was der Bildergenerator Midjourney uns noch für Bilder zum Thema KI zusammengestellt hat:

2023, ai, künstliche intelligenz, bilderserie
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Oliver Riedel
Prof. Dr. Oliver Riedel, RC Stuttgart-Fernsehturm, leitet das Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen an der Universität Stuttgart und das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation.